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Kampfmittel

Interview zur Detektion von Kampfmitteln mittels INN-Verfahren

In der Ausgabe BauPortal 4/2021 hat Dr. Wagner, Inhaber der gleichnamigen Sachverständigengesellschaft, das Impuls-Neutron-Neutron-Verfahren (INN-Verfahren) im Vergleich zu anderen Detektionsverfahren wie Radarsensorik und Magnetik vorgestellt, Möglichkeiten des Einsatzes aufgezeigt und Messergebnisse präsentiert. Hinsichtlich der Messergebnisse und der von ihm daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu möglichen Anwendungen des INN-Verfahrens gab es in der Fachwelt Nachfragen und Zweifel. 

Die Redaktion BauPortal hat deshalb in Zusammenarbeit mit Geophysikern des Unternehmens Tauber-Herklotz-Consult, die sich auch seit Längerem mit dem INN-Verfahren beschäftigen, Dr. Markus Köhli von der Universität Heidelberg zu diesem Verfahren befragt. Dr. Köhli forscht am Physikalischen Institut zu diesem Thema und hat dazu schon diverse Fachbeiträge veröffentlicht. 
 

Portraitaufnahme von Post-Doc-Forscher Doktor Markus Köhli
Dr. Markus Köhli, Postdoctoral Researcher Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Physikalisches Institut Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Physikalisches Institut
Bild: Christian Daitche


Herr Dr. Köhli, Sie haben sich mit der Möglichkeit der Detektion von Blindgängern mittels INN beschäftigt, was genau war Ihre Fragestellung, die Sie untersuchen wollten?

Vereinfacht gesagt ging es darum herauszufinden, ob mit der INN-Konfiguration, also mit Neutronenpulsen und einem Detektor in einem Bohrloch, Blindgänger aufgespürt werden können, falls ja von welcher Ausdehnung, in welcher Entfernung und ob der zeitliche Verlauf des Signals etwas über das Material des unbekannten Objekts aussagen könne. Da ähnliche Verfahren in der Erdölexploration, Geologie und den Umweltwissenschaften angewandt werden, lohnt es sich, eine Studie durchzuführen, um das Potenzial dieser Technologie für die Detektion von Blindgängern zu ergründen. 
 

Und mit welchem Ansatz haben Sie sich dem Problem genähert?

In der Neutronenforschung verwenden wir statistische Transportsimulationen, um Bewegungspfade der Neutronen, die generell oder in der Situation der jeweiligen Fragestellung messtechnisch nicht zugänglich sind, zu verstehen. Mit diesen Werkzeugen führe ich virtuelle Experimente durch, in denen ich die Resultate einer Vielzahl möglicher Konfigurationen wie etwa des Bodens oder anderer Einflussfaktoren analysiere. 

 

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Sind solche Simulierungen denn realistisch?

Die Physik, die diesen Berechnungen zugrunde liegt, ist gut verstanden. Hier können wir uns auf die Modellierung verlassen. Die Frage stellt sich vielmehr danach, ob die abstrakte Repräsentation, die man wählt, um ein allgemeingültiges Ergebnis zu erhalten, alle notwendigen Elemente enthält. Man versucht daher, die Bedingungen leicht zu variieren, um Einflussfaktoren zu erkennen. Generell sind solche Modellierungen jedoch eher Best-Case-Abschätzungen, da man in konkreten Realweltsituationen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zu rechnen hat. 
 

Und was kam bei Ihren Ergebnissen heraus?

