Dach- und Zimmererarbeiten, Gerüstbau
Absturzsicherung bei Arbeiten auf Ladungen
Baustellen sind etwas sicherer geworden. Ein Grund könnte sein, dass mehr auf geschlossenen Elementen, statt auf offenen Konstruktionen gearbeitet wird. Einen riskanten Arbeitsplatz gibt es aber noch: bis zu 4 m hohe Ladungen, auf denen Wand-, Decken- oder Dachelemente anzuschlagen sind. In diesem Artikel werden Maßnahmen und Produkte zur Absturzprävention vorgestellt, die es größtenteils noch nicht gibt. Betriebe und Hersteller sollen angeregt werden, diesen Arbeitsplatz sicherer zu machen.
Eine Ladung Decken- oder Dachelemente wird immer nur für wenige Minuten betreten und vor dem Wegheben des angeschlagenen Elements wieder verlassen. Das ist möglicherweise der Grund, warum viele Zimmerleute diesen Arbeitsplatz nicht ernst genug nehmen. Abbildung 1 zeigt – neben dem Fehlen jeglicher Sicherung gegen Absturz – gleich mehrere Mängel. Die Leiter ist nicht gegen Wegrutschen gesichert. Beim Betreten der teilweise nicht unterstützten Elementränder könnten sich diese verformen oder sogar abbrechen und es käme zum Absturz.
Substitution?
Hat die verantwortliche Person die Risiken erkannt, wird sie in der Gefährdungsbeurteilung gemäß Maßnahmenhierarchie prüfen, ob im Idealfall ein Vermeiden der Gefahr (Substitution) möglich ist. Als Konsequenz könnte den Beschäftigten das Betreten des absturzgefährdeten Bereichs auf der Ladung untersagt werden. Sie müssten die Elemente dann von der Leiter aus anschlagen (Abb. 2), was aber nicht besonders wirksam sein wird. Es braucht große Geschicklichkeit, um das Anschlagmittel einhändig am Anschlagpunkt des Elements einzuhaken. Gelingt das nicht, kann es sein, dass die Leiter losgelassen und das Anschlagen beidhändig versucht wird! Wenn die Anschlagpunkte weit auseinanderliegen, muss die Leiter auf jeder Seite einmal umgesetzt werden. Die vielen Auf- und Abstiege führen zu Unachtsamkeit und Ermüdung. Außerdem wären für das Anschlagen zwei Personen und zwei Leitern erforderlich oder eine Person muss nach dem Anschlagen auf einer Seite um die Ladung herumgehen. Gegenüber der Nutzung der Leiter zum Besteigen der Ladung wäre die vierfache Anzahl Auf- und Abstiege erforderlich. Da die Leiter beim Anschlagen der Elemente als Arbeitsplatz verwendet wird, muss eine Stufenleiter gewählt werden. Diese muss zudem am Leiterkopf gegen Wegkippen gesichert werden.
Leitersicherung
Die sich verändernde Ladung erschwert das Sichern der Leiter. Dazu zeigt Abb. 2 neuartige Leitersicherungen (Prototyp), die an den Rungen des Anhängers angebracht werden. Sie erlauben ein schnelles Umsetzen der Leiter. Nach dem Entfernen der Ladungssicherung werden die Leitersicherungen von oben in die Anhängerrungen gesteckt. Die Leiter kann dann einfach von unten eingehängt werden. Nach dem Entladen des Fahrzeugs sind die Leitersicherungen nicht mehr zugänglich. Sie müssen vor der Abfahrt mit einer zum System gehörenden Stange ausgehoben und entfernt werden.
