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Drei Männer stehen während einer Kampfmittelsondierung auf aufgelockertem Boden.
Bild: Kara - stock.adobe.com

Kampfmittelräumung

Die neue Kampfmittelverordnung in NRW: eine Verbesserung?

Die Kampfmittelräumung ist – dem Föderalismus geschuldet – in jedem Bundesland anders ausgestaltet. Die einzelnen Bundesländer erlassen jeweils eigene Verordnungen oder – wie in Bayern – auch nicht. In Nordrhein-Westfalen (NRW) wurde die Kampfmittelverordnung kürzlich geändert. Doch der große Wurf blieb aus, was insbesondere zulasten der Sicherheit auf der Baustelle geht und ausführende Unternehmen weiterhin in einige konfliktträchtige Situationen kommen lässt.


Die Kampfmittelverordnung NRW will durch ihre Regelungen eine besonders hohe Sicherheit durch primäre behördliche Beteiligung bieten – mit den neuen, sehr undurchsichtigen Regelungen wird dies jedoch nicht erreicht werden können. Vielmehr wiegen sich die Auftraggebenden und Planenden in trügerischer Sicherheit: Die Ausnahmen, bei denen auch private Kampfmittelräumunternehmen eingesetzt werden dürfen, sind auf Bohrlochsondierungen bei Spezialtiefbaumaßnahmen und baubegleitende Kampfmittelräumung beschränkt, soweit diese nicht auf Verdachtsflächen stattfinden (§ 3 Abs. 2 KampfmittelVO NRW).
 

Drei Männer stehen während einer Kampfmittelsondierung auf aufgelockertem Boden.
Bild: Kara - stock.adobe.com

 

Trügerische Erleichterung

Eben jener § 3 Abs. 2 ist es, der neu in die Verordnung aufgenommen wurde und für Verunsicherung sorgt. Im Gegensatz zu der ursprünglichen Fassung stellt dieser Absatz eine Öffnung für private Kampfmittelräumunternehmen dar. Jedoch liegt das Problem hier im Detail, insbesondere betrifft es die Voraussetzungen für das Hinzuziehen eines privaten Kampfmittelräumunternehmens. Der Text lautet hier: „Diese Tätigkeiten (Bohrlochsondierungen bei Spezialtiefbaumaßnahmen und baubegleitende Kampfmittelräumung, Anm. d. Autors) dürfen jedoch ausschließlich auf Flächen durchgeführt werden, für die nach Einschätzung des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes keine konkreten Hinweise auf eine Kampfmittelbelastung vorliegen. Dabei ist ein Mindestabstand von zehn Metern zu Bereichen mit konkreten Belastungshinweisen einzuhalten.“
 

Drei Männer stehen während einer Kampfmittelsondierung auf aufgelockertem Boden.
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Prüfung des konkreten Verdachts auf Kampfmittel problematisch

Die Ausnahme ist somit nur für Flächen ohne konkreten Verdacht auf Kampfmittel einschlägig. Wie der Kampfmittelverdacht ausgeschlossen wird, erläutert der Leitfaden Kampfmittelräumung, der auf der Website der Bezirksregierung Düsseldorf angeboten wird: Hier wird klargestellt, dass die Prüfung über Luftbildauswertung durch die Bezirksregierungen erfolgen soll. Dies stellt schon ein Problem dar, da die Luftbildauswertung allein nicht ausreicht, um einen Kampfmittelverdacht auszuräumen. Hierzu ist grundsätzlich eine sogenannte historisch-genetische Rekonstruktion nötig, deren Bestandteil auch die Luftbildauswertung ist, jedoch nicht allein (vgl. Definition hierzu DGUV Information 201-027, S. 62). 

Demnach gehören also auch die Überprüfung von Archivalien, Befragung von Zeitzeugen, Auswertung von Angriffschroniken etc. zur ordnungsgemäßen Erstellung eines Gutachtens. Ohne die weiteren Komponenten werden beispielsweise Hinweise auf Bodenkämpfe oder auch Rückzugsrouten der Streitkräfte übersehen. Hier allein auf die Luftbildauswertung zu setzen, greift somit zu kurz! Folglich entsteht der Eindruck, die Bohrlochsondierung bzw. die baubegleitende Kampfmittelräumung wäre optional, da sich nach dem Text der Verordnung ja ergibt, dass diese nur zulässig sind, wenn keine konkreten Hinweise auf Kampfmittelbelastung vorliegen würden. Bereits hier stellt sich die Frage, was denn unter konkreten Hinweisen auf Kampfmittelbelastung zu verstehen ist. In den Definitionen der „Baufachlichen Richtlinien Kampfmittelräumung“ findet sich jedenfalls nichts dazu. Konkrete Hinweise können auch nur aufgrund einer vollständigen Untersuchung ausgeschlossen werden. Werden durch die Behörde diese konkreten Hinweise nicht gefunden, so stellt sich die Frage, ob denn trotzdem etwas zu unternehmen ist. Die Antwort lautet: Ja! Zumindest eine den Regeln der Technik entsprechende historisch-genetische Rekonstruktion ist einzuholen!
 

