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Ein Mann mit Schutzhelm nimmt in einem Rohbau ein Wandelement am Kran in Empfang.
| Bild: James Hardie Europe GmbH

Fertigteilbau

Fertigteile sicher einsetzen

Fertigteile bilden einen integralen Bestandteil des Baugeschehens. Sie beschleunigen das Bauen, machen es wirtschaftlicher, garantieren gleichbleibende Qualität und verkürzen Arbeiten in Gefahrenbereichen erheblich. Doch schwere Unfälle mit herabfallenden, zusammenbrechenden oder umstürzenden Bauteilen trüben das Bild.
 

Die Baubranche kann heute angesichts der Ansprüche an wirtschaftliche Effizienz im Einklang mit moderner Architektur kaum mehr auf Fertigteile verzichten. Die Entwicklung von Fertigteilen war ein sichtbares Kennzeichen der Moderne. Beruhend auf den Ideen und Konzepten der Bauhaus-Schule und dem unaufhaltsamen Zuzug der arbeitenden Bevölkerung in die Städte, äußert sich dieser Trend zunächst in den von Wolkenkratzern dominierten nordamerikanischen Metropolen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seit mehreren Jahrzehnten verändert die Vorfertigung von Bauteilen im industriellen Maßstab die Bauverfahren und die Berufsbilder im Bauhandwerk – auch in Europa. Davon zeugen in Deutschland die Trabantenstädte, die nach dem Zweiten Weltkrieg um die alten Stadtkerne entstanden. Die ab den 1960er-Jahren hochgezogenen Plattenbausiedlungen zeigen eine besonders ausgeprägte Fokussierung auf Betonfertigteile.

 

Trend zu Fertigteilen ungebrochen

Ohne Fertigteile ließe sich die Nachfrage nach Wohnraum und Bauten für Gewerbe, Industrieproduktion und Infrastruktur weder quantitativ noch zeitlich annähernd decken. Unabhängig vom Material bieten Fertigmodule für den Arbeitsschutz zunächst einmal den Vorteil, dass sie bereits vorgefertigt auf der Baustelle ankommen. Sie werden also unter annähernd idealen Bedingungen für Kosten, Qualität und Sicherheit produziert, anstatt sie unter Zusammenführung von Bindemitteln, Zuschlagstoffen, Armierungsmaterialien und Verbindungsteilen kleinteilig bei wechselnden Rahmenbedingungen auf der Baustelle zu erstellen.

Statistiken zum steigenden Anteil von Fertigteilbauten bestätigen den Trend: Trotz der Wandlung architektonischer Stile und bautechnischer Aspekte infolge wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zwänge ist weiterhin mit einem Wachstum des Fertigteilbaus an Gebäuden und Infrastrukturbauten zu rechnen. Die langfristige Entwicklung des Immobilienmarkts, der zunehmende Bedarf an Wohnraum und die steigenden Baukosten fördern unweigerlich die Nachfrage nach vorgefertigten Bauelementen. Fertig zum Einbau vor Ort gelieferte Treppenläufe, Balkonplatten, Wandscheiben oder Deckenelemente verkürzen die Bauzeit. Die schnellere Fertigstellung allein birgt hohe Einsparmöglichkeiten und ist Argument, in zunehmendem Maße auf Fertigteile zurückzugreifen. Der Arbeitsschutz, und das zeigen die Unfallzahlen deutlich, muss mit dieser Entwicklung schritthalten.
 

Anzahl der Baufertigstellungen von Fertigteilbauten von 2012 bis 2021.
Anzahl der Baufertigstellungen von Fertigteilbauten von 2012 bis 2021. In der vergangenen Dekade wurden zunehmend mehr Gebäude mit Fertigteilen errichtet.
Bild: ergo Industriewerbung GmbH, Berlin


Unfälle bei Fertigteileinsatz

Die Unfallstatistiken zeigen unzweifelhaft, dass Unfälle mit Fertigteilen überwiegend schwerwiegende Auswirkungen bis hin zum Tod für die Betroffenen haben. Allein 2021 verzeichnete BG BAU 17 tödliche Arbeitsunfälle, die auf kippende oder herabfallende Bauteile zurückzuführen waren. In den Jahren 2020 und 2021 ereigneten sich im Zusammenhang mit Fertigteilen schwerwiegende Unfälle in vierstelliger Zahl. Häufige Unfallauslöser waren der Transport der Bauteile, Abstürze an ungeschützten Kanten vor und während des Einbaus sowie Verletzungen durch herabfallende oder abbrechende Bauteile.
 

