Dach- und Zimmererarbeiten
Fachkongress für Absturzsicherheit
Der 7. Deutsche Fachkongress für Absturzsicherheit fand am 28. und 29. November 2023 im Graf-Zeppelin- Haus in Friedrichshafen mit rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. In den Fachvorträgen ging es um die Vermeidung von Absturzunfällen bei Dacharbeiten, bei der Wartung und Montage von Photovoltaik-Anlagen sowie bei Glas- und Fassadenarbeiten. Darüber hinaus wurden aktuelle Rechtsfälle aus dem Bereich Absturz und zahlreiche Lösungen für die Absturzsicherheit vorgestellt.
Eröffnet wurde der Fachkongress am 28. November mit einem Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Marco Einhaus, Leiter des Referats Hochbau bei der BG BAU, zu den aktuellen Entwicklungen im Bauordnungs- und Regelwerk zur Absturzsicherheit. Er stellte die Zahlen zu Arbeits- und Absturzunfällen 2023 vor: Insgesamt 46 tödliche Arbeitsunfälle verzeichnete die BG BAU zwischen Januar und September 2023, davon 20 Absturzunfälle mit tödlichem Ausgang. Von Oktober bis November 2023 ist die Zahl der Absturzunfälle noch einmal angestiegen, weil viele Unternehmen vor Winterbeginn Arbeiten an Dächern oder Fassaden fertigstellen wollten, damit die Gebäude im Winter abgedichtet und witterungsgeschützt sind.
Gründe für Absturzunfälle
Absturzunfälle ereignen sich häufig bei Dacharbeiten oder Wartungsarbeiten auf Dächern, etwa beim Verlegen von Trapezblechen ohne Schutzmaßnahmen oder dem Betreten von Lichtplatten und nicht durchsturzsicheren Dachdeckungen. Auch bei der Arbeit an Photovoltaik-(PV-)Anlagen komme es häufig zu Absturzunfällen. Unsichere Anlegeleitern für den Zugang zum Dach und nicht durchsturzsichere Lichtkuppeln und Lichtbänder wurden mit als häufigste Unfallursachen identifiziert.
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STOP- und NEST-Prinzip
Im Anschluss vertiefte Harald Dippe aus dem Referat Hochbau der BG BAU das Thema Absturzgefahr an hochgelegenen Arbeitsplätzen und Verkehrswegen und ging hier vor allem auf das STOPPrinzip und Überlegungen zum Rettungskonzept ein. Das STOPPrinzip gebe die Rangfolge der Schutzmaßnahmen vor, damit seien aber nicht alle Tätigkeiten mit Absturzgefahr erfasst. Bei der Verwendung von Anlege- oder Stehleitern gebe es beispielsweise keinen Schutz gegen Absturz. Auch könne die Schutzmaßnahme PSAgA bei Fehlanwendung unwirksam werden. Deshalb seien neben Unterweisungen der Anwender in Theorie und Praxis auch eine gesonderte Gefährdungsbeurteilung und ein trainiertes Rettungskonzept erforderlich. Als Leitfaden für das Rettungskonzept nannte Harald Dippe das NEST-Prinzip: Dabei sei der erste Schritt die Wahrnehmung und Meldung des Notfalls (N), der zweite Schritt die Erste Hilfe (E), wobei die Sicherheit (S) der Ersthelfer und Retter zu beachten sei, und der letzte Schritt der Transport (T) der verletzten Person bzw. die Übergabe an die Rettungskräfte. Je konsequenter allerdings das STOP-Prinzip umgesetzt wird, desto geringer wird in der Regel auch der Aufwand für Rettungskonzepte.
Sicheres Arbeiten auf steilen Kirchendächern
Den zweiten Kongresstag am 29. November eröffnete erneut Prof. Dr.-Ing. Marco Einhaus mit einem Vortrag zum Thema „Sicheres Arbeiten auf steilen Kirchendächern“. Hier stellte er eine Lösung zur Absturzsicherung für die Sanierung einer Kirche vor, deren Dachflächen teilweise eine Dachneigung von bis zu 65° hatten – bei Sparrenlängen von bis zu 17 m. Das komplette Einrüsten des Gebäudes war aufgrund baulicher und konstruktiver Gegebenheiten nicht möglich, daher sollten Dachschutzwände eingesetzt werden. Die Dacharbeiten sollten von Dachdeckerstühlen aus durchgeführt werden, die mit Seilen an Sicherheitsdachhaken befestigt wurden. Die BG BAU führte vor Beginn der Arbeiten mehrere Versuche mit Dachschutzwänden und Dachdeckerstühlen (auch „Besenstühle“ genannt) durch. Im Anschluss an die Auswertung der Versuche wurde ein Schutzkonzept für die Ausschreibung der Arbeiten am Kirchendach mit 65° Dachneigung entwickelt, das in einer späteren Ausgabe noch einmal detailliert vorgestellt wird.
