Brückenbau
Neubau der Rader Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal
Das Haltbarkeitsdatum der Rader Hochbrücke läuft ab. Noch etwa zwei Jahre soll der Verkehr über die alte Brückentrasse rollen. Bis dahin entsteht ein Teil der zweitlängsten Autobahnbrücke Deutschlands von Grund auf neu. Trotz der Frist sind weder an der Qualität noch der Arbeitssicherheit Abstriche erlaubt.
Bei ihrer Eröffnung 1972 galt die mit dem Bau der Bundesautobahn A7 errichtete Rader Hochbrücke als ein Bauwerk der Superlative. Mit einer Länge von 1.498 m war sie seinerzeit Deutschlands längste Autobahnbrücke und wurde seitdem nur von der Ruhrtalbrücke Mülheim übertroffen. In einer Höhe von fast 50 m überspannt die 15-feldrige Stahlträgerbrücke mit orthotroper Fahrbahnplatte die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt, den Nord-Ostsee-Kanal. Damit bildet sie einen Verkehrsknotenpunkt im Norden und zugleich das Nadelöhr für den Transitverkehr nach Skandinavien.
In die Jahre gekommen
Heute ist die Rader Hochbrücke dem gestiegenen Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen. Insbesondere die Intensität des Schwerverkehrs setzt dem Bauwerk mehr und mehr zu. Im Sommer 2013 stellten Sachverständige derart massive Schäden an den Pfeilerköpfen fest, dass eine sofortige Teilsperrung der Brückenötig wurde und die bröckelnden Pfeilerköpfe mit vorgespannten Stahlträgern umklammert werden mussten.
Die rasch anberaumte statische Prüfung im Jahr 2014 bescheinigte der Rader Hochbrücke unter den damals herrschenden Verkehrsbelastungen eine Restnutzungsdauer bis 2026. Mit dieser Frist vor Augen begannen 2014 auf Betreiben der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) die Planungen zur Brückenmodernisierung. In deren Verlauf gaben die Verantwortlichen einem vollständigen Brückenneubau statt einer Sanierung der bestehenden Überführung den Vorzug. Dafür sprachen sowohl technische Gründe als auch die mit Blick auf das zukünftig erwartete Verkehrsaufkommen notwendige Erhöhung der Kapazität. So ist die Verbreiterung der Autobahn von vier auf sechs Fahrstreifen inklusive vollständiger Standspuren zwischen der Anschlussstelle Rendsburg-Büdelsdorf und dem Autobahnkreuz Rendsburg vorgesehen. Damit sollen die Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Verkehrsinfrastruktur geschaffen werden. Das wäre mit dem bestehenden Brückenbauwerk nicht umsetzbar gewesen. Kostenprognose zu Baubeginn 385 Mio. €.
Von Süden her kommend überspannt die Rader Hochbrücke heute wie zukünftig zunächst den Nord-Ostsee-Kanal, dann die Rader Insel und schließlich den Borgstedter See. Grundlegende Anforderung ist, sowohl den Verkehr auf der A 7 als auch die Schifffahrt im Nord-Ostsee-Kanal während aller Bauphasen weitestgehend ohne Unterbrechung aufrechtzuerhalten. Kurzzeitige Sperrungen sind beim Einhub der Fahrbahnträger über den Nord-Ostsee-Kanal und später für die Sprengung der alten Brückenpfeiler geplant.
Neubau und Abriss bis 2030
Um drei Spuren in jeder Fahrrichtung aufnehmen zu können, wird die neue Rader Hochbrücke aus zwei getrennten Brückenhälften, sogenannten Teilbauwerken bestehen. Jedes Teilbauwerk wird zukünftig eine Fahrtrichtung der A 7 tragen. Bis zur geplanten vollständigen Fertigstellung im Jahr 2030 sind drei Bauphasen vorgesehen: Zunächst soll bis 2026 das erste Teilbauwerk parallel zur bestehenden Autobahnbrücke errichtet werden. Nachdessen Fertigstellung werden beide Fahrtrichtungen der A 7 zweispurig darübergeleitet und in Phase zwei die alte Brücke außer Betrieb gestellt und abgetragen. Sind deren Reste beseitigt, sollen die Bauarbeiten am zweiten Teilbauwerk beginnen.
Wer plant, wer baut
Den Neubau sowie den Abbruch der bestehenden Brücke hat die DEGES an ein Konsortium, bestehend aus der Plauen Stahl Technologie GmbH und der Zwickauer Sonderstahlbau GmbH unter Führung der Implenia Construction GmbH, vergeben. Die Objekt- und Tragwerksplanung übertrug sie dem Ingenieurunternehmen Schüßler-Plan GmbH, das darüber hinaus für die Verkehrsplanung, die Baulogistik, den Bauablauf inklusive der Arbeitsschutzplanung wie auch die Abbruch- und Rückbauplanung sowie das Building Information Modelling (BIM) verantwortlich ist.
