Um schwere körperliche Tätigkeiten und das Arbeiten in Zwangspositionen erheblich zu vereinfachen, wird zunehmend der Einsatz von Exoskeletten favorisiert. Welche Vorteile diese bieten und welche Nachteile auch damit verbunden sein könnten, sollte vor der Nutzung abgewägt werden.
Arbeitsplätze sollten so gestaltet sein, dass im Idealfall keine Exoskelette benötigt werden. Der Einsatz von technischen Hilfsmitteln wie Krane, Vakuumheber oder Transportwagen und organisatorische Maß nahmen wie kurze Transportwege oder „intelligente“ Lagerung von häufig zu bewegenden Lasten sind bei der Ge - staltung der Arbeitsplätze erste Wahl. Sind diese Maßnahmen ausgeschöpft und bleiben darüber hinaus Fehlbeanspruchungen der Beschäftigten erhalten, dann kann der Einsatz von Exoskeletten sinnvoll sein. Exoskelette sind am Körper getragene Assistenzsysteme. Sie können bestimmte Körperhaltungen unterstützen oder auch zusätzliche Energie für die Ausführung einer Bewegung generieren.
Man unterscheidet passive und aktive Exoskelette, wobei die passiven Systeme gegenwärtig erprobter sind. Passive Exoskelette nutzen die Rückstellkraft von Feder- und Seilzugmechanismen, aktive Exoskelette werden durch elektrische oder pneumatische Antriebssysteme mit komplexen Regelungs- und Steuerfunktionen bewegt.
Insbesondere körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten wie das Heben schwerer Las ten (z.B. Zement- und Mörtelsäcke, Gerüstbauteile, Arbeitsgeräte) und das Arbeiten in Zwangshaltungen (z.B. Überkopfarbeiten beim Spachteln von Decken) erscheinen für den Einsatz von Exoskeletten prädestiniert. Hier werden Exoskelette als Chance gesehen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Welchen sicherheitstechnischen Anforderungen Exoskelette gerecht werden müssen, hängt vom Einsatzzweck ab. Denkbar sind Anforderungen nach der Maschinenrichtlinie (2006/42/EG, EN ISO 10218-1), nach der europäischen Richtlinie 93/42/ EWG für Medizinprodukte, aber auch nach der europäischen PSA-Verordnung 2016/ 425.
Chancen
Bisher sind Exoskelette vor allem in der medizinischen Rehabilitation bewegungseingeschränkter Menschen, z.B. bei Schlaganfallpatienten oder auch Querschnittsgelähmten, angewendet worden. Inzwischen kommen sie aber auch in der Arbeitswelt der Industrie und im Bau an. Der Einsatz von Exoskeletten am Arbeitsplatz ist zwar gegenwärtig noch nicht sehr verbreitet, jedoch testen immer mehr Unternehmen die angebotenen Exoskelette in verschiedenen Arbeitsbereichen. Zum Beispiel können Exoskelette bei statischen Überkopfarbeiten die Belastung von den Armen über den Rücken oder die Schulter in die Hüfte ableiten. Andere Exoskelette unterstützen Arbeiten mit vorgebeugtem Oberkörper und das Ausführen von Hebebewegungen, wobei ein Teil des Rumpfgewichtes von der Brust über die Struktur des Systems auf die Oberschenkel übertragen wird. Wiederum andere Exoskelette können an Steharbeitsplätzen das eigene Gewicht abnehmen, was die Beine sowie die Knie- und Sprunggelenke entlastet. Aktive Exoskelette wurden speziell für die manuelle Handhabung von schweren Lasten konzipiert und sollen beim Heben den Kompressionsdruck im unteren Rücken verringern.
