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Bauorganisation

Alleinarbeit als gewerkeübergreifendes Thema

In der Ausgabe BauPortal 6/2019 wurde bereits ein Artikel zum Thema Alleinarbeit speziell in der Gebäudereinigung bzw. Unterhaltsreinigung veröffentlicht. Nach Erscheinen des Artikels zeigte sich, dass auch Unternehmerinnen und Unternehmer und Fachkräfte für Arbeitssicherheit anderer Gewerke Interesse an diesem Thema haben – vor allem an der Beratung und Unterstützung zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und damit verbunden der Auswahl einer Lösungsmöglichkeit. Aus diesem Grund zeigt dieser Artikel beispielhaft, wie eine Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit Schritt für Schritt durchgeführt werden kann.
 

Alleinarbeit ist nicht gleich Alleinarbeit. Faktoren wie „gefährliche Arbeiten“ verändern nicht nur deren Einschätzung weitreichend, sondern bestimmen auch die Auswahl der technischen Lösungsmöglichkeiten. Welche Meldeeinrichtung die richtige für das Unternehmen ist, hängt von der Art der Gefährdungen ab.

 

Schritt 1: Überprüfung, ob es sich um Alleinarbeit handelt

Wichtig ist, noch einmal zu definieren, was Alleinarbeit ist. Oft wird davon ausgegangen, dass bei Alleinarbeit nur eine Person vor Ort ist, z. B. eine Person auf der Baustelle oder in einem Objekt. Das ist aber oft nicht der Fall. Es können sich mehrere Personen auf der Baustelle oder im Objekt befinden. Für die Alleinarbeit entscheidend ist, ob die betreffende Person in Sicht- und Rufweite arbeitet. Dazu ein Beispiel: Es arbeiten zwei Reinigungskräfte in einem Objekt. Die beiden treffen sich zu Beginn der Arbeiten und gehen dann in ihre Arbeitsbereiche, die sich auf verschiedenen Ebenen befinden. Verletzt sich eine der beiden Reinigungskräfte, kann es sein, dass die andere das nicht mitbekommt. Erst nach Schichtende würde die andere Person feststellen, dass etwas nicht stimmt.

Weitere typische Situationen sind:[1]

  • Arbeiten in der Gebäudereinigung, Hausdienstleistungen außerhalb der Dienst- oder Arbeitszeiten der Belegschaften,
  • handwerkliche Tätigkeiten im Außendienst, wie Montage-, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten,
  • Arbeiten außerhalb der Regelarbeitszeiten, z. B. in Notdiensten oder Rufbereitschaften,
  • Außendiensttätigkeiten allgemein,
  • Bau- und Montagetätigkeiten geringeren Leistungsumfangs.

 

Schritt 2: Überprüfung, ob es sich um „gefährliche Arbeiten“ handelt

Oft wurde gefragt, warum zwischen „gefährlichen“ und „nicht gefährlichen“ Arbeiten unterschieden wird: Der Unterschied liegt in der Überwachung. Werden gefährliche Arbeiten allein ausgeführt, muss die Unternehmensleitung geeignete Maßnahmen zu Überwachung treffen.

Geregelt ist das in § 8 (2) DGUV Vorschrift 1, in dem die zusätzlichen Anforderungen bei gefährlicher Arbeit beschrieben werden: „[...] wird eine gefährliche Arbeit von einer Person allein ausgeführt, so hat der Unternehmer über die allgemeinen Schutzmaßnahmen hinaus für geeignete technische oder organisatorische Personenschutzmaßnahmen zu sorgen [...]

In der DGUV Regel 100-001 wird § 8 der DGUV Vorschrift 1 ausführlicher erläutert. „[...] Alleinarbeit liegt vor, wenn eine Person allein, außerhalb von Ruf- und Sichtweite zu anderen Personen, Arbeiten ausführt. Grundsätzlich sollte eine ‚gefährliche Arbeit‘ nicht von einer Person allein ausgeführt werden. Ausnahmsweise kann es aus betrieblichen Gegebenheiten notwendig sein, eine Person allein mit einer ‚gefährlichen Arbeit‘ zu beauftragen. In diesem Fall hat der Unternehmer in Abhängigkeit von der Gefährdung an Einzelarbeitsplätzen geeignete Maßnahmen zur Überwachung zu treffen. Diese Überwachung kann durch technische oder organisatorische Maßnahmen umgesetzt werden [...]

Zu den technischen Maßnahmen gehört z. B. die Verwendung geeigneter Personen-Notsignal-Anlagen (PNA).

Weitergehende Informationen sind in der DGUV Regel 112-139 „Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen“ enthalten. Weitere Maßnahmen sind z. B. Kontrollgänge einer zweiten Person, zeitlich abgestimmte Telefon-/Funkmeldesysteme oder ständige Kameraüberwachung. Ob eine PNA eingesetzt werden darf, wird in einer Risikobeurteilung berechnet.