© © DEGES
Der Brückenneubau wird als Balkendeckbrücke in Stahlverbundbauweise erstellt. Das Brückendeck, auch als Überbau bezeichnet, besteht dabei aus einer Tragkonstruktion aus Stahl und einer Fahrbahnplatte aus Stahlbeton. Beide Teile werden über Kopfbolzendübel miteinander verbunden und wirken dadurch als gemeinsam tragender Querschnitt.
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Vorbereitung des Brückenbaus
Im Zuge vorbereitender Arbeiten wurden im nördlichen Abschnitt zunächst Baustraßen hergestellt und der bestehende Damm nach Osten verbreitert. Hinter dem Widerlager entstand der Vormontageplatz für den Stahlbau. Am Borgstedter See wurden temporäre Anleger und eine Fährverbindung für den Transport von Material und Geräten auf die Rader Insel eingerichtet.
Der traditionelle erste Spatenstich fand am 5. April 2023 statt. Den eigentlichen Baubeginn markierte der Aufbau der Pfeiler in den Achsen 20 und 30 sowie Teilen des Widerlagers (Achse 10). Die Montage der Stahlkonstruktion erfolgt im sogenannten Taktschiebeverfahren.
Als erster Schritt wurden neben dem Vormontageplatz zunächst eine Verschubbahn und ein Taktschiebekeller installiert. Unterhalb werden die Stahlteile als Hohlkastenquerschnitt zusammengesetzt und dann mit einem Selbstfahrmodul zur Verschubbahn transportiert. Dort verschweißen sie die Stahlbauer sukzessive zu fortlaufenden Abschnitten und versehen sie mit einem Korrosionsschutz. Im April 2024 erfolgte der erste Verschub des Überbaus bis über den ersten Pfeiler.
© © DEGES
In zweitem Taktverschub ist der Vorbauschnabel aktuell auf dem Pfeiler Achse 30 am Ufer des Borgstedter Sees angekommen. Dieses Prozedere soll sich fortlaufend bis zum Pfeiler der Achse 110 auf der Rader Insel wiederholen und Ende 2025 abgeschlossen sein. Die Pfeiler werden mit ausreichend zeitlichem Vorlauf zum Verschub errichtet. Sie lagern auf Pfahlkopfplatten mit in bis zu 40 m Tiefe reichenden Pfählen.
Zeitgleich zur Herstellung am Nordende ist auf der Südseite die Dammverbreiterung und die Herstellung der Baustraßen erfolgt.Das südliche Widerlager und der Pfeiler 170 sind fertiggestellt; vom Pfeiler Achse 160 wird gegenwärtig das Kopfteil betoniert.Auch an dieser Brückenseite werden Stahlbausegmente montiert.Da die Strecke bis zum Nord-Ostsee-Kanal jedoch weitaus kürzer vom Norden her bemessen ist, war ursprünglich geplant, die Stahlbausegmente mit Autokranen einzuheben. Nun wird der Einbau der Stahlkonstruktion an dieser Stelle ebenso im Taktschiebeverfahren erfolgen.
Per Gleitschalung über den Nord-Ostsee-Kanal
Um den Nord-Ostsee-Kanal in einem Stück zu überbrücken, ist eine Stützweite von etwa 224 m nötig. Dafür sollen die massiven Kanalpfeiler 130 und 140 im oberen Teil voutenförmig erweitert und monolithisch mit dem Stahlverbundbrückenweg verbunden werden – in dieser Dimension eine weltweit einmalige Lösung. Für die Überbaufelder und das Kanalfeld selbst ist eine reine Herstellung im Taktschiebeverfahren oder mit Autokranen nicht möglich, die Herstellung ist hier wesentlich komplexer.
Allein die Gründungsarbeiten für die Kanalpfeiler beiderseits der Uferböschungen des Nord-Ostsee-Kanals gestalten sich weitaus aufwendiger: Die massiven Brückenstützen ruhen jeweils auf einem Fundament, das von 24 Pfählen getragen wird.Die eigentliche Montage des Überbaus beginnt dann mit dem Einheben des Stützenschusses auf Pfeiler 120. Die einzelnen Stahlteile sollen über den Nord-Ostsee-Kanal mit Pontons angeliefert und zu einem Feldsegment zwischen den Pfeilern montiert werden. Das wird anschließend mittels Litzenhebern heraufgezogen und mit den Stützenschüssen verschweißt. Als Gegengewicht dient das Stahlsegment im Nachbarfeld.
Freivorbau in sicherem Verfahren
Auch auf den beiden Kanalpfeilern werden nach Herstellung der Pfeilerschäfte und der Hammerköpfe Stützenschüsse eingehoben. Die sichere Ausführung der Verschalungen für den Betonbau an den Pfeilerköpfen erfordert besondere Überlegungen. Die ursprüngliche Planung sah ein Verfahren vor, bei dem Beschäftigte per Kran zu ihren Arbeitsplätzen an den Pfeilerköpfen transportiert werden sollten, um von dort aus die Schalung zu montieren. Unter Berücksichtigung der Sicherheitsregeln (TRBS 2121 Teil 4) entschieden sich die Verantwortlichen für eine Kletterschalung und im Bereich der Vouten über Wasser für eine Gleitschalung mit beweglicher Arbeitsbühne.
