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Gefahrstoffe

Zukünftige Regelungen bei der Verwendung von Polyurethanen

Geschulter Beschäftigter beim Lackieren mit Polyurethan-Lack: Er trägt Schutzanzug, Atem-, Gesichts- und Gehörschutz sowie Arbeitshandschuhe
Bild: Klaus Kersting - BG BAU


Polyurethane (PU) werden in vielen Bereichen der Bauwirtschaft eingesetzt und entstehen durch Reaktionen von Diisocyanaten. Da diese Diisocyanate zu chronischen Atemwegserkrankungen führen, sollten im Rahmen von REACH die Verwendungsmöglichkeiten strenger geregelt werden. Eine neue REACH-Beschränkungsregelung definiert die Maßnahmen, unter denen Diisocyanate weiterhin sicher verwendet werden können.
 

Nach Schätzungen der EU führen Diisocyanate jährlich zu 5.000 Atemwegserkrankungen. Da aufgrund der geforderten spezifischen Eigenschaften der Produkte Alternativen oft nicht verfügbar sind, ist von der EU ein Zulassungsverfahren nicht in Erwägung gezogen worden. Im Rahmen der neuen REACH-Beschränkungsregelung für die industrielle und gewerbliche Verwendung von Produkten mit einer Diisocyanatkonzentration ab 0,1 Gewichts-Prozent sind Maßnahmen vorgeschrieben worden, unter denen Diisocyanate weiterhin sicher verwendet werden können.


Infos zur REACH-Beschränkung

Isocyanate (meist bekannter unter dem Begriff Polyurethan oder PU-Produkte) sind als haut- und atemwegssensibilisierend, einige auch als zumindest krebsverdächtig eingestuft. Wegen dieser atemwegssensibilisierenden Eigenschaften hat es in einigen EU-Ländern Überlegungen gegeben, Isocyanate mittel- und langfristig sogar zu verbieten.

Eine Identifizierung unter REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) als „Substance of Very High Concern“ (SVHC) und eine darauffolgende Zulassungspflicht würden auf Dauer genau dies bewirken. Um einen anderen – weniger bürokratischen – Weg zu gehen und trotzdem die sichere Handhabung von Diisocyanaten zu verbessern, ist auf deutsche Initiative eine REACH-Beschränkung erlassen worden, die den Einsatz von Diisocyanaten nach erfolgreicher Teilnahme an entsprechenden Schulungen weiterhin ermöglicht.


 

Polyurethane und Diisocyanate in der Bauwirtschaft

Polyurethane werden in vielen Bereichen der Bauwirtschaft eingesetzt. Dabei versteht man unter Polyurethanen die ausgehärteten Reaktionsprodukte von Isocyanaten bzw. Diisocyanaten. Angewendet werden bei den meisten Tätigkeiten mit Polyurethanen die unausgehärteten Diisocyanate, die bei der Anwendung mit einem Polyol (zweikomponentige Produkte) oder mit Wasser (einkomponentige Produkte) reagieren.

Diisocyanate kommen in Klebstoffen, Schäumen, Lacken, Beschichtungsstoffen und Dichtstoffen vor. Ob Diisocyanate in den jeweiligen Produkten enthalten sind, kann anhand des GISCODE (Tabelle 1) oder des Sicherheitsdatenblatts überprüft werden.
 

Tabelle 1: GISCODE für isocyanathaltige Produkte
 
Polyurethane in Beschichtung, Lacken und Injektionsharzen
PU10 PU-Systeme, lösemittelfrei
PU20 PU-Systeme, lösemittelhaltig
PU30 PU-Systeme, lösemittelhaltig, gesundheitsschädlich
PU40 PU-Systeme, lösemittelfrei, gesundheitsschädlich, sensibilisierend
PU50 PU-Systeme, lösemittelhaltig, gesundheitsschädlich, sensibilisierend
PU60 PU-Systeme, Reaktionskomponente auf Aminbasis, gesundheitsschädlich, sensibilisierend

Polurethane in Montageschäumen

PU70 PU-Montageschäume
PU80 PU-Montageschäume, hochentzündlich

Polyurethane in Bodenbelagsklebstoffen

RU 0,5 Polyurethan-Klebstoffe/-Vorstriche, kennzeichnungsfrei, lösemittelfrei
RU 1 Polyurethan-Klebstoffe/-Vorstriche, lösemittelfrei
RU 2 Polyurethan-Klebstoffe/-Vorstriche, lösemittelhaltig

