Kampfmittelbergung
Kampfmittelbergung auf Helgoland
Seit 2020 wird die Westmauer der Insel im Auftrag der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) saniert, da ihre Standsicherheit eingeschränkt ist. Dabei ist das Know-how der Eggers Kampfmittelbergung gefragt. Denn vor der Küste und auf Helgoland lagern bis heute Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg: Bomben, Minen oder Granaten. Die Bauarbeiten auf der Insel wurden nicht nur stark von der Witterung beeinflusst, sondern auch vom Ausbruch der Corona-Pandemie.
Sie sind seit jeher den höchsten Wellen ausgesetzt: Helgolands Westmole und Westmauer. Zusammen garantieren sie den Bestand des gesamten Südhafengeländes sowie des Schutz- und Sicherheitshafens. Die Bauwerke dauerhaft zu erhalten, ist für die Bewohner der Nordseeinsel in der Deutschen Bucht von immenser Bedeutung. Vor einer Sanierung ist allerdings die Bergung der Kriegsrelikte notwendig. Aufgespürt werden sie von den Profis der Eggers Kampfmittelbergung, der Kampfmittelräumdienst von Schleswig-Holstein entschärft sie und macht sie unschädlich. Was die Bauarbeiten auf der Insel erheblich beeinflusst, sind die Witterung und der Ausbruch der Corona-Pandemie, auf die reagiert werden muss.
Zweiter Einsatz auf Helgoland
Die Eggers Kampfmittelbergung ist bundesweit in den Bereichen maritime Kampfmittelsondierung und Räumung, Rüstungs- und Kriegsaltlastenbeseitigung an Land sowie bei der Ortung von Kampfmitteln tätig. Seit 2010 haben die Expertinnen und Experten von Eggers regelmäßig immer wieder rund um Helgoland zu tun. Die Hochseeinsel wurde zum Ende des Zweiten Weltkriegs heftig bombardiert. Bis Anfang der 1950er Jahre nutzten britische Bomber Helgoland als Übungsgebiet.
2019 beendete Eggers eine Baumaßnahme an der Ostmole der Nordseeinsel. Damals erfolgten die Arbeiten wasserseitig. 2020 musste das Team samt Baumaschinen wieder anrücken, da in erster Linie landseitig gearbeitet wird, um potenzielle Kampfmittel an der Westmauer aufzuspüren, das Wassersturzbecken rückzubauen und das Wellensturzbecken provisorisch wieder neu herzustellen, bis dann der Neubau erfolgt. „Dafür ist eine ganz andere Ausstattung nötig. Im Herbst vor einem Jahr haben wir mit der Planung begonnen“, erklärt Jan Leidorf, der verantwortliche Projekt- und Bauleiter der Eggers Kampfmittelbergung, die maßgeblich die Arbeiten ausführt.
Ende Januar 2020 sollten die ersten Baumaschinen auf die Insel gebracht werden, doch die Sturmsaison verzögerte den Transport, sodass sich der Baustart auf Anfang März verschob. Kurz darauf mussten alle Arbeiten auf Helgoland bedingt durch den Ausbruch der Corona-Pandemie bis Juni eingestellt werden. Seit Juli durften die Arbeiten fortgeführt werden. Für die Beschäftigten wurden Ferienwohnungen für die Dauer der Baumaßnahme bis 2021 angemietet. So können sie sich selbst verpflegen und Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Gleichzeitig werden ein Einkaufsservice und Vollverpflegung auf der Baustelle angeboten, damit sich niemand infiziert. Durch den erneuten Lockdown seit 2. November 2020 gilt eine neue Verordnung. „Jeder von uns, der auf der Insel arbeitet, muss nun einen negativen Corona-Test vorweisen, sonst dürfen wir nicht einreisen“, so Jan Leidorf.
Sicherheit geht vor
Oberste Priorität der Kampfmittelbergung liegt in der Sicherheit. „Daher können wir unsere Arbeiten nicht einfach durch die Montage einer größeren Schaufel beschleunigen und Zeit aufholen, die wir Corona-bedingt verloren haben. Der Boden muss aus Sicherheitsgründen in dünnen Schichten Zentimeter für Zentimeter abgetragen werden. Es gibt physikalische Grenzen auch im Hinblick auf die Feuerwerker vor Ort, die das Fachpersonal auf der Baustelle darstellen und berechtigt sind, mit Sprengstoff umzugehen und immer den Überblick beim Umgang mit Kampfmitteln behalten müssen“, meint der Projektleiter. Nichtsdestotrotz wurden die Abläufe umgestellt. Ursprünglich war das ganze Team elf Tage am Stück auf der Insel, reiste geschlossen über das Wochenende ab nach Hause und trat dann am Montag wieder zur Arbeit an. Das wurde dahingehend geändert, dass das Team der 25 Beschäftigten geteilt wurde, sodass immer durchgängig jemand auf der Insel ist und die Arbeiten kontinuierlich fortgeführt werden können. Diese umfassen den Abbruch, schweren Erdbau mit und ohne Verbau, den Betrieb eines Sieb- und Brechplatzes für die Aufbereitung und Herstellung von Baumaterialien.