Dieser Lösung ging ein intensiver Austausch zwischen der Implenia-Bau- und Projektleitung Nadine Bendt und Andreas König, den Koordinatoren nach Baustellenverordnung der Ingenieurbüro Grassl GmbH unter Führung von Martin Feil und der Aufsichtsperson der BG BAU, Patric Sasse, voraus.
Den Abschluss der Stahlmontage bildet der Lückenschluss über dem Nord-Ostsee-Kanal. Sind die Auskrakungen an beiden Kanalpfeilern hergestellt, wird ein etwa 120 m langes vorgefertigtes Stahlsegment über den Kanal herangefahren. Auf den voutenförmigen Plattformen installierte Derrickkräne sollen das Schlussstück vom Pontonverband hinaufziehen, um es abschließend mit dem gesamten Stahlüberbau verschweißen zu können. Für diesen Vorgang ist eine mehrtägige Vollsperrung des Kanals im ersten Quartal 2026 vorgesehen.
Vorausschauendes Rettungskonzept
Aufgrund der räumlichen Ausprägung der Baustelle, mit Arbeitsplätzen zu Land, zu Wasser und vor allem in der Höhe, die nicht ohne Weiteres zu erreichen sind, bildet das Rettungskonzept die Basis, im Notfall im schnellstmöglich und richtig reagieren zukönnen. Verschiedene Umstände machen es den Projektleitenden von Implenia nicht leicht. Für die Höhenrettung käme nur eine Einsatzgruppe der Kieler Feuerwehr in Betracht. Die bräuchte im besten Fall mindestens 25 Minuten bis zur Unfallstelle. Daher werden an vielen Punkten entlang der Baustelle kranbare Tragen zum Transport von Verletzten aus der Höhe vorgehalten. „Wir müssen uns bei jedem Pfeiler Gedanken über den Rettungsweg machen“, sagt Koordinator Martin Feil. Deshalb sind alle mit einer Erste-Hilfe-Station ausgerüstet. Zur schnellen Erstversorgung gibt es einen Rettungscontainer und für die Arbeiten am und auf dem Borgstedter See steht ein Rettungsboot bereit.
Damit Bautechnik und Arbeitssicherheit zueinander finden, ist der Austausch von Projektleitung, Koordinator und Aufsichtspersonen der BG BAU wesentlich. Das zeige sich bei vielen Verfahrensfragenim Bezug auf das Regelwerk. Ein Beispiel: Angesichtsvon bis zu 150 ständig auf der Baustelle tätigen Personenstellt sich die Frage nach einem Betriebssanitäter. Laut DGUV Vorschrift 1 § 27 ist ein solcher vorgesehen, sobald dort mehr als 100 von ihnen gleichzeitig anwesend sind. Allerdings kann im Einvernehmen mit der BG BAU von einem Betriebssanitäter abgesehen werden, wenn im Rettungskonzept schlüssig dargelegt ist, welche Maßnahmen garantieren, dass der Rettungsdienst Betroffene auf der Baustelle umgehend erreichen und versorgen kann. Grundlegende Bedingung dafür ist, dass bei aller Enge Rettungswege jederzeit frei bleiben müssen und weder als Lagerfläche genutzt werden noch an engen Stellen durch Gerüste verbaut sind.
Der verhältnismäßige hohe Anteil von Stahlbau- und Schweißarbeiten lenkt die Aufmerksamkeit auf das Thema Baustromversorgung. Um Durchströmungen bei der Arbeit an großflächigen leitfähigen Werkstücken unbedingt zu vermeiden (erhöhte elektrische Gefährdung für Beschäftigte), dürfen bei diesen Tätigkeiten ausschließlich Trenntransformatoren begrenzt auf einen Verbraucher zum Einsatz kommen.
Blick voraus
Sobald die Stahlkonstruktion über die gesamte Brückenlänge komplettiert ist, werden Stahlbeton-Fertigteile eingesetzt und mit einer Ortbetonlage zur Fahrbahnplatte verbunden. Es folgen die Abdichtung und das Aufbringen des Brückenbelages. Als Schlussakt werden die verkehrstechnischen Anlagen installiert und der gesamte Brückenverlauf mit Lärmschutz- bzw. Windschutzwänden versehen. Danach könnte der Verkehr auf das neue erste Teilbauwerk umgelegt und die dann 54 Jahre alte Rader Hochbrücke außer Betrieb genommen und schließlich abgebrochen werden. Bis es soweit ist, liegen noch viele Betriebsstunden und einige bauliche wie auch sicherheitstechnische Herausforderungen vor allen Beteiligten.
Projektdaten
- Projektumfang: Neubau der Rader Hochbrücke mit Abriss der Altbrücke (Teil der Autobahn A 7) in Schleswig Holstein
- Bauzeit (Planung): 2023–2030
- Bauherrin: Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES)
- Bauausführung: Konsortium unter Führung der Implenia Construction GmbH mit Plauen Stahl Technologie GmbH sowie Zwickauer Sonderstahlbau GmbH (Stahlbau)
- Koordination nach Baustellverordnung: Ingenieurbüro Grassl GmbH
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