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Plattenbau, der bereits saniert wurde. Auffällig sind die helle Fassade und die türkisen und transparenten Balkonbrüstungen.
Mit dem Gebäude in der Havellandstraße Eberswalde startete die Wohnungsgenossenschaft 1883 eG ihr großangelegtes Sanierungskonzept im Land Brandenburg. | Bild: Bärbel Rechenbach

Bauen im Bestand

Boomtown in der Platte: Revitalisierung und energetische Sanierung eines Viertels in Eberswalde

Die Wohnungsgenossenschaft 1893 eG Eberswalde startete im April 2020 gemeinsam mit dem Land Brandenburg das Sanierungsvorhaben „BRAND.VIER“. Bis 2029 sollen insgesamt 1.119 Wohnungen im Plattenbaugebiet „Brandenburgisches Viertel“ saniert werden. Dabei geht es nicht nur um eine optische und funktionale Aufwertung, sondern auch um die energetische Sanierung mit innovativen Lösungen.


Bis 2030 sollen die CO₂-Emissionen in Deutschland um 65 % gegenüber denen von 1990 sinken, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Immobilienverwaltende und -besitzende sind daher streng in die Pflicht genommen. Denn allein 40 % des weltweiten CO₂-Ausstoßes werden durch den Gebäudesektor verursacht. Etwa 35 % des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs liegen in diesem Bereich.

Wie ein Emissionsrückgang Schritt für Schritt verwirklicht werden kann, zeigt ein Sanierungsvorhaben aus Eberswalde: Die Wohnungsgenossenschaft 1893 eG Eberswalde startete im April 2020 gemeinsam mit dem Land Brandenburg das Sanierungskonzept „BRAND.VIER“, das neben der Revitalisierung der Plattenbauten vor allem durch seine energetischen Sanierungsmaßnahmen landesweit Zeichen setzen soll.
 

Leerstand nach der Wende beheben

In den 1980er-Jahren zog es Tausende Menschen nach Eberswalde – vor allem zur Arbeit ins neue Schlacht- und Verarbeitungskombinat der Stadt. Eigens für den Zuzug entstand das Neubaugebiet „Brandenburgisches Viertel“ mit 6.000 Wohnungen. Hier am Rande der Stadt, inmitten herrlicher Kiefernwälder, auf märkischem Sand und nahe des Schwärzesees ließ es sich gut leben. Die Infrastruktur stimmte, das kulturelle Leben ebenfalls.

Nach der politischen Wende stoppte die Arbeit. Viele zogen wieder weg. Die Plattenbauten fristeten danach ein Mauerblümchendasein. Allein die Wohnungsgenossenschaft 1893 – eine von vier Wohnungseigentümergesellschaften in diesem Gebiet – verzeichnete in ihrem Bestand bis zu 25 % Leerstand. Das soll sich ändern, beschloss die Genossenschaft bereits 2017. Ihr gehören hier 1.512 Wohnungen. 2020 schließlich ging sie in die Sanierungsoffensive, um ihre Wohnungen auf Vordermann zu bringen und das Viertel neu zu beleben. Unter dem Markenzeichen „BRAND.VIER“ wurde ein Sanierungsvorhaben initiiert, das es in dieser Größenordnung noch nie zuvor in Eberwalde gegeben hatte. So sollte dem wachsenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum schnell und konsequent entsprochen werden.
 

Bauherr:
Wohnungsgenossenschaft Eberswalde 1893 eG


Entwurfsplanung Gebäude:
+zimmermann architekt, Cottbus


Entwurfsplanung Haustechnik, Genehmigungs-, Ausführungsplanung, Vergabe, Durchführung Gebäude und Haustechnik, Statik, Brandschutz:
SENATOR Die Project Management Service GmbH Berlin


Auswahl ausführender Firmen:
B.R.A.S.S.T. Bau GmbH, Berlin; Maler CAD eG, Woltersdorf; HAMPEL Elektro- & Sicherungsanlagen GmbH, Oderberg; Tischlerei Vario GmbH, Britz;
Alko Fördertechnik GmbH, Eberswalde


Bauzeit
2020 bis 2029 (geplant)
 

Sanierungsumfang

Der Plan von „BRAND.VIER“ sieht vor, bis zum Jahr 2029 insgesamt 1.119 Wohnungen zu sanieren. Beatrice Reich, Projektsteuerin der Genossenschaft, erläutert das mutige Vorhaben: „Bis 2024 werden wir insgesamt 468 Wohnungen angehen. Bis Ende 2022 steht zunächst die gründliche Sanierung der 168 Wohnungen in der Cottbusser Straße und Spreewaldstraße an. 75 Wohnungen davon werden völlig umgebaut. Das heißt: Wir bieten dann moderne, barrierefreie und barrierearme 1- bis 6-Zimmer-Wohnungen, u. a. mit neuen Heizungen, Fenstern, Türen, Böden, Bädern, WLAN-Anschlüssen, Loggien – und mit moderaten Mieten von 4,90 Euro bis 6 Euro pro m2/Wohnfläche (mit Wohnberechtigungsschein). Wir ändern dafür Grundrisse, legen Eingänge zusammen und sorgen damit für mehr Raum und Komfort. Alle 17 Treppenhäuser erhalten zum Beispiel Aufzüge, jedes Gebäude einen Gemeinschaftsraum. Obwohl noch keine der Wohnungen fertig ist, haben wir jetzt schon über 200 Anfragen.“ Und das nicht nur aus Eberswalde, Berlin liegt nah.
 

