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Trainer mit Dachdeckern bei der Unterweisung für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz.
Bild: Jan-Peter Schulz - BG BAU

Absturz, PSA

Höhenrettung mit persönlicher Schutzausrüstung trainieren

Mit einem eigenen Trainingsparcours bereitet ein Berliner Dachdeckerbetrieb seine Beschäftigten auf die Arbeit mit persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz vor. Experten schulen die Mitarbeiter in Sachen Anschlagpunkte, Höhensicherungsgeräte und Rettungskette.
 

Den berühmten Himmel über Berlin, dem Wim Wenders ein filmisches Denkmal gesetzt hat, sehen die Mitarbeiter des Dachdeckerbetriebs Schneider aus Mariendorf im Bezirk Tempelhof-Schöneberg tagtäglich. Ihr Haupteinsatzgebiet, die Dächer der Berliner Wohnbezirke, gleicht einer zerklüfteten Landschaft. Eng stehen die Altbauten mit ihren vielfältigen, teils ineinander verschachtelten Dachformen beieinander – über lange Zeiträume zusammengewachsen und immer mal wieder ausgebaut.

Im Gegensatz zu Neubauten und vollständigen Sanierungen ist der Dachdecker im Bezirk auch für die oft dringlichen, aber kleinteiligen Arbeiten für seine Kundinnen und Kunden da und vor allem schnell vor Ort. Im Betriebsalltag bedeutet das, ob eine Sturmklammer neu befestigt oder ein Dachblech erneuert werden muss, dass der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle spielt, vor allem wenn Gefahr im Verzug ist. Für die Dachdecker heißt es dann, hoch und rauf aufs Dach, aber selbstverständlich immer gesichert. Oftmals kann dann aufgrund der baulicher Bedingungen oder aus dem erwähnten Zeitmangel keine Rüstung gestellt oder eine Hebebühne verwendet werden. Jonathan Wuttke, der als Assistent der Geschäftsführung und Mann vom Fach die Gefährdungsbeurteilung durchführt, entscheidet anhand aller Voraussetzungen und mit Blick auf Arbeitsplatz und Tätigkeit, ob die persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) zum Einsatz kommt. Ein Selbstläufer ist das nicht, aber aufgrund der genannten Rahmenbedingungen die Sicherungsmöglichkeit der Wahl.
 

Trainer mit Dachdeckern bei der Unterweisung für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz.
Bild: Jan-Peter Schulz - BG BAU
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Trainer mit Dachdecker bei der Unterweisung für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz.
Wer retten will, muss zunächst an die eigene Sicherheit denken!
Bild: Stephan Imhof - BG BAU
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Von der Pike auf mit PSA 

Der Berliner Traditionsbetrieb und seine Mitarbeiter sind jedoch darauf eingestellt. In so einem Umfeld gehört der Einsatz von PSAgA zum Dachdeckerberuf dazu und wird zudem über den Arbeitsalltag den Auszubildenden sozusagen von der Pike auf mitgegeben. Denn das regelmäßige Training im Umgang mit PSAgA ist Vorausetzung, um sie verwenden zu dürfen. „Und auch zu können“, fügt Dachdeckermeister und Geschäftsführer Frank Schneider hinzu. In seiner Rolle sei das eine Frage der Verantwortung. Das entsprechende Equipment, Höhensicherungsgeräte, temporäre Anschlagpunkte und auf die Träger angepasste Fanggurte, finden sich in jedem Firmenfahrzeug. „Letztlich ist PSAgA zwar die Schutzeinrichtung, die nach Betrachtung aller Möglichkeiten übrigbleibt“, sagt Schneider, „aber wenn wir damit arbeiten, muss auch alles stimmen.“ Vor allem das Handling, der Umgang mit der Technik, an der sprichwörtlich alles hängt, aber auch die persönliche Eignung.
 

