Der von Ihnen verwendete Browser wird von der BG BAU nicht mehr unterstützt. Es kann daher auf der BG BAU Website zu Darstellungsfehlern kommen.

Der Flüssigboden wird in den Rohrgraben eingebracht.
Der Flüssigboden wird in den Rohrgraben eingebracht. | Bild: Bärbel Rechenbach

Erdbau, Leitungsbau

Aushub als Flüssigboden neu genutzt

Das Abwasserkanalnetz in Deutschland erstreckt sich über 214.000 km. Um es intakt zu halten, besteht dauerhaft Sanierungs- und Erneuerungsbedarf. Das wiederum zwingt Kommunen, in wirtschaftliche sowie zukunftsträchtige Materialien und Methoden zu investieren. Die Stadtwerke GmbH im hessischen Dietzenbach entschieden sich deshalb beim Bauvorhaben in der Justus-von-Liebig-Straße, neue Wege zu gehen. Ihre Lösung: Eine „schwimmende Verlegung“ mithilfe der RSS®-Flüssigboden-Technologie und von GFK-Rohren.

Die Stadt Dietzenbach mit derzeit etwa 34.000 Einwohnern liegt inmitten der prosperierenden Rhein-Main-Region zwischen Frankfurt am Main und Offenbach. Seit Jahren wachsen hier Bevölkerungszahl sowie Industrie- und Gewerbeansiedlungen. Ein intaktes Kanalnetz ist also unabdingbar. Das wiederum stellt die Stadtwerke als Eigentümer des 135 km langen Kanalnetzes vor einige Herausforderungen. Im Zuge der Straßensanierung Justus-von-Liebig-Straße im Südosten der Stadt beschlossen sie, den größten Stadtkanal darunter gleichzeitig mit zu erneuern.

In der Aufbereitungsanlage wird der Aushub für den Flüssigboden vorbereitet.
Bild: Bärbel Rechenbach

Herausforderung Bodenbeschaffenheit

Im ersten Abschnitt wird derzeit eine 240 m lange marode Betonrohrleitung gegen eine völlig neue Kunststoffrohrleitung ausgetauscht. Diese dient künftig auch als Stauraumkanal und wird das nahegelegene Klärwerk entlasten, welches angesichts der zunehmend starken Regenfälle in jüngster Zeit längst an seine Grenzen stößt.

Aufgrund des erforderlichen Gefälles werden die Rohre streckenweise in 5,30 m Grabentiefe verlegt. Dass dieses Vorhaben vor allem bei steigendem Grundwasser und schluffigem bis lehmig-tonigem Boden nicht anspruchslos ist, weiß der 27-jährige Projektleiter und Dipl.-Ing. (FH) Lukas Dimmerling der ausführenden Kropp GmbH: „Wir haben bereits vor drei Jahren mit diesem Boden an anderer Stelle unsere Erfahrungen gemacht. Der Aushub kann in seiner Substanz nicht zum Einbau wiederverwendet werden. Jetzt lösen wir das Problem, indem wir Flüssigboden im Verbund mit GFK-Rohren und einem SBH-Gleitschienenverbau verwenden. Es bewährt sich dabei, dass wir von Anfang an eng mit den Fachplanern des Ingenieurbüros Schäfer, den Stadtwerken Dietzenbach sowie der LOGIC Logistic Engineering GmbH bzw. dem Forschungsinstitut für Flüssigboden (FiFB) zusammengearbeitet haben. Bis ins Detail stimmen wir jeden Schritt der Technologie genau ab, damit Qualität und Sicherheit – auch für unser Bauteam– gewährleistet sind. Zahlreiche Schulungen und Unterweisungen fanden dazu statt.“ So darf beispielsweise der Graben erst betreten werden, wenn relevante technologische Schritte abgeschlossen sind, um von vornherein jegliche Gefahren für das Bauteam auszuschließen. Auch was den öffentlichen Straßenverkehr ringsum im stark frequentierten Stadt- und Gewerbegebiet angeht, wurden wichtige Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Da Straßenrisse größere Verkehrslasten nicht mehr zuließen, wurde die Justus-von-Liebig-Straße im Baubereich vollgesperrt.

