Gesundheit, Bauorganisation
Serie "Klimawandel und Bauunternehmen", Teil 4/4
Teil 4/4: Handlungsfelder für Zukunft
Eine Besonderheit der Bauproduktion ist deren Witterungsabhängigkeit. Welche Herausforderungen im Umgang mit Witterungsereignissen auftreten, zeigten die im Laufe des Jahrs 2021 veröffentlichten drei Beiträge dazu. Der abschließende vierte Teil der Serie fasst die wesentlichen Inhalte der Teile 1 bis 3 zusammen und stellt Möglichkeiten zum Umgang mit Witterungsereignissen insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels vor.
Die Witterungsabhängigkeit der Bauproduktion zeigt sich z. B. darin, dass bestimmte Tätigkeiten nur innerhalb spezieller Temperaturbereiche durchgeführt werden können. Dies resultiert zum einen aus den physikalisch-technischen Eigenschaften des Materials bzw. des Materialtransports und zum anderen aus den körperlichen Belastungsgrenzen des bauausführenden Personals.
Umgang mit Witterungsbedingungen
Das Forschungsprojekt „KlimaBau“ hat festgestellt, dass bestehende gesetzliche Grundlagen sowie Regelwerke zu witterungsspezifischen Rahmenbedingungen für die Bauproduktion unzureichend sind. Einerseits zielen die bestehenden Regelungen vornehmlich auf winterliche Bedingungen ab. Andererseits zeigen sich Defizite in der Praktikabilität und Verbindlichkeit für die Anwendung in der Praxis – speziell für das bauausführende Personal.
Zur Behebung dieser Defizite sind zwar einzelne Aktivitäten erkennbar, beispielsweise in der aktuellen Erarbeitung einer Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) speziell für Tätigkeiten im Freien. Die laufende Überarbeitung technischer Regelwerke fokussiert in diesem Zusammenhang fast ausschließlich die Anpassung baukonstruktiver Angaben, um Bauwerke zukünftig widerstandsfähiger gegenüber Witterungsereignissen zu gestalten. Die notwendige Anpassung und Spezifizierung von Angaben kritischer Witterungsbedingungen für ausführende Bauunternehmen werden aber bislang unzureichend thematisiert. In diesem Zusammenhang bedürfen beispielsweise auch vorhandene Grundlagen für individualvertragliche Regelungen (u. a. die einschlägigen Paragrafen der VOB/B oder die in der Praxis geläufigen „Behinderungsstufen an Schlechtwettertagen“ des Deutschen Wetterdiensts) einer generellen Überarbeitung (vgl. Abschnitt „Schwellenwerte“).
Umgang mit dem Klimawandel
Die Auswirkungen des Klimawandels sind mittlerweile auch in Deutschland allgegenwärtig. Wir müssen uns darauf einstellen, dass „Extremwetter“ zukünftig häufiger auftreten werden. Aber auch phasenweise Veränderungen durch mildere und feuchtere Winter sowie heißere und trockenere Sommer sind bereits zu beobachten.
Der Klimawandel führt zu veränderten Rahmenbedingungen auf Baustellen. Der allgemeine Anstieg der Lufttemperatur begünstigt zwar die Bedingungen der Bauproduktion im Winter. Doch gerade im Sommer führen häufiger auftretende Hitzewellen die Bauproduktion an ihre Grenzen. Die Beurteilung monetärer und terminlicher Auswirkungen im Zuge der sich durch den Klimawandel verändernden Witterungsbedingungen bei Bauprojekten gewinnt daher zukünftig enorm an Relevanz. Für eine konkrete Beurteilung möglicher Auswirkungen von Witterungsbedingungen ist es notwendig, die Witterungscharakteristik vor Ort in Abhängigkeit von der Witterungssensibilität der auszuführenden Bauprozesse zu bewerten. Dazu zählt ebenfalls die Berücksichtigung der Einsatzgrenzen des bauausführenden Personals. Trends der Klimaentwicklung für die jeweiligen Örtlichkeiten werden benötigt, um bereits in der Planungsphase (Auftraggebersicht), aber auch während der Angebotsphase (Auftragnehmersicht) geeignete Ausführungszeiträume auszuwählen bzw. Einschätzungen für Witterungsrisiken und entsprechend einzupreisende Maßnahmen treffen zu können. Das Risiko für etwaige Abweichungen vom ermittelten Trend (zeitliche Variabilität) wird bestehen bleiben.[1]
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) stellt bereits im Climate Data Center [2] historische und aktuelle klimatologische Daten für viele Orte im Bundesgebiet interaktiv zur Verfügung. Mit der Warn-Wetter-App versorgt der DWD außerdem die breite Öffentlichkeit und spezielle Institutionen mit Hinweisen zur aktuellen Warn- und Wettersituation. Für mögliche Szenarien des zukünftig erwartbaren Klimas steht zudem der Deutsche Klimaatlas zur Verfügung. Diese Tools des DWD können unter anderem herangezogen werden, um Klima- bzw. Witterungsbedingungen – auch aus Sicht von Baubeteiligten – zu beurteilen.