Ein Rettungskonzept muss her

Dachdeckerinnen und Dachdecker sollten zwar von Haus schwindelfrei sein, doch die Verwendung eines Auffangsystem erfordert körperliche und mentale Fitness – besonders in Notsituationen. Unstrittig ist, das bestätigen die Beteiligten, dass das Rettungskonzept ein grundlegender Teil der Gefährdungsbeurteilung ist – und eine unternehmerische Pflicht. Aber wie sieht das in der Praxis aus? „Wir haben uns dann aber gefragt: ‚Moment mal, was passiert, wenn jemand in den Seilen hängt, was machen wir dann?‘“, erinnert sich Wuttke. Auf die Feuerwehr oder die Höhenrettungzu warten, sei keine zufriedenstellende Alternative gewesen. Ein selbstständiges Rettungskonzept sei das fehlende Glied und schließlich eine rechtliche Anforderung. „Ziel war von Anfang, dass wir mit eigenen Mitteln und eigenem Know-how unsere Mitarbeiter retten können.“
 

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In erster Linie geht es jedoch nicht um Unabhängigkeit, sondern darum, sofort handlungsfähig zu sein und einen abgestürzten Kollegen schnellstmöglich retten zu können. Mögliche Verletzungen durch Sturz, Anprallen oder die beim Auffangen wirkenden Kräfte können umso schneller behandelt werden und vor allem gilt es, das gefürchtete, lebensbedrohliche Hängetrauma zu verhindern. Aus diesen Gründen ist das Rettungskonzept für Inhaber Schneider, dessen Sohn im Unternehmen als Geselle regelmäßig mit PSA an Absturzkanten agiert, nicht eine bloße Alibi-Maßnahme, die es der „Vollständigkeit halber“ aufs Papier zu bringen, sondern so konsequent zu betreiben gelte wie die bisher ausgiebig unterwiesene und trainierte Verwendung der Schutzausrüstung. Alle Mitarbeiter sollten fähig sein, in Notsituationen angemessen und richtig zu reagieren, vor allem wenn ein Kollege am Dach mit PSAgA abstürzt. „Wir haben geschaut, welche Möglichkeiten wir mitbringen, und dann entschieden, unsere handwerklichen Kernkompetenzen zu bündeln und einen eigenen Trainingsparcours auf dem heimischen Betriebshof zu errichten“, erinnert sich Jonathan Wuttke.
 

Dachdecker bei der Unterweisung mit Persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz auf einem Flachdach.
Vorbereitungen auf der Plattform des Trainingsdachs.
Bild: Jan-Peter Schulz - BG BAU


Eigener Trainingsparcours 

Über einem Werkstatt-Anbau wurde ein Dachstuhl für ein Schrägdach errichtet und anschließend mit Tonziegeln eingedeckt. Am First geht die Schräge in ein Flachdach über, das als eine Art Plattform und Ausgangspunkt für das Training mit PSAgA und die Personenrettung dient. Diese Fläche ist rückseitig mit einer Reling aus Edelstahl gegen Absturz gesichert und auf der Giebelseite über einen Leitergang erreichbar. In die Dachfläche sind feste Anschlagpunkte eingelassen und als Anschlagösen ausgeführt. Bei Übungen erfolgt hier der erste Handgriff, das Anschlagen der PSAgA. 
 

Trainer mit Dachdecker bei der Unterweisung für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz.
In der Einweisung werden die einzelnen Elemente der PSAgA und ihre Funktion detailliert erläutert.
Bild: Stephan Imhof - BG BAU


Professionelle Einweisung

Das Regelwerk macht eindeutige Vorgaben, welche Voraussetzungen Rettende mitbringen müssen. Das Üben der Abläufe in solchen Notsituationen unter möglichst realen Bedingungen ist dabei unerlässlich. Den Verantwortlichen der Firma Schneider war von Beginn an klar, dass sie sich für das Trainingsdach für den PSA-Einsatz und die Höhenrettungstechnik externe Kompetenz hinzuholen müssen: Daher waren Fachleute der BG BAU früh in die Planungen der Dachdeckerei Schneider involviert – sowohl was die Nutzung des Trainingsparcours als auch die Ausbildung im Umgang mit der PSAgA und das Rettungskonzept betrifft. Für die Trainingspraxis konnten die Berliner Dachdecker die Profis von Nawrocki Alpin in Person von Thomas Franke und Markus Wich gewinnen, die mit ihrer praktischen Erfahrung und ihrem Fachwissen schon viele scheinbar waghalsige Aufträge in Höhen und Tiefen mit dem Anspruch an höchste Sicherheit realisiert haben.
 