Einsatz von PSAgA
Wenn das Anschlagen von der Leiter nicht infrage kommt, wird bisher mangels Alternativen wahrscheinlich meist eine persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) zur Sicherung der anschlagenden Person gewählt. In Abb. 3 ist das Annehmen eines am Kran einschwebenden Seitenschutzes zu sehen. Dieser wird auf das Element geschraubt und sichert später die Absturzkante am Elementrand im Gebäude. Die Person auf der Ladung sichert sich mit einem Höhensicherungsgerät (HSG) an einer auf das Element geschraubten Anschlageinrichtung. HSG gewähren durch ihren Aufrollmechanismus große Bewegungsfreiheit. Wenn sie als Rückhaltesystem verwendet werden, bieten HSG ein hohes Schutzniveau, sofern sie die richtige Länge haben. Die gesicherte Person kann sich der Absturzkante nur nähern, aber nicht über sie abstürzen. In Abb. 3 ist das auf der Aufstiegsseite nicht der Fall. Dort kann das HSG einen Absturz nicht verhindern, nur auffangen. Das ist immer noch besser, als aus 4 m Höhe auf den Boden aufzuschlagen. Wenn das HSG wie in Abb. 3 auf der Standfläche angeschlagen ist, liegt Sturzfaktor 2 vor. Die Falltiefe bis zum Abbremsen ist dann recht groß. Ein weiterer Nachteil der gezeigten Sicherungsmethode ist, dass die äußeren Füße des Seitenschutzes mit dem kurzen HSG nicht erreichbar sind. Problematisch ist außerdem, dass im Falle eines Sturzes eine Fangstoßkraft von bis zu 6 kN auf das lose Element wirkt, die es deutlich verschieben könnte. Genug Gründe, nach Alternativen zu suchen.
PSAgA-Mast
In Abb. 4 ist der Prototyp eines Masts zu sehen, der mit Kranunterstützung an der Außenrunge einer Wechselpritsche angebracht wird. Die Verbindung wird über einen Schnellverschluss hergestellt. Da das HSG über Kopf angebracht ist, liegt der günstigere Sturzfaktor 0 mit geringerer Falltiefe vor. Die Leiter ist unabhängig von der Ladung gesichert. Bereits beim Leiteraufstieg ist die Sicherung wirksam. Vor dem Aufrichten des Masts wird der Karabiner am Verbindungsmittel des HSG ausgezogen und am unteren Mastende an einem Griff eingehängt. Allerdings nimmt auch hier das Pendelsturzrisiko mit größer werdender Entfernung vom Mast zu.
Pendelsturzrisiko minimieren
In Abb. 5 ist das HSG an einen drehbaren Galgen angeschlagen. Am Untergurt ist eine Schiene befestigt, an der ein Läufer große Bewegungsfreiheit gewährt. Damit gibt es weder beim Leiteraufstieg noch beim Aufenthalt im mittleren Bereich des Deckenelements ein Pendelsturzrisiko. Erst wenn sich die anschlagende Person außerhalb des Galgen-Schwenkbereichs bewegt, nimmt die Pendelsturzgefahr zu. Solche Galgen sind bereits seit vielen Jahren am Markt, im Zimmererhandwerk allerdings nur wenig bekannt. Es gibt Systeme, die am Anhänger angebracht werden können und solche, die auf dem Boden aufgestellt werden. Letztere sind mit Streben an einen Träger angeschlossen, der mit den Rädern des Anhängers befahren und beschwert wird. Neu an der in Abb. 5 gezeigten Idee ist, dass der Mast fest mit dem Anhänger verbunden werden kann. Das Anbringen an den Hänger muss in zwei Schritten erfolgen. Zuerst wird der Mast per Kran in die Aufnahmerohre der Tiefladerrungen eingeführt und mit Steckbolzen gesichert. Im zweiten Schritt wird der Galgen auf den Mast gehoben. Dazu wird ein Zapfen am Galgen in die Mastöffnung geführt. Wenn der Karabiner des HSG zuvor unten am Mast eingehängt wurde, kann sich die anschlagende Person bereits beim ersten Leiteraufstieg sichern. Zum Wegheben nach der Entladung verbleiben die Anschlagmittel an Galgen und Mast.
