Holzbau
Holzmodulbau mit Gipsfaserplatten
In der Region Aachen entsteht ein fünfgeschossiges Boardinghouse in Holzbauweise mit insgesamt 59 barrierefreien Appartements. Mit einer brandschutztechnisch wirksamen Bekleidung der tragenden und nicht tragenden Innen- und Außenwände aus Gipsfaser-Platten konnte dabei ein von der Landesbauordnung NRW (BauO NRW) abweichendes Brandschutzkonzept realisiert werden, das mit dem geforderten Sicherheitsniveau gleichzeitig hohe Wirtschaftlichkeit gewährleistet.
Da die Generation der „Young Urban Professionals“ beruflich viel unterwegs ist und wechselnde Projekte betreut, lohnt es sich oft nicht, an einem Ort eine Wohnung anzumieten oder zu kaufen. Gewohnt wird häufig in einem modernen Boardinghouse, das kurzfristig verfügbaren, komfortablen Wohnraum für einen begrenzten Zeitraum bietet.
Boardinghouse in Holzbauweise
Die myBoardinghouse Herzogenrath GmbH & Co.KG. baut in Zusammenarbeit mit der Bauprojektentwicklung Schwarz Immo GmbH auf einem Grundstück in Herzogenrath ein fünfgeschossiges Appartementhaus in Holzbauweise. Wie kaum eine Branche hat der moderne Holzbau die Vorteile der Vorfertigung für sich entdeckt. Immer mehr werden Wand-, Dach- und Deckenelemente in der Werkstatt unter idealen Bedingungen und witterungsunabhängig vorfabriziert. Die Vorteile: Terminsicherheit, hohe Qualität und kurze Bauzeit.
Insgesamt 59 Appartements mit Größen zwischen 32 m² und 52 m² sind in dem Bau mit einer Grundfläche von ca. 1.270 m² untergebracht. Jeweils 16 Wohneinheiten sind im Erdgeschoss, im ersten und im zweiten Obergeschoss angeordnet. Im dritten Obergeschoss befinden sich neun Appartements sowie die Technik- und Wasch- bzw. Trockenräume. Zwei weitere rollstuhlgerechte Appartements sind im vierten Obergeschoss eingeplant.
Der vom Architekturbüro Claudia Weber aus Geilenkirchen in Zusammenarbeit mit dem Holzbau-Sachverständigen Stefan Schebesta geplante Bau wird über zwei Treppenhäuser auf der Nord- bzw. Südseite erschlossen. Diese werden ebenso wie der Aufzugschacht in Stahlbetonbauweise erstellt. Das nördliche Treppenhaus bildet gleichzeitig den Haupteingang. Der barrierefreie Zugang ist seitlich über eine Rampe von der Grünanlage aus vorgesehen. Die Wände der einzelnen Geschosse dagegen entstehen in Holzrahmenbauweise. Dabei werden die tragenden und nicht tragenden Innen- und Außenwände mit einer brandschutztechnisch wirksamen Bekleidung aus fermacell® Gipsfaser-Platten realisiert. Die Decken sind als Holzmassivdecken mit sichtbarer Untersicht geplant.
Individuelles Brandschutzkonzept
Mit Abmessungen von ca. 46,18 m × 27,51 m sowie einer Fußbodenhöhe des obersten Aufenthaltsraums von 12 m über Straßenniveau und Nutzungseinheiten von weniger als 400 m² wird das Gebäude gemäß der zum Zeitpunkt der Antragstellung gültigen BauO NRW 2000 als Gebäude mittlerer Höhe eingestuft und entspricht damit der Gebäudeklasse 4. Nach § 29 Abs. (1) der BauO NRW 2000 müssen in dieser Gebäudeklasse tragende Wände, Pfeiler und Stützen feuerbeständig hergestellt werden, also in F90-A-Qualität. Das bedeutet, dass die tragenden und aussteifenden Teile aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen müssen. Geplant war jedoch, die fünf oberirdischen Geschosse des Gebäudes in Holzmassivbauweise auszuführen.
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Bauausführung auch ohne F90-A-Qualität möglich
Das Sachverständigenbüro Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG aus Braunschweig hat dazu nach einer umfassenden Risikobewertung ein individuelles Brandschutzkonzept erarbeitet, bei dem durch geeignete Kompensationsmaßnahmen und durch das Zusammenwirken von baulichen und anlagetechnischen Maßnahmen die allgemeinen bauaufsichtlichen Schutzziele der nordrheinwestfälischen Bauordnung auch dann erreicht werden, wenn tragende Wände, Pfeiler und Stützen nicht in F90-A-Qualität ausgeführt werden. Als Begründung verweisen sie auf die beiden massiven Treppenhäuser im Norden und Süden der Anlage. Damit kann in den unteren Geschossen die Forderung nach zwei voneinander unabhängigen, möglichst entgegengesetzt liegenden Flucht- und Rettungswegen erfüllt werden, die mit Längen von maximal 32 m deutlich unter den zulässigen 35 m bleiben. Lediglich im Dachgeschoss ist der zweite Fluchtweg über die Dachterrassen mit Drehleitern der Feuerwehr zu gewährleisten.
