
Energetische Sanierung
Serielle Sanierung von Plattenbauten
Spätestens bis 2045 soll Deutschland und damit auch der Gebäudesektor klimaneutral werden. So fordert es das Bundesklimaschutzgesetz. Eine Mammutaufgabe für die Wohnungsunternehmen. Die „Märkische Heimat“ in Ludwigsfelde entschied sich deshalb, in ihrem Wohnungsbestand ein Pilotprojekt nach dem Energiesprong-Prinzip umzusetzen. Gemeinsam mit der Seeria Renova GmbH brachten sie so ein fünfgeschossiges Wohngebäude WBS 70 mit 82 Wohnungen auf KfW-Standard 55. Ein Projekt, das Nachahmer sucht.
Die brandenburgische Stadt Ludwigsfelde hat sich als traditionsreiche Stadt der Autoindustrie einen Namen gemacht. Neuerdings zeigt sie sich bei der energetischen Sanierung von Plattenbauten ebenso innovativ. Wie in den meisten ostdeutschen Städten prägt auch hier die Wohnungsbauserie WBS 70 den Gebäudebestand. Mit rund 650.000 Wohneinheiten von rund 1,63 Mio. Block- und Plattenbauten gilt die WBS 70 als meistgebauter Plattenbautyp der DDR. Bereits nach 1990 wurden die meisten Gebäude konventionell saniert. Jetzt steht ein weiterer Modernisierungszyklus an.
Baudaten
Bauaufgabe:
Energetische Sanierung eines 1982/1983 erbauten Gebäuderiegels (102 m x 12 m) mit 82 Wohnungen
Bauherr:
Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde mbH „Märkische Heimat“
Generalunternehmen:
Seeria Renova GmbH
Bauzeit:
Oktober 2024 bis April 2025
Sanierungsbedarf bei der „Märkischen Heimat“
In der städtischen Wohnungsgesellschaft „Märkische Heimat“ in Ludwigsfelde sind etwa 3.200 Wohnungen von der Sanierung betroffen. Die meisten der Fünf- bis Sechsgeschosser wurden im Typen- Fassadenraster von 6 x 2,80 m hergestellt und eigenen sich für eine schnelle, kostengünstige und nachhaltige energetische Sanierung. Sie sind schnörkellos, ohne Vor- und Rücksprünge bzw. Gesimse gebaut. Balkone sind turmartig vor die Fassade gestellt und lassen sich einfach demontieren, sodass ein nahezu glattes Gebäude bleibt.

Montage der ersten Elemente auf der Loggiaseite WBS70 Ludwigsfelde
Energetische Sanierung in nur sechsmonatiger Bauzeit
Die Ludwigsfelder starteten ihr Pilotprojekt mit einem 102 m langen und 12 m breiten fünfgeschossigen Plattenbau aus dem Jahre 1982/83 in der Albert-Schweitzer-Straße 2–14. Vorab wurde dafür ein cleveres Konzept mit Machbarkeitsstudie entwickelt und geprüft. Die Ludwigsfelder holten sich dafür die Experten des deutsch-estnischen Unternehmens Seeria Renova an ihre Seite, das spezielles ingenieurtechnisches Know-how sowie Erfahrungen in der Digitalisierung 4.0 vereint. 2021 gründete sich dieser Zusammenschluss aus der Ingenieurgesellschaft BBP Bauconsulting GmbH, Berlin, der REMA Haustechnik GmbH, Frankfurt (Oder) sowie der MATEK AS, Tallinn. Das Ziel war, den Wohnungs- und Immobilienunternehmen Strategien und Dienstleistungen der seriellen Sanierung anzubieten. Ihre Lösung basiert auf dem niederländischen Energiesprong-Prinzip. Mithilfe eines innovativen Bauprozesses und vorgefertigten Elementen wird ein Gebäude wirtschaftlich und binnen kurzer Zeit auf einen NetZero-Standard gebracht. Die Arbeiten am Gebäude begannen im Oktober 2024. Schon nach sechs Monaten stand der Plattenbau mit neuer Gebäudehülle fertig.
Wie Projektleiter Michael Weise von der Seeria Renova erklärt, wurden zuerst die alten Balkone demontiert und zerkleinert. Ehe die Baustoffe zum Abtransport bereitstanden, fanden Materialanalysen entsprechend der geltenden Entsorgungsgesetze statt.
Überblick der Baumaßnahmen
- Einbau von 228 vorgefertigten Fassadenelementen aus Holz mit Wärmedämmung, dreifach verglasten Fenstern und Faserzement-Oberfläche
- Photovoltaik-Module auf einem Teil der Dachflächen
- Heizwärme vorher und nachher über das kommunale Fernwärmenetz
- Kellerdeckendämmung
- Drempeldämmung mit Zellulose-Einblasdämmung
- Erneuerung der Balkone
- Erneuerung der Hauseingänge
- Erneuerung der Brandschutztüren im Keller
Vorgefertigte Fassadenelemente aus Estland
Für die vorbereitenden Maßnahmen an den Fassaden kamen temporär gesetzte Gerüste zum Einsatz, um die Bauteams z. B. bei den Arbeiten abzusichern. Die neuen Fassadenelemente wurden dann über jeweils vier Anker an der Bestandsfassade befestigt. Michael Weise: „Insgesamt montierten wir so 228 vorgefertigte Holzrahmenmodule, wobei die Holzrahmen dreifach verglaste Fenster sowie eine Oberfläche aus Faserzement integrieren. An der Rückseite befindet sich eine 20 cm dicke Kerndämmung und zusätzlich eine 6 cm kompressible Mineraldämmung. Die war nötig, um die großen Toleranzen in der Gebäudegeometrie auszugleichen und die Elemente passgenau einhängen zu können."