Gut organisierter Bauablauf
Das reine Räumfeld hat eine Länge von 250 m und eine Breite von 25 m. So sind die Aktionsradien, auf denen die eingesetzten Baumaschinen agieren dürfen, stark limitiert, zumal Betonbauwerke die Fläche weiter einschränken. Angesichts der Menge der eingesetzten Technik ist daher gute Einsatzplanung vonnöten, damit alles ineinandergreifen kann und es nicht zu einer gegenseitigen Behinderung oder gar Unfällen kommt, wenn die Bagger ihre Ausleger schwenken. Da neben einer sehr hohen Störwertdichte, bedingt durch reliktische Bauwerke und Abwurfmunition, auch von kleinteiliger Munition und Kampfmittelresten ausgegangen wird, erfolgt eine Kampfmittelvolumenräumung in Kombination mit einer Bohrlochsondierung, bei der mit einem Bohrgerät aus dem Spezialtiefbau 6 m tief in den Untergrund gebohrt wird. Große Störkörper werden einzeln entnommen. Anschließend wird das zu bearbeitende Material in einer Siebanlage von den vielen verbliebenen Kleinteilen befreit. Die Bergung aller Eisen- und Nichteisenstörkörper erfolgt unter Aufsicht der Fachkundigen im Bereich Feuerwerk. Geborgene Munition wird an den zuständigen Kampfmittelräumdienst von Schleswig-Holstein übergeben. Zweimal war dieser bereits gefordert, eine Entschärfung einzuleiten, während Teile der Insel evakuiert werden mussten. Denn in einer Tiefe von 1,5 bis 2,0 m wurden bis heute zwei Sprengbomben gefunden, die es, zu entschärfen galt.
Mehr Schutz fürs Bollwerk
Nicht nur Corona-Beschränkungen bremsten die Arbeiten bislang aus, sondern auch die Witterung; insbesondere der Sturm und der daraus resultierende erhöhte Wellengang beeinflusste den Bauablauf. Ab 2,50 m Wellenhöhe, Hochwasser und West- bis Südwestwind besteht die Gefahr, dass das Wasser über die Mauer tritt und auf Beschäftigte und Geräte auftrifft, die dann von der Wucht umgeworfen werden könnten. Um die Baumaschinen vor salzigem Nordseewasser zu schützen, wurden sie vor dem Einsatz auf Helgoland gründlich gereinigt und eingewachst. Somit liegt ein Korrosionsgrundschutz vor. Dieser wird dann immer wieder neu aufgetragen. Ebenfalls werden die Geräte an Arbeitstagen, in denen die Gischt einen Sprühnebel aus Meerwasser auf die Baumaschinen verteilt, gründlich gewaschen.
Um die Westmauer als Bollwerk gegen hohe Wellen zu sichern, wurden die Betonplat-ten herausgefräst, die dem Wasser die Fließrichtung vorgeben. Treten Stürme auf, werden die Platten umgehend eingebracht, nachdem sie auf dem verdichteten Boden mit einem Flies versehen wurden. Dann werden die Fugen noch mit Beton verklammert, damit es auf keinen Fall zu einer Bodenauswaschung kommen kann und das Bauwerk geschwächt oder geschädigt wird. Außerdem betreibt die Eggers Kampfmittelbergung eine eigene Betonmischanlage, um nicht nur speziellen Unterwasserbeton, sondern jederzeit auch kurzfristig ein Provisorium herstellen zu können, damit das Bauwerk einer Sturmflut standhält.
Einsatz leistungsfähiger Baumaschinen
15.000 m3 Boden wurden mittels zwei größerer Radlader bewegt. „Im Zuge der Kampfmittelbergung heben wir nicht große Volumina aus, sondern immer nur kleinere“, erläutert der Bauleiter. Der Aushub wird zu einer Brech- und Siebanlage gefahren, wo der Boden aufbereitet und dann wieder fachgerecht eingebaut wird. Es geht dabei auch darum, die Ressourcen bestmöglich im Sinne von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit auszuschöpfen und einen sonst erforderlichen Schiffstransport und Umschlag von Schüttgütern auf der Insel wegen der hohen Kosten möglichst zu vermeiden. Wer im Hafenbereich arbeitet, weiß, dass dort bedingt durch Mineralölaustritt mit verunreinigtem Boden zu rechnen ist. „Bisher wurde ein Kubikmeter Boden vorgefunden, der PAK, sprich polyzyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, enthielt und der gesondert entsorgt wird“, meint Leidorf.