Rettung mitdenken
Käme es bei den in den Abb. 3–5 gezeigten Situationen zu einem Absturz, muss eine Rettungshubeinrichtung oberhalb der gestürzten Person angeschlagen werden. Damit wird sie so weit angehoben, bis das HSG nicht mehr blockiert und zum Boden abgelassen werden kann. Bevor PSAgA eingesetzt wird, müssen die Beschäftigten in der Benutzung der PSAgA mit Übungen unterwiesen werden und es muss ein praktisch geübtes Rettungskonzept geben. Im Ernstfall sollte man die Ausrüstung nicht noch suchen müssen, dann entstehen Stress und Unsicherheit. Die Anforderungen an die Benutzung von PSAgA und die Rettung werden in den DGUV Regeln 112-198 und 112-199 beschrieben.
Bei dem in Abb. 6 gezeigten Lifeline-System werden keine weiteren Hilfsmittel für die Rettung benötigt. Lifelines gibt es schon etliche Jahre. Neu sind die Masten, die es in dieser Form noch nicht gibt. Die Masten sollen direkt an einer im Holzhausbau verbreiteten Wechselpritsche angebracht werden. Sie haben oben Bügel, mit denen sie an den Kran angeschlagen werden können. Das sollte mit einem langen Anschlagmittel geschehen, da die Anschlagpunkte nach dem Entladen nicht mehr zugänglich sind. Am hinteren Mast wird die Lifeline vor dem Anheben eingehängt. Der vordere Mast hat eine Umlenkrolle für das Lifeline-Seil. Unten am Mast ist die Spann- und Ablasseinrichtung der Lifeline angebracht. Damit wird sie auf eine Zugkraft von 1 kN vorgespannt. Nach einem Sturz müssen die Rettenden nicht erst die Ladung besteigen, sondern können die im Gurt hängende Person einfach von unten aus zu Boden lassen. Auch bei diesem System ist eine Leitersicherung integriert. Bereits der erste Aufstieg kann am HSG gesichert erfolgen.
Der Newsletter der BG BAU
Mit dem Newsletter der BG BAU erhalten Sie alle wichtigen Meldungen und aktuelle Informationen zum Thema Arbeitsschutz per E-Mail – so etwa auch Hinweise zu neuen Arbeitsschutzprämien und Seminarangeboten.
Zusätzlicher Kran und Außenstege
Abbildung 7 zeigt den Einsatz eines zusätzlichen Krans nur für die Personensicherung.
Als technische Maßnahme für das sichere Anschlagen von Elementen hat ein Hersteller klappbare Stege für die Außenrungen entwickelt (Abb. 8).
Seitenschutz
Abbildungen 9-11 zeigen den Prototyp einer nachrüstbaren Seitenschutzlösung. Auf den Außenrungen sitzen einzeln höhenverstellbare Hüllrohre. An jeweils einer Stütze sind die Holme gleitend befestigt. In Längsrichtung verhindern klappbare Absperrungen die Annäherung an die Absturzkanten. Nur der für das Anschlagen wichtige Bereich ist zugänglich. Vor dem Anheben des Elements muss die Ladung verlassen werden. Beim Anheben klappt die Absperrung hoch.
Bei allen Teilen, die nach StVZO zulässige Abmessungen überschreiten, sollte im Lkw ein Warnhinweis angebracht sein: „Erst losfahren, wenn Anbauteile demontiert sind!“. Sonst war die Baustelle sicher und ein total dämlicher Unfall passiert im Straßenverkehr! Sicher ist sicher!
Autoren
Ausgabe
BauPortal 1|2023
Das könnte Sie auch interessieren
Fertigteilbau
Fertigteile sicher einsetzen
Mit den richtigen Maßnahmen können Unfälle beim Umgang mit Fertig- und Halbfertigteilen vermieden werden.
Dach- und Zimmererarbeiten
Sicher vernetzt vor Ab- und Durchsturz
Wie gelingt eine Dachsanierung von Produktionshallen bei laufendem Betrieb? Sicherheitsnetze waren die Lösung: Ein Projektbericht über Herausforderungen beim Arbeitsschutz.
Dach- und Zimmererarbeiten
Absturzsicherung bei der Montage von Decken und Dächern
Auch bei der Montage vorgefertigter Elemente gibt es Absturzkanten, die gesichert werden müssen. Nachfolgend werden verschiedene Möglichkeiten vorgestellt, denn offene Konstruktionen bedeuten ein hohes Absturzrisiko nach innen.