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Bauwerksbau, Baustoffe

Mehrgeschossig mit Lehm

Hochhäuser aus Lehm in einer Wohnsiedlung.
Visualisierung des Pilotprojekts im Bereich Lehmbau von STADT UND LAND in Berlin
Bild: Arge ZRS Architekten GvA mbH und Bruno Fioretti Marquez GmbH


Klimaneutral, gesund und energieeffizient soll das Bauen der Zukunft sein. Das gibt der Rückbesinnung auf traditionelle Baustoffe wie Lehm weiteren Schwung. Mit der neuen Norm DIN 18940 für tragendes Lehmsteinmauerwerk, die im April 2023 in Kraft getreten ist, gibt es nun eine praktische Handlungsanleitung für Konstruktion, Bemessung und Ausführung. Und auch der Arbeitsschutz profitiert von dem Trend.
 

Bauen mit Lehm erlebt seit drei Jahrzehnten auch in Europa ein Revival. Und Deutschland ist Vorreiter – mittlerweile leben hierzulande etwa 2 Mio. Menschen in Lehmbauten. Zumeist in Fachwerkhäusern, da sich in der Kombination mit Holz die konservierenden Eigenschaften der beiden traditionellen Baustoffe sehr gut ergänzen. Neben Renovierungen kommt Lehm aber immer häufiger auch bei Neubauten gerade in ländlichen Gegenden zum Einsatz. Die Palette reicht von Steinen und Platten über Mauermörtel bis zum Putzmaterial.
 

Bild eines Lehmsteinmauerwerks.
Beispiel für ein Lehmsteinmauerwerk
Bild: ZRS Ingenenieure, Christof Ziegert


Normierung und Nachhaltigkeit

Wesentlich zur Rückbesinnung auf Lehm als anerkannter Baustoff der Neuzeit hat seine Normierung beigetragen. Nachdem in den 1960er- und 1970er-Jahren industrielle Baustoffe wie Beton und Zement dominierten, leitete die in 2013 begonnene Standardisierung der Produktion und Verwendung von Lehm dessen Revival in Deutschland ein. Die seit Ende 2018 beschlossenen Normen der sogenannten zweiten Generation und die Regeln sowie technischen Merkblätter für den Lehmeinsatz gaben vielen Architekten, Ingenieuren und Handwerkern die notwendige Handlungssicherheit.

Als zweiter Treibstoff für das Comeback von Lehm als Baustoff fungieren die Klimakrise sowie die Notwendigkeit, ökologisch verträglicher und nachhaltiger zu bauen – unter Einsparung von CO₂ und Schonung natürlicher Ressourcen. Dem kommen die Eigenschaften von Lehm entgegen.
 

Bauphysikalische Eigenschaften

Als natürliche Mischung aus Sand, Schluff und Ton unterscheidet sich Lehm der verschiedenen örtlichem Vorkommen nur durch Kornformen und -größen der Mineralien, das Mischungsverhältnis der drei Bestandteile und die Art des Tons. Nicht alle Lehme sind für den modernen Lehmbau geeignet – erst recht nicht bei industriell gefertigten Vorprodukten. Als Material für Bauen und Wohnen hat Lehm etliche positive Eigenschaften: Er bietet eine gute Regulierung der Raumluftfeuchte, einen guten Wärme- und Schallschutz und kann – ungebrannt – wiederverwendet werden. Verbauter Lehm kann dem angrenzenden Bauholz Feuchte entziehen, sodass sich keine Schädlinge oder Pilze in Holzbauten entwickeln und so keine zusätzliche Konservierung nötig ist. Außerdem können durch Tonminerale im Lehm Gerüche und Schadstoffe neutralisiert werden.

Der Baustoff hat aber auch einige Nachteile, die beim Einsatz zu beachten sind. Dazu gehören z. B. die Wasserempfindlichkeit oder die Unverträglichkeit von Tonmineralen mit Zement, Kalk und Gips. Vor allem der Kostenfaktor bremst den Lehmbau. Selbst industriell hergestellte Lehmbaustoffe als trockene Sackware kosten ein Viertel mehr als vergleichbare Baustoffe. Und die Verwendung von Feucht-Lehm aus Liefer-Bags oder gar die Gewinnung vor Ort erfordern andere Logistik bzw. einen Arbeitsmehraufwand.
 