Angesichts des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels wird es immer wichtiger, die Beschäftigten möglichst lange und gesund im Arbeitsprozess zu halten. Mit der Verwendung von Exoskeletten am Arbeitsplatz wird eine nachhaltige Einsatzfähigkeit der Be - schäftigten, die sich viel bücken, vorgebeugt oder statisch über Kopf arbeiten müssen, an Steharbeitsplätzen beschäftigt sind oder schwere Lasten zu tragen haben, angestrebt. Das Ziel ist, eine Reduzierung und Prävention von Erkrankungen und Verletzungen des Muskel-Skelett- Systems zu erreichen. Immerhin stehen Muskel-Skelett-Erkrankungen mit 28,6 %1) an erster Stelle der Arbeitsunfähigkeitstage im Wirtschaftszweig Baugewerbe. Eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitstage steigert die Produktivität eines Unternehmens und trägt zu einem positiven Image bei.
Der Einsatz eines Exoskelettes könnte ein möglicher Ansatz für diese Zielstellungen sein. Voraussetzung für die Verwendung ist eine konkrete Überprüfung, ob das Exoskelett für die spezifische Arbeitsaufgabe geeignet ist und für den Benutzer angepasst werden kann. Wenn sich das Exoskelett eignet, der Mitarbeiter eine spürbare Erleichterung er - fährt sowie zusätzliche Gefährdungen ausgeschlossen werden können, kann es zur Anwendung kommen.
Risiken
Eine wichtige Frage für den Einsatz von Exoskeletten ist, ob diese die beanspruchten Körperregionen wirklich unterstützen und entlasten oder ob bzw. in welchem Umfang sie die Belastungen lediglich verteilen und die ab- und umgeleiteten Belastungen an anderer Stelle des Körpers zu gesundheitlichen Beschwerden oder gar Schäden führen. Für die Akzeptanz der Exoskelette ist die Benutzerfreundlichkeit und die Tauglichkeit im Arbeitsalltag von großer Bedeutung. Wie verhält es sich beispielsweise, wenn der Beschäftigte bei Überkopfarbeiten ein Exoskelett trägt und danach im Knien Schrauben anbringen oder Werkzeuge aus dem Auto holen und damit Wege über ein Treppenhaus zurücklegen muss? Wenn das Exoskelett bei Überkopfarbeiten entlastet, dann darf es bei den anderen Tätigkeiten des Beschäftigten nicht stören oder gar eine Unfallgefahr darstellen. Ein Stolpern oder Hängenbleiben durch das Tragen des Exoskelettes sollte ausgeschlossen sein.
Der Nutzen des Exoskelettes muss also genau abgewogen werden. Die Zeitanteile der Tätigkeiten, bei welchen ein Exoskelett sinnvoll ist und andererseits der Tätigkeiten, bei welchen ein Exoskelett eher stört, müssen pro Arbeitsschicht analysiert und gegenübergestellt werden. Sicherlich kann man davon ausgehen, dass ein wiederholtes An- und Ablegen des Exoskelettes während der Arbeitsschicht ungünstig ist. Dennoch sollte es möglichst einfach sein, das Exoskelett bei Bedarf aus- und wieder anzuziehen, z.B. für den Toilettengang, bei Pausen oder gar im Gefahrenfall.
Kann beim kurzfristigen als auch beim langfristigen Ablegen des Exoskelettes die notwendige Lagerung auf der Baustelle gewährleistet werden? Es ist zu bedenken, dass die Exoskelette prinzipiell trocken und die sich bewegenden Teile frei von Flüssigkeiten, Staub und Schmutz zu halten sind. Darüber hinaus sind die Reinigung und die Wartung zu organisieren.
Als risikobehaftete Bewegungen und Tätigkeiten mit Exoskeletten können rennen, klettern und in der Höhe arbeiten eingestuft werden. Auch müssen evtl. Wechselwirkungen mit anderen Schutzausrüstungen, z.B. persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz, Berücksichtigung finden. Die gleichzeitige Anwendung beider Systeme ist gegenwärtig nicht kompatibel. Des Weiteren dürften sich das Tragen eines Exoskelettes und das Fahren eines Fahrzeuges ausschließen.