Gefährliche Arbeiten sind solche, bei denen eine erhöhte Gefährdung aus dem Arbeitsverfahren, der Art der Tätigkeit, den verwendeten Stoffen oder aus der Umgebung gegeben ist, weil keine ausreichenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden können. Zusätzlich gibt es in der DGUV Regel 100-001 eine Liste mit Beispielen. Nachfolgend ein Ausschnitt:

  • Arbeiten mit Absturzgefahr,
  • Arbeiten in Silos, Behältern oder engen Räumen,
  • Schweißen in engen Räumen,
  • Fällen von Bäumen,
  • Arbeiten im Bereich von Gleisen während des Bahnbetriebs,
  • Einsatz bei der Feuerwehr,
  • Vortriebsarbeiten im Tunnelbau,
  • Hebezeugarbeiten bei fehlender Sicht auf die Last.
     
Aktionen bei der Ausführung von „gefährlichen" oder „nicht gefährlichen" Arbeiten im Rahmen von Alleinarbeit
Aktionen bei der Ausführung von „gefährlichen" oder „nicht gefährlichen" Arbeiten im Rahmen von Alleinarbeit
Bild: Jacqueline Ruhl


Schritt 3: Ermittlung der Gefährdungsstufen

Wenn es sich nicht um „gefährliche Arbeiten“ laut DGUV Regel 100-001 handelt, kann sich der Unternehmer die DGUV Information 212-139 „Notrufmöglichkeiten für allein arbeitende Personen“ zur Unterstützung heranziehen. Hier wird die Alleinarbeit in sogenannte Gefährdungsstufen eingeteilt: gering, erhöht und kritisch.

Gering:  Die Person bleibt handlungsfähig. Es wird davon ausgegangen, dass die Gefährdungsfaktoren bei der allein arbeitenden Person geringe Verletzungen bzw. geringe akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bewirken können.

Erhöht: Im Notfall bleibt die Person eingeschränkt handlungsfähig. Es wird davon ausgegangen, dass die Gefährdungsfaktoren bei der allein arbeitenden Person erhebliche Verletzungen bzw. erhebliche akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bewirken können.

Kritisch: Im Notfall ist die Person nicht mehr handlungsfähig. Es wird davon ausgegangen, dass die Gefährdungsfaktoren bei der allein arbeitenden Person besonders schwere Verletzungen bzw. besonders schwere akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bewirken können.

Zum besseren Verständnis liefert die DGUV Information 212-139 (S. 8 – 9) Beispiele für Tätigkeiten und ihre Gefährdungsstufe: Wachdienste im Empfangsbereich werden z. B. mit einer geringen Gefährdung bzw. als „normale Alleinarbeit“ eingestuft. Wachdienste im Reviereinsatz werden bereits als erhöhte Gefährdung eingestuft, weswegen sie in den Bereich der „gefährlichen Arbeiten“ kommen. Ereignen sich bei diesem Wachdienst häufiger Unfälle, muss überprüft werden, ob die Alleinarbeit zulässig ist (Risikobeurteilung). Findet dieser Wachdienst aber in einem gefährlichen Viertel statt, sollte er gleich als kritisch eingestuft werden. Je nach Einteilung der Gefährdungsstufe kann dann eine geeignete Meldeeinrichtung ausgewählt werden.

 

Schritt 4: Auswahl der Lösung

Für die Auswahl der passenden technischen Lösung ist entscheidend, wie die Art der Gefährdung bzw. Arbeit eingeschätzt wird. Die Abb. links zeigt vier Varianten auf.

1.       Eine Person + Meldeeinrichtung (z. B. Festnetztelefon)

Die „normale“ Alleinarbeit resultiert aus einer geringen Gefährdung. Dies bedeutet, dass die verletzte Person handlungsfähig bleibt. Sie hat also die Möglichkeit, zum Telefon zu gehen und sich bei einer Kontakt- bzw. ersthelfenden Person zu melden. Aus diesem Grund reicht hier z. B. ein Festnetztelefon oder eine stationäre Rufanlage. Diese Variante ist oft in der Gebäudereinigung der Fall. In kleineren Objekten wie Arztpraxen und Büros werden die Festnetztelefone der Auftraggeber genutzt. Vorab geklärt werden muss, ob es bei der Telefonanlage Besonderheiten gibt. Dazu gehört etwa, ob eine Null vorgewählt werden muss.