Eine zielgerichtete Auswertung von für Bauausführende relevanten Kenntagen bzw. Tagen, an denen Schwellenwerte über- oder unterschritten werden, existiert jedoch nur im Ansatz. Dies ist sowohl mit fehlenden Vorgaben (im Sinne von Schwellenwerten) als auch mit einem fehlenden Auftrag an den DWD zur Auswertung dieser für die Bauproduktion relevanten Kenntage und Schwellenwerte zu begründen.
Aufgaben für Politik und Verbände
Das Forschungsprojekt „KlimaBau“ nimmt die Sichtweise der Bauunternehmen ein und adressiert insbesondere die Politik und Verbände, die erkannten Defizite zu heilen. Grund hierfür ist, dass neben einer notwendigen Infrastruktur (insbesondere bei der Bereitstellung und Beschaffung von Klimadaten) eine Verbindlichkeit sinnvoller Regelungen notwendig ist. Die Verbindlichkeit im Umgang mit Witterungsbedingungen dient einerseits dem Schutz des bauausführenden Personals und andererseits der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen von Unternehmen. Die Herausforderung dabei besteht in der Entwicklung geeigneter Regelungen für diese komplexe Materie, die für die Baubeteiligten gut handhabbar sind und deren Nutzen den zu erwartenden bürokratischen Zusatzaufwand deutlich übersteigt.
Im Ergebnis des Projekts wurden drei Anwendungsfelder mit konkreten Handlungsnotwendigkeiten für Politik und Verbände identifiziert:
- Schwellenwerte,
- Klimadaten und
- Staatlicher „Schutzschild“.
Das Anwendungsfeld „Schwellenwerte“ enthält Empfehlungen bzw. Vorgaben sowohl für die technische Ausführung als auch für das bauausführende Personal („Faktor Mensch“). Hinsichtlich des Anwendungsfelds „Klimadaten“ wurden Möglichkeiten für die Bereitstellung und Beschaffung der für die Baubeteiligten relevanten Klimadaten benannt. Dabei wurde insbesondere der Stellenwert des „Staatlichen Schutzschilds“ deutlich: zum einen hinsichtlich der Entwicklung bzw. Anpassung von Regelungen im Umgang mit den Witterungsbedingungen im Zuge des Klimawandels und zum anderen zur Etablierung bzw. Erweiterung von Kompensationsmechanismen. Nachfolgend werden ausgewählte Maßnahmen für die genannten Anwendungsfelder vorgestellt.
Schwellenwerte
Handlungsbedarf besteht bei der Novellierung der Behinderungsstufen an Schlechtwettertagen (SWT), die ursprünglich Mitte des vergangenen Jahrhunderts von der Bauindustrie und dem DWD entwickelt wurden (vgl. Tab. 1). Die SWT werden von Bauunternehmen bzw. von den Vertragsparteien dazu verwendet, witterungsbedingte Arbeitserschwernisse oder -unterbrechungen individualvertraglich ex ante zu regeln und/oder ex post zu beurteilen. Sie gliedern sich zur Bewertung der Schwere der Behinderungen (Behinderungsstufen) in drei Stufen:
A – sehr erschwert,
B – erschwert,
C – ungünstig.
Dabei werden die Wetterelemente (niedrige) Lufttemperatur, Niederschlag, Schnee und Neuschnee betrachtet und mit verschiedenen Schwellenwerten in Abhängigkeit der Behinderungsstufe dargestellt. Das jeweils ungünstigste Ergebnis ist maßgebend für die Einstufung des gesamten Tags. Es handelt sich insoweit um eine stark vereinfachende Vorgehensweise.