Eingerüsteter Plattenbau über Eck, ein Teil des Plattenbaus ist mit gelbgrünen Wärmedämmplatten versehen.
Bild: Bärbel Rechenbach

 

Stand der Sanierung

Die Gebäude sind bereits leergezogen und entkernt. Fassaden werden mit 120 mm und Dächer mit 160 mm mineralischer Wärmedämmung versehen. Neu ist auch die nachhaltige Nutzung des Regenwassers. Statt wie bisher in die Kanalisation, wird es in die Versickerungsflächen der Innenhöfe ein- und dem Grundwasser zugeführt und sorgt letztlich für ein gesundes Mikroklima. Seit Mai 2021 ist zudem die Einleitung von Regenwasser in die Mischwasserkanalisation grundsätzlich nicht mehr erlaubt.

Neue Grünanlagen, Straßen und Wege runden das Wohnumfeld ab. Alle Maßnahmen sollen dem Viertel zu einem neuen Lebensgefühl, neuem Image und neuen Nachbarschaften verhelfen. Für ihr Projekt fand die 1893 eG Verbündete in der Stadt Eberswalde und beim brandenburgischen Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung, das 57 Millionen Euro Fördermittel für die energieeffiziente Sanierung beisteuerte. Betreut wird das Ganze von der ILB Investitionsbank des Landes Brandenburg und der B.B.S.M. Brandenburgische Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung mbH, die streng über Ausgaben der Fördergelder wachen.
 

Präzise Sicherung des technologischen Bauablaufs

Für lösungsorientiertes und kostenbewusstes Umsetzen des Bauprojekts holte sich die Wohnungsgenossenschaft erfahrene Architekten und Planer wie das Architekturbüro Zimmermann aus Cottbus und die SENATOR Project Management Service GmbH Berlin mit ins Boot. Der gesamte Bauprozess wurde über die Web-Plattform Sablono digitalisiert.
 

Bauleiter Frank Jackenkroll mit Helm und Warnweste
Bild: Bärbel Rechenbach


Als Bauleiter von SENATOR koordiniert Frank Jackenkroll derzeit etwa 115 Bau-Beschäftigte unterschiedlicher Gewerke und Nationen. In Kürze werden es sogar 130 sein, die hier gleichzeitig arbeiten. „Da ist permanente Kommunikation angesagt“, berichtet er, „um den technologischen Bauablauf genau und termingerecht einzuhalten.“ Vor allem geht es ihm dabei um strikte Sicherheit, um jegliche Unfälle auszuschließen, zweifellos eine Herausforderung bei so einem umfassenden Sanierungsgroßprojekt. Einige Details im Baubestand sind z. B. in den originalen Bauplänen von einst gar nicht enthalten. Auch die Grundrissänderungen sind nicht ohne: „Ich denke da an die Umgestaltung der Erdgeschosse. Wir müssen in den Eingangsbereichen gravierend in die Statik eingreifen, ersetzen tragende Wände durch Stahlkonstruktionen, die – je Eingangsbereich auf drei Stahlkonstruktionen verteilt – rund 128 Tonnen tragen müssen. Ein Prozess, bei dem die technologische Reihenfolge präzise eingehalten werden muss, damit niemand zu Schaden kommt. Jeder Arbeitsschritt wird dabei genau kontrolliert und abgesichert. Unterweisungen, Absprachen und Schulungen finden regelmäßig statt. Dazu stehen wir auch mit der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatorin (SiGeKo), der Berufsgenossenschaft und dem Landesamt für Arbeitssicherheit in engem Kontakt“, führt Frank Jackenkroll aus.
 

Seitlicher Blick auf den eingerüsteten Plattenbau, ein Bauzaun sichert den Bau und den davor befindlichen Baugraben.
Bild: Bärbel Rechenbach
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Blick in einen ebenerdigen Raum des Plattenbaus im Bauzustand, in dem zuvor ein Stahlträger eingebaut wurde.
Bild: Bärbel Rechenbach
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Blick in einen geöffneten Aufzug, der auch saniert wurde.
Bild: Bärbel Rechenbach
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Blick in den sanierten Hausflur eines Plattenbaus, rechtsstehend ein Mann, der die dort hängenden runden keramischen Reliefs anschaut.
Sanierter Hausflur eines Plattenbaus
Bild: Bärbel Rechenbach
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Test in der Havellandstraße erfolgreich bestanden

Wie ein Gebäude nach der Sanierung aussehen und funktionieren kann, beweist bereits der Fünfgeschosser mit 43 Wohnungen in der nahen Havellandstraße 24–26. Etwa vier Millionen Euro nahm die 1893 eG in die Hand, um vorab zu testen, wie sich ein Plattenbau vom Schwedter Typ P2 sinnvoll und finanziell überschaubar modernisieren lässt. Farbenfroh, mit neuen Loggien, freundlichen und barrierefreien Eingangsbereichen sowie modernem und kunstvollen Innenleben hebt sich das Gebäude auffallend von umliegenden Gebäuden anderer Wohnungseigentümer ab. Für Energieeinsparung sorgt u. a. bereits im Flurbereich eine intelligente LED-Beleuchtung, die nur bei Bedarf brennt. In den Wohnungen selbst wurde die bisherige Ein-Rohr-Heizung durch ein energetisch effizientes Zwei-Rohr-System ersetzt.
 

