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Holz-Hybridbau, Bauen im Bestand

Aus „FritzNeun“ wird „aer“

Modellbild eines Gebäudes mit einer vorgesetzten Rotunde.
Visualisierung des revitalisierten „aer“ von außen
Bild: Oliv Architekten

Dank einer Revitalisierung unter Einsatz verschiedener Holzkonstruktionen wurde aus einem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Allianz-Versicherung in München ein attraktiver Bürostandort. Für die Umsetzung der einzelnen Holzkonstruktionen und neuen Decken war eine individuelle Tragwerksplanung nötig.
 

In den 1990er-Jahren von Lauber und Wöhr Architekten entworfen, war das nach seiner Adresse in der Fritz-Schäffer-Straße 9 benannte Gebäude bis Ende 2019 an die Allianz Versicherung vermietet. Danach erwarb Hines das „FritzNeun“. Da der repräsentative Altbau für einen einzelnen Nutzer konzipiert war, erfüllte er mit seinen 32.000 m² Bürofläche nicht mehr die Anforderungen an ein zeitgemäßes Bürogebäude. Dies betraf zum einen die Wirtschaftlichkeit, zum anderen die Flexibilität: Weite Lufträume im 146 x 23 m großen Hauptbaukörper mit drei Atrien (ohne Südspitze) waren zwar repräsentativ, reduzierten aber die effektiv nutzbare Fläche und machten eine Aufteilung in kleinere Einheiten praktisch unmöglich. Dies umso mehr, als der Hauptbaukörper außerdem die Erschließungsachse zu vier Satellitengebäuden im Westen bildete.
 

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Bauaufgaben im Überblick

Hines beauftragte das Architekturbüro Oliv GmbH mit der Umgestaltung, nach der die verfügbare Bürofläche auf 42.288 m² erhöht und eine flexible Nutzung möglich wird. Für mehr Attraktivität und einen geringen CO2-Abdruck des Gebäudes sollen außerdem unterschiedliche Holzbaukonstruktionen, intelligente Haustechnik und grüne Infrastruktur sorgen. Im Zuge dieser „Vitalisierung“ bekam das Gebäude den neuen Namen „aer“.

Grafische Darstellung der vier Elemente des "aer".
Darstellung der vier Elemente von „aer“ (aer Hall, aer Fill, aer Eye und aer Head)
Bild: Oliv Architekten


Im Rahmen der Revitalisierung wurden die großen Atrien im Hauptbaukörper verkleinert und zweigeschossige Aufstockungen zwischen den im Westen gelegenen Satellitenanbauten des Gebäudes sowie einer Erschließungsmagistrale zwischen Hauptbaukörper, Satelliten und Aufstockungen errichtet. Außerdem wurde das über den Atrien liegende Sheddach zu einem Gründach mit begehbaren Dachterrassen umgebaut. Als weitere Umbaumaßnahme kam eine Aufstockung der Eingangsrotunde (aer Head) am südlichen Eck des Gebäudes hinzu, um die ikonische Wirkung der Eingangssituation zu verstärken. Diese Maßnahme wurde in Massivbauweise umgesetzt.
 

Unterschiedliche Bauweisen

Die Verdichtung der Bestandsflächen „aer Eye“, die Aufstockung der Satellitenbauten „aer Fill“ und der Neubau der Erschließungseinheit „aer Hall“ werden mit unterschiedlichen Holzbauweisen umgesetzt. Für die Tragwerksplanung der neuen Decken und sämtlicher anderer Holzkonstruktionen im Gebäude zeichnete die PIRMIN JUNG Deutschland GmbH verantwortlich. Die Ausführung der Decken übernahm die oa.sys baut GmbH.
 

Modellbild mit einer Holzkonstruktion an der Decke.
Visualisierung der künftigen Atrien des aer
Bild: Oliv Architekten

 

„aer Eye“ – Verkleinerung, teilweise Schließung der Atrien

Die neue Konzeption sieht statt großen Atrien kleinere, durch Holz-Glasflächen mit Türen abgetrennte Lufträume vor, in denen die bestehenden Aufzugschächte nach oben laufen. Durch die Schließung der Lufträume entstanden vollwertige Geschosse, die zudem gut beleuchtet sind.