Detektionsreichweiten von etwa einem halben Meter sind realistisch zu erreichen. Die Dichte und der Wassergehalt des Bodens sind die dominanten bzw. limitierenden Einflussfaktoren auf die Signalqualität. Neutronen legen dabei keinen geradlinigen Pfad zurück, sondern bewegen sich vorrangig stochastisch – das heißt durch zufällige elastische Streuung – durch das Material. Dadurch interagieren sie mehrheitlich mit dem Boden und nur sehr wenig mit dem Sprengkörper, von dem sie im Idealfall dann auch absorbiert werden. Daher ist der zeitliche Verlauf des Signals fast ausschließlich durch die Bodenart definiert. Durch eine längere Messdauer kann eine höhere Präzision erreicht werden, wir haben uns hier allerdings auf eine Sondierung bezogen, bei der man eher Minuten als Stunden zur Verfügung hat. Auch wenn ein Bombenkörper aus einem eher reflektierenden Material, der Stahlhülle, und einem absorbierenden Material, TNT, besteht, beobachten wir meist nur ein „Verschwinden“ des Signals, wenn sich ein Objekt im Boden befindet. 
 

Das heißt also in Bezug auf die Detektionsreichweite für große Kampfmittel? 

Sofern wir von typischen Weltkriegsbomben und nicht etwa Artilleriemunition reden, spielt die Größe nur eine untergeordnete Rolle, da alle ausreichend TNT enthalten. Bei trockenen Böden geringerer Dichte kommen wir auf 70–80 cm, bei feuchten unter 20 cm. Längere Messzeiten können zwar die Detektionsreichweite erhöhen, allerdings nur dann, wenn der Boden sehr homogen aufgebaut ist. Kalkuliert man einige wenige Prozent Unterschied in der Bodenfeuchte mit ein, muss auch die Detektionsschwelle für Fremdkörper recht konservativ gewählt werden. 
 

Inwieweit ist die Größe der Metallkörper relevant?

Neutronen interagieren mit Volumina, nicht mit Oberflächen. Infolgedessen spielt vor allem die Gesamtmasse des Objekts eine Rolle. Ein Nagel oder eine Platte wird also keine messbare Änderung hervorrufen, ein für eine tragende Struktur vorgesehenes Element hingegen schon. 
 

Haben Sie auch untersucht, ob man mit dem Verfahren eine Unterscheidung treffen kann zwischen einer Bombe und anderen großen Metallobjekten?

Ja, große Metallobjekte können ein ähnliches Signal erzeugen wie ein Blindgänger. Wir haben hier z. B. eine Bombe mit einem Stahlträger verglichen. Auch wenn letzterer eine geringere Signaländerung hervorruft als ein Blindgänger, so kann man im Grunde kaum unterscheiden, ob es sich um einen nahe am Bohrloch befindlichen Eisenkörper oder ein etwas weiter entfernt liegenden Sprengkörper handelt.
 

Schematische Skizze eines Querschnitts durch den Baugrund: Links ist ein Kampfmittel im Boden verborgen, rechts ein Metallteil. Ein Detektor sendet Neutronen aus, die mit den Objekten interagieren.
Bei den Modellierungen wurde folgender Aufbau betrachtet: Neutronen werden an der Quelle emittiert und interagieren mit dem Untergrund und darin befindlichen Objekten, wie z. B. Kampfmitteln oder anderen Metallobjekten. Neutronen, deren Weg zurück zum Detektor führt, werden dort gezählt.
Bild: Tauber-Herklotz-Consult


Würden Sie sagen, dass es besser wäre, die Messungen von der Oberfläche aus zu machen, um dann größere Reichweiten erreichen zu können?

Bei einer aktiven Messung von der Oberfläche aus wäre die Reichweite etwas höher, da das sprichwörtliche Verhältnis von Signal (Bombe) zu Untergrund besser wird. Die Hälfte des Bodens – der in der Bohrlochkonfiguration nicht zwangsweise zu einem Signal beitragen kann, da die Bombe sich nur in einem Halbraum befindet – würde hier entfallen. Eine passive Messung mithilfe der hochenergetischeren Neutronen aus der Höhenstrahlung käme etwas tiefer, würde aber mindestens Stunden beanspruchen. Ohne konkrete Analysen durchgeführt zu haben, und daher ohne Gewähr, könnte man hier eventuell auch die doppelte Reichweite erreichen. Wirklich verbessern könnte man die Reichweite noch am ehesten mit einer Transmissionsmessung, bei der Quelle und Detektor den Raum zwischen zwei Bohrlöchern untersuchen. 
 