Beschäftigter auf Sattelschlepper beim Abladen von Betonfertigteilen per Kran.
Bild: Mika Völker - BG BAU


Typische Unfallszenarien

Fehlerquellen, die Unfällen mit Fertigteilen vorausgehen, gibt es zuhauf. Bereits beim Be- und Entladen sowie beim Transport kann unsachgemäße Handhabung zur Beschädigung der Bauteile führen. Das fällt möglicherweise zunächst gar nicht auf. Wird das Bauteil später am Kran angeschlagen oder eingebaut, ist es durch den Lade- oder Transportschaden instabil und bricht oder reißt – teils mit den statistisch belegten fatalen Folgen. Denn bei beschädigten Bauteilen besteht immer das Risiko, dass sie bei den nachfolgenden Arbeiten kollidieren oder durch übermäßige Belastung kollabieren und Anschlagmittel oder -punkte wie Transportösen ausreißen.

Bei einer Betrachtung der Unfalluntersuchungen der letzten fünf Jahre haben sich folgende Schwerpunkte der Unfallursachen im Umgang mit Betonfertigteilen herauskristallisiert:
 

  • falsche Ladungssicherung (z. B. Elemente nicht einzeln gesichert) und Zwischenlagerung,
  • fehlende oder nicht umgesetzte Angaben aus der Montageanweisung,
  • unsachgemäßer Transport (z. B. Transport im Hängegang, nicht geeignete Anschlagpunkte und Lastaufnahmemittel),
  • ungeeignete Hebezeuge (z. B. Bagger, Teleskopstapler),
  • Versagen der Unterstützung/Auflager oder fehlende Unterstützung,
  • zu frühes Entfernen der Unterstützung,
  • Absturz über ungesicherte Bauteil-Kanten.

Sicherer Umgang mit Fertigbauteilen

Aus den Unfallhergängen und den dort typischen Gefahrensituationen lassen sich auf den Baustellen vier neuralgische Arbeitsschritte im Umgang mit Fertig- sowie Halbfertigteilen ableiten, die für die Arbeitssicherheit relevant sind:
 

Vier Aspekte zum sicheren Umgang mit Fertigbauteilen

© Bildmontage + Grafik: Franziska Mayer – HAAS Publishing GmbH/Fotos: (1) Mika Völker - BG BAU; (2) James Hardie Europe GmbH; (3) Björn Wylezich – stock.adobe.com; (4) Schlosser Holzbau

Verantwortung des Herstellers

Mit Blick auf den gesamten Prozess um vorgefertigte Bauteile ist die Rolle des Herstellers bzw. des Lieferanten nicht zu unterschätzen. Diese Unternehmen sind als Inverkehrbringer verpflichtet, Vorgaben für den sicheren Umgang mit ihren Produkten festzulegen. Das Produktsicherheitsgesetz (§ 3 Abs. 2 sowie § 6 Abs. 1 ProdSG) ist an dieser Stelle ebenso konkret wie eindeutig: Es fordert, damit bei „bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung eines Produktes die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet“ wird, unter anderem eine Gebrauchs- oder Bedienungsanleitung. Im Falle der Fertigteile also eine Montageanleitung, die auch alle notwendigen Schritte vor der Endmontage einschließt. Für die Praxis müssen folgende Aspekte geklärt sein:

  • Angaben zum Gewicht der Bauteile;
  • geeignete Anschlagpunkte, Anschlag- und Lastaufnahmemittel;
  • sicheres und schadensfreies Anschlagen auf der Baustelle für das Be- und Entladen sowie für den Krantransport zum Ort des Einbaus;
  • Angaben zu notwendigen Mindestaussteifungen/ -unterstützungen auch während Zwischenbauzuständen.

Schon vor der Bestellung von Fertigteilen sollten die Montageanleitungen der Hersteller von den Verantwortlichen der Materialbeschaffung in Augenschein genommen werden. Eventuell sind zur Handhabung des Bauteils bisher nicht vorhandene Hebezeuge, Lastaufnahmemittel und andere Werkzeuge nötig. Solche Vorinvestitionen können kostenintensiv sein und benötigen einen zeitlichen Vorlauf: Unternehmensverantwortliche müssen sich erst im Umgang vertraut machen, Gefährdungen abschätzen und schließlich die Beschäftigten unterweisen.

 

Beschäftigte bei der Endmontage eines Holzfertigbauteils auf einer Hubarbeitsbühne
Bild: Schlosser Holzbau GmbH


Montageanweisung

Die gleichlautenden Abläufe kommen auf das Unternehmen zu, sobald die Entscheidung gefallen ist, ein bestimmtes Fertigteil zu verbauen. Zunächst ist für das Handling genau jenes Bauteils eine Montageanweisung zu erstellen, die auf der Herstelleranleitung beruht. Sie ist auf Basis der DGUV Vorschrift 1 § 6 und DGUV Vorschrift 38 §§ 4,5 rechtlich verpflichtend. Hinweise zu den Rahmenbedingungen auf der Baustelle und vorherrschende Umweltbedingungen sollten miteinbezogen werden.

