Baumaschinentechnik, Erdbau
Umsturzgefährdung beim Einsatz von Erdbaumaschinen
Radlader und Kompaktmaschinen finden in der Bauwirtschaft aufgrund der großen Bandbreite von Einsatzmöglichkeiten an den unterschiedlichsten Bauvorhaben Verwendung. Dabei treten wiederholt schwere und tödliche Unfälle durch umstürzende Maschinen auf. Welche Regelungen für einen sicheren Betrieb bestehen und warum sich dennoch kontinuierlich schwere und tödliche Unfälle ereignen, zeigt der folgende Beitrag.
Unfälle durch Umstürze beim Einsatz von Erdbaumaschinen bilden bei der BG BAU einen bedeutenden Anteil des Unfallgeschehens, wie die nachfolgende Unfallanalyse zeigt. Neben den wirtschaftlichen Folgen ist damit oft großes menschliches Leid verbunden.
Umsturzunfälle von 2016 bis 2021
Im Betrachtungszeitraum von 2016 bis 2021 wurden im Referat Tiefbau der BG BAU 113 Unfalluntersuchungen von umstürzenden Erdbaumaschinen erfasst, zehn davon mit tödlichem Ausgang. Leider unterstreicht das derzeitige Unfallgeschehen die Aktualität und Brisanz des Themas eindrücklich. Allein im Jahr 2021 wurden insgesamt 14 Unfälle mit umstürzenden Erdbaumaschinen untersucht. Vier davon endeten für die Insassen tödlich (Stand 18.01.2022). Aufgrund der sich jährlich wiederholenden schweren und tödlichen Unfälle drängt sich hier unweigerlich dringender Handlungsbedarf auf.
Entstehung von Umsturzunfällen mit schweren oder tödlichen Folgen
Beim Betrieb von Radladern und Kompaktmaschinen führen technische oder organisatorische Randbedingungen oder Einflüsse häufig zu einer permanenten Unfallgefährdung für die Maschinenführerinnen und -führer in der täglichen Praxis. Durch eine nicht vorhersehbare Bedingung, wie z. B. eine technische Störung, kann die eingesetzte Erdbaumaschine umstürzen und zum Wirksamwerden der Unfallgefährdung führen. Liegen dabei nun zusätzlich verstärkende Bedingungen vor, etwa eine fehlende Sicherung des Maschinenpersonals in der Fahrerkabine, so kann es hierdurch zu Unfallereignissen mit schweren oder tödlichen Folgen kommen. Begünstigt wird dies durch die physiologischen Stressreaktionen („Kampf-oder-Flucht-Reaktion“ nach W. Cannon) der maschinenführenden Person. Neben der Anstrengung, das Umsturzereignis durch abrupte Gegenmaßnahmen, wie schlagartiges Bremsen oder Gegenlenken, noch abzuwenden, ist dabei sehr häufig eine „Fluchtreaktion“ zum Verlassen des Gefahrenbereichs festzustellen. Dabei führt etwa der Versuch eines finalen Rettungssprungs dazu, dass die maschinenführende Person ihren sicheren Fahrerplatz verlässt und völlig ungeschützt der umstürzenden Erdbaumaschine ausgesetzt ist. Gleiches gilt für Betroffene, die aus der Fahrerkabine herausgeschleudert werden.
Ursachen von Umsturzunfällen mit Erdbaumaschinen
Charakteristische Ursachen für Umsturzunfälle von Radladern und Kompaktmaschinen, die durch den Verlust der Standsicherheit zum Maschinenumsturz bzw. in dessen Folge auch zum Überrollen oder Absturz führen, können sein:
- ungeeignete Bodenverhältnisse, Geländeneigungen oder Fahrwege,
- zu geringe Sicherheitsabstände zu Baugrubenrändern und Böschungskanten,
- fehlende Absturzsicherungen (Anfahrbarrieren) in gefährdeten Bereichen,
- Nichtbeachtung der Verwendungs- und Einsatzgrenzen der Erdbaumaschinen,
- Verwendung ungeeigneter Einrichtungen und Anbaugeräte,
- Überschreitung der Nutz-, Trag-, Hub- oder Kipplasten während des Betriebs,
- technische Defekte z. B. an Reifen, Hubeinrichtungen oder relevanten tragfähigen Teilen infolge fehlender Wartung, Reparatur und Prüfung der Erdbaumaschinen,
- unangepasste Fahr- und Verhaltensweisen aufgrund unterschätzter Gefahr
- Fehlbedienungen, die zum Überschreiten der physikalischen Grenzen führen,
- ungeeignete Be- und Entladevorgänge der Erdbaumaschinen an den Einsatzorten,
- Eintritt von unvorhersehbaren, plötzlich auftretenden Ereignissen.