Diverse Platten aus verschiedenen Materialien in einer Reihe.
Lehm als Baustoff soll sollen helfen, CO₂-Emissionen zu reduzieren.
Bild: STADT UND LAND/C. Kruppa
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Lehmziegel.
Ziegel aus Lehm
Bild: STADT UND LAND/C. Kruppa
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Musterstück für Trennwand aus Holz und Lehm.
Musterstück für eine Trennwand aus Holz und Lehm.
Bild: STADT UND LAND/C. Kruppa
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Lehmsteinmauerwerk nun auch tragend

Nach jahrelanger Vorarbeit ist nun im April 2023 die DIN 18940 Tragendes Lehmsteinmauerwerk – Konstruktion, Bemessung und Ausführung in Kraft getreten. Seit der Veröffentlichung des DIN-Entwurfs im letzten Herbst hat es keine wesentlichen Einsprüche gegeben, wie Prof. Dr.-Ing. Christof Ziegert versichert. Er gilt als Initiator dieser Norm, deren Erstellung vom Dachverband Lehm in Auftrag gegeben wurde, und leitete als Obmann den entsprechenden DIN-Ausschuss.

Die Norm lehnt sich als nationales Regelwerk für Lehmsteinmauerwerk an die Grundprinzipien der vereinfachten Berechnungsmethoden für unbewehrte Mauerwerksbauten (DIN EN 1996-3) an und ist damit letztlich EU-konform. Das Konzept basiert auf den Ergebnissen von Versuchen der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) sowie Berechnungen der TU Darmstadt. Berücksichtigt wurden die spezifischen Eigenschaften von Lehmsteinmauerwerk wie die feuchteabhängige Druckfestigkeit.

Eine komplette Übersicht zu Normen und Regeln für den Lehmbau inklusive Technischer Merkblätter sowie Verbraucher-Informationen bietet der Dachverband Lehm e. V. (www.dachverband-lehm.de).
 

Erste mehrstöckige Lehmstein-Häuser

Mit der Einführung dieser neuen Norm wird es möglich sein, in Deutschland bis zu 13 m hohe Gebäude (bis Gebäudeklasse 4) aus tragendem Lehmsteinmauerwerk zu realisieren. Aus Sicht des Dachverbands Lehm hat die tragende Lehmbauweise das größte Potenzial, energieintensive Massivbautechniken im Segment der bis zu viergeschossigen Gebäude zu ersetzen. Dies wird – zusammen mit den anderen DIN-Normen in diesem Bereich – dem Baustoff Lehm einen deutlichen Aufschwung verschaffen, gibt sich Dipl.-Ing. Stephan Jörchel vom geschäftsführenden Sekretariat des Verbands optimistisch.
 

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Laut Prof. Ziegert wird jetzt schon nach der neuen DIN 18940 geplant und bald auch gebaut. So entsteht eines der Forschungshäuser 2.0 in Bad Aibling als dreigeschossiger Lehmsteinbau. Neben diesem Objekt bearbeitet Ziegerts Büro ZRS auch ein Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohneinheiten in Kirchheim bei München. Auch Ziegert spricht von einem „beträchtlichen Potenzial“ durch den mehrstöckigen Hausbau mit Lehmsteinmauerwerk. „Der Einsatz von Lehmbaustoffen ist im Zuge der notwendigen Einsparung von Energie und Rohstoffen gerade derzeit stark am Wachsen“, schätzt Ziegert die Lage ein. Ein Grund dürfte auch sein, dass das CO₂-Äquivalent von erdfeucht geliefertem oder solargetrocknetem Lehmputzmörtel nach DIN 18947 lediglich fünf Prozent eines zementgebundenen Putzmörtels ausmacht.
 

Auch der Arbeitsschutz profitiert

Neben den Aspekten des klimafreundlichen und ressourcenschonenden Bauens kommt beim Lehmbau noch ein weiterer Vorteil hinzu: bestimmte Gefährdungen wie Verätzungsgefahren für Haut und Augen, wie sie bei kalk- und zementgebundenen Baustoffen bestehen, fallen weg. Da bei Lehmstaub nur die üblichen Staubregeln gelten, erleichtert das die Gefährdungsbeurteilung sowie die Unterweisung der Beschäftigten bzw. den konkreten Einsatz vor Ort.
 

Pilotprojekte in Berlin und Brandenburg

Welches Potenzial im Lehmbau für verschiedene Arten von Bauwerken steckt, zeigen auch zwei aktuelle Beispiele aus Berlin und Brandenburg. So lässt die Wohnbaugesellschaft STADT UND LAND in Berlin in einem Pilotprojekt seit Frühjahr 2022 mehrere Gebäude mit 36 Wohnungen errichten, bei denen vor allem Lehm und Holz zum Einsatz kommen. Ein zweites Projekt ist die "Alhambra Brandenburgs" im Norden Brandenburgs. Hier soll ein Lehmbauensemble aus Lehmlärmschutzwand und Autobahnraststätte als Prototyp für klimaneutrale, dauerhafte und lebensfreundliche Massivlehmbautechnologie und zukunftsweisende Baukultur.
 