Trainer mit Dachdeckern bei der Unterweisung für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz.
Auf dem Trainingsdach können Rettungsaktionen unter annähernd realen und gleichzeitig sicheren Bedingungen simuliert werden.
Bild: Jan-Peter Schulz - BG BAU


An einem neblig-nasskaltem Dezembertag stiegen beide gemeinsam mit den Dachdeckergesellen Frank Herdlitschke und Robert Schneider aufs Trainingsdach, um den Ernstfall zu proben. Um den Rettungsvorgang zu simulieren, schlüpfte zunächst einer der beiden Dachdecker in die Rolle des Abgestürzten. Bei der Höhenrettung zeigt sich, was es bedeutet, an einer schrägen Ebene am sprichwörtlich seidenen Faden zu hängen.

Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf den Ziegeln liegend auszuharren, ist keine reizvolle Aufgabe. Doch auch unter solchen Bedingungen kommt es für den Rettenden darauf an, Karabinerhaken und Seilzeug mit klammen Fingern aus dem Effeff zu beherrschen. Ziel der Einweisung ist es, sicher mit der eigenen PSAgA und dem Rettungssystem umzugehen, damit die in den Gurt gestürzte Person schnellstmöglich aus der hängenden Position befreit werden kann. Im Notfall muss jeder Handgriff sitzen. Deshalb sprechen die Ausbilder beim ersten Rettungsversuch die einzelnen Schritte detailliert durch. Sie folgen einer ausgeklügelten Choreografie, in der es auf das aufeinander abgestimmte Zusammenspiel der Retter und der Höhenrettungstechnik ankommt. Zuerst gilt es, die abgestürzte Person zu sichern und dann über das Schrägdach herabzulassen, bis sie schließlich an der Traufkante senkrecht nach unten abgeseilt werden kann. Beim ersten Versuch vergehen gut 45 Minuten bis zur sicheren Landung im Hof. Seelenruhig und ohne Hast geben die Ausbilder ihre Kommandos – ganz bewusst, auch das gehört zur Einweisung. Denn eine reale Notsituation allein sorgt bereits für genug Anspannung. Wichtig ist dann, sich auf die einstudierten Abläufe zu konzentrieren. „Es gilt, zuerst die Abläufe zu verinnerlichen, dann eine Routine zu entwickeln, dabei höchste Aufmerksamkeit zu behalten, ohne gleichzeitig zu verkrampfen. Das ist gar nicht so einfach, aber erlernbar“, erklärt Ausbilder Thomas Franke.
 

Trainer mit Dachdeckern bei der Unterweisung für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz.
Die stetige Sicherung bei gleichzeitiger Führung nach unten erfordert Timing und Fingerspitzengefühl.
Bild: Jan-Peter Schulz - BG BAU


Das Rettungskonzept verinnerlichen

Im zweiten Versuch lassen sich die Ausbilder retten und die Dachdecker übernehmen. Schritt für Schritt wiederholen alle Beteiligten die Abläufe, auch die vermeintlich Verunfallten unterstützen. Selbst der schwierige Übergang über die Dachrinne in die Senkrechte gelingt. Im Anschluss gehen die Ausbilder von Nawrocki Alpine gemeinsam die neuralgischen Momente der Rettungsaktion noch einmal durch. Aus Sicht von Robert Schneider ist der Auftakt gut verlaufen. Das Rettungskonzept sei ein entscheidender Baustein, um die PSAgA sicher verwenden zu können: „Mit dem Rettungstraining sind wir für unsere Arbeit schlicht besser gerüstet und machen uns zusätzlich bewusst, wie wir sicher aufs Dach und genauso wieder runterkommen.“ Zukünftig sollen alle Beschäftigten der Firma Schneider die Ausbildung unter Anleitung des Teams von Nawrocki Alpine durchlaufen und regelmäßig auf dem Betriebshof üben, so sieht es Frank Schneider vor, der Trainingsparcours sei schließlich als langfristige Investition gedacht.
 

Autor

Stephan Imhof

Redaktion BauPortal


Ausgabe

BauPortal 2|2023