Maschinensicherheit
Warum Maschinen manipuliert werden
Das Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV) hat Aufsichtspersonen verschiedener Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und Verantwortliche für Arbeitssicherheit in Unternehmen befragt, ob Schutzeinrichtungen an Maschinen bei der Arbeit manipuliert werden und wie im betrieblichen Umfeld damit umgegangenen wird.
Unfall-Analysen zeigen, dass manipulierte oder außer Kraft gesetzte Sicherheitseinrichtungen an Maschinen genauso wie unsachgemäße Umbauten eine andauernde Gefährdung darstellen. Um die Hintergründe, Begleitumstände und Motivationen für solche Maschinenmanipulationen zu ermitteln, befragten Fachleute des IFA die Akteure für Arbeitssicherheit. Zu diesem Zweck entwickelten sie eine Umfrage, die sie Ende 2019 frei zugänglich auf der Website des Instituts sowie in einschlägigen Foren, Webseiten und Zeitschriften veröffentlichten, um betriebliche Akteure mit Bezug zur Arbeitssicherheit nach ihren Erfahrungen im Umgang mit der Manipulation von Maschinen in ihren Unternehmen zu befragen. Der Befragungszeitraum erstreckte sich über drei Jahre bis Ende des Jahres 2022. Insgesamt beantworteten 840 Personen, vor allem Fachkräfte für Arbeitssicherheit (SiFa), aber auch Sicherheitsbeauftragte und Führungskräfte den Fragenkatalog. Darunter waren gerade 21 Befragte, die für der BG BAU zugehörige Unternehmen tätig sind.
Parallel dazu wandten sich die IFA-Fachleute zum gleichen Thema auch an Aufsichtspersonen verschiedener Unfallversicherungsträger. Im Gegensatz zur Umfrage unter den Unternehmensangehörigen war mit 144 Befragten ein gewichtiger Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die BG BAU tätig und lieferte an dieser Stelle repräsentative Aussagen zur Maschinenmanipulation in den Baugewerken.
Führungskräfte haben entscheidenden Einfluss
Aus beiden Umfrageergebnissen lassen sich sowohl branchenunabhängig als auch für den Bau und baunahe Dienstleistungen wichtige Schlussfolgerungen ziehen: „Wenn eine Botschaft deutlich ableitbar ist, dann ist es die, dass zu viele Führungskräfte bei dem Thema Manipulation in ihren Betrieben wegsehen und dass dies Konsequenzen für die Manipulationshäufigkeit und das Unfallgeschehen hat“, erklärt Stefan Otto, Experte für Maschinensicherheit im IFA.
Mehr als die Hälfte der betrieblichen Arbeitsschutzfachleute gab an, dass Vorgesetzte Maschinenmanipulation in mindestens einem Fall toleriert hätten. Führungsverhalten ist demzufolge ein zentraler Hebel, um das Unfallgeschehen nachhaltig zu beeinflussen.
Was ist unter Manipulation von Maschinen zu verstehen?
Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich etwa 10.000 Arbeitsunfälle, darunter tödlich verlaufende, die Folge manipulierter Schutzeinrichtungen an Maschinen sind. Wenn Schutzeinrichtungen den Arbeitsablauf stören, werden sie umgangen oder außer Kraft gesetzt, z. B. wie auf dem Bild zu sehen, werden Schutzhauben an Baukreissägen verschoben oder abmontiert.
Manipulation von Schutzeinrichtungen
© DGUV
Wie oft kommt es zu Manipulationen?