2.       Eine Person + Meldeeinrichtung (z. B. Mobiltelefon)

Bei einer erhöhten Gefährdung wird bereits von „gefährlichen“ Arbeiten gesprochen. Auch in Verbindung mit einer niedrigen Notfallwahrscheinlichkeit reicht das Festnetztelefon nicht mehr aus. Ob es sich um eine niedrige oder hohe Notfallwahrscheinlichkeit handelt, kann z. B. durch Erfahrungswerte im Unternehmen oder Unfallstatistiken in Erfahrung gebracht werden. Bei einer erhöhten Gefährdung bleibt die verletzte Person nur eingeschränkt handlungsfähig. Aus diesem Grund soll die Meldeeinrichtung an der Person getragen werden. Das kann durch ein Mobilfunkgerät oder Sprechfunk gewährleistet werden. Wird eine erhöhte Notfallwahrscheinlichkeit festgestellt, muss eine Risikobeurteilung nach DGUV Regel 112-139 durchgeführt werden.

3.       Eine Person + Meldeeinrichtung (z. B. PNA)

Werden die Arbeiten als „kritische Gefährdung“ eingeschätzt und stehen sie in Verbindung mit einer hohen Notfallwahrscheinlichkeit, ist dies gleichzustellen wie „gefährliche Arbeiten“ laut DGUV Regel 100-001 (siehe Schritt 2). Es wird davon ausgegangen, dass eine verletzte Person im Notfall nicht mehr handlungsfähig ist. Das bedeutet, hier muss die Unternehmensleitung eine geeignete Maßnahme zur Überwachung treffen (Personen-Notsignal-Anlage).

4.       Zwei Personen

Ob Alleinarbeit zulässig ist, wird anhand einer Risikobeurteilung nach DGUV Regel 112-139 berechnet. Zusätzlich zu den bereits bekannten Einschätzungen der Gefährdungsstufe und Notfallwahrscheinlichkeit kommt hier eine zeitliche Einschätzung der Erstversorgung hinzu: Wie lange brauchen Ersthelfende, um bei der verletzten Person zu sein? Ist diese Zeitspanne länger als zulässig, muss die Arbeit mit mind. zwei Personen ausgeführt werden.

Grafik zeigt die Gefährdungsstufen bei Alleinarbeit.
Grafik Gefährdungsstufen bei Alleinarbeit
Bild: DGUV Information 212-13


Zusätzliche technische Möglichkeiten mit dem Smartphone

In der heutigen Zeit ist der Einsatz von Smartphones keine Seltenheit mehr. Entweder werden diese direkt vom Unternehmen zu Verfügung gestellt oder das Unternehmen hat eine Vereinbarung mit seinen Angestellten über eine dienstliche Nutzung des Privatgeräts.

Notfallassistenten, SOS-Notruf und Notrufkontakte

Mittlerweile bieten alle Smartphones mit Android Version 5.0 und iPhones sogenannte Notfallassistenten, die einfach unter den Einstellungen aktiviert werden können. Hier lassen sich Kontakte für Notfälle eintragen, können Sprachnachrichten und das Senden eines Notfallpasses automatisch eingerichtet werden. Bei einer geringen bzw. erhöhten Gefährdung in Verbindung mit einer niedrigen Notfallwahrscheinlichkeit kann dies eine Ergänzung für die Organisation einer wirksamen Ersten Hilfe sein. Als Ersatz für eine PNA kann diese Option nicht eingesetzt werden.
 

Auf einem Smartphone ist ein Notfallassistent installiert.
Smartphone mit Notfallassistent
Bild: Jacqueline Ruhl - BG BAU


Sicherstellung einer wirksamen Ersten Hilfe

Egal ob „normale Alleinarbeit“ oder „gefährliche Arbeiten“ – entscheidend ist, dass eine wirksame Erste Hilfe gewährleistet ist. Hier kann nicht nur die Meldeeinrichtung, sondern muss auch die Kontaktperson betrachtet werden, vor allem wenn sie nicht gleichzeitig ersthelfende Person ist. Wichtige Kenntnisse dürfen über die Informationskette nicht verloren gehen.
 

Zusammenfassung

Die folgende Abbildung zeigt alle vier Schritte zur Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit noch einmal im Überblick.

Grafik zeigt, wie man Schritt für Schritt zur Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit zu beachten ist.
Grafik Schritt für Schritt zur Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit
Bild: Jacqueline Ruhl – BG BAU

Ausblick: Test von Notrufsystem-Apps bei OAT

Das Unternehmen Otto Alte-Teigeler (OAT), im Bereich Spezialbau Verkehrsfläche tätig, hat 2020 drei Apps auf verschiedenen Baustellen und Smartphone-Modellen getestet: TYP-APP, GPS BodyGuard und LogPro. Über die Testphase bei OAT berichten wir in der kommenden Ausgabe, wenn alle Ergebnisse ausgewertet sind.
 

Fußnoten
1
Quelle: BG BAU Kompetenzzentrum für Unternehmer, Fortbildung nach der DGUV Vorschrift 2 Infoblatt 1 | Februar 2016/Allein arbeiten am Bau.
Autorin

Jacqueline Ruhl

BG BAU Prävention


Ausgabe

BauPortal 1|2021