Die Sachverständigen verweisen darauf, dass die Holztragkonstruktion wegen der fehlenden Einkapselung der Holzdecke durch nicht brennbare Bekleidungen früher am Brandgeschehen teilnimmt. Dieses Risiko wird jedoch durch die kleinen und übersichtlichen Nutzungseinheiten von 32 bis 52 m² minimiert, die mit hoch feuerhemmenden Trennwänden abgeteilt werden. Dies sowie die flächendeckende Installation von Rauchwarnmeldern ermögliche es, einen eventuellen Brand schnell zu entdecken. „Durch die Kleinteiligkeit der Wohneinheiten“, heißt es im Gutachten, „wird die Brandbekämpfung bzw. das Auffinden vermisster Personen im Brandfall erheblich erleichtert.“ Die beiden Stahlbeton-Treppenhäuser würden außerdem wirksame Löscharbeiten ermöglichen, zumal das Gebäude selbst durch seine innerstädtische Lage für die Feuerwehr gut erreichbar und ausreichende Hydranten zur Löschwasserentnahme vorhanden seien.
Hoch feuerhemmend statt feuerbeständig
In Kombination mit diesen anlagetechnischen und organisatorischen Maßnahmen halten die Sachverständigen eine von der BauO NRW 2000 abweichende hoch feuerhemmende statt feuerbeständiger Ausführung der tragenden und aussteifenden Wände für unbedenklich, die durch Bauteile in F60-B K₂60 sichergestellt werden kann. „Zur Kompensation der Verwendung brennbarer Baustoffe für die tragenden und aussteifenden Wände“, heißt es im Brandschutzkonzept, „erhalten diese eine Brandschutzbekleidung der Kapselklasse K₂60 gemäß DIN EN 13501-2 in Anlehnung an die Musterholzrichtlinie.“ Eine Entzündung der Holztragglieder vor der sechzigsten Minute kann damit zuverlässig ausgeschlossen werden. Gleichzeitig dient die Anforderung K₂60 dazu, einen Brandeintrag in die Bauteile bei einem Brandereignis in einer Nutzungseinheit zu verhindern und den zusätzlichen Eintrag von Brandlasten auszuschließen. „Damit“, so der Sachverständige, „besteht für mindestens 60 Minuten nach Brandbeginn eine Gleichwertigkeit der Konstruktion zu einer massiven Stahlbeton- oder Mauerwerksbauweise.“
Die Decken werden ebenso wie die Außenwände statisch auf Abbrand mit einem Feuerwiderstand von 60 Minuten bemessen. Die Außenwände erhalten abweichend eine brandschutztechnisch wirksame Bekleidung aus nicht brennbaren Baustoffen in K230 gemäß DIN EN 13501-2 in Anlehnung an die Musterholzrichtlinie. Eine Entzündung vor der dreißigsten Minute kann damit zuverlässig ausgeschlossen werden.
Wandkonstruktionen
Umgesetzt werden die Vorgaben des individuellen Brandschutzkonzepts mit fermacell® Gipsfaser-Platten. Die Gipsfaser-Platten des Herstellers James Hardie gewährleisten je nach Konstruktion Brandschutz bis zur Feuerschutzklasse F120 und sind gemäß der DIN EN 13501 als nicht brennbarer Baustoff der Baustoffklasse A2 klassifiziert. Die Platten, die wegen ihrer hohen Stabilität im Holzbau sowohl tragend als auch aussteifend verwendet werden können, bieten mit ihrer homogenen Struktur aufgrund ihrer Faserarmierung (recycelte Papierfasern) eine hohe mechanische Beanspruchbarkeit. Sie stellen mit Material- und Verarbeitungseigenschaften, die dem Holz sehr ähnlich sind, eine gute Ergänzung zur Holzunterkonstruktion dar.
Innenwände
Sämtliche Wohnungstrennwände sowie die Trennwände zwischen den Nutzungseinheiten und anders genutzten Räumen werden gemäß Brandschutzgutachten als tragende Holzwände in F60-B- und K₂60-Kapselung hergestellt. Sie erhalten beidseitig eine doppelte Beplankung aus 1 × 15 mm und 1 × 18 mm starken Gipsfaser-Platten mit darunter angeordneter Dämmung aus 30 mm bzw. 180 mm dicker Mineralwolle (Baustoffklasse A1, nicht brennbar, Schmelzpunkt > 1.000 °C) sowie einer 15 mm dicken Holzwerkstoffplatte. Die 15 mm dicken Platten der unteren Lage werden stumpf gestoßen, während die Plattenstöße der 18-mm-Platten mit Fugenkleber geklebt werden. Die Konstruktion erfüllt die Anforderung REI 60/K₂60 und bietet mit einem Dämmwert von Rw[dB] = 54,2 guten Schallschutz.
