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Dach- und Zimmererarbeiten

Konstruktive Überlegungen zum Einsatz von Arbeitsplattformnetzen

Stahlkonstruktion in der Höhe, in die ein blaues Arbeitsplattformnetz eingespannt ist.
Arbeitsplattformnetz als Arbeitsplatz und Verkehrsweg bei Arbeiten an einer Stahlkonstruktion
Bild: Robert Schrödel - BG BAU


Bisher spielen Arbeitsplattformnetze als möglicher Arbeitsplatz und Absturzsicherung bei Höhenarbeiten nur eine untergeordnete oder ergänzende Rolle. Dementsprechend gibt es keine ausreichend validierten Aussagen, wie der Lastabtrag aussieht, wenn sie vollumspannend ausgelegt werden. Mit einer Versuchsreihe, die die BG BAU in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsschutz (IFA), dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Technischen Hochschule (TH) Köln durchgeführt hat, soll die Belastbarkeit von Arbeitsplattformnetzen nun rechnerisch erfasst werden.
 

Arbeitsplattformnetze bestehen aus Schutznetzen mit einer Maschenweite von max. 45 x 45 mm2 und zusätzlich eingefädelten Traversengurten1 mit einem Durchstich nach maximal zehn Maschen. Die Arbeitsplattformnetze werden mit Anschlaggurten in den Randbereichen an der Tragkonstruktion des Bauwerks im Abstand von 50 cm befestigt und können dann – anders als Schutznetze2 – als Arbeitsplätze und Verkehrswege verwendet werden und abstürzende Personen auffangen.
 

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Derzeitiger Stand zu Arbeitsplattformnetzen

Das aktuelle Regelwerk zu Arbeitsplattformnetzen, die DGUV Information 201-010, betrachtet den Einsatz unter Worst-Case-Bedingungen. Konkret heißt das, dass im Rahmen von Versuchen eine statische Beanspruchung von 6 kN horizontal und eine dynamische Beanspruchung von 14 kN auf den Traversengurt als Grenzwert festgelegt wurde – obwohl diese Werte im Normalfall nicht erreicht werden.

Titelbild DGUV Information 201-010 Verwendung von Arbeitsplattformnetzen
DGUV Information 201-010
Bild: BG BAU


Aufgrund dieser Angaben im Regelwerk, basierend auf Worst-Case-Annahmen, sind Arbeitsplattformnetze nicht überall uneingeschränkt einsetzbar, obwohl sie eine gute Alternative zu sonstigen Lösungen bei Höhenarbeiten darstellen: Denn sie sind nahezu an jeden Grundriss anpassbar und ermöglichen es, Arbeitsplätze und Absturzsicherungen in Bereichen zu schaffen, in denen z. B. Gerüste nicht einsetzbar sind.
 

Online-Seminar

Stand der Technik: Schutznetze – Der Dreh mit der Masche

07.05.2024 | 09:00 - 10:00 Uhr
Online-Seminar Nr. 4770
Zielgruppe: Aufsichtführende, Führungskräfte, Unternehmerinnen und Unternehmer, Architektinnen und Architekten, aber auch Beschäftigte, die Netze montieren oder montieren wollen

In der einstündigen Online-Vorlesungsreihe informieren Expertinnen und Experten über den neuesten Stand der Technik und was dieser konkret für verschiedene Arbeitsverfahren, Arbeitsmittel und Arbeitsplätze bedeutet. 

Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Führungskräfte können sich hier über aktuelle Entwicklungen informieren, auf dieser Basis Arbeitsbedingungen beurteilen und Maßnahmen des Arbeitsschutzes festlegen. Beschäftigte lernen den fortschrittlichen Entwicklungsstand für ihren Arbeitsbereich kennen.

Bringen Sie gerne Ihre Fragen zum Thema ein!

Das Online-Anmeldeformular und Informationen zu weiteren Themen und Terminen finden Sie in der Seminardatenbank der BG BAU.
 