Häufig wirken die genannten Ursachen im Zusammenspiel. Die aufgeführten Punkte und resultierenden Maßnahmen sollten daher sowohl in der Gefährdungsbeurteilung als auch den zugehörigen Betriebsanweisungen zum Betrieb von Erdbaumaschinen enthalten sein sowie elementare Bestandteile zur Unterweisung des Maschinenpersonals darstellen.
Bestehende Regelungen zum sicheren Betrieb von Erdbaumaschinen
Das Schutzniveau zur Vermeidung von Umsturzunfällen beim Einsatz von Radladern und Kompaktmaschinen basiert auf drei Säulen. Dabei bestimmen die Festlegungen der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG die Produktsicherheit bzw. die Anforderungen an die Herstellerfirmen. Neben grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen werden dabei spezifische Anforderungen für bestimmte Maschinengattungen definiert. Die harmonisierte Normenreihe EN 474 zeigt dabei praxisnahe, konkrete technische Lösungen auf. Im Wesentlichen müssen die genannten Erdbaumaschinen mit Überrollschutzaufbauten (ROPS) in Verbindung mit einem Rückhaltesystem ausgerüstet sein. Zur Gewährleistung des Arbeitsschutzes am Arbeitsplatz haben daneben Arbeitgebende ihre Pflichten aufgrund bestehender Rechtsvorschriften zu erfüllen. Dies bedeutet konkret, dass sie nur sicherheitstechnisch einwandfreie Erdbaumaschinen zur Verfügung stellen dürfen und die fachliche Eignung und Qualifikation der maschinenführenden Personen sicherstellen müssen. Daneben sind verschiedene organisatorische Maßnahmen umzusetzen. Das notwendige Schutzniveau wird jedoch nur in Kombination und durch entsprechende Mitwirkung des Maschinenpersonals erreicht. Nur wenn die eingesetzten Beschäftigten die vorhandenen technischen Sicherheitseinrichtungen verwenden sowie ein angepasstes und geeignetes Verhalten zeigen, ist die Sicherheit beim Einsatz von Radladern und Kompaktmaschinen gegeben.
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Ermittlung von Defiziten bei der Umsetzung der notwendigen Schutzmaßnahmen in der Praxis
Trotz der Vielzahl vorgenannter Regelungen zum sicheren Betrieb von Radladern und Kompaktmaschinen wiederholen sich kontinuierlich Umsturzunfälle, oftmals mit schweren und auch tödlichen Folgen. Zur Ermittlung der in der Praxis vorliegenden Defizite wurden daher zwischen Mai 2021 und September 2021 zufällig ausgewählte Baustellen im Zuständigkeitsbereich der BG BAU systematisch analysiert sowie die vorliegenden Unfalluntersuchungen weitergehend ausgewertet. Den wahren Ursachen und Hemmnissen bei Defiziten wurde dabei insbesondere durch ausführliche Befragungen der in der Praxis tätigen Personen auf den Grund gegangen. Neben Erkenntnissen zu den konkreten Einsatzbedingungen an den jeweiligen Arbeitsstellen konnten dabei wissenschaftlich belastbare Daten zur Akzeptanz der bisherigen technischen Sicherheitseinrichtungen gewonnen werden.
Fehlende Akzeptanz der bestehenden Rückhaltesysteme
Beinahe 97 % der betrachteten Erdbaumaschinen verfügten über die notwendigen Schutzaufbauten für den Fahrerplatz. In wenigen Einzelfällen wurden die vorhandenen Sicherheitseinrichtungen (oft aus Transport- oder Platzgründen) unzulässigerweise demontiert und vor dem Einsatz nicht wieder angebracht. Die vorhandenen Schutzaufbauten gewährleisten dabei den notwendigen Überlebensraum für die maschinenführende Person im Fall, eines Kipp- oder Umsturzereignisses, wenn diese dabei auf ihrer vorgesehenen Position am Fahrersitz verbleibt. Hierzu werden in der Praxis fast ausschließlich aus einem Beckengurt bestehende Rückhaltesysteme eingesetzt. Die Datenauswertung ergab, dass 94 % der Erdbaumaschinen über einen funktionsfähigen Beckengurt als Rückhaltesystem verfügten. In Einzelfällen fehlte das notwendige Rückhaltesystem oder war defekt, sodass kein sicherer Betrieb gewährleistet war. Während die technischen Voraussetzungen an den eingesetzten Erdbaumaschinen in der Praxis überwiegend gegeben sind, zeigt sich bei der Anwendung und Akzeptanz der technischen Sicherheitseinrichtungen durch die jeweilige maschinenführende Person ein abweichendes Bild. Oft finden diese nur sehr wenig Akzeptanz. Innerhalb der Stichprobe benutzten gerade einmal 17 % die fast ausschließlich aus einem Beckengurt bestehenden Rückhaltesysteme. „Vier von fünf Maschinenführern benutzen bei ihrer täglichen Arbeit mit ihrer Erdbaumaschine das vorhandene Rückhaltesystem nicht.“ Infolgedessen besteht bei eintretenden Kipp- oder Umsturzereignissen keine ausreichende Sicherheit!