Bedienungsanleitung
Vor der Verwendung von Exoskeletten ist zu klären, ob es laut Bedienungsanleitung nur zur Nutzung in Räumen vorgesehen ist oder auch der Nässe, der Sonneneinstrahlung und eventuellen Hitze- oder Kältetemperaturen im Freien standhält. In verschiedenen Bedienungsanleitungen der Hersteller wird beschrieben, in welchen Situationen vom Tragen eines konkreten Exoskelettes abzusehen ist (z.B. als Träger eines Herzschrittmachers) und bei welchen körperlichen Symptomen/alten Verletzungen (z.B. Leistenbruch, Narben) vor dem Tragen des Exoskelettes ein Arzt hinzugezogen werden sollte.
Komfort
Um die Nutzerakzeptanz zu erhöhen, müssen die Exoskelette einen gewissen Komfort aufweisen. Hierunter wird einerseits der Tragekomfort verstanden, andererseits wird Komfort aber auch als Faktor der Effektivität bei der Arbeitsausführung verstanden. Druckstellen oder gar Druckschädigung der Nerven durch einen schlechten Sitz oder vermehrtes Schwitzen durch das Gewicht des Systems bzw. durch Tragegurte oder Halteschalen sind nicht förderlich. Auch die Mobilität des Benutzers sollte möglichst wenig eingeschränkt sein. Es darf nicht unterschätzt werden, dass der Anwender mehrere Stunden pro Arbeitsschicht ein zusätzliches Gewicht mit sich herumträgt.
Akzeptanz
Voraussetzung für den Test und die Einführung eines Exoskeletts ist, dass die Be - schäftigten eng in den Prozess integriert sind. Die Verwendung von Exoskeletten kann durchaus auch eine Konfrontation mit eigenen Schwächen bedeuten, so dass ein Hilfebedarf geleugnet und abgelehnt wird. Es muss sichergestellt sein, dass sich der Beschäftigte mit einem Exoskelett identifizieren kann und dass er eine umfangreiche Beratung und Einweisung er hält.
Ausblick
Für die Vielzahl der unterschiedlichen Exoskelette und Anwendungsmöglichkeiten in der Arbeitswelt stellt sich die Aufgabe, diese innovativen Technologien im praktischen Einsatz am Arbeitsplatz zu bewerten.
Es liegen bereits Evaluationen im Rahmen von Laborstudien und Feldstudien an ausgewählten Arbeitsplätzen vor. Diese Studien wurden jedoch i.d.R. mit einer kleinen Anzahl von Probanden durchgeführt. Über Auswirkungen einer dauerhaften Nutzung von Exoskeletten kann derzeit noch keine Aussage getroffen werden, da sie in Studien nur über begrenzte Zeiträume getestet wurden und im regulären Einsatz noch zu neu sind.
Die beschriebene Komplexität bei der Verwendung von Exoskeletten in der Arbeitswelt macht weitere Untersuchungen notwendig. In einem Projekt des Fachbereiches Handel und Logistik der DGUV wird ein Leitfaden zur Evaluation von Exoskeletten für die Arbeitswelt erarbeitet. Durch dieses Vorhaben soll die Grundlage ge - schaffen werden, zukünftige exoskelettale Systeme hinsichtlich ihrer biomechanischen und physiologischen Effekte zielgerichtet zu bewerten. Nur so können mögliche Gefahren identifiziert, die Risikominderung angegangen und Richtlinien für die Nutzung entwickelt werden. Zur Unterstützung des Einsatzes von Exoskeletten wird vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) eine Gefährdungsbeurteilung entwickelt.
Fazit
Exoskelette bieten die Chance, schwere körperliche Tätigkeiten und das Arbeiten in Zwangspositionen erheblich zu vereinfachen. Die Risiken dürfen allerdings nicht außer Acht gelassen werden. Die Vorteile und Nachteile müssen bezüglich des individuellen Einsatzzweckes einander gewichtet und in ihrem Gesamtkontext betrachtet werden, um bei den Beschäftigten Akzeptanz zu finden und deren Arbeit zu erleichtern.