Außenwände
Die raumseitige Beplankung der Außenwände erfolgt ebenfalls mit den Gipsfaser-Platten. Eine einfache Lage aus 12,5 mm dicken Gipsfaser-Platten, die als Trägerplatte für das anschließend aufzubringende Wärmedämmverbundsystem dient, schließt die Konstruktion nach außen ab. Die Plattenstöße werden jeweils mit Fugenkleber geklebt. Zur Dämmung im Wandhohlraum kommt 200 mm dicke Mineralwolle (Baustoffklasse A1, nicht brennbar, Schmelzpunkt > 1.000 °C) in Kombination mit einer Hochleistungs-Dampfbremse zum Einsatz.
Den Abschluss der Außenwandkonstruktion bildet ein nicht brennbares Wärmedämmverbundsystem (60 mm) mit einem mineralischen Oberputz in 8 mm Dicke. Die Konstruktion ist als REI 60/K₂60/K₂30 innen klassifiziert und bietet einen Schalldämmwert von Rw[dB] = 47. Da sich an die Grundstücksgrenzen öffentliche Wegeflächen anschließen, ist eine Bebauung, die dichter als fünf Meter an das Gebäude heranreicht, ausgeschlossen.
Anschlüsse
Damit eine ausreichende Rauchdichtigkeit gewährleistet ist bzw. um eine Brandausbreitung über die Anschlussfugen zu verhindern, werden die Anforderungen der aktuell gültigen Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hoch feuerhemmende Bauteile in Holzbauweise (M-HFHHolzR) in die Planung einbezogen. Entsprechend sind in den Anschlussbereichen die Brandschutzbekleidungen der Bauteile mit Fugenversatz, Stufenfalz oder Nut- und Federverbindungen so ausgebildet, dass keine durchgängigen Fugen entstehen. Damit wird eine Entzündung der Tragstruktur ausgeschlossen. Die Verbindung der Wand-Wand-Anschlüsse erfolgt ebenso wie die Anschlüsse der Wände an die Decken kraftschlüssig mit Schrauben. Grundsätzlich bieten hier Holzbauteile Vorteile gegenüber der Stahlleichtbauweise, da sie im Brandfall eine geringere thermische Dehnung aufweisen, was den Durchgang von Rauch- und Brandgasen in den Anschlussbereichen wirkungsvoller unterbindet.
Um eine Brandentstehung innerhalb der Holztragkonstruktion durch Installationen weitgehend auszuschließen, werden alle Installationsbrandlasten gebündelt in der Vorwandebene geführt. Die Durchführung von Leitungen in andere Nutzungseinheiten erfolgt mit geeigneten Abschottungen.
Vorfertigung
Sämtliche Holztafelelemente wurden unter idealen Bedingungen in den Werkstätten der ADAMS Holzbau-Fertigbau GmbH in Niederzissen vorgefertigt. Die fertiggestellten Elemente kamen stockwerkweise punktgenau per Tieflader zur Baustelle, sodass sie sofort montiert werden konnten. Durch die sehr genaue Vorplanung und den hohen Vorfertigungsgrad war eine schnelle und reibungslose Abwicklung auf der Baustelle gewährleistet. Ein cleveres, speziell für die Gegebenheiten vor Ort entwickeltes Markierungssystem erleichterte dabei die Zuordnung der einzelnen Elemente und vereinfachte die Montage zusätzlich. So konnten sämtliche Wände einer jeden Etage innerhalb von nur zwei Tagen montiert werden. Für die Fertigstellung des gesamten Rohbaus mit fünf Stockwerken wurden insgesamt elf Wochen benötigt.
Fazit
In der Vergangenheit hat die Realisierung verschiedener mehrgeschossiger Holztafelbauten – insbesondere in den Gebäudeklassen 4 und 5 – gezeigt, dass bezüglich des brandschutztechnischen Sicherheitsniveaus keine signifikanten Unterschiede zu Massivbauten aus Stahlbeton oder Mauerwerk bestehen, sofern entsprechende konstruktive Maßnahmen zum vorbeugenden Brandschutz geplant und umgesetzt werden. Das Boardinghouse in Herzogenrath fügt sich nahtlos in diese Reihe wegweisender Holzbauten ein und leistet damit einen weiteren Beitrag zur grundsätzlichen Etablierung der Holzbauweise. Die Schutzziele der Landesbauordnung NRW, die eine feuerbeständige Ausführung der tragenden Wände, Pfeiler und Stützen vorsieht, konnten entsprechend einem individuellen ganzheitlichen Brandschutznachweis durch eine hoch feuerhemmende Ausführung der Konstruktion mit fermacell® Gipsfaser-Platten erfüllt werden.
Objekt:
Boardinghouse
Investor/Bauherr:
myBoardinghouse Herzogenrath GmbH & Co. KG. in Zusammenarbeit mit der Bauprojektentwicklung Schwarz Immo GmbH
Nutzung:
Kurzzeitwohnen/Appartementhotel
Wohneinheiten:
59 Appartements
Planung:
Architekturbüro Claudia Weber in Zusammenarbeit mit dem Holzbau-Sachverständigen Stefan Schebesta
Brandschutz:
Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG
Holzbau:
ADAMS Holzbau-Fertigbau GmbH
Gipsfaser-Platten:
James Hardie/fermacell®
Autorin
Ausgabe
BauPortal 1|2022
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