Polyurethane in Wasserlacken

W1/DD Wassersiegel mit isocyanathaltigem Härter, lösemittelfrei
W2/DD+ Wassersiegel mit isocyanathaltigem Härter, Lösemittelgehalt bis 5 %; N-Methylpyrrolidonfrei
W3/DD+ Wassersiegel mit isocyanathaltigem Härter, Lösemittelgehalt bis 15 %; N-Methylpyrrolidonfrei
W1/DD Wassersiegel mit isocyanathaltigem Härter, lösemittelfrei
W3/DD Wassersiegel mit isocyanathaltigem Härter, Lösemittelgehalt bis 15 %

Polyurethane in Ölen und Wachsen

Ö10/DD+ Öle/Wachse, lösemittelfrei mit isocyanathaltigem Härter
Ö 40/DD+ Öle/Wachse, lösemittelhaltig, entaromatisiert mit isocyanathaltigem Härter

 

Gefährdung

Diisocyanate sind häufig Auslöser von berufsbedingten Atemwegserkrankungen. Schon geringe Konzentrationen können zu einer Sensibilisierung führen. Eine hohe Gefährdung durch Einatmen („inhalative Gefährdung“) kann insbesondere bei Spritzanwendungen vorliegen. Durch Hautkontakt können lokale toxische und allergische Reaktionen auftreten. In der Gefährdungsbeurteilung muss aber auch berücksichtigt werden, dass wiederholter Hautkontakt eine stoffspezifische Atemwegssensibilisierung auslösen kann.
 

Berufskrankheiten

In der Europäischen Union erkranken jährlich schätzungsweise 5.000 Beschäftigte an berufsbedingtem Asthma durch Diisocyanate. Die Berufskrankheiten-Statistik (Abb. 1) zeigt die bestätigten Diisocyanat-Erkrankungen in Betrieben der BG BAU im Vergleich zu Betrieben aller Unfallversicherungsträger (UV-Träger) im Zeitraum von 2002 bis 2019. Dabei wird ersichtlich, dass diese Erkrankung nur sehr geringe Bedeutung in der Bauwirtschaft hat. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass bis zu 500.000 Beschäftigte regelmäßig, wenn auch zum Teil nur kurzfristig, Tätigkeiten mit Isocyanaten ausführen.

 

Ein Balkendiagramm zeigt die jährliche Anzahl an Atemwegserkrankungen, die in den Jahren 2002 bis 2019 bei Beschäftigten durch Isocyanate verursacht wurden. Im Vergleich zu Betrieben aller UV-Träger liegt die Fallzahl in Betrieben der BG BAU sehr niedrig.

 

REACH-Beschränkungsregelung

Die Beschränkung von Diisocyanaten (Verordnung 2020/1149 der EU-Kommission) im Rahmen der REACH-Verordnung (Anhang XVII) wurde am 4. August 2020 im Amtsblatt der Europäischen Union (L 252) veröffentlicht und ist bereits in Kraft getreten. Die geforderten Maßnahmen für Diisocyanate als Stoff oder als Bestandteil in anderen Stoffen oder Gemischen gelten für industrielle oder gewerbliche Anwendungen. Nur wenn die entsprechenden Anforderungen umgesetzt sind, dürfen diese Produkte noch in Verkehr gebracht und/oder weiterverwendet werden. Konkret bedeutet dies, dass Verwenderinnen und Verwender von Produkten, die Diisocyanate enthalten, diese Produkte nach dem 24. August 2023 nur dann beziehen können, wenn sie die erfolgreiche Teilnahme an Schulungsmaßnahmen belegen können.

Die Beschränkungsregelung gilt für die industrielle und gewerbliche Verwendung von Produkten, die Diisocyanate ab einer Konzentration von 0,1 Gewichts-Prozent (Gew.-%) enthalten. Ausgenommen sind Produkte mit einem geringeren Gew.-%-Anteil. Da einige Produkte wie Härter für Wasserlacke oder Öle und Wachse nur geringe Mengen Diisocyanate enthalten, ist zu erwarten, dass diese Gehalte noch weiter gesenkt werden, um nicht in den Geltungsbereich der Beschränkung zu fallen.

Wenn ein Produkt unter die Beschränkung fällt, kann dies dem Etikett entnommen werden. Dort muss die Herstellerfirma folgenden Hinweis aufdrucken: „Ab dem 24. August 2023 muss vor der industriellen oder gewerblichen Verwendung eine angemessene Schulung erfolgen.“
 

Umfang der Schulungen

Die Beschränkungsregel sieht drei Gefährdungsstufen und den Gefährdungen angepasste Schulungsinhalte vor. Die Schulungen sollen die von Diisocyanaten ausgehenden Gefahren verdeutlichen und die Anwenderinnen und Anwender dazu bewegen, die notwendigen Schutzmaßnahmen einzuhalten.