Bei der Betrachtung der Schwellenwerte wird zum einen deutlich, dass vorranging Witterungsbedingungen in der kalten Jahreszeit und deren Auswirkungen auf den Bauprozess berücksichtigt werden. Zum anderen lässt sich eine allgemeine Differenzierung in drei Behinderungsstufen mit starren Schwellenwerten angesichts der gewerke- und projektspezifischen Besonderheiten nicht argumentativ herleiten. Aus vorgenannten Gründen sollten Vorschläge für relevante Schwellenwerte erarbeitet werden, die den Vertragsparteien als valide Grundlage für eine individualvertragliche Vereinbarung dienen können. Dabei sollten Schwellenwerte für die meteorologischen Elemente
- der (hohen und niedrigen) Lufttemperatur,
- des Niederschlags sowie
- für Schnee und
- Wind
aufgenommen werden. Zukünftig ist anzustreben, nicht nur physikalisch-technische Grenzen bei den SWT, sondern zusätzlich Einsatzgrenzen (z. B. wegen UV-Strahlung) und Besonderheiten der Beschäftigten zu berücksichtigen. Außerdem kann es zielführend sein, Extrema für Niederschlag (Starkniederschlag) und Wind (Sturm) aufzuführen. Da Extremwetterereignisse per se nicht einheitlich definiert sind, wird vorgeschlagen, auf die Warnkriterien des DWD zu referenzieren. Die Warnkriterien des DWD bilden neben Sturm- und Starkregenwarnungen auch Hitzewarnungen und Warnungen zur UV-Strahlung für den „Faktor Mensch“ ab. Die Spezifika von Bautätigkeiten müssen insbesondere für Hitzeereignisse noch angepasst werden.
Klimadaten
Für eine zielgerichtete Klimadatenbereitstellung müssen die Anforderungen der Bauwirtschaft klar formuliert sein. Die Entscheidung zur Verfolgung und Veröffentlichung von Klimadaten ist stark an die Auswahl der Kenntage bzw. relevanten Schwellenwerte gekoppelt. Das Forschungsprojekt „KlimaBau“ hat für ausgewählte Gewerke und den „Faktor Mensch“ Vorschläge erarbeitet. Hinsichtlich der Verantwortung für die Datenbereitstellung bedarf es einer technischen Infrastruktur und meteorologischer Kompetenz. Beide Voraussetzungen werden beispielsweise vom DWD erfüllt. Anzustreben ist in jedem Fall eine nutzerorientierte Klimadatenbereitstellung zur intuitiven Auswertung durch Baubeteiligte.
Des Weiteren ist zu klären, wie die Daten Eingang in die Bauprojekte und in den Bauvertrag finden. Im Rahmen der Planung bestimmen maßgeblich Bauherrin oder Bauherr (bzw. die Auftraggeberseite) die Zeitfenster für witterungsabhängige Bauleistungen. Aufgrund der dadurch festgelegten Korridore für die jeweiligen Bauleistungen liegt es in der Verantwortung der Unternehmen, etwaige ungünstige Witterungsbedingungen zu berücksichtigen bzw. etwaige Risiken einzukalkulieren. Spätestens bei Vertragsschluss sollten bestenfalls beide Vertragsparteien (neben weiteren Risiken) eine transparente Bewertung von Witterungsrisiken vorgenommen haben, die sich aus für die Bauleistung(en) relevanten Klimadaten ergeben.
Durch eine zentrale Beschaffung von Klimadaten im Zuge der Grundlagenermittlung über die Auftraggeberseite würden relevante Erkenntnisse hinsichtlich wahrscheinlich eintretender Witterungseinflüsse sehr früh vorliegen. Dies würde verschiedene Vorteile für die Terminierung witterungssensibler Bauleistungen nach sich ziehen. Im Zuge der Planung und der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen könnten die Klimadaten den Bietenden als weitere Grundlage für deren Kalkulation zur Verfügung gestellt werden, sodass bei Vertragsschluss transparente Vorgaben existieren, um Witterungsrisiken abzugrenzen bzw. zuzuweisen. Würde die Klimadatenbeschaffung (weiterhin) beim Unternehmen liegen, müssten durch jede bietende Partei Daten angefragt werden (bestenfalls die gleichen). Dies wäre einerseits ineffizient und würde andererseits die Vergleichbarkeit der Angebote erschweren.
Um die langfristigen Veränderungen des Klimas zu verdeutlichen, wird die Ergänzung des Deutschen Klimaatlas des DWD um das Handlungsfeld „Bauwesen/Bauproduktion“ empfohlen. Der Klimaatlas visualisiert dabei die für das jeweilige Handlungsfeld relevanten meteorologischen Elemente und Größen hinsichtlich der historischen, gegenwärtigen und zukünftig erwartbaren Entwicklung. Die Darstellung erfolgt sowohl durch eine zweidimensionale Grafik (Deutschlandkarte und bundeslandspezifisch) als auch durch Liniendiagramme. Der Klimaatlas bildet bestimmte Kenntage, wie z. B. Frosttage, ab. Diese bereits vorliegenden Informationen können auch schon heute von den Baubeteiligten genutzt werden.