Titelbild der DGUV Information 201-027
Bild: DGUV

Die DGUV Information 201-027 „Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung und Festlegung von Schutzmaßnahmen bei der Kampfmittelräumung“ unterstützt bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung für die Tätigkeiten des Aufsuchens, Freilegens, Identifizierens und Bergens von Kampfmitteln.
 

Sicherheit geht vor

Die Verpflichtung zur vollumfänglichen Kampfmittelerkundung ergibt sich gerade nicht aus den Verordnungen der Länder, vielmehr besteht die Pflicht primär aus bundesgesetzlichen Regelungen des Arbeitsschutzes sowie der Baustellenverordnung und dem Strafrecht. Hier wird festgelegt, dass – sei es nun im Arbeitsverhältnis oder beim Errichten eines Bauwerks – die Sicherheit der Arbeitenden und der Dritten oberste Priorität hat (vgl. § 4 ArbSchG; § 2 Abs. 1 BaustellenVO). Unterstrichen wird dies durch den strafrechtlichen Tatbestand des § 319 StBG (Baugefährdung). Im Klartext bedeutet das: Jeder Auftraggebende hat gegenüber den auf seiner Baustelle arbeitenden Personen die Verpflichtung, deren Gefährdung auf ein absolutes Mindestmaß zu reduzieren, wie auch Arbeitgeber die Gefährdung gegenüber Arbeitnehmern zu reduzieren haben.
 

Mögliche Fehlinterpretation der Gefahrenlage

Durch die Umsetzung der Kampfmittelverordnung allein kann es zu einer verminderten Sicherheit für die ausführenden Beschäftigen kommen, etwa wenn die zuständige Behörde mitteilt, dass es keine konkreten Hinweise für Kampfmittelverdacht gebe und somit weitere Maßnahmen zur Kampfmittelerkundung unterbleiben. Zwar ist dieses Unterlassen durch Auftraggebende und Arbeitgeber nicht zu rechtfertigen (Unwissenheit schützt vor Strafe nicht), jedoch kann – wie in der Vergangenheit schon die Aussage der zuständigen Behörde fehlinterpretiert werden.
 

Bundesgesetzliche Regelungen stehen zum Schutz der Beschäftigten über Verordnungen der Länder

Denn tatsächlich bleibt es bei den Grundsätzen, dass eine Länderregelung lediglich den internen Ablauf der Kampfmittelräumung als Maßnahme der Gefahrenabwehr regeln kann, nicht jedoch die technische Ausführung und damit verbunden den Grad des Schutzes für die Arbeitnehmer und Dritte. Dieses Niveau ist auf bundesgesetzlicher Ebene normiert und hat primär die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit sowie Sachen von besonderem Wert (= Eigentum) im Blick. Diese Rechtsgüter sind zwingend zu schützen. Für die Art und Weise der Umsetzung der Arbeiten sind insbesondere die DGUV Information 201-027 sowie die „Baufachlichen Richtlinien Kampfmittelräumung“ zu beachten, deren Regelungen nicht durch Länderverordnungen umgangen werden dürfen – und zwar auch nicht durch einen Ausschluss konkreter Hinweise durch die zuständige Behörde und die (meist damit einhergehende) Einschränkung durch eine Empfehlung. Diese Empfehlung ist von den Auftraggebenden und Planenden immer als Imperativ zu verstehen, sie sollte also beachtet und umgesetzt werden. Denn sollte dies nicht der Fall sein, so droht die Einstellung der Baustelle, da sich die sicherheitsrelevanten Umstände eben – wie schon ausgeführt – nicht auf Länderverordnungen stützen können. Vielmehr müssen diese in der gesamten Bundesrepublik einheitlich sein.
 

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Fazit

Die neue Kampfmittelverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen liberalisiert die Kampfmittelräumung in NRW ein Stück weit, bereitet jedoch durch ihren Wortlaut und die Ausführungen im Leitfaden für die Durchführung von Bohrlochdetektion und baubegleitender Kampfmittelräumung weitere Unsicherheiten, da sie den Blick von den eigentlich maßgeblichen Regelungen lenkt und damit die Unsicherheit der am Bau Beteiligten erhöht.
 

Autor

Dr. Florian Englert

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Strafrecht


Ausgabe

BauPortal 4|2023