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Gefahrstoffe

39. Münchner Gefahrstoff- und Sicherheitstage 2023

Die beiden Moderatorinnen der Münchner Gefahrstoff- und Sicherheitstage auf der Bühne.
Die Moderatorinnen Prof. Dr. Anke Kahl (li.) und Dr. Birgit Stöffler
Bild: SV-Veranstaltungen


Vom 29. November bis 1. Dezember 2023 fanden die 39. Münchner Gefahrstoff- und Sicherheitstage als Hybridveranstaltung mit fast 130 Teilnehmenden im Hochhaus des Süddeutschen Verlags in München statt. Neben aktuellen Themen aus dem Gefahrstoffrecht waren diesmal die Themen Gefährdungsbeurteilung sowie Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an Anlagen in der Chemie- und Lebensmittelbranche wesentliche Schwerpunkte der Veranstaltung. Die Hoffnung, über die neue Gefahrstoffverordnung berichten zu können, hatte sich leider erneut zerschlagen.

Eröffnet und moderiert wurde die Veranstaltung wieder von Prof. Dr. Anke Kahl von der Bergischen Universität Wuppertal und Dr. Birgit Stöffler von Merck bzw. der TU Darmstadt. 
 

Das neue Gefahrstoffrecht

Als erster Referent berichtete Dr. Philipp Bayer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) über „Die novellierte Gefahrstoffverordnung und Änderungen im europäischen Rechtsrahmen“. Seine Themen waren die Änderung der Gefahrstoffverordnung und die Anpassungen in relevanten europäischen Gefahrstoffrichtlinien. 
 

Dr. Philipp Bayer bei seinem Vortrag
Dr. Philipp Bayer vom BMAS thematisierte im Eröffnungsvortrag die novellierte Gefahrstoffverordnung.
Bild: SV-Veranstaltungen


Die novellierte Gefahrstoffverordnung

Die Gefahrstoffverordnung soll zukünftig Informations- und Mitwirkungspflichten des Veranlassers (Bauherr/Auftraggeber) enthalten. Dieser wird damit verpflichtet, beim Auftrag auf mögliche Gefährdungen bei den beauftragten Maßnahmen hinzuweisen. Zudem werden – aufgrund der notwendigen Rechtssicherheit – Forderungen zu krebserzeugenden Stoffen wie das Risikokonzept sowie Regelungen zu Asbest aus dem Anhang der Gefahrstoffverordnung und den entsprechenden technischen Regeln in den Paragrafenteil der Gefahrstoffverordnung übernommen. 
 

Mitwirkungs- und Informationspflichten des Bauherrn

Vor Beginn von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen muss der Veranlasser das ausführende Unternehmen da­rüber informieren, ob entsprechend der Bau- und Nutzungsgeschichte des Objektes Gefahrstoffe vorhanden oder zu vermuten sind. So gilt bei Gebäuden, deren Baubeginn vor dem 31. Oktober 1993 liegt (Datum des Herstellungs- und Verwendungsverbotes für asbesthaltige Erzeugnisse in Deutschland) die Asbestvermutung. Diese Vermutung kann durch eine historische oder technische Erkundung widerlegt werden. 

Die „Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an älteren Gebäuden“ gibt bereits heute Hinweise, wie eine entsprechende schrittweise Erkundung durchgeführt werden kann.
 

Risikoabhängige Anforderungen bezüglich Zulassung und Anzeige bei Asbestarbeiten

Die Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Asbest sollen sich künftig nicht mehr an der Bindungsform des asbesthaltigen Materials orientieren. Stattdessen sollen risikobezogene Anforderungen an die Schutzmaßnahmen, Zulassung, Anzeige und Qualifikation eingeführt werden. Tätigkeiten mit Asbest sollen künftig auch im Rahmen einer „funktionalen Instandhaltung“ während der laufenden Nutzung eines Gebäudes durchgeführt werden können. Damit sollen insbesondere handwerkliche Tätigkeiten im Baubestand ermöglicht werden. Als wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit der funktionalen Instandhaltung gilt, dass die Tätigkeiten nicht mit einem hohen Risiko der Beschäftigten (Überschreitung der Toleranzkonzentration) verbunden sind. Dabei ist auch eine Instandsetzung oder Kaschierung des asbesthaltigen Materials unzulässig. 
 

Bedeutung von Normen bei der Rechtsprechung

Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich von der Universität München referierte über die Bedeutung von Normen bei der Rechtsprechung. Anhand zahlreicher Beispiele traf er folgende Aus-
sagen: 

  • Normen sind „gute Anhaltspunkte“ für das Erