Bauorganisation, Digitalisierung
Nachhaltigkeit und BIM
Nachhaltiger leben: Jeder kann etwas tun, jeden Tag. Auch die Akteure der Baubranche. BIM-Methoden bieten einen praktikablen Ansatz, vom Planungsbeginn bis zum Rückbau strukturiert nachhaltig vorzugehen.
Angesichts des Klimawandels und der endlichen natürlichen Rohstoffressourcen ist Nachhaltigkeit mehr als ein bloßer Trend: Sie ist notwendig, damit die Generationen, die nachfolgen, eine intakte Umwelt und Entwicklungschancen vorfinden. Nachhaltigkeit bedeutet vereinfacht gesagt, dass beim Verfolgen von Zielen sowohl ökonomische als auch ökologische und soziale Kriterien zu berücksichtigen sind. Befinden sich diese drei Kriterien im Einklang, spricht man vom nachhaltigen Handeln. In diesem Sinne sind Bauwerke über ihren gesamten Lebenszyklus zu betrachten. Sie sind unter Beachtung ihrer sozialen Auswirkungen ressourcen- und umweltschonend zu errichten, zu betreiben, umzunutzen und zu guter Letzt zu recyclen.
Grundsätzlich kommt der Baubranche für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele eine Schlüsselrolle zu. Zum einen ist sie für etwa 38 % der weltweiten CO2-Emissionen (Global Alliance for Buildings and Construction 2020) bzw. 5 - 12 % der jährlichen CO2-Emissionen in Deutschland und mehr als die Hälfte aller jährlich anfallenden Abfälle (UBA 2018) in Deutschland verantwortlich, zum anderen ermöglicht sie mit Sanierungen und Neubauten energieeffizientes Wohnen, Arbeiten und Leben. Kurz gesagt: Der Bausektor besitzt im Hinblick auf die bestehenden Nachhaltigkeitsziele ein enormes Potenzial.
Nachhaltigkeit beginnt mit dem Entwurf
Die bisherige Vorgehensweise der ökonomischen, ökologischen und sozialen Bewertung eines Bauwerks auf Basis aus 2-D-Zeichnung und Baubeschreibung gewonnener Daten ist sehr aufwendig und wird beispielsweise im Fall der Technischen Gebäudeausrüstung verkürzt auf Grundlage von Annahmen durchgeführt. Insofern ist eine durchgängige Bewertung der Performance eines Bauwerks von der Planungsphase über die Nutzungsphase bis zum Rückbau ebenso schwierig wie erforderliche Variantenvergleiche in der entscheidenden Entwurfsphase. Inzwischen gibt es jedoch Planungswerkzeuge, die durch umfassende Simulationen und Analysen auf Basis von Daten aus BIM-Systemen (Building Information Modeling) und aus speziellen Datenbanken frühzeitig fundierte Entscheidungen bezüglich der Nachhaltigkeit eines Bauwerks ermöglichen. In entsprechender Software werden Eigenschaften des Bauwerks in einem digitalen, datenbankbasierten 3-D-Modell kombiniert und vernetzt. Neben geometrischen und technischen Daten sind auch Informationen zu Mengen oder Kosten sowie bauphysikalische Eigenschaften hinterlegt. Variantenuntersuchungen auf Basis von Simulationen haben das Potenzial, Entscheidungen nach ökonomischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten bereits in frühen Planungsphasen zu treffen. Das bietet hinsichtlich der Energieversorgung, der Entsorgung, des Mikroklimas und der Biodiversität zahlreiche neue Möglichkeiten.
BIM-Dimensionen
BIM-Modelle sind als multidimensionale Informationsmodelle aufgebaut, die über die geometrischen Dimensionen hinaus weitere Informationsebenen enthalten, die es Planenden ermöglichen, bspw. modellbasierte Zeit- und Kostenplanungen zu erstellen. BIM-Anwendungen sind projektspezifisch und haben in Abhängigkeit von den Anforderungen mehrere sogenannte Dimensionen: 3-D (Dreidimensionales Bauwerksmodell), 4-D (Zeit), 5-D (Kosten), 6-D (Nachhaltigkeit und Effizienz), 7-D (Facility Management) und auch 8-D (Sicherheit).