Gutmütig und ohne Systemversagen

Versuche beim Sächsischen Textilforschungsinstitut haben darüber hinaus gezeigt, dass das Netzmaterial sehr „gutmütig“ ist und erst bei einer sehr hohen Belastung (beim Beispiel Pilzkopf-Durchstich erst bei 35 kN und 150 cm Verformungsweg) örtlich versagt hat, es wurde kein „Systemversagen“ festgestellt. Die Bereiche, die nicht im Umfeld des Durchstichs lagen, waren weiter begehbar.
 

Versuchsüberlegungen

Um detaillierte Erkenntnisse über die Belastbarkeit von Arbeitsplattformnetzen zu erlangen – und damit weitere Einsatzmöglichkeiten zu eröffnen, hat die BG BAU in Zusammenarbeit mit dem IFA, dem KIT und der TH Köln eine Versuchsreihe gestartet. Dafür wurden in den Räumlichkeiten des IFA verschiedene Belastungsversuche an Arbeitsplattformnetzen durchgeführt und ausgewertet. Parallel wurden die Versuche mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) numerisch simuliert. Ziel war es, herauszufinden, ob das komplexe Kraft-Verformungsverhalten von Arbeitsplattformnetzen numerisch zu simulieren ist. Hierzu wurden die Versuchsergebnisse denen aus der Berechnung gegenübergestellt und miteinander verglichen.
 

Dehnung

Dehnung ist die Längenänderung eines Materials bezogen auf seine ursprüngliche Länge. Die Dehnung wird z. B. durch die Einwirkung von Temperatur oder Kraft erreicht.
Die Dehnung ε  ist einheitenlos.   

ε = Δ L/L 
 

Belastungsversuch: Durchführung

Für die Durchführung der Belastungsversuche im Labor wurde ein unbelastetes Netz in einen Stahlrahmen gespannt. An den Aufhängepunkten wurden Kraftsensoren angebracht. Um Daten zur Netzform vor der Belastung zu erhalten, wurden das Netz nach dem Aufhängen gescannt und die Vorspannkräfte ermittelt. Nachdem das Netz ausgelenkt wurde – also so belastet wurde, dass es sich verformt – scannte man es wieder und bestimmte die Kräfte in den Aufhängepunkten.
 

Ein Netz wurde in einen quadratischen Rahmen gespannt. Ein Quadrant des Netzes ist nach oben ausgelenkt.
Ausgelenktes Arbeitsplattformnetz im Laborversuch
Bild: Werner Portugall - BG BAU

 

Auswertung des Belastungsversuchs

Die Netzform vor der Belastung und im ausgelenkten Zustand zeigte laut Scan erwartungsgemäß Unterschiede. Um die Verformungen des Netzes zu ermitteln, wurden auf den Netzmaschen Koordinatenkreuze platziert. Die Unterschiede der Koordinatenkreuze zeigen die Verschiebungen der Maschen an.
 

Farbscan-Darstellung des nach oben verformten Netzes. Auf den Netzmaschen befinden sich Koordinatenkreuze.
Um die Verformungen des Netzes zu ermitteln, wurden auf den Netzmaschen Koordinatenkreuze platziert. Die Unterschiede der Koordinatenkreuze zeigen die Verschiebungen der Maschen an.
Bild: Werner Portugall - BG BAU


Des Weiteren wurde die mithilfe eines Kranhakens aufgebrachte Last (dargestellt im Kraft-Zeit-Diagramm) mit den resultierenden Kräften in den Aufhängungen verglichen.
 

Kraft-Zeit-Diagramm, das mit unterschiedlich farbigen Linien die Kräfte darstellt, die auf die Spanngurte, den Krafthaken und die Sensoren in den Aufhängepunkten wirken.
Die rote und blaue Kurve zeigen die beiden Spanngurte (Vorspannkräfte bei T=0). Die obere grüne Kurve zeigt die Last im Kranhaken. Die anderen Linien bilden die Kraftsensoren in den Aufhängepunkten ab.
Bild: Werner Portugall - BG BAU

 

Numerische Simulation

Für die numerische Simulation des Verformungsverhaltens bei Belastung wurden zunächst die Materialeigenschaften (Kraft-Dehnungsverhalten) von Netzmaschen, Netzrand, Randseil und Traversengurten ermittelt.

