Recht
Falscher Preis bleibt verbindlich
Eine Bieterin macht bei der Kalkulation ihres Angebots für den Bau eines Regenüberlaufbeckens einen schwerwiegenden Fehler. Obwohl sie ihren Irrtum eingesteht und ihr Angebot aufrechterhält, wird sie von der ausschreibenden Gemeinde vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Der Ausschluss wurde nun vom OLG Stuttgart als unberechtigt bewertet – das Angebot war nicht anfechtbar.
OLG Stuttgart, Urteil vom 16.05.2024 – 2 U 146/22, BGB § 119 Abs. 1
Sachverhalt
Die Gemeinde schrieb verschiedene Gewerke für den Bau eines Regenüberlaufbeckens aus, wobei der Preis als einziges Zuschlagskriterium galt. Die Klägerin unterbreitete ein Angebot über 913.965,05 Euro (netto), womit sie etwa 2 % unter dem Angebot des Zweitplatzierten und etwa 8 % unter dem Angebot des Drittplatzierten lag. Nach Ablauf der Angebotsfrist, aber noch vor Zuschlagserteilung, informierte das von der Beklagten beauftragte Ingenieurbüro darüber, dass einige Einheitspreise der Klägerin im Vergleich zu den Mitbewerbern auffällig niedrig seien. Das Ingenieurbüro teilte mit, dass die Leistung nach Tonnen ausgeschrieben war.
Die Klägerin erkannte, dass ihr in den betreffenden Positionen ein kalkulatorischer Fehler unterlaufen sei. Aufgrund der Verwendung vorgefertigter Kalkulationsbausteine habe sie versehentlich einen Kilopreis anstelle eines Tonnenpreises angeboten. Sie betonte, dass ihr Angebot insgesamt angemessen sei und sie zu den abgegebenen Preisen stehe. Die Gemeinde schloss die Bieterin dennoch vom Verfahren aus, da sie das Angebot wegen eines Erklärungsirrtums für anfechtbar hielt und in der Erklärung der Bieterin eine unzulässige Änderung des Angebots sah.
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Entscheidung
Dies sah das OLG Stuttgart anders. Die Erklärung der Klägerin war nicht anfechtbar und sie hätte nicht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden dürfen.
Die Klägerin hat bei der Kalkulation vorgefertigte Kalkulationsbausteine verwendet und dabei versehentlich einen Kilopreis anstelle eines Tonnenpreises angeboten. Der Fehler ist in der vorgelagerten Kalkulation aufgetreten und nicht im Zeitpunkt der Angebotsabgabe. Für eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB bedarf es allerdings eines Fehlers bei der Angebotsabgabe. Im Zeitpunkt der Erklärung wollte die Klägerin ein Angebot über 913.965,05 Euro abgeben und hat ein Angebot über 913.965,05 Euro abgegeben. Das Risiko der Richtigkeit der zugrunde liegenden Kalkulation des Einzelpreises trifft die Klägerin. Es lag kein Irrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB vor. Mithin hätte die Gemeinde das Angebot nicht für anfechtbar halten dürfen.
Selbst bei unterstellter Anfechtbarkeit rechtfertigt diese laut OLG Stuttgart nicht den Ausschluss des Bieters, solange die angegebenen Preise klar und bestimmt sind. Die Bestätigung des irrtümlichen Angebots stellt keine unzulässige Nachverhandlung dar.
Die Klägerin hätte nicht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden dürfen. Mit ihrem niedrigsten Angebot hätte sie den Zuschlag erhalten müssen. Mithin steht der Klägerin nun Schadensersatz wegen entgangenen Gewinnes zu.
Praxishinweis
Bei einem auskömmlichen Gesamtpreis, wie in diesem Fall, ist die Entscheidung zu befürworten. Anders kann bei einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis von Preis und Bauleistung zu entscheiden sein. Der BGH sprach sich in einem umgekehrten Fall, wo die falsche Kalkulation zu höheren und nicht niedrigeren Einheitspreisen führte, für die Nichtigkeit der Vereinbarung aus (BGH, Urteil vom 14.03.2013 – VII ZR 116/12). Hauptargument war, dass die fehlerhaften Preisanteile den Gesamtpreis auffällig beeinflusst haben und damit den Auftraggeber unangemessen belasten. Konsequenz war allerdings nicht der Entzug des Auftrages, sondern die Anpassung des Gesamtpreises nach den üblichen Einheitspreisen.
Des Weiteren ist auf die Fälle falscher Angebote aufgrund eines Übertragungsfehlers hinzuweisen. Schleicht sich bei Übertragung der Preise in das Angebot ein Fehler ein (Zahlendreher, fehlende Null hinter einer Ziffer), so liegt der Fehler im Zeitpunkt der Angebotserklärung und nicht vorgeschaltet bei der Kalkulation. Anders als im vorliegenden Fall vor dem OLG Stuttgart hat der Erklärende fälschlicherweise die Vorstellung, dass das Angebot dem Ergebnis seiner Kalkulation entspricht. Das Angebot ist in diesen Fällen anfechtbar.
Autor
Ausgabe
BauPortal 3|2024
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