Eine geringe inhalative Gefährdung liegt vor, wenn sich keine Aerosole bilden, keine staubbildenden Pulver eingesetzt werden und keine Erwärmung stattfindet. Dazu gehören Tätigkeiten wie das Schäumen von Montageschäumen mit Aerosoldosen. Für diese Tätigkeiten reicht die Basisschulung.
 

Inhalte der Basisschulung


  • chemische Eigenschaften der Diisocyanate
  • Toxizität (einschließlich akuter Toxizität)
  • Exposition gegenüber Diisocyanaten
  • Arbeitsplatzgrenzwerte
  • Ursachen von Sensibilisierung
  • Geruch als Indikator für Gefahren
  • Risikorelevanz der Flüchtigkeit
  • Viskosität, Temperatur und Molekulargewicht von Diisocyanaten
  • persönliche Hygiene
  • erforderliche persönliche Schutzausrüstung einschließlich praktischer Anweisungen bezüglich deren sachgemäßen Verwendung und Grenzen
  • Risiko einer Exposition durch Hautkontakt und Einatmen
  • Risiko in Bezug auf den eingesetzten Anwendungsprozess
  • Maßnahmen zum Hautschutz und zum Schutz beim Einatmen
  • Belüftung
  • Reinigung, Leckage, Wartung
  • Entsorgung leerer Verpackungen
  • Schutz umstehender Personen
  • Erkennen der wesentlichen Handhabungsetappen; spezifische nationale Codesysteme (sofern vorhanden)
  • sicherheitsförderndes Verhalten

Zu einer mittleren inhalativen Gefährdung kommt es bei Tätigkeiten mit offenen Gemischen bei Raumtemperatur. Darunter fallen viele Tätigkeiten in der Bauwirtschaft wie das Streichen oder Spachteln von Beschichtungen oder Farben. Auch das Sprühen in Spritzkabinen fällt unter diese Gefährdung. Für diese Tätigkeiten müssen die Grundschulung und die Aufbauschulung absolviert werden.
 

Zusätzliche Inhalte der Aufbauschulung


  • weitere verhaltensbezogene Aspekte
  • Instandhaltung
  • Änderungsmanagement
  • Bewertung bestehender Sicherheitsanweisungen
  • Risiko in Bezug auf den eingesetzten Anwendungsprozess

Eine hohe inhalative Gefährdung liegt bei Tätigkeiten mit hohen Diisocyanatkonzentrationen in der Luft am Arbeitsplatz vor. Dabei kann es sich z. B. um Produkte mit hohen Gehalten flüchtiger Diisocyanate wie TDI und HDI handeln. Zu diesen Gefährdungen zählen auch alle Tätigkeiten, bei denen die Produkte über 45 °C erwärmt werden. Für diese Tätigkeiten muss neben der Basisschulung und der Aufbauschulung auch die Fortgeschrittenenschulung absolviert werden.
 

Zusätzliche Inhalte der Fortgeschrittenenschulung


  • jede weitere für die spezifische Verwendung erforderliche Zertifizierung
  • Sprühen außerhalb einer Spritzkabine
  • offene Handhabung heißer oder warmer Formulierungen (> 45 °C)

Der Weg zu den Schulungen

Die Lieferfirmen müssen das Schulungsmaterial den zu schulenden Beschäftigten zugänglich machen bzw. zur Verfügung stellen. Die Schulungen werden unter anderem als E-Learning stattfinden. Geplant ist, dass mithilfe eines Fragenkatalogs die Anwendung und entsprechende Gefährdung zugeordnet werden. Die erfolgreiche Teilnahme an der Schulung wird durch ein entsprechendes Zertifikat dokumentiert. Die Schulungen sind mindestens alle fünf Jahre zu wiederholen. Für die Bereitstellung der Schulungsmaterialien arbeiten bereits Herstellerverbände mit anderen Branchenverbänden wie der Deutschen Bauchemie e. V. an einer Online-Plattform, die noch 2021 zur Verfügung stehen soll.

Inzwischen haben schon mehrere Anwenderverbände ihr Interesse bekundet, diese Schulungen als Bestandteil der Ausbildung durchzuführen. Dazu muss noch geregelt werden, unter welchen Bedingungen Schulungsträger die erfolgreiche Teilnahme an der Schulungsmaßnahme bescheinigen können.
 

Fazit

Diisocyanate werden in vielen Bereichen der Industrie verwendet. Da diese Stoffe Atemwegssensibilisierungen auslösen können, sind sie im Rahmen von REACH mit einer Beschränkung belegt worden. Daher können die Stoffe ab August 2023 nur noch von erfolgreich geschulten Beschäftigten verwendet werden.
 

Autor

Dr. Klaus Kersting

Referat GISBAU
BG BAU Prävention


Ausgabe

BauPortal 3|2021