Rohrleitungsbau, Gleisbau
Tiefenentwässerung für den neuen Abstellbahnhof in Untertürkheim
Im Rahmen des Großprojektes Stuttgart 21 wird im Stadtteil Untertürkheim ein neuer Abstellbahnhof auf dem Areal eines alten Güterbahnhofs gebaut. Für die vorher stattfindende Tiefenentwässerung müssen drei Abwasserkanäle, die das Gleisfeld kreuzen, saniert werden – ohne dass stark in die oberirdische Infrastruktur eingegriffen wird. Bei der grabenlosen Kanalsanierung kamen aufgrund von Berechnungen nach der Finite-Element-Methode (FEM) sowie materialtechnischen Belegen spezielle Rohre zum Einsatz, welche die besonderen Anforderungen der Deutschen Bahn AG berücksichtigen und sich hinsichtlich ihres passgenauen Profils und der hydraulischen Nachweise als statisch empfehlenswert erwiesen.
Mit Stuttgart 21 wird die gesamte Bahninfrastruktur im Ballungsraum Stuttgart neu geordnet. Kernstück ist der Umbau des Hauptbahnhofes von einem Kopf- in einen Durchgangsbahnhof. Hierfür wird die Ausrichtung der Bahnsteige um 90 Grad gedreht und diese werden gleichzeitig in den Untergrund verlegt. Zukünftig kann der neue Hauptbahnhof über im Talkessel ringförmig angelegte Tunnelstrecken beidseitig und aus allen Richtungen angefahren werden.
Neuer Hauptbahnhof – neuer Abstellbahnhof
Mit der Umgestaltung des zentral gelegenen Hauptbahnhofs wird der bisherige Abstellbahnhof im Stuttgarter Rosensteinviertel nach Untertürkheim verlegt. Der Vorteil dabei: Der neue Abstellbahnhof kann über ein Tunnel-Ringsystem aus zwei Fahrtrichtungen angedient werden. Mit der Bauausführung wurde Eiffage Infra- Nordwest als Auftragnehmer gebunden.
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Das Areal in Untertürkheim und Bauumfang
Die Deutsche Bahn nutzt für den neuen Abstellbahnhof die Fläche eines alten Güterbahnhofes, der in Teilen bereits seit mehreren Jahren ungenutzt ist. Die Besonderheit und gleichzeitig auch die Herausforderung der Bauaufgabe liegt in der speziellen Insellage des Abstellbahnhofes. Planungskoordinator Maik Komorek von der Eiffage Infra-Nordwest beschreibt die vorliegende Bausituation so: „Das Gelände ist ellipsenförmig mit einer Länge von knapp zwei Kilometern in Nord-Süd-Ausrichtung und misst an der breitesten Stelle ca. 100 m. Unsere Aufgabe ist es. insgesamt 41 Gleise in mehreren Abstellgruppen mit einer Gesamtlänge von rund dreizehn Kilometern vorzustrecken, die Tiefen- und Gleisentwässerung sowie den Kabel-Tiefbau für den Betrieb des digitalen Stellwerkes und anderer digitaler Anlagen auf dem gesamten Gelände zu errichten.“
Insellage des neuen Bahnhofs als Herausforderung
Das Baufeld in Untertürkheim misst rund 17 ha und wird in Nord-Süd-Richtung auf der einen Seite von der seit März 2023 in Betrieb befindlichen Interregio-Kurve (Str. 4721) sowie auf der anderen Seite von den Nahverkehrsgleisen der Stadtbahn und der anliegenden Wohnbebauung begrenzt. Durch diese spezielle Lage kommt der Baustellenlogistik eine prägnante Bedeutung zu. Die Zu- und Abführung des hohen Massenaufkommens, wie Boden, Planumsschutzschicht (PSS), Gleisschotter sowie Stückgut (z. B. Stahlbetonfertigteile), kann trotz der limitierten Gleisanbindung an den Streckenbestand auch auf der Schiene erfolgen.
Weitere Herausforderungen
Neben der besonderen Insellage gab es noch viele weitere Herausforderungen. So mussten die dort lebenden Eidechsen gefangen und in Ersatzhabitate umgesiedelt werden. Darüber hinaus wurde eine umfangreiche Kampfmittelsondierung vorgenommen, da das umliegende Industriegebiet während des Zweiten Weltkriegs beschossen wurde und man hier noch Kampfmittel vermutete. Aufgrund der Größe des Bauareals ist für die Ableitung des Regenwassers zudem eine Vielzahl von Tiefenentwässerungen notwendig.
Warum Tiefentwässerung?
Die Trockenhaltung des Erdplanums ist eine wichtige Voraussetzung für eine dauerhafte Standsicherheit von Bahnanlagen. Entwässerungsanlagen haben die Aufgabe, schädliche Wasseranreicherungen im Unterbau/ Untergrund zu verhindern, um die Tragfähigkeit des Unterbaus und die Standsicherheit der Bahnstrecke zu jeder Jahreszeit gewährleisten zu können.