Wenn Sie hören, dass man mit INN noch in 8 m Entfernung Bomben zuverlässig finden kann, würden Sie sagen, dass das anhand Ihrer Ergebnisse realistisch ist?

Nein, leider nicht. Die von der Quelle ausgesandten Neutronen kommen in typischen Böden etwa 1,5 m bis 3 m weit. Zum Nachweis muss ein Neutron allerdings mindestens die Strecke zum Bombenkörper und dann wieder rückwärts zum Detektor zurückgelegt haben. Der halbe Wert dieser gerade genannten Reichweite ist also eine harte Obergrenze. Unter Realbedingungen und mit nicht idealem Messequipment wird die Sensitivität für die Detektion von Blindgängern allerdings deutlich limitiert. 
 

Können Sie sich vorstellen, dass es Bedingungen gibt, die so große Reichweiten zulassen?

Das Material, in dem sich der Bombenkörper befindet, dürfte so gut wie keinen Wasserstoff enthalten und müsste eine deutlich geringere Dichte als typische Böden aufweisen. In Luft also könnte man sich das eventuell vorstellen. 
 

Warum setzen Sie sich eigentlich mit dem Thema so intensiv auseinander? 

Dr. Schmoldt von der Firma Tauber erfragte vor einiger Zeit bei uns wissenschaftliche Hintergründe zu einer möglichen neuen Technik der INN-Blindgängerdetektion. Seine vorherige und meine nachfolgende Recherche ergaben allerdings, dass es zu dieser Methode „noch“ keine wissenschaftliche Literatur gab. Also haben wir uns kurzerhand ans Werk begeben, um diesen Komplex zu verstehen. Die Ergebnisse haben wir dann in einem Aufsatz in der Zeitschrift „altlasten spektrum“ veröffentlicht. 
 

Cover der Fachzeitschrift „altlasten spektrum“, Ausgabe 6/21
Fachzeitschrift „altlasten spektrum“, Ausgabe 6/21
Bild: altlasten spektrum


In der Fachzeitschrift „altlasten spektrum“, Ausgabe 6/21 ist ein Beitrag von Dr. Markus Köhli und Dr. Jan-Philipp Schmoldt (Tauber-Herklotz-Consult – Geowissenschaftler & Ingenieure GmbH) mit dem Titel „Potential von Impuls-Neutron-Logging in der Kampfmitteldetektion“ erschienen, der ausführlich die Messergebnisse und die Anwendbarkeit des INN-Verfahrens darstellt. Den Beitrag finden Sie im Web-Magazin unter: https://bauportal.bgbau.de/INN
 

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich über die mögliche Detektion von Blindgängern hinaus?

Wir entwickeln z. B. unterschiedliche Typen von Teilchendetektoren für Großforschungseinrichtungen zusammen mit der Universität Bonn. Ich arbeite darüber hinaus an der Entwicklung eines Simulationspakets in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig. In Heidelberg beschäftigen wir uns hauptsächlich mit der neuartigen Methode Cosmic-Ray Neutron Sensing (CRNS). Diese ermöglicht es, Wasser großskalig im Boden mithilfe kosmischer Höhenstrahlung zu bestimmen. Das betrifft sowohl die theoretische Modellbildung als auch die praktische Umsetzung in der Geräteentwicklung. Gerade komme ich auch z. B. von einem Projekt zurück, bei dem wir in der Negev-Wüste in Israel die Wassernutzeffizienz bestimmen wollen. 

Vielen Dank für das Gespräch. 
 

Autoren

Anke Templiner

Redaktion BauPortal

Dipl.-Geophys. Simon Gremmler

Tauber-Herklotz-Consult
Geowissenschaftler & Ingenieure GmbH


Ausgabe

BauPortal 2|2022