Holzrahmenmodule mit integrierten dreifach verglasten Fenstern, einer Wärmedämmung und einer Oberfläche aus Faserzement
Die Holztafelmodule stammen vom estnischen Partner Matek AS in Tallin und kamen just in time auf der Baustelle an, wo sie zügig per Hochbaukran mit Auslegung 65 m in Kombination mit zwei Teleskophebebühnen positioniert und eingehängt werden konnten. Der Umgang mit diesen fahrbaren Hubarbeitsbühnen und das „Einhieven“ der 1.000 kg schweren Fassadentafeln mit 17 m2 Fläche verlangte von den Monteuren und Kranfahrern spezielle Kenntnisse und viel Geschick. Denn es stand nur wenig Platz im Quartier zur Verfügung.
Um Unfallrisiken auszuschließen, fanden vorab spezielle Einweisungen sowie Unterweisungen statt. Das betraf auch das Tragen persönlicher Schutzausrüstungen wie z. B. Schutzhelm bzw. Anstoßkappe, Fuß-, Gehör- und Handschutz sowie PSA gegen Absturz (PSAgA).

Anlieferung der 1.000 kg schweren vorgefertigten Fassadentafeln für WBS 70 Ludwigsfelde
Der Newsletter der BG BAU
Hier erhalten Sie alle wichtigen Meldungen und aktuelle Informationen zum Thema Arbeitsschutz per E-Mail – so etwa auch Hinweise zu neuen Arbeitsschutzprämien und Seminarangeboten.
Sie möchten keine Ausgabe der BauPortal verpassen? Klicken Sie einfach das entsprechende Kästchen in den Profileinstellungen an. Den Link zum Profil finden Sie am Ende jedes Newsletters oder direkt nach der Anmeldung.
Pilotprojekt als Lernprozess
Zwischen den Etagen verhindert ein installiertes Stahlblech den Brandüberschlag gemäß des geforderten Brandschutzkonzepts. Die alten Fenster ließen sich problemlos vom Wohnungsinneren ausbauen, ohne – im Sinne der Mieter – groß Schmutz und Lärm zu verursachen.
Barrierefreie Loggien wurden mit einer 2 cm großen Schwelle installiert und ersetzen die alten Balkone mit vormals 20 cm hohen Übergängen von den Wohnungen zum Balkon – was vor allem ältere Bewohner begrüßen.
„Ein Pilotprojekt wie das in Ludwigsfelde stellt auch immer einen Lernprozess dar“, berichtet der Projektleiter weiter. „Die größte Herausforderung für uns bestand darin, die Prozessabläufe mit allen Mietern zu koordinieren. Denn die Sanierung fand im bewohnten Zustand statt. Doch alle Bewohner wurden in alle Abläufe von vornherein mit einbezogen und zeigten viel Verständnis. Nur so konnte das Vorhaben erfolgreich gelingen.“
Weitere Sanierungsmaßnahmen
Zu den weiteren Maßnahmen der Sanierung gehörten Kellerdecken- und Drempeldämmung mit einer Zellulose-Einblasdämmung, neue Hauseingänge und Brandschutztüren im Keller.
Das Wohngebäude ist und bleibt wie die meisten Plattenbauten an das öffentliche Fernwärmenetz angeschlossen. Für eine Halbierung der CO2-Emissionen aus der fossilen Fernwärmeversorgung sorgt eine 82 kWp starke Photovoltaikanlage auf einem Teil des Daches, die künftig pro Quadratmeter Wohnfläche 17,9 kWh grünen Strom erzeugt. Dieser wird ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Eine weitere CO2-Reduktion lässt sich mittels der neuen Holzfassadenelemente erreichen, die dauerhaft über 100 t CO2 binden. Nach der Sanierung wird sich der Ludwigsfelder Plattenbau laut dena in der Energieeffizienz vom energetischen Mittelfeld C auf das ambitionierte Neubau-Niveau A+ verbessern. Der Primärenergiebedarf und CO2-Ausstoß sinken um rund 65 %. Bilanziell gilt das Gebäude als ein Null-Emissionshaus.
Arbeitsschutz bei der energetischen Sanierung
Bei der energetischen Sanierung treten Gefährdungen vor allem bei der Montage der vorgefertigten Elemente auf. So ist z. B. bei der Montage von Fassadenelementen von Gerüsten aus darauf zu achten, dass es nicht zu Abbzw. Durchstürzen zwischen Gerüst und Fassade kommt. Denn beim Aufstellen des Gerüsts sind die Abstände zwischen Gerüst und Fassade im ungedämmten Zustand größer als nach dem Anbringen der gedämmten Elemente. Für das Aufstellen von Fassadengerüsten gelten konkrete technische Regeln. Der Abstand zwischen Bauwerk und Gerüstbelag darf höchstens 30 cm betragen. Steht das Gerüst in größerem Abstand zur Fassade, können Innenkonsolen eingesetzt werden, die den Abstand auf das maximal erlaubte Maß verringern. Geschieht dies nicht, ist es notwendig, einen zweiteiligen Seitenschutz nach innen zu montieren. Empfehlenswert ist auch der Einsatz von Hubarbeitsbühnen, wie auch hier in der Albert-Schweitzer-Straße. Darüber hinaus ist auch bei der Montage von Photovoltaikmodulen, beim Aufbau der Unterkonstruktionen sowie der Vorbereitung der Dachflächen vor Montage darauf zu achten, dass sowohl elektrotechnische Grundsätze berücksichtigt als auch erforderliche Absturz- und Durchsturzsicherungen angebracht werden.

