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Reishi-Pilz (Ganoderma tsugae) wächst im Wald.
Reishi-Pilz (Ganoderma tsugae) wächst im Wald. | Bild: James - stock.adobe.com

Zukunft des Bauens

Innovative biologische Baumaterialien

Mit steigenden Bevölkerungszahlen wächst auch der Bedarf an Materialien und Ressourcen immer weiter an. Materialeffizienz, Wiederverwendung und Recycling sind dadurch zu wichtigen Stellschrauben für Zukunftstechnologien geworden. Aber auch wenn es innovative Ansätze zur Rohstoffverwertung, zu Produkt- und Materialrecycling gibt, kann die Wiederverwendung bzw. Wiederverwertung bereits verbauter Materialien die Ressourcenlücke nicht schließen. Daher braucht es darüber hinaus eine neue Klasse von Baumaterialien, die schnell und (Energie-)Ressourcenschonend wachsen und nach ihrer Nutzungsdauer auch wieder vollständig kompostierbar sind – wie z. B. Pilzmyzel.
 

Im September 2020 stellte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, in ihrer viel beachteten Rede abermals das Ziel der Etablierung einer vollständigen Kreislaufwirtschaft innerhalb der Europäischen Union (EU) vor, wie sie im Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft im März desselben Jahrs schon formuliert worden war. Explizit ging sie auf die Verantwortung des Bauwesens ein, das nach Angaben der Kommission aus dem Jahr 2019 für 50 % des Primärrohstoffverbrauchs und gleichzeitig für 36 % des Festmüllaufkommens innerhalb der Union verantwortlich ist. Der Grund ist in unserem gewohnten, linearen Denk- und Wirtschaftsmodell zu suchen: Rohstoffe werden aus den etablierten natürlichen Kreisläufen entnommen, daraus hergestellte Produkte und Güter werden verbraucht und anschließend entsorgt. Dieser nach wie vor dominierende lineare Ansatz hat tiefgreifende Konsequenzen für unseren Planeten. So verändern wir in gravierender Weise bestehende Ökosysteme. Sand, Kupfer, Zink oder Helium werden bald technisch, ökologisch und ökonomisch nicht mehr vertretbar aus natürlichen Quellen zu gewinnen sein. Im Gegensatz zu diesem linearen Konzept der Rohstoffzerstörung steht das von Frau von der Leyen eingeforderte Ziel, in geschlossenen, intelligent geplanten und mit Voraussicht entworfenen technischen oder biologischen Materialkreisläufen zu operieren.

Hierbei kommt unserer gebauten Umwelt eine zentrale Schlüsselrolle zu.

Es müssen neue Technologien, Fügungsprinzipien, Verbindungsmittel und auch Materialien entwickelt werden, um den zukünftigen Baubestand in eine neue Generation qualitativ nachhaltiger, das heißt ökologisch abbaubar und unschädlicher, technisch sortenreiner, einfach rückbaubarer und ökonomisch attraktiver – weil endlos in Kreisläufen nutzbarer – Bauwerke zu überführen.
 

Alternative: biogene Baumaterialien

Doch selbst wenn wir heute in der Lage wären, alle unsere bereits verbauten mineralischen und metallischen Materialien wiederzuverwenden und wiederzuverwerten, würde dies unseren Bedarf an Baustoffen nicht decken. Hier spricht man von der sogenannten Ressourcenlücke. Daher braucht es ebenfalls eine neue Klasse von Baumaterialien, die zum Wachstum das einzige offene Energiesystem unseres Planeten nutzen: die Sonne. Wir erleben auch hier bereits eine Bewegung, die sich vor allen Dingen im Bereich Holzbau und biologische Dämmstoffe manifestiert. Als CO2-Senke postuliert und vermarktet müssen wir allerdings auch hier auf die Sortenreinheit achten. Nur wenn wir es schaffen, diese biologischen Materialien nicht mit anderen, nicht biologischen oder synthetischen Stoffen zu versetzen, ergibt der Einsatz auch Sinn – bis hin zur Kompostierung der Stoffe und somit zum Einstieg in einen Kreislauf als Nährstoffe für ein weitergehendes Wachstum. Auch hier ist daher ein Innovationsschub vonnöten.

Neuartige Baustoffe, hergestellt aus Gräsern oder Pilzmyzelien, erfahren gerade eine große Beachtung. Hierbei wirken beispielsweise die Wurzelwerke der Pilze als biologische Kleber. Da sie die Kreislauffähigkeit der Werkstoffe ermöglichen, könnten sie in naher Zukunft synthetische Varianten ersetzen.
 