Die besonderen Herausforderungen bei der numerischen Simulation waren die physikalische wie auch die geometrische Nichtlinearität. Die Dehnung des Netzmaterials verhält sich keineswegs proportional zur aufgebrachten Kraft. Ebenso problematisch war es, die großen Verformungen korrekt abzubilden. Sämtliche Vereinfachungen, wie man sie aus der üblichen Baustatik kennt (sin(φ) = tan(φ) ͌ φ), würden die Berechnungen grob verfälschen.

Um das numerische Modell realitätsnah erstellen zu können, mussten die beiden bereits erwähnten Nichtlinearitäten Berücksichtigung finden. Für Aussagen zur geometrischen Nichtlinearität wurde der exakte Zusammenhang von Kraft und Dehnung (große Verformungen) verwendet. Um mit der physikalischen Nichtlinearität umgehen zu können, wird das Dehnungsverhalten, das als nichtlineare Funktion dargestellt wird, durch lineare Funktionen angenähert.

Buntes Modell einer quadratischen Netzfläche, deren Quadrant links unten ausgelenkt ist. An der rechten Seite befindet sich eine Farbscala, die die jeweiligen Kraftwerte darstellt.
Numerisches Modell des ausgelenkten Arbeitsplattformnetzes

 

Berechnungsergebnis

Nach der numerischen Simulation konnte die Verformung dargestellt werden. Dieses numerische Modell kommt der im Versuch ermittelten Verformung nach Belastung sehr nahe.
 

Vergleich zwischen Berechnung und Versuch

Der Vergleich der Verformungen und Kräfte zwischen Berechnung und Versuch hat gezeigt, dass Arbeitsplattformnetze statisch berechenbar sind. Mit Abweichungen von bis zu 10 % - auf der sicheren Seite liegend – sind die Berechnungsergebnisse durchaus verwendbar, um Aussagen zum Lastabtrag von Arbeitsplattformnetzen zu treffen.
 

Grafik, in der zwei netzartige, nach oben geformte Zeichnungen übereinandergelegt werden. Die blaue Zeichnung stellt die Verformungsfigur aus der Berechnung dar. Die rote Zeichnung stellt die Verformungsfigur aus dem Versuch dar.
Vergleich der Verformungsfigur bei Belastung eines Arbeitsplattformnetzes
Bild: Werner Portugall - BG BAU

 

Ausblick

Die Versuche im Labor und deren parallele Berechnung haben nicht nur ergeben, dass vollumspannende Arbeitsplattformnetze einer sehr hohen statischen Belastung standhalten, sondern auch, dass die auftretenden Verformungen mit der numerischen Simulation annähernd übereinstimmen. Um nun das Kraft-Dehnungsverhalten der einzelnen Komponenten eines Arbeitsplattformnetzes auch bei dynamischer Beanspruchung erfassen zu können, werden dazu weitere Versuche durchgeführt. Darüber hinaus soll untersucht werden, wie die Kraft- und Dehnungsbeziehungen bei Netzalterung bzw. vorbelasteten Netzen aussehen. Ziel ist es, eine Berechnungsmethode zu entwickeln, die zuverlässig den Lastabtrag im Arbeitsplattformnetz bei gegebenen Parametern numerisch simuliert – und so auch weitere Einsatzmöglichkeiten für diese Netze eröffnet.
 

Fußnoten
1
nach DIN EN 12195-2
2
nach DIN EN 1263-1 der Klasse B1
Autor

Werner Portugall

Referat Hochbau
BG BAU Prävention


Ausgabe

BauPortal 1|2024