WBS-70-Plattenbau mit neuer energetischer Gebäudehülle
Kostensenkende Sanierungseffekte bei gleichartigen Gebäuden
Rund 6,7 Mio. € investiert die kommunale Wohnungsgesellschaft Ludwigsfelde „Märkische Heimat“ in das Projekt. Fördermittel aus dem BEG + SerSan-Bonus wurden beigesteuert. Mit 5,40 € je m2 Wohnfläche profieren die Bewohner von einer moderaten Miete bei bedeutend erhöhtem Wohnkomfort. Nico Gorsler, Teamleiter des Kompetenzzentrums Serielles Sanieren der dena bekräftigt, dass sich die für den WBS-70-Plattenbau in Ludwigsfelde entwickelte serielle Sanierungslösung auch auf den gängigen Plattenbautyp P2 sowie die QP-Serie, der auf die WBS 70 aufbaut, anwenden lasse. Das könne mehr als 50 % des ostdeutschen Plattenbaubestandes auf Klimakurs bringen. „Bei einer hohen Anzahl gleichartiger Gebäude greifen kostensenkende Skalierungseffekte schneller und in einer ganz anderen Größenordnung. Deshalb kann von dem Projekt in Ludwigsfelde ein Katalysatoreffekt ausgehen, der den seriellen Sanierungsmarkt insgesamt auf ein neues Level hebt.“ Da ähnliche Plattenbauten sich in ganz Osteuropa finden, könnte das Sanierungsmodell auch auf diese angewandt und so größtmögliche Klimaeffekte erreicht werden, schätzt auch Frank Kerber, Geschäftsführer der „Märkischen Heimat“, ein.
Autorin
Ausgabe
BauPortal 3|2025
Das könnte Sie auch interessieren

Bauen im Bestand, Nachhaltigkeit
Kraftwerksumbau bei laufendem Betrieb
Der Umbau des Heizkraftwerks Reuter in Berlin markiert den Kohleausstieg von Westeuropas größtem Fernwärmenetz. Die Transformation setzt eine neue technische Infrastruktur voraus, die umfängliche Baumaßnahmen erfordert.

Sanierung, Instandsetzung
Hallensanierung in Nordhausen: Umbau einer Lagerhalle zur Produktionshalle
Um die bestehende Lagerhalle für die Produktion von Fernwärme-Rohren fit zu machen, musste die Stabilität der Halle durch die Instandsetzung der Hallenstützen sowie der Deckenunterseite gewährleistet sein.

Bauwerksunterhalt
Kathodischer Korrosionsschutz im konstruktiven Ingenieurbau – Spritzverzinken
Im Metallspritzverfahren aufgebrachte Zink-Aluminiumlegierungen bieten langlebigen Korrosionsschutz für Stahlkonstruktion. Zahlreiche Studien weisen Haltbarkeiten von bis zu über 100 Jahren aus.