Pilzmyzel

Pilze spielen eine wichtige Rolle als biologisch abbauende „Zersetzer“ organischer Substanzen. Während wir mit dem Bild der Fruchtkörper von Pilzen sehr vertraut sind, ist das Wurzelwerk, das sogenannte Myzel, normalerweise nicht sichtbar, obwohl es den größten Teil des Organismus ausmacht. Es wächst sehr großflächig, dicht und homogen und stellt das Verdauungssystem des Pilz-Organismus dar. Mithilfe von Enzymen, die der Pilz durch seine Hyphen sendet – dies sind die einzelnen Fäden des Myzels –, kann er organische Verbindungen lösen und somit wichtige Nährstoffe aufnehmen. Da der Pilz selbst keine Fotosynthese betreibt, ist er darauf angewiesen, Zuckerverbindungen aus abgestorbenem Material herauszulösen und seinem Organismus zuzuführen. In seinem natürlichen Lebensraum, dem Wald, trägt er daher maßgeblich zur Zersetzung abgestorbener organischer Stoffe bei und schafft dabei fruchtbaren Boden für weiteres Pflanzenwachstum. Eine bestimmte Eigenheit der Hyphen kann man sich zunutze machen: Treffen diese kleinen Fäden aufeinander, wachsen sie nicht unter- oder übereinander weiter, sondern verbinden sich. Dies wäre, als ob man beim Weben von Stoffen an jedem Kreuzungspunkt nochmals einen Knoten ziehen würde. Es entsteht ein sehr robustes Geflecht, das durchaus in der Lage ist, Kräfte aufzunehmen und weiterzuleiten.
 

Nutzung in der Praxis

Aus diesem Grund ist das Pilzmyzel in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Materialwissenschaft und der Architektur gerückt, die hier eine Chance sehen, neuartige, biologische Baumaterialien zu züchten. Pioniere auf dem Gebiet stellen sicher die beiden Firmen Ecovative und MycoWorks dar, beide aus den USA.

Ecovative

Experimentiert hat die Firma Ecovative zuerst mit Verpackungsmaterial, um übliche Schäume der Chemieindustrie zu ersetzen. Das Interessante daran ist, dass man die Eigenschaften eines aus Myzel gewachsenen Materials sehr gut bestimmen kann. Dies beginnt bei der Auswahl der Pilzarten selbst. Hier kommen nur die sogenannten weiß verfaulenden Pilze in Betracht, die man auch in unseren Wäldern beobachten kann. So arbeiten viele Firmen und Forschende mit dem Myzel von Reishi-Pilzen, Baumpilzen oder Röhrlingen. Schwarz verfaulende, zu der auch einige Schimmelpilze gehören, kommen in der Herstellung dieser neuartigen Materialien nicht zur Anwendung.
 

Roter Reishi-Pilz (Lingzhi) freigestellt auf weißem Hintergrund.
Das Myzel von Reishi-Pilzen (auch als glänzender Lackporling bekannt) eignet sich für die Baustoffherstellung.
Bild: Paitoon - stock.adobe.com
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gelb-braune Platten in rechteckiger Ziegelform
Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hergestellte Pilzwerkstoffplatten
Bild: Carlina Teteris, Singapur
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In einer ersten Wachstumsphase wird das Myzel auf einer organischen Grundlage wachsen gelassen. Dies können alle biologischen Abfallstoffe sein, die schon einmal Fotosynthese betrieben haben, angefangen von Holzschnitzel bis hin zu Reisschalen, Stroh, Hanf oder anderen Gräsern. Je nach Art, Größe und Eigenschaft dieser Zuschlagsstoffe und dem verwendeten Material stellen sich auch andere Eigenschaften ein: Dichte, Druckfähigkeit oder Isolationsfähigkeiten. Ist das Myzel etwa sechs bis acht Tage einmal durchwachsen, vermischt man es erneut und füllt es schließlich in die Form, die das endgültige Produkt haben soll. Danach lässt man das Gemisch noch einmal eine Woche durchwachsen und erhitzt es anschließend auf 60 bis 70 Grad Celcius, um dem Organismus das Wasser zu entziehen und ihn damit abzutöten. Zurück bleibt eine sehr verzweigte Struktur, die – wie erwähnt – unterschiedliche Merkmale haben kann. Die Firma Ecovative hat zuerst Versandverpackungen für Glasflaschen oder Elektronikteile hergestellt. 2014 hat man zudem mit dem Architekten David Benjamin (The Living) eine erste Struktur, das sogenannte Hy-Fi-Gebäude in Brooklyn, New York, errichtet. Hier kamen zum ersten Mal selbsttragende Pilz-Bausteine zum Einsatz.