Flüssigboden-Technologie in der Praxis

Durch den Einsatz von Flüssigboden entfallen verdichtungsbedingte Mehrgrabenbreiten. So konnte die Absperrung des Baubereichs auf ein Minimum begrenzt werden, sodass Passanten genügend Platz haben, um ihr Ziel unbeschadet zu erreichen. Anwohner bleiben weitestgehend von Staub, Schwingungen und Transportlärm verschont. Denn der Bodenaushub wird nicht neben der Baustelle gelagert, sondern sofort wenig Meter weiter zur Aufbereitungsanlage transportiert und mithilfe einer Seperatorschaufel mechanisch in der erforderlichen Form aufbereitet. Die spezielle Anlagentechnik setzt auch bei wechselnden Böden die Rezepturvorgaben des Fachplaners für Flüssigbodenanwendungen korrekt um. Die Eigenschaften des Flüssigbodens hängen maßgeblich von der Zufuhr richtiger Energiemengen zum richtigen Zeitpunkt des Herstellprozesses (Reaktionskinetik) ab. Daher wird der gesamte Prozess korrekt gesteuert und alle Abläufe und Ergebnisse prüfbar dokumentiert. Etwa zehn Minuten braucht es, bis die Mischung fertig ist. Dann kann sie als Flüssigboden sofort in den Rohrgraben eingebracht werden.

Video: "Schwimmende Verlegung" mit Flüssigboden-Technologie und GFK-Rohrsystemen

© Videoquelle: Novart Video im Auftrag der Amiblu Germany GmbH

Die GFK-Rohre sind gegen den Auftrieb mittels einer speziellen Technik gesichert.
Bild: Bärbel Rechenbach
Das Verfüllen mit Flüssigboden ist genau in den Bauablauf eingetaktet.
Bild: Bärbel Rechenbach

Gesichertes Verfahren nach RAL-Gütezeichen

Dieses RSS®-Flüssigbodenverfahren nach RAL-Gütezeichen GZ 507 wurde von der LOGIC Engineering GmbH entwickelt und patentiert. Jede Firma, die sich an die Vorgaben des Verfahrensentwicklers und des RAL-Gütezeichens 507 hält, kann es nutzen. Mittlerweile gibt es 170 technologische Lösungen, diean das jeweilige Projekt optimal angepasst werden können. Die Ingenieure stellen dafür ihr spezifisches Know-how und ihre Erfahrungen zur Verfügung. Verläuft der Einbau des RSS®-Flüssigbodens wie hier in Dietzenbach fachgerecht, stellt die Technologie eine echte Alternative zum klassischen Kanal- und Leitungsbau dar. Leider entscheiden sich Auftraggeber immer noch zu oft für herkömmliche Bauweisen, obwohl diese deutlich höhere Mengen an CO2 produzieren. Noch wagen sich erst vier Hochschulen und Universitäten an dieses Thema, bedauert Dipl.-Ing. (TU) Olaf Stolzenburg, Direktor des Leipziger Forschungsinstituts und Entwickler des Verfahrens. Sein Team und das der LOGIC fungieren bei der Kanalerneuerung in Dietzenbach während des gesamten Bauvorhabens als Fremdüberwacher des Herstellungs- und Einbauprozesses, wodurch die Einhaltung der Kriterien des RAL-Gütezeichens sowie ein schadensfreies Bauvorhaben garantiert werden. „Dazu erstellten wir vorab unter anderem Nachweise für die spätere sichere Funktion des Kanals unter Lasteinwirkungen, auf Langzeittauglichkeit oder für die Tragfähigkeit, das Elastizitätsverhalten und die bodenmechanischen Eigenschaften.“

Laut Baugrundgutachten waren die Bodenverhältnisse nicht homogen. Deshalb musste die Technik verschiedene Arten der Aushubböden berücksichtigen. Die vom FIFB erarbeitete Rezepturmatrix im Zusammenspiel mit dazugehöriger Steuerung und webbasierten Diagnose- und Fernwartungstools ermöglichte das. Vor allem kam es darauf an, dass der RSS®-Flüssigboden keine umweltschädlichen Zusatzstoffe enthält und den Wirkungspfad Boden-Grundwasser nicht schädigt.