Konkret sollte eine vollständige Montageanweisung folgende Aspekte beinhalten:
 

Checkliste Montageanweisung

  • Geeignete Hebezeuge und Anschlagmittel festlegen, etwa Ausgleichstraversen bei mehr als zwei Anschlagpunkten,
  • Anforderungen an Aufstellflächen definieren (z. B. für Kran, Liefer-Sattelschlepper),
  • auf besondere Umgebungsbedingungen (Witterung, Wind, Bodenbeschaffenheit; Versorgungsleitungen, Hindernisse) eingehen,
  • mögliche Zwischenlagerungsmöglichkeiten (Lagerflächen und -vorrichtungen) bestimmen,
  • geeignete Arbeitsmittel (z. B. Hubarbeitsbühnen, fahrbare Gerüste) und persönliche Schutzausrüstung (z. B. Auffanggurte/Verbindungsmittel, Helme etc.) zur Verfügung stellen,
  • weiterführende Angaben aus der Tragwerksplanung zu den Unterstützungen, Aussteifungen oder Auflager übernehmen,
  • mögliche zeitliche Erfordernisse (etwa Aushärtezeiten der Bauteile) berücksichtigen und im gesamten Zeitplan einkalkulieren,
  • geeignete Unterstützungen und Absteifungen vorhalten,
  • geeignete Maßnahmen gegen Absturz treffen,
  • Sichtkontrollen an geprüften Anschlag-, Lastaufnahmemitteln und Anschlagpunkten auf Abnutzung und Beschädigungen einplanen.

Nicht alle Montageanleitungen vom Hersteller enthalten die notwendigen Informationen und Angaben, um eine aussagekräftige Montageanweisung zu erstellen. Fehlen benötigte Informationen, sollte sich das Unternehmen mit dem Hersteller der Produkte in Verbindung setzen und die Informationslücken schließen.
 

Fertigteil, das von einem Kran zu einer Baustelle transportiert wird.
Bild: James Hardie Europe GmbH


Unterweisen und Verantwortung verteilen

Die mit der Fertigteilmontage betrauten Beschäftigten sind mittels dieser Montageanweisung in den geplanten Aufgaben und Tätigkeiten baustellenbezogen zu unterweisen. Das sollte in regelmäßigen Abständen, jedoch mindestens alle zwölf Monate erfolgen. Die Unterweisung der Beschäftigten ist schriftlich zu dokumentieren. Ebenfalls in Schriftform muss das Unternehmen seine Beschäftigten (Anschlagende, Kranführende, Aufsichtsführende) mit den jeweiligen Aufgaben schriftlich betrauen.

In den meisten Fällen sind auch andere Gewerke gleichzeitig auf der Baustelle tätig. Deshalb müssen die Arbeiten vor Beginn zum Ausschluss gegenseitiger Gefährdungen durch einen Koordinator nach DGUV Vorschrift 1 § 6 oder einen durch den Bauherrn beauftragten Koordinator nach Baustellenverordnung koordiniert werden.

 

Mann mit Schutzhelm bei der Montage eines Wandelementes.
Bild: James Hardie Europe GmbH


Gefährdungen abschätzen und vorausschauend entgegenwirken

Als Resultat der Gefährdungsbeurteilung sind Schutzmaßnahmen für die zu erwartenden Gefährdungen nach dem TOP-Prinzip zu treffen:

  • Aussteifungen und Unterstützungen zur Sicherung der Einbaulage, Hebezeuge, Lastaufnahmemittel und Anschlagmittel sowie geeignete Lagerstellen als technische Schutzmaßnahmen,
  • Sichtkontrollen über alle Arbeitsabläufe hinweg an den neuralgischen Stellen der Bauteile – vom Aufladen über die Fertigstellung des Einbaus bis zu den Anschlagmitteln sowie zur Auswahl und zum Einsatz von unterwiesenen Beschäftigten – als organisatorische Maßnahme sowie
  • die Überwachung der Einhaltung der Montageanweisung und die Unterweisung der Beschäftigung im Umgang mit Fertigteilen durch geeignete Vorgesetzte als Schutz auf persönlicher Ebene. Obligatorisch ist das Tragen der zur Verfügung gestellten persönlichen Schutzausrüstung wie z. B. Sicherheitshelmen, Arbeitshandschuhen und Sicherheitsschuhen.

Gut abgestimmt auf die praktischen Erfordernisse bringen diese Maßnahmen ein hohes Maß an Sicherheit im Handling mit (Halb-) Fertigteilen. Von Beginn strukturiert angewandt etablieren sich die Vorbereitungen und Abläufe sowohl bei den Unternehmensverantwortlichen als auch bei den Beschäftigten zugunsten von weniger Aufwand und einem Plus an Sicherheit.
 

Autoren

Dipl.-Ing. (FH) Frank Christ

Referat Hochbau
BG BAU Prävention

Stephan Imhof

Redaktion BauPortal


Ausgabe

BauPortal 1|2023