Sanierungsbedürftige Abwasserkanäle
Teil der Bauausführung ist dementsprechend auch eine Tiefenentwässerung. Über diese soll zukünftig das gesamte Gleisfeld (mit Ausnahme der Betriebsflächen) entwässert und die anfallenden Niederschlagswassermengen dem bestehenden Mischsystem und somit dem städtischen Kanalnetz und der Kläranlage zugeführt werden.
Im Vorfeld der Bauaktivitäten wurden deshalb auf dem Gelände auch die bereits vorhandene Entwässerungsinfrastruktur noch einmal genau untersucht und die einzelnen Zustände klassifiziert. Bekannt war, dass drei große Mischwassersammler (in Stuttgart als Dolen bezeichnet) das Gelände in Ost-West-Richtung queren. Diese Abwasserkanäle werden von der Stadtentwässerung Stuttgart zur Mischwasserableitung genutzt. Teilbereiche der Kanäle verlaufen unter permanent im Betrieb befindlichen Gleisanlagen. TV-Inspektionen zeigten Schäden, die in Kombination mit der vertieften Untersuchung des Bestandskanals zu einer Einstufung in den Altrohrzustand IIIa führten und eine Sanierung inklusive einer statischen Ertüchtigung erforderlich machten.
Umsetzung der Kanalsanierungsarbeiten
Eiffage Infra-Nordwest beauftragte die Aarsleff Rohrsanierung GmbH mit der Ausführung der Sanierungsarbeiten. Da genaue Konstruktionsunterlagen für die in Stampfbeton hergestellten Dolen mit Haubenprofil 1000/1250 aufgrund ihres Alters nicht vorlagen, entschied man sich aus Zeit- und Kostengründen – aber auch unter Berücksichtigung umweltspezifischer Aspekte – für die grabenlose Sanierung im Bereich der permanent in Betrieb befindlichen Gleisanlage. Die Planung der Arbeiten übernahm STEIN Ingenieure. Bei einer grabenlosen Kanalsanierung, auch geschlossene Bauweise genannt, werden Rohrelemente von einem (kleinen) Zugang unter die Erde gebracht und von innen in das beschädigte Rohr geführt.
Auf der Suche nach dem Best-Fit-Querschnitt
Damit die kompletten statischen Lasten aus den äußeren Beanspruchungen aufgenommen werden, entschied man sich für Einzelrohr- Lining mit eigenständig tragfähigen GFK-Rohren. Bei diesem werden die neuen Rohre in die bestehende Rohrleitung geschoben oder gezogen und der verbleibende Ringraum zwischen Alt- und Neurohr mit einer druckfesten Vergussmasse, meist einer Mischung aus Bindemitteln, verfüllt. Dadurch wird das neu eingesetzte Rohr fixiert und kann die gesamte statische Last übernehmen.
„Aus den hydraulischen Netzberechnungen war erkennbar, dass die Kanäle sehr stark hydraulisch beansprucht sind. Demzufolge war es eine sehr diffizile Aufgabe, das GFK-Profil so groß und so exakt wie möglich an die Bestandskanäle anzupassen und dabei die Querschnittsflächenreduzierung gering zu halten. Daher wurde im Vorfeld die Innengeometrie der Dolen mit einem Laser dreidimensional vermessen und darauf aufbauend der Best-Fit-Querschnitt ermittelt“, erklärt Dipl.-Ing. Andreas Beuntner, Geschäftsführer von STEIN Ingenieure. Dabei zeigte sich, dass für alle drei Dolen ein und dieselbe Querschnittsgeometrie passte. Mit dem parabelförmigen Sonderprofil 800/1010 aus GFK bei einer Wandstärke von 28 mm konnte auch der hydraulische Nachweis erfolgreich erbracht werden.
Angeboten wird ein Einzelrohr-Lining mit GFK-Rohren, das über ein speziell angepasstes Sonderprofil verfügt, z. B. von der Amiblu Germany GmbH. Die „Amiblu NC Line“-Profile gehören zu den nicht-kreisrunden Rohrsystemen und zeichnen sich durch eine hohe Säurebeständigkeit und Stoßfestigkeit aus, wodurch die Rohre weniger anfällig für Beschädigungen während des Transports oder der Verlegung sind.