Der SBH-Gleitschienenverbau ist optimal auf den Flüssigbodeneinbau abgestimmt.
Bild: Bärbel Rechenbach
Ein Manometer misst genau alle relevanten Daten des Auftriebs und der Rückverfestigung.
Bild: Bärbel Rechenbach

Punktgenaue Taktung sichert zügigen Bauablauf

Beim Einsatz dieser durchaus noch jungen technologischen Lösung, die auch als „Schwimmende Verlegung“ bezeichnet wird, kommt es darauf an, den zeitlichen Ablauf – Aushub, Verbau, Rohrverlegung, Verfüllung – punktgenau zu takten und rechtzeitig optimale Voraussetzungen hinsichtlich Rohr-, Verbaulängen und -arten zu schaffen. Lukas Dimmerling: „Der Verbau muss genau dann gezogen werden, wenn der eingebrachte Flüssigboden noch fließfähig ist. So kann er nach seiner Rückverfestigung Eigenschaften erreichen, die denen des bisherigen Umgebungsbodens weitestgehend entsprechen.“ Die mit Flüssigboden verfüllten Bereiche reagieren dabei so wie der umliegende gewachsene Boden unter anderem auf Feuchtigkeits-, Last- sowie Temperaturänderungen.

Statische Berechnungen vorab ergaben: Beim Verwenden von Flüssigboden wirken sich SBH-Gleitschienenverbau und GFK-Rohre vorteilhaft aus, weil sie sich flexibel auf die Technologie abstimmen lassen.
Dabei spielt die Rohrstatik für den Lastfall „Auftrieb im RSS®-Flüssigboden“ eine besonders wichtige Rolle. Beim Einsatz des SBH-Gleitschienenverbaus wirkt sich positiv aus, dass sich Platten, RS-Träger und Rollenschlitten per Bagger einfach zueinander parallel verschieben oder einzeln je nach Bedarf bewegen lassen. Dadurch erleichtern sich Ein- und Rückbau der einzelnen Elemente erheblich. Beim herkömmlichem Verbau reißen Grabenwände oft unnötig durch eine Exenterwirkung beim Ziehen auf zerstörtem Straßenbelag. Auch für den Baggerfahrer wird das Bedienen einfacher. Der H-förmige Rollenschlitten im unteren Trägerbereich gewährt ihm vor allem in der Einbauphase freie Sicht.

Voraussetzung fürs Gelingen sei zudem, wie der Projektleiter erläutert, dass die Verbaulösung genau auf den Verlauf der künftigen Überdeckungen wie Telekommunikation, Medialeitungen, Straßen zum Kanal, Hausanschlüsse angepasst ist. So ließen sich sogar schwierige Bereiche, in denen viele Querungen verliefen, sicher mit RSS®-Flüssigboden stabilisieren.