Die fehlende Akzeptanz bestätigte sich in vielen Gesprächen mit den Maschinenführern. Demnach gaben lediglich 6 % bzw. 3 % der befragten Personen an, die Rückhaltesysteme oft bzw. immer zu benutzen. 91 % benutzen diese dagegen lediglich gelegentlich, selten oder sogar nie.
Ursachen und Hemmnisse der unzureichenden Anwendung in der Praxis
Die unzureichende Anwendung der Rückhaltesysteme in der Praxis hat diverse Ursachen und Hemmnisse. Die Beteiligten gehen davon aus, dass es bei der täglichen Arbeit mit ihrer Erdbaumaschine „wahrscheinlich nicht“ zu einer Situation kommt, die zu einem Kippen oder Umstürzen führen könnte. Oft wird dabei die alltäglich vorhandene Umsturzgefährdung unterschätzt bzw. sind den Beschäftigten diese Gefährdung und die möglichen Folgen nicht ausreichend bekannt und bewusst. Die als überwiegend „gar nicht gut“ bzw. „weniger gut“ empfundene Ergonomie der Rückhaltesysteme trägt zur schlechten Akzeptanz dieser bei. Daneben wird diese Schutzeinrichtung als zu umständlich und nicht praktikabel angesehen bzw. macht gerade das häufige Ein- und Aussteigen die Benutzung zu aufwendig. Allgemeine Bequemlichkeit oder das Absolvieren von „kurzen Fahrstrecken“ hemmen die Anwendung ebenfalls. Nur ein sehr geringer Anteil der Radlader und Kompaktmaschinen verfügt zudem über Systeme, die auch die Verwendung der Rückhaltesysteme sicherstellen.
In den Betrieben existieren darüber hinaus nicht immer klare Festlegungen zu Beauftragungen für das Maschinenpersonal, wodurch die Erdbaumaschinen als „Alltagsmaschinen“ oft von den verschiedensten Mitarbeitenden benutzt werden.
Erwünschte Verbesserungen aus Sicht der in der Praxis tätigen Personen
Wurden die beteiligten Personen nach erwünschten Verbesserungen gefragt, um das Arbeiten mit Radladern und Kompaktmaschinen künftig sicherer zu gestalten, so wurde hier überwiegend der Wunsch nach Anschnallhilfen, Sicherheitsbügeln oder automatischen Sicherungssystemen laut. Daneben wurde häufiger ein Motor-Stopp bei fehlender Sicherung genannt. Zusätzlich wurde mehrfach der Aspekt der besseren Ausbildung und Schulung des Maschinenpersonals angesprochen.
Fazit
Im Ergebnis der Betrachtungen zeigt sich in der täglichen Praxis beim Einsatz von Radladern und Kompaktmaschinen eine deutliche Diskrepanz bei der Umsetzung der notwendigen Schutzmaßnahmen. Unausweichlicher Handlungsbedarf besteht durch die mangelhafte Akzeptanz und Anwendung der bisherigen Sicherheitseinrichtungen, bestehend aus Überrollschutzaufbau und zugehörigen Rückhaltesystemen (meist Beckengurt): „In vier von fünf Fällen ist die Sicherheit des Maschinenführers aufgrund der Nichtanwendung der Rückhaltesysteme nicht gegeben.“ Das aktuelle Unfallgeschehen unterstreicht dabei die Dringlichkeit, die Sicherheit beim Einsatz von Erdbaumaschinen deutlich zu verbessern. Dabei muss es die langfristige und erstrebenswerte Aufgabe aller Beteiligten sein, schwere und tödliche Unfälle durch umstürzende Erdbaumaschinen konsequent zu verhindern.
Welche Maßnahmen können die Sicherheit beim Einsatz von Radladern und Kompaktmaschinen weiter verbessern?
Die BG BAU verfolgt eine Vielzahl von Präventionsansätzen, die das Potenzial bieten, Umsturzunfälle beim Einsatz von Erdbaumaschinen zukünftig signifikant zu reduzieren. Entsprechend der Vision Zero hat dabei die Vermeidung von schweren und tödlichen Unfällen oberste Priorität. Die konkreten Maßnahmen werden in der Präventionskampagne „Wann schnallst du’s? – Anschnallen rettet Leben!“ vorgestellt.
Autor
Ausgabe
BauPortal 2|2022
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