Nach Angaben der SiFas und anderer betrieblicher Arbeitsschutzakteure lag der Anteil der Maschinen, an denen ständig mindestens eine Schutzeinrichtung manipuliert ist, bei 10 %. An mehr als 17 % aller Maschinen wurde vorübergehend mindestens eine Schutzeinrichtung verändert oder außer Kraft gesetzt. In der Summe werden über 27 % der Maschinen temporär oder gar ständig manipuliert. Aufsichtspersonen und Präventionsfachkräfte gaben an, dass dies bei insgesamt über 46 % aller Maschinen der Fall sei. Die befragten Aufsichtspersonen der BG BAU schätzen, dass die Manipulationsquote zusammen gar bei 59 % läge. Mit dieser Einschätzung ist die Baubranche im Vergleich zu anderen Unfallversicherungsträgern (UVT) trauriger Spitzenreiter.
Wofür Maschinen manipuliert werden?
Ein weiterer deutlicher Unterschied zu den Antworten der Kolleginnen und Kollegen anderer UVT zeigt sich bei den Gründen bzw. Anwendungen, wofür die Maschinen gefährlich verändert werden. Hier gaben die Aufsichtspersonen der BG BAU an, dass Schutzeinrichtungen zu über 86 % für den Normalbetrieb, also zur Ausführung der eigentlichen Arbeitsaufgaben, abgeändert werden. Währenddessen schätzen das die Präventionsfachleute anderer UVT nur bei 36,5 % der Fälle so ein. Häufiger dagegen werden Störungsbehebung, Reparaturen, die Einstellung oder die Reinigung der Maschine genannt – alles Anwendungsbereiche, die am Bau eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielen. Das beurteilen die Verantwortlichen für den Arbeitsschutz im Betrieb über alle Branchen hinweg ähnlich.
Manipulationsgeschehen mit leicht abnehmender Tendenz
Die Entwicklung des Manipulationsgeschehens in der letzten Dekade wird von den SiFa als mehrheitlich abnehmend (57 %) und von den Aufsichtspersonen sowohl gleichbleibend (43 %) als auch abnehmend (41 %) eingeschätzt. Am Bau sieht die Hälfte der Präventionsfachleute keine merkliche Veränderung im Vergleich zu vor zehn Jahren; knapp 22 % stellen gar eine Zunahme fest.
Duldung wird zum Problem
Ein aufschlussreiches Bild ergibt sich bei der Frage nach dem Umgang mit Manipulationen an Schutzeinrichtungen in Unternehmen. Etwa 51 % der Befragten berichten, dass Vorgesetzte in mindestens einem Fall von einer manipulierten Schutzeinrichtung wussten. Diese Duldung durch Vorgesetzte hat einen signifikanten Einfluss auf das Manipulationsgeschehen. Denn die Manipulationshäufigkeit steigt in Betrieben, in denen beim Thema Manipulation weggesehen wird, signifikant an: In Betrieben ohne Duldung werden 23 % aller Maschinen ständig oder vorübergehend manipuliert. In Betrieben mit Wissen der Vorgesetzten sind es 33 %.
Noch eindeutiger wirkt sich das Führungsdefizit auf das Unfallgeschehen aus. In Betrieben, in denen beim Thema Manipulation weggesehen wird, kommt es zu einem signifikant häufigeren Unfallgeschehen mit manipulierten Schutzeinrichtungen. In Betrieben, in denen mutwillig deaktivierte Schutzeinrichtungen nicht zugelassen werden, kam es nach Kenntnis der Befragten in fast 18 % zu mindestens einem durch manipulierte Schutzeinrichtungen verursachten Unfall. Wo Manipulationen geduldet sind, waren etwa doppelt so viele betroffen.
Fazit: Solange es nicht gelingt, nutzungsfreundliche, manipulationssichere Schutzeinrichtungen an alle Arbeitsplätze zu bringen, sind die Vorgesetzten der beste Schutz vor Manipulation. Dieser Feststellung haben zwei Drittel der Befragten (66,6 %) zugestimmt.
Detailinformationen:
Die IFA-Auswertung zur Befragung betrieblicher Arbeitsschutzakteure
Webportal der DGUV und der IVSS zum Thema Manipulation
Autoren
Ausgabe
BauPortal 3|2023
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