Bagger und Mine Buster
Zur Separation von Kampfmitteln werden Bagger in Kombination mit einem Mine Buster genutzt. Im Boden, der ausgebaut wird, wird im Bereich von 0 bis 3 m Munition und Abwurfmunition vermutet. Das beinhaltet große Bomben, aber ebenso kleinteilige Kampfmittel, wie etwa 2 cm große Panzergranaten. Mithilfe des 2 m3 großen Mine Busters – eines Spezialsieblöffels – wird der Boden durchgesiebt. Durch seine speziell auf die Kampfmittelsondierung angepasste Bauweise richtet selbst das Umsetzen von 200 g keinen Schaden am Gerät an. Das bringt den Vorteil, dass im Anschluss der kampfmittelfreie Boden auf einer Siebanlage aufbereitet
werden kann, die im unteren Teil der Insel stationiert ist. Ohne die vorherige Sondierung per Mine Buster müsste ein gewaltiger Splitterschutz aufgebaut werden, um das obere Plateau von Helgoland auf 52 m Normalhöhennull (NHN) zu schützen. Das wäre technisch und wirtschaftlich nicht zu bewältigen. Immens wichtig ist es, dass auch alle im Umfeld befindlichen Personen geschützt werden. Im Fall der eingesetzten Kettenbagger bedeutet es, Frontscheibe und Unterboden zu panzern. Doch das ist nicht seine einzige Besonderheit: Der Bagger nutzt ein Schneidrad für die 30 cm dicken Betonplatten, das extra für die Arbeiten auf Helgoland angeschafft wurde. Dieses erhielt auswechselbare Zähne, die bei Verschleiß ausgetauscht werden können. Würde man ein herkömmliches Sägeblatt nutzen, könnte es sich verkanten. Dann einen Ersatz schnell auf die Insel zu bekommen, wäre schwierig und würde die weiteren Abbauprozesse verzögern.
Arbeiten im Detail: Messung, Abbruch, Aufbereitung, Einbau
Da auf Helgoland mit allen Arten von Kampfmitteln zu rechnen ist, wurden spezielle Messverfahren eingesetzt, um auch im direkten Einflussbereich des vorhandenen Flutschutzes aussagekräftige Ergebnisse zu erreichen. Hierfür mussten im ersten Schritt Betonplatten gefräst und Winkelstützwände abgebrochen werden. Der dabei anfallende Aufbruch wird für die provisorische Wiederherstellung im Anschluss wiederverwendet. Beseitigt werden die Relikte alter Bausubstanz, wie z. B. Fundamente aus Stahlbeton in einer Größenordnung von 3 bis 4 m3. Doch es ist nicht ganz so einfach, Fundamente oder Felsen aus einer Tiefe von 3 bis 4 m herauszuholen, denn es darf kein Abbruchhammer eingesetzt werden, weil die Westmauer nicht genügend Standsicherheit bietet. Deswegen werden Fundamente oder Felsen von der Baumaschine angehoben und mit viel Kraft über eine flache Rampe herausgezogen. Sie werden dann am separaten Brechplatz zerkleinert.
Über eine Siebanlage wird der Aufbruch in verschiedene Sieblinien aufgeteilt, um das Material wieder einbauen zu können. Darüber hinaus besteht die Vorgabe, dass die Baugrube aus Gründen der Standsicherheit entlang der Mauer nur 5 m breit aufgemacht werden darf und eine Länge von 10 m hat. Deswegen können keine Walzen eingesetzt werden, sodass die Anbauverdichter anstelle von Walzen für dichten Untergrund sorgen müssen. Hierzu werden engmaschige Verdichtungskontrollen durchgeführt, um zu dokumentieren, dass der Bauuntergrund tragfähig ist für das anstehende neue Bauwerk.
Kommt der Helgoländer Boden in Kontakt mit Wasser, erhält er Eigenschaften wie Treibsand und ist mit Baumaschinen kaum befahrbar. Das machte sich dann auch bei der Baustelleneinrichtungsfläche bemerkbar, die in der feuchten Jahreszeit entsprechend aufgeweicht war. So musste der Oberboden abgeschoben, Geogitter aufgebracht und Flächen aufgefüllt werden, um sie befahrbar zu machen. In Summe wurden 30 Arbeitstage für die vorbereitenden Maßnahmen aufgewandt, um eine stabile Grundlage für die Sanierung der Westmauer zu schaffen.
Eggers-Gruppe
www.eggers-gruppe.de
Weitere Fotos von Helgoland sowie von anderen Bauprojekten gibt es auf der Webseite des Fotografen Sebastian Engels unter www.sebastian-engels.de.
Autor
Ausgabe
BauPortal 2|2021
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