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6-D: Nachhaltigkeit und Effizienz
Für die Bemessung und Nachweisführung im Rahmen einer Ökobilanzierung kommt der sechsten Dimension eine besondere Bedeutung zu. So lassen sich die im BIM-Modell verfügbaren Geometriedaten, Bauteilausrichtungen und Bauteileigenschaften in Bilanzierungssoftware exportieren und bauphysikalische Simulationen zur Prognose des Verhaltens von Bauteilen, Räumen und Gebäuden durchführen. Das sind beispielsweise Energiesimulationen für die LEED-Zertifizierung (Leadership in Energy and Environmental Design). Dieses international anerkannte System zertifiziert durch unabhängige Dritte, dass ein Gebäude auf umweltfreundliche Art gebaut und entworfen wurde. Auch die für eine BNB-Zertifizierung (Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude) oder DGNB-Zertifizierung (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) erforderlichen Berechnungen, Simulationen und Studien, wie Tageslichtsimulation, Simulation sommerlichen Wärmeschutzes, Fassadenstudien, Wärmebrückenberechnung, thermische Komfortsimulation usw., lassen sich realisieren. 6D-BIM-Modellierung macht hinreichend genaue Betrachtungen ökologischer Aspekte (z. B. CO2-Neutralität), ökonomischer Aspekte (z. B. Energie- und Kosteneffizienz) und sozialer Aspekte (z. B. thermischer Nutzerkomfort) bereits in der Entwurfsphase möglich und erlaubt wichtige Variantenuntersuchungen. Sie dient also der Reduzierung der Betriebskosten und der Erfüllung definierter Nachhaltigkeits- sowie Effizienzkriterien.
Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz der BIM-Methode
BIM bietet die Option, über ein virtuelles Modell des Gebäudes zu verfügen, bevor es erstellt wird, und eröffnet damit viele Möglichkeiten für die an den verschiedenen Phasen des Entwurfs, der Umsetzung und Nutzung von Bauwerken beteiligten Personen und Organisationen. Das virtuelle Modell erlaubt die Durchführung von Simulationen, Analysen und Kontrollen bereits in der Entwurfsphase, wofür alle Beteiligten frühzeitig involviert sein müssen. Anerkannte Untersuchungen zeigen, dass mit Fortschreiten eines Projekts die Einflussmöglichkeiten sinken, im Gegenzug die Kosten für Änderungen jedoch steigen. In der konventionellen Planung fallen die meisten Arbeitsstunden in der Ausführungs- und Detailplanung an, also dann, wenn Steuerung kaum mehr möglich ist. Die BIM-Methode ermöglicht nicht nur das Vorziehen von Leistungen, sondern bedingt es geradezu, wodurch auch Entscheidungen von Bauherren bzw. Nutzern zu diesem frühen Zeitpunkt einzufordern sind. Ansonsten besteht die Gefahr, zu einem späteren Zeitpunkt nachbessern zu müssen, was Vorteile der BIM-Methode wieder aufhebt.
Fokus auf definierte Prozesse
Notwendig für den effektiven Einsatz der BIM-Methode sind definierte Prozesse, die sich sinnvoll digitalisieren lassen. In den letzten Jahren lag der Fokus auf BIM als Technologie und weniger auf Datendefinitionen und Prozessformalisierung. Aktuell wird in zahlreichen Ländern und auch international eine Vereinheitlichung versucht, wobei die Fortschritte aufgrund des sehr hohen Abstimmungsbedarfs bislang unbefriedigend erscheinen. Bezogen auf die sechste Dimension (6-D BIM) gilt es, zunächst einmal einheitliche Festlegungen bezüglich „Nachhaltigkeit und Effizienz“ zu treffen. Die bisherigen Projekte zum Einsatz von BIM bei Nachhaltigkeitsbewertungen von Gebäuden beschränken sich meist auf Ökobilanzen und Möglichkeiten in Hinblick auf Zertifizierungen, lassen also wichtige Nachhaltigkeitsaspekte weitgehend unberücksichtigt. Betrachtet man die gängigen Bewertungssysteme zur Nachhaltigkeit von Bauwerken so stellt man fest, dass bei der sozialen Komponente „Sicherheit und Gesundheit“ in der Regel die Nutzungsphasen, aber kaum der Arbeitsschutz während der Ausführungsphasen bewertet wird. Und dies, obwohl der Arbeitsschutz während der Ausführungsphasen sehr viele Arbeitsunfälle sowie Berufskrankheiten verhindert und damit betriebswirtschaftliche sowie volkswirtschaftliche Schäden nebst menschlichem Leid vermeidet. Das spart Ressourcen und entlastet auch das Gesundheitssystem, das in Deutschland für fünf Prozent der jährlichen CO2-Emissionen verantwortlich ist.
Fazit
Die erforderlichen Technologien für umfassende Simulationen und Analysen auf Basis von Daten aus BIM-Systemen zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Bauwerken sind vorhanden, während bei (Daten-)Definitionen, Prozessformulierungen und Planungsdisziplin der Beteiligten noch Nachholbedarf besteht. Der hiesige Bausektor, der ja im internationalen Vergleich nicht so schlecht in Sachen Nachhaltigkeit dasteht, hat – wenn Bauherren und Planende die Chancen der BIM-Methode nutzen – das Potenzial, maßgebliche Beiträge zu den hiesigen Nachhaltigkeitszielen zu liefern.
Autor
Ausgabe
BauPortal 4|2022
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