MycoWorks

Die Firma MycoWorks, gegründet vom Künstler Philip Ross, hat sich seit einigen Jahren auf die Herstellung von veganen, lederartigen Myzelmaterialien spezialisiert. Große Modelabels, aber auch die Fahrzeugindustrie sind auf das Material gestoßen und vermarkten es als „tierfreie“ Produkte für einen immer schneller wachsenden Markt. Dieses Material kann gefärbt und genäht werden wie bisherige Kunstleder-Materialien und stellt somit eine „Plug-in“-Technologie dar, bei der bestehende Strukturen der Verarbeitung beibehalten werden können.
 

Forschung am KIT

Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Fakultät für Architektur, konzentriert sich die Professur Nachhaltiges Bauen auf die Erforschung von Baumaterialien aus Pilzmyzelien. Auch hier ist eine ganze Palette von Möglichkeiten gegeben.

UMAR und MycoTree

Angefangen von Isolationsmaterialien und Lehmputzträgern, wie sie im Projekt UMAR (Werner Sobek mit Dirk Hebel und Felix Heisel) der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt Empa in Dübendorf bei Zürich zur Anwendung gebracht wurden, bis hin zur Herstellung von Bauteilen für selbsttragende Strukturen, wie in dem Projekt MycoTree für die Seoul Architektur-Biennale 2017: Gemeinsam mit der Block Research Group der ETH Zürich wurde hier erstmals untersucht, wie durch intelligente Formgebung auch Baumaterialien zum Einsatz kommen können, die wir heute als zu „weich“ oder „unrobust“ bezeichnen. In diesem frühen Stadium der Myzelforschung am KIT und dem Future Cities Laboratory in Singapur konnten die Druck- und Biegewerte der hergestellten Komponenten noch nicht mit gängigen Baumaterialien mithalten. Dennoch schaffte es die Gruppe, diesen Nachteil durch die Formgebung auszugleichen und eine erste freistehende und sich selbst tragende, eingeschossige Struktur zu präsentieren, die 2019 den Preis „Beyond Bauhaus – Prototyping the Future“ im Wettbewerb „Land der Ideen“ der Bundesrepublik Deutschland gewann. Eine verkleinerte Version ist noch heute im Futurium Berlin zu sehen.

Ausstellungsraum, in dessen Zentrum ein verzweigter, künstlicher Baum aus hellen Materialien steht. Der Baum trägt die Decke des Raumes.
Der MycoTree Seoul: Hier wurde eine Formgebung eingesetzt, die lediglich Druckkräfte in die Struktur einleitete.
Bild: Carlina Teteris, Singapur

MycoTree

Um die statischen Eigenschaften, die Druck- und Zugbelastbarkeit, des relativ schwachen Materials zu optimieren, wurde für das Ausstellungsprojekt MycoTree eine Polyederform gewählt, die dem Kraftverlauf folgt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am KIT und der ETH Zürich griffen bei der Planung auf Methoden grafischer Statik zurück. Das bedeutet, dass statische Aufgaben zunächst zeichnerisch gelöst werden. Mithilfe moderner Software wurde dann die zweidimensionale grafische Statik um die dritte Dimension erweitert.

Durch die so entstandene optimierte Geometrie wurde es möglich, aus Myzelium und Bambus tragfähige Leichtbauelemente herzustellen.

 

Ersatzbinder für Holzwerkstoffplatten

Zudem forscht die Professur für Nachhaltiges Bauen an Ersatzbindern für Holzwerkstoffplatten. In diesen wird heute noch synthetischer Kleber eingesetzt, um Holzspäne oder Plättchen zu verkleben, was wiederum die Sortenreinheit und damit Kompostierbarkeit dieser Werkstoffe verhindert. Pilzmyzel könnte auch hier eine Alternative sein. Wichtig ist hierbei die Erkenntnis, für die Zukunft eine erweiterte Palette an Baumaterialien anbieten zu können, die den Bedarf auch außerhalb der gängigen metallischen und mineralischen Materialien mit abdecken kann. Doch auch Bakterien und andere Mikroorganismen könnten in Zukunft diese biologische Welt erschließen, um neuartige Produkte und Materialien für das Baugewerbe bereitzustellen.
 

Ausblick

Wenn wir wirklich eine funktionierende Kreislaufwirtschaft im Biologischen und Technischen in der Bauwirtschaft etablieren wollen, müssen wir die Frage des Produzierens, Entwerfens und Konstruierens neu denken, erforschen und Innovationen vorantreiben. Nachhaltiges Bauen ist keine Stilfrage und auch keine Rechenaufgabe. Nachhaltiges Bauen ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die wir in unserem täglichen Tun und Handeln etablieren müssen.
 

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Autor

Prof. Dirk E. Hebel

Professor für Nachhaltiges Bauen
Dekan der Fakultät für Architektur des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)


Ausgabe

BauPortal 1|2022