Die große Rohrdurchlasshöhe des Verbaus ermöglicht ebenso, die glasfaserverstärkten Kunststoffrohre – (GFK-)Rohre DN 2400 – unkompliziert einzufädeln und zu kuppeln. Diese stammen aus der Amiblu Germany GmbH und entsprechen DN EN/14634, DIN 16869. Aufgrund einer speziellen Schleuder- und Wickeltechnologie sind die Rohre im Verhältnis zu ihrem Durchmesser sehr leicht und lassen sich auf dem beengten Platz einfach händeln. Diese Rohre können in ihren Längen variabel an Berechnungsergebnisse für den Lastfall „Auftrieb im RSS®-Flüssigboden“ angepasst werden. Dadurch erhöht sich die Bauleistung, verkürzen sich Bauzeit und Handicaps für die Anwohner. Gründe genug, warum sich die Stadtwerke und Planer für diese Bauweise und GFK-Rohre entschieden haben – auf Vorschlag der Baufirma Kropp. Nicht zu vergessen die Korrosionsbeständigkeit von GFK gegenüber BGSS sowie die Lebensdauer von 150 Jahren. Das GFK-Material überzeugte auch in der Ausschreibung, weil es gegen biogene Schwefelsäure beständig ist sowie eine minimale Rauigkeit von k 0,o1 – 0.016 mm aufweist. Außerdem reduzieren die geringen Rohrwandstärken den Grabenaushub und damit den Arbeitsaufwand verglichen mit anderen Materialien.

Wirtschaftlich und emissionsarm

Den Auftrieb der Rohrleitung vermeidet eine speziell entwickelte Rohrverlegehilfe, in der die Rohre „aufgehangen“ werden. Hydraulikstempel wirken dem Auftrieb entgegen. Auftrieb und Rückverfestigung des eingebauten Flüssigbodens sind über ein Manometer genau messbar und werden über Datentrigger korrekt erfasst. So wird exakt das Ziehen des Verbaus bestimmt.

Insgesamt wird der Graben bis zur Unterkante des Straßenaufbaus, also 60 cm unter dem künftig 18 cm hohen Asphalt, mit Flüssigboden verfüllt. Dazwischen liegen 34 cm Frostschutz. „Schon jetzt zeigt sich“, sagt Lukas Dimmerling, „dass wir mit dieser Technologie sehr wirtschaftlich und klimafreundlich arbeiten. Alles funktioniert sehr zügig. Da mit dieser Technologie auch im Wasser unkompliziert gearbeitet werden kann, benötigen wir nur eine minimale Wasserhaltung. Das Grundwasser war auch nicht so hoch wie zuvor angenommen. Vor allem reduzieren wir CO2-Emissionen aufgrund minimaler Transportwege. Für unser Bauteam zählt außerdem der gesundheitliche Aspekt, da es beim Verfüllen im Rohrgraben nicht mehr ‚schuften‘ muss wie bei anderen Verfahrensweisen, wo bei Verdichtungen im Graben auch mehr Abgase entstehen.“
Olaf Stolzenburg führt noch zwei weitere Punkte an, warum die Dietzenbacher Stadtwerke klug und vorausschauend entschieden haben: „Das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) schreibt vor, dass ab 1. Januar 2020 mindestens 70 % der mineralischen Abfälle wiederverwendet werden müssen. Allerdings bleibt hierbei der natürliche Bodenaushub scheinbar unbeachtet. Fest steht jedoch: Sobald die Baustellengrenze überschritten ist, wird der Aushub de jure zum Abfall, den Auftraggeber teuer bezahlen müssen. Das Leipziger Flüssigbodenverfahren ist bisher das einzige Verfahren, mit dem alle Bodenarten im Sinne des KrWG wiederverwendet werden können.“

Wenn der erste Bauabschnitt in der Justus-von-Liebig-Straße bewältig ist, sind alle Beteiligten in Sachen Flüssigbodeneinbau wieder an Erfahrungen reicher geworden – sicherlich auch Projektleiter Lukas Dimmerling.

Objekt:
Erneuerung Stadtkanal Dietzenbach (Hessen)

Bauherr:
Stadtwerke Dietzenbach GmbH

Planer:
Ingenieurbüro Hermann Schäfer GmbH & Co. KG, Dreieich,
LOGIC Engeneering GmbH bzw. Forschungsinstitut für Flüssigboden (FiFB), Leipzig

Ausführende Firma:
Kropp GmbH & Co. KG, Großenlüder

Autorin

Bärbel Rechenbach

Freie Baufachjournalistin


Ausgabe

BauPortal 1|2020