Staatlicher „Schutzschild“
Die momentan existierenden Regelungen, die vornehmlich auf den Winterbau abgestellt sind, wurden überwiegend staatlich initiiert.
Im staatlichen Auftrag könnten – ähnlich den früheren Bestrebungen zum Winterbau – Schwellenwerte bestimmt werden, die anschließend in Normen bzw. Regelwerke überführt werden. Insbesondere für den Schutz der Beschäftigten wäre es zudem förderlich, diese Schwellenwerte im Arbeitsschutzregelwerk direkt zu verankern, um sie allgemein zugänglich, bewusster, verbindlicher und möglichst auch besser handhabbar zu machen. Die Schaffung von Verbindlichkeiten würde wiederum für gleichartige Wettbewerbsbedingungen der Bauunternehmen sorgen.
Ein ergänzender Regulierungsansatz wäre in diesem Zusammenhang die verbindliche Aufnahme von „Sommerschutzmaßnahmen“ in Form allgemeiner „Witterungsschutzmaßnahmen“ als fester Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen öffentlicher Auftraggeber. Zum Schutz des bauausführenden Personals sollten insbesondere technische (aber auch organisatorische und persönliche) Schutzmaßnahmen notwendigerweise in den Ausschreibungsunterlagen Berücksichtigung finden (einschließlich Sonnenschutzmaßnahmen[3] und Hitzeschutzmaßnahmen). Der Effekt wäre vergleichbar mit verbindlichen Schwellenwertregelungen, da Maßnahmen bewusst und bestenfalls transparent durch alle Bietenden einzupreisen wären (Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen).
In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, inwieweit eine ganzjährige Ausweitung der Schlechtwetterzeit, vor allem auf die Sommermonate, möglich ist. Hitzewellen, die die Produktivität stark vermindern oder sogar eine gesundheitliche Gefahr darstellen können, sollten zukünftig genauso wie winterliche Bedingungen berücksichtigt werden. Dies könnte durch eine Erweiterung des Saison-Kurzarbeitergelds (S-KUG) umsetzbar sein. Falls die regelmäßige betriebsübliche Arbeitszeit vorübergehend verkürzt werden müsste (z. B. aufgrund sehr hoher Temperaturen ab der Mittagszeit), könnte wie auch in den Wintermonaten durch das S-KUG ein Teil des durch Kurzarbeit bedingten Lohnausfalls ersetzt werden. Da zu erwarten ist, dass winterliche Arbeitsausfälle tendenziell seltener werden, würde das Sozialsystem insgesamt vermutlich nicht stärker belastet werden als bisher. Hierzu besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf.
Fazit
„KlimaBau“ hat die Komplexität der Thematik Klimawandel für die Bauproduktion und Handlungsnotwendigkeiten hinsichtlich der Abwicklung von Bauvorhaben aufgezeigt. Übergeordnete Instanzen aus Politik und Verbänden sind angehalten, handhabbare Regelungen und Hilfestellungen für Bauunternehmen (keine Überregulierung) insbesondere für hohe sommerliche Temperaturen zu erarbeiten bzw. in deren Auftrag erarbeiten zu lassen. Zwangsläufig muss der „Faktor Mensch“ in der zukünftigen Betrachtung eine zentrale Rolle einnehmen – im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und zum Schutz von deren Gesundheit.
Die Ergebnisse von „KlimaBau“ haben eine fundierte Grundlage für die unternehmerische Anpassung an den Klimawandel geschaffen. Es bedarf jedoch noch vieler Anstrengungen und Forschungstätigkeiten, um geeignete Maßnahmen umzusetzen. Den Baubeteiligten wird aufgrund der momentanen Regelungsdefizite empfohlen, (weiterhin) individualvertragliche Vereinbarungen zu treffen: zum einen zum Schutz der Beschäftigten und zum anderen, um vertragliche Streitigkeiten zur Verteilung des Witterungsrisikos zu vermeiden.
Fußnoten
- 1
- Für weiterführende Informationen sei auf den Teil 3 dieser Serie verwiesen.
- 2
- Vgl. https://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/cdc/cdc_node.html.
- 3
- Weiterführend siehe: Kynast, Luisa; Schwerdtner, Patrick: Technischer UV-Schutz im baubetrieblichen Spannungsfeld. In: Bauportal: Fachzeitschrift der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Prävention. Berlin: 2019, Heft 3, S. 30–35.
Autoren
Ausgabe
BauPortal 4|2021
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