Konstruktive Überlegungen zum Einsatz von Arbeitsplattformnetzen
Dann übernahm Werner Portugall, ebenfalls im Referat Hochbau bei der BG BAU tätig, und stellte in seinem Vortrag konstruktive Überlegungen zum Einsatz von Arbeitsplattformnetzen auf Baustellen vor. Bisher ist die gesamte Auslegung von Arbeitsplattformnetzen mehr oder weniger versuchsbasiert. Mit der rechnerischen Modellierung des Lastabtrags von Arbeitsplattformnetzen könnte man einen noch breiteren Einsatzbereich ermöglichen.
Absturzsicherheit aus der Praxis
Wie das Thema Absturzsicherheit bei Dacharbeiten umgesetzt wird, zeigte André Büschkes, Geschäftsführer der Dachdeckerei Hans- Dieter Büschkes und Vizepräsident des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH), an Beispielen aus seiner Praxis. So nutzt Büschkes z. B. für den Austausch von Dachfenstern u. a. auch Autokrane und entsprechende Kranvorrichtungen, für die Dachinspektion häufig Hubarbeitsbühnen oder auch Drohnen – je nach den Gegebenheiten vor Ort. Bei Flachdacharbeiten setzt die Dachdeckerei außerdem temporäre Seitenschutzsysteme als kollektive Absturzsicherung ein. Besonders wichtig ist Büschkes auch der wirksame Einsatz von persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA). Diese wird regelmäßig durch sachkundige Personen geprüft und zudem werden die Mitarbeiter im Umgang mit der PSA regelmäßig unterwiesen. Laut André Büschkes müsse Arbeitsschutz in Handwerksbetrieben selbstverständlich sein und genauso zur Arbeitsvorbereitung gehören wie Personal- und Materialplanung. In seinem Betrieb treibt André Büschkes das Thema Sicherheit konsequent voran und bindet sein Team durch wöchentliche Besprechungen mit ein. Dies zahlt sich aus – es gab seit sechs Jahren keine Absturzunfälle mehr – und bringt ihn der „Vision Zero“, einer Welt ohne Unfälle, ein Stück näher.
Seilzugangskonzept für Axel- Springer-Neubau in Berlin
Markus Füss vom Ingenieurbüro „Hochsicher“ stellte die Systemlösung zur Seilzugangstechnik für die Wartung der Fassaden und Decken des Axel-Springer- Neubaus in Berlin vor, die er gemeinsam mit der BG BAU und den Herstellern Innotech und LUX-top entwickelt hat. Da das Atrium des Gebäudeinneren 45 m hoch ist und eine unregelmäßig geformte Glasfassade mit vielen vor- und zurückspringenden Flächen ausweist, war ein besonderes Konzept für den Zugang, z. B. zur Reinigung einiger Glasflächen und zum Austausch von Leuchtmitteln, erforderlich, welcher mit der für Wartungszwecke vorhandenen Hubarbeitsbühne etc. nicht erreicht werden konnten.
Aktuelle Rechtsfälle zur Absturzsicherheit
Aktuelle Rechtsfälle zur Absturzsicherheit und deren gerichtliche Bewertung thematisierte Manuela Reibold-Rolinger, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht und Mediatorin, wieder in reger Interaktion mit dem Publikum. Es wurde unter anderem das Thema der Haftung bei Unfällen bei Bauarbeiten auch in Bezug auf die Verkehrssicherheit diskutiert.
PV-Anlagen sicher montieren und warten
Zum Abschluss des Fachkongresses informierte Thorsten Müller über die Absturzsicherungen bei der Wartung, Montage und Planung von Photovoltaik-(PV-)Anlagen. Der Sachverständige für PVAnlagen führt Begutachtungen und Wartungen solcher Anlagen durch und hat dabei schon häufiger die Erfahrung gemacht, dass Absturzsicherungen sowohl bei der Montage als auch für die notwendigen Wartungsarbeiten in der Planungsphase nicht bedacht werden und deshalb fehlen. Für den Zugang zu schwer zugänglichen Dächern nutzt er in der Regel eine Arbeitsbühne. Für die erste Dachinspektion seien aber auch Drohnen eine sichere und komfortable Lösung.
Angebote fürs sichere Arbeiten in der Höhe
Auch die BG BAU informierte an ihrem Stand über aktuelle Angebote für Absturzsicherheit bei Bautätigkeiten, wie etwa den Automatikhaken, dessen Anschaffung als Arbeitsschutzprämie gefördert wird.
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Ausgabe
BauPortal 1|2024
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