Einbau von Holz-Beton-Verbund-Rippendecken

Zur Verkleinerung der Lufträume wurden überhöhte Holz-Beton-Verbund-Rippendecken eingesetzt. Sie bestehen aus 200/360 mm starken BSH-Rippen, über denen sich eine verlorene Schalung aus 27 mm starken Dreischichtplatten befindet. Den oberen Abschluss der Deckenkonstruktion bilden 140 mm Ortbeton. Die Decken haben eine Spannweite von bis zu 9,60 m. Die BSH-Rippen sind in eine Stahlkonstruktion aus 500 mm hohen Doppel-T-Trägern eingehängt, die ihrerseits auf Stahlstützen aufliegen, die neben den bestehenden Stahlbetonstützen des Bestandsgebäudes errichtet wurden. So war es möglich, die Lasten der Rippendecken mit geringer Belastung des Bestands punktuell in die Decke über dem Untergeschoss abzuleiten. Hier werden sie durch ein System ertüchtigter Auflager und Abstützungen aufgefangen, das bis hinunter ins vierte Untergeschoss reicht. Dadurch wurde es möglich, die neuen Lasten innerhalb des bestehenden Unterbaus aufzufangen. Neue Fundamente waren nicht möglich, da das gesamte Untergeschoss in einer weißen Wanne steht.

Fußboden als Hohlboden

Der Fußboden über dem Beton wurde als Hohlboden ausgeführt. Dies stellt einerseits den für Bürogebäude essenziellen Raum für eine flexible Installation bereit und verbessert andererseits den ohnehin schon guten Schallschutz der Verbundkonstruktion. Auf eine abgehängte Decke konnte man so verzichten, Rippen und Dreischichtplatten sind als Holzkonstruktion sichtbar. Dies entspricht dem architektonischen Konzept von Oliv, alle neuen Teile des Gebäudes in Holz auszuführen, um die hochwertige Bausubstanz sichtbar zu lassen und sie gleichzeitig durch das Neue zu konterkarieren.

Baustellenlogistik mit Anspruch

Herausfordernd waren nicht die Konstruktionen selbst, sondern die Baustellenlogistik. Angesichts der schlechten Zugangsmöglichkeiten waren zum Beispiel die Leitungen von der Betonpumpe bis zur obersten Atriumdecke bis zu 60 m lang.
 

„aer Fill“ – Aufstockung zwischen den Satelliten

Oa.sys übernahm auch die Aufstockungen, mit denen zusätzliche Büros zwischen den Satelliten geschaffen wurden. Wie bei allen Holzbaugewerken hatte das Unternehmen auch hier das Aufmaß per Tachymeter aufgenommen. Die Aufstockungen wurden als Holzskelettkonstruktion ausgeführt, die auf dem Untergeschoss in den Freiräumen zwischen den Satelliten stehen. Auf den 240/360-BSH-Stützen des Holzskeletts liegen Deltabeam-Stahlverbundträger, die mit einer Holz-Beton-Verbunddecke vergossen wurden. Letztere besteht aus 200 mm starken BSH-Deckenelementen und 140 mm Beton – durchlaufende Holzstützen waren angesichts des daraus resultierenden Gewichts keine sinnvolle Lösung. Der Fußboden über der Deckenkonstruktion wurde wie in den Atrien als Hohlboden ausgeführt.

Auf der Seite der Magistrale wird die Hälfte der Skelettstützen durch 360/360-BSH-Stützen aufgedoppelt. Diese nehmen einen Teil der Last der vorspringenden Decke/Dachterrasse über der unteren Aufstockung auf. In erster Linie dienen sie jedoch als Stützkonstruktion für das Magistralen-Dach.
 

Modellbild einer langen Halle mit Holzkonstruktionen an den Seiten und an der Decke.
So soll „aer Hall“, die Erschließungsmagistrale, aussehen.
Bild: Oliv Architekten


Die Deckenkonstruktion ermöglichte schlanke, bündige Aufbauten mit sichtbaren BSH-Elementen. Damit wurde einmal mehr dem Wunsch der Architekten entsprochen, die Holzoberflächen als Kontrast zur „Weißen Moderne“ des Bestands weitgehend sichtbar zu lassen.

Begrünte Dachterrasse der Aufstockungen

Das außenliegende Dach der Aufstockungen wurde als begrünte Dachterrasse ausgeführt, die den Nutzwert des Gebäudes erhöht und zu einer Verbesserung des städtischen Mikroklimas beiträgt. Dazu wurden über die 220 mm starke BSH-Decke mit 160 mm Überbeton und oberseitiger Abdichtung eine Gefälledämmung, eine zweite Abdichtung mit Drainage und eine Substratschicht aufgebracht, die eine Stärke von bis zu 60 cm erreicht. 

Nach innen und außen sind die Aufstockungen großflächig verglast. Die Brandschutzverglasung in Richtung Magistrale ist dabei Teil des Brandschutzkonzepts.
 