Staubminderung und weitere Präventionsmaßnahmen


Staub auf Baustellen, vor allem bei Abbruch- und Demontagearbeiten, ist für Bauteams wie für Bewohnende des Bauumfelds eine Belastung. Deshalb sind wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Pflicht der Baufirmen ist es, Gefährdungsbeurteilungen, Unterweisungen, Betriebsanweisungen, STOP-Prinzip (siehe auch § 4 des Arbeitsschutzgesetzes) durchzuführen, Schutzmaßnahmen festzulegen sowie persönliche Schutzausrüstungen (PSA) bereitzustellen. Beschäftigte müssen die bereitgestellte Technik und PSA nutzen, Missstände melden und Betriebsanweisungen folgen. Dabei haben nach dem STOP-Prinzip technische und organisatorische Maßnahmen Vorrang gegenüber PSA.

Auf Substitutionsmaßnahmen ist zu achten wie: Verwenden staubarmer Produkte, staubarmes Mischen pulverförmiger Produkte mithilfe von Kleinsilos (Mehrweg-/Einweg-Kartons) und angeschlossener Mischtechnik, staubarme Arbeitsverfahren und Maschinen nutzen. Bei Trennschleifern, Schlitz- und Putzfräsen oder Schleifgeräten sollten nur geprüfte Systeme zum Einsatz kommen. Arbeitsbereiche, Arbeitsräume sind regelmäßig zu reinigen. Entstauber oder Kehrsaugmaschinen benutzen, statt trocken zu kehren oder abzublasen.
 

Digitales Schließsystem

Die Eberswalder Verantwortlichen suchten bei der Sanierung auch nach Lösungen, die zwar keinen direkten Einfluss auf die Verbrauchswerte haben, dafür jedoch den CO2-Ausstoß rund um die Bewirtschaftung erheblich senken. Dazu gehört u. a. die installierte digitale Schließanlage. Sie ermöglicht eine kurzfristige Zutrittsvergabe per Transponder ohne kostenintensiven Mehraufwand. Bislang sind Hauseingangstüren und Gemeinschafsträume damit ausgestattet. Nach erfolgreicher Testphase sollen dann auch andere Türen im Haus folgen. Laut KIWI-Studie lassen sich mittels digitaler Schließsysteme in einem durchschnittlichen Mehrfamilienhaus mit zehn Wohneinheiten jährlich allein 70 kg CO2 einsparen. Die Systeme fördern Prozesse der Bewirtschaftung, lassen Störfälle sofort erkennen und Wartungen automatisch planen. Flächen und Räume werden optimal ausgenutzt. Die Bewirtschaftung wird einfacher und kostengünstiger.

Nicht nur die Genossenschaft spart erhebliche An- und Abfahrzeiten, sondern auch Dienstleistende wie Entsorgungs-, Reinigungs- oder Wartungs-Beschäftigte. Um z. B. an die Heizungsanlage zu gelangen, sind wenigstens drei Schlüssel nötig, die mit der Reparatur Beauftragte persönlich erhalten müssen. Jetzt können Zutrittsrechte per Computer direkt an die Smartphones der Fremdfirmen erteilt werden. Allein bei der digitalen Schlüsselverwaltung spart die Genossenschaft im Projekt etwa 1.900 Euro ein.
 

Smartphone in einer Hand, das im Display die App für das digitale Schließsystem zeigt.
Bild: Bärbel Rechenbach


Jede Wohnung im Gebäude verfügt über einen schnellen digitalen Breitband-Anschluss, sodass von jedem Zimmer aus über den zentralen Multimediaverteiler gearbeitet werden kann. Das bewährte sich bereits im Lockdown und in den verstärkt genutzten Homeoffice-Zeiten. Vorrichtungen für künftige Glasfaserkabel sind im Gebäude integriert, um schnell wechseln zu können.
 

Baustelle im Fokus: Sanierung in Eberswalde

Ausblick

Das gesamte Bauprojekt „Brandenburgisches Viertel“ ist Teil der Marketingkampagne BOOMTOWN Eberswalde, die für Zuzug wirbt und für taffe Firmen, die hier sanieren wollen und können. 2029 soll das gesamte Großprojekt bewältigt sein und das „Brandenburgische Viertel“ der Stadt gut zu Gesicht stehen.
 

Autorin

Bärbel Rechenbach

Freie Baufachjournalistin


Ausgabe

BauPortal 4|2021