Nachhaltigkeitsbauten Alt Britz und Buckower Felder

Die STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH  hat zwei Neubauprojekte mit insgesamt drei Gebäuden gestartet, die die Potenziale des klima- und kreislaufgerechten sowie ressourcenoptimierten Bauens im öffentlichen Mietwohnungsbau ermitteln und aufzeigen sollen. Dabei sollen 50 % CO₂ eingespart, die Langlebig- und Wiederverwertbarkeit getestet und zugleich mit natürlichem Raumklima Energie gespart werden. Die Fertigstellung ist für Herbst 2024 geplant.

Alt-Britz

In Alt-Britz werden auf einem Grundstück zwei in Grundrissen, Kubatur und Geschossigkeit gleiche Gebäude in Holz-Lehm- und Ziegel-Holz-Bauweise geplant, realisiert und in den ersten Jahren des Betriebs wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Das Projekt hat das Ziel des einfachen, robusten Bauens und strebt an, über den Einsatz klimasteuernder Baustoffe und einen klimaangepassten Entwurf den Einsatz von Gebäudetechnik zu reduzieren und auf Klima- und Lüftungstechnik zu verzichten. 

Buckower Felder

Auf den Buckower Feldern wird auf Baufeld VIII zudem das STADT UND LAND-Typenhaus-Plus in nachhaltiger, ökologischer Bauweise als Typenhaus-Eco weiterentwickelt und realisiert. Dabei sollen beim Roh- und Ausbau im größtmöglichen Umfang Holzbaustoffe zum Einsatz kommen. Die somit schon deutlich verbesserte CO2-Bilanz soll durch den Einsatz aufbereiteter Baustoffe, z. B. Recyclingbeton, weiter optimiert werden. Darüber  hinaus wird die Wiederverwertbarkeit und Rückführung der eingesetzten Baumaterialien in die Kreislaufwirtschaft nach dem Lebenszyklusende des Gebäudes angestrebt. Der Vergleich erfolgt mit einem grundrissgleichen Typenhaus, welches in mineralischer Bauweise errichtet wird.

Die Gebäude werden mit unterschiedlichen Materialien und Ansätzen geplant und im Rahmen des Projektes in Bezug auf ihre Übertragbarkeit auf andere Mietwohnungsbauten untersucht und miteinander verglichen. Außerdem sollen die unterschiedlichen Bauweisen Holz-Lehm-Haus und Ziegel-Holz-Haus langfristig miteinander verglichen werden, um für die Zukunft grundsätzliche Erkenntnisse für die Umsetzung im Geschosswohnungsbau zu erhalten.
 

Modellhafte Darstellung von Hochhäusern aus Lehm in einer Wohnsiedlung.
Bild: Arge ZRS Architekten GvA mbH und Bruno Fioretti Marquez GmbH
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Hochhäuser aus Lehm in einer Wohnsiedlung.
Visualisierung des Pilotprojekts im Bereich Lehmbau von STADT UND LAND in Berlin
Bild: Arge ZRS Architekten GvA mbH und Bruno Fioretti Marquez GmbH
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Die ‚Alhambra Brandenburgs‘  

Beim zweiten Pilotprojekt geht es um eine „grüne“ Autobahn im ländlichen Raum. In Brandenburg soll die neue Autobahn A 14 beim Dorf Nebelin ein Biosphärenreservat durchschneiden, weshalb besondere Umweltschutzauflagen einzuhalten sind. Eine Machbarkeitsstudie schlägt nun konkret den Einsatz von Lehm in diverser Form als Stampflehm, aber auch als sogenannter Wellerlehm (Mischung mit Stroh, Heidekraut und Pflanzenfasern) vor – sowohl für die Lärmschutzwand als auch für die Tank- und Raststätte.

In beiden Fällen soll Lehm sein Potenzial als Hochbaumaterial unter Beweis stellen. Der Projekttitel wurde in Anlehnung an die bis zu 20 m hohe Stampflehm-Umfassungsmauer der Alhambra in Granada, Spanien, als Metapher für Dauerhaftigkeit und Baukultur gewählt.

Noch steht aber die Realisierung der „Alhambra Brandenburgs“ als künftig größtes europäisches Lehmbauensemble der Neuzeit aus.
 

Lehm besteht aus Ton, Schluff und Sand und ist in weiten Teilen Deutschlands (und Europas) unterhalb der fruchtbaren Erdschicht im Boden vorhanden. Sowohl die Baustoffe Stampflehm als auch Wellerlehm bestehen zu wesentlichem Anteil aus Lehm als Binde- und Füllstoff. An vielen Bauorten, auch im Fall der Lärmschutzwand und der Raststätte an der A14 bei Nebelin, kann der als Baustellenaushub gewonnene Lehm für Stampflehm- und Wellerlehmbau verwendet werden.
 

Satellitenaufnahme mit farblich markierten Flächen
Simulation des Lehmwandensembles an der A14
Bild: Montage von Ute Reeh und Sebastian Bertalan
Autor

Holger Wenk

Redaktion BauPortal


Ausgabe

BauPortal 2|2023