„aer Hall“ – filigrane Erschließungsmagistrale

Die Magistrale ist eine luftige Holzskelett-Konstruktion mit außen montierten Glasflächen. Sie dient als neue zentrale Erschließungseinheit zwischen Hauptbaukörper und Satellitenbauten, wo sie die Wege zwischen den Gebäudeteilen und Nutzungseinheiten verkürzen soll. Die auffallenden V-Stützen gehören zu den Stützen der Dachkonstruktion, die Christoph Roderer von PIRMIN JUNG als „Tragstruktur aus BSH-Dreiecken“ beschreibt.
 

Bild von den Holzkonstruktionen in der länglichen Halle nach Fertigstellung.
Blick auf die im Bau befindliche Magistrale (aer hall)
Bild: PIRMIN JUNG Deutschland GmbH

 

Randträger

An den Längsseiten der Magistrale sind die Randträger in Stahlträger eingehängt. Letztere sind mit den stegartigen Anbauten verschraubt, über welche die Satelliten erschlossen werden. Analog dazu wurde der Anschluss der Randträger im Osten der Magistrale an den bestehenden Hautbaukörper gelöst. Der Träger gegenüber im Westen liegt auf den Skelettstützen auf, die aus der Aufstockung bis nach oben geführt wurden. Dabei haben nur die mittleren beiden der vier Stützen eine statische Funktion, die anderen wurden aus optischen Gründen in dieser Dimension nach oben gezogen und dienen außerdem als Befestigungsgerüst für die Glasflächen.

Hauptträger

Ein weiterer Hauptträger liegt ein Dreiecksraster entfernt vor dem Bestandsgebäude. Seine Last wird von den V-Stützen getragen, deren diagonale Kräfte in Längsrichtung der Magistrale sich durch die symmetrische V-Anordnung kurzschließen. Die diagonalen Kräfte in Richtung Magistralen-Mitte werden oben von einem Dreieck aus Hauptträgern aufgenommen. Am Fußpunkt nimmt eine Stahlkonsole die Diagonalkraft auf. Da auf diese Weise alle Kräfte neutralisiert sind, konnte das V mit freien Pendelstützen ausgeführt werden, weitere Verankerungen – etwa durch Lochbleche – waren nicht erforderlich.

Für den Holzbauer lagen die Herausforderungen bei diesem Bauabschnitt eher beim Thema Witterungsschutz – ähnlich wie bei den Aufstockungen und der neuen Dachkonstruktion über dem Hauptbaukörper. Für die Tragwerksplaner von PIRMIN JUNG waren vor allem die Kreuzungspunkte herausfordernd, wo eine Fülle von Verbindungsmitteln unterzubringen war.
 

Eine Person mit Helm montiert Holzelemente auf einem Dach.
Montage der Holzelemente für die Magistrale (aer hall)
Bild: oa.sys baut GmbH

 

Herausforderung neues Dach mit Baumbepflanzung

Ebenso „spannend“ war für Christoph Roderer auch die Ermittlung der Lasten für das neue Dach, das anstelle des alten Sheddachs auf den Hauptbaukörper montiert wurde: „Hier lag die Spannweite zwar nur bei 7,10 m, dafür mussten wir mit dem Garten- und Landschaftsplaner zusammenarbeiten, da auf das Dach auch Bäume gepflanzt werden sollten. So erreichte das Substrat bis zu 60 cm, die Nutzlasten gingen bis 6,3 kN/m².“ Die BSP-Platten der Dachelemente fielen mit 300 mm entsprechend stark aus. Von Stahlunterzügen getragen, die ihrerseits auf den Stahlbeton- Dachträgern des Bestandgebäudes liegen, bilden die Dachelemente Einfeldträger mit beidseitigen Kragarmen, über den Atrien werden die sichtbaren Holzplatten von Lichtkuppeln durchbrochen, die über die verkleinerten Atrien Sonnenlicht bis ins Untergeschoss bringen.
 

Fazit

Die Revitalisierung von „Fritz Neun“ macht aus einem bestehenden Bürogebäude einen attraktiven Standort für Unternehmen. Dank der verschiedenen Holzbaukonstruktionen, die mit einem cleveren Tragwerkskonzept umgesetzt wurden –, und die sowohl funktionell als auch optisch dem Architekturentwurf entsprechen – wurde die Außenhülle des um 2000 errichteten Gebäudes bei der Revitalisierung nicht angetastet.
 

Autor

Joachim Mohr

Freier Baufachjournalist
Pirmin Jung Deutschland GmbH


Ausgabe

BauPortal 3|2024