FEM-Berechnungen überzeugten
Bevor die Rohrproduktion bei Amiblu jedoch starten konnte, galt es, sich mit der Deutschen Bahn abzustimmen, damit die GFK-Rohre mit dem gewählten Sonderprofil den besonderen Anforderungen an die Statik für die Verwendung unterhalb von Gleisanlagen entsprechen und für die Sanierung eingesetzt werden dürfen. Zwar hat Amiblu bereits seit etlichen Jahren die Bahnzulassung für kreisrunde GFK-Rohre, musste aber beim Projekt in Stuttgart durch umfangreiche Untersuchungs- und Prüfberichte aufzeigen, dass auch die Rohre der „Amiblu NC Line“-in dem Sonderquerschnitt den Anforderungen hinsichtlich Dauerschwingfestigkeit und Langlebigkeit genügen. Die „Amiblu NC Line“-Profile verfügen aufgrund ihrer Sandwichbauweise über eine hohe Biegestabilität. Der Kern hält den Scherkräften stand, während die Innen- und Außenschichten den Biegekräften im Kern widerstehen. Untermauert wurden die statischen Annahmen auch durch aufwendige Berechnungen nach der Finite-Element-Methode (FEM), die im Auftrag von STEIN Ingenieure gemeinsam mit der Dr. Doll Ingenieurgesellschaft durchgeführt wurden und so die Statik der Rohre nachweisen konnten.
Schablonenfertigung
Nachdem die Freigabe des Querschnitts von der Bahn erfolgt war, fertigten die Aarsleff-Mitarbeiter eine Holzschablone des parabelförmigen Sonderquerschnittes für die finale Kalibrierung an. Der zuständige Aarsleff-Bauleiter führt dazu aus: „Mit dieser Schablone sind wir durch alle drei Dolen gelaufen und haben so die Hindernisfreiheit des gewählten Querschnitts festgestellt.“ Diese war gegeben, sodass die Rohre in den Längen 3,00 m und 2,35 m im Wickelverfahren produziert werden konnten. Die kürzere Baulänge liegt begründet in den beengten Platzverhältnissen für die Einbaugrube bei der Dole mit der Nummer fünf, die unmittelbar im Bereich der in Betrieb befindlichen Gleisanlage liegt.
Einbau der Rohre
Ebenso vielschichtig wie die Genehmigung der GFK-Rohre im Sonderquerschnitt gestaltete sich auch der Einbau der Rohre. Zuerst wurde das alte Haubenprofil im Bereich der Startbaugrube aufgeschnitten und die Betonhaube zwischengelagert, da diese nach Abschluss der Arbeiten wieder aufgesetzt werden sollte. Für den Einbau der „Amiblu NC Line“-Segmente verwendeten die Sanierungsfachleute von Aarsleff ihren eigens für dieses Profil entwickelten Transport-Rohrwagen.
Da beim Bearbeiten von GFK-Rohren, beispielsweise der Zulaufanbindung, Faser- bzw. Faserbruchstücke freigesetzt werden und in die Lunge gelangen sowie mechanisch irritative Reizungen der Haut verursachen, ist das Tragen von Schutzkleidung obligatorisch.
Für die Aufrechterhaltung der Abwasservorflut während des Rohreinbaus sorgten verschiedene Abmauerungen und eine Umleitung des Trockenwetterabflusses in eine der anderen beiden Dolen. Im Regenfall schickten installierte Messpegel eine entsprechende Warnmeldung per SMS, sodass das Aarsleff-Team die Dolen rechtzeitig verlassen konnte. Insgesamt konnte Aarsleff zehn bis zwölf Rohre pro Tag installieren, sodass die Sanierung der ersten beiden Dolen ohne Probleme abgeschlossen wurde.
Ausblick
An die sanierten Abschnitte schloss Eiffage Infra-Nordwest dann den Neubau der Dolen im freien Baufeld in offener Bauweise an, welche ebenfalls von STEIN Ingenieure mit speziellen Rechteckprofilen aus Stahlbeton für diesen Einsatz geplant worden waren. Aktuell ist laut Eiffage Infra-Nordwest nur noch die Sanierung der Dole fünf offen. Die dafür vorgesehenen „NC-Line“-Rohre sind zwischengelagert, was auf Grund der UV-Beständigkeit der Profile keine negativen Auswirkungen auf Festigkeit und Langlebigkeit hat. Bis der Einbau der Rohre in die Dole fünf erfolgen kann, laufen die Arbeiten an den anderen Gewerken weiter, damit der Abstellbahnhof zusammen mit dem neuen Hauptbahnhof 2026 in Betrieb gehen kann.
Erdarbeiten am Abstellbahnhof von Stuttgart 21
© Deutsche Bahn
Projektdaten
Projektumfang:
Kanalsanierung im Rahmen der Tiefenentwässerung für die Errichtung des neuen Abstellbahnhofs Untertürkheim
Auftraggeber:
Deutsche Bahn AG/Projekt Stuttgart 21
Auftragnehmer:
Eiffage Infra-Nordwest
Rohrsanierung:
Aarsleff Rohrsanierung
Planung:
STEIN Ingenieure
Statik:
Dr. Doll Ingenieurgesellschaft/STEIN Ingenieure
GFK-Rohre:
Amiblu Germany GmbH
Autor
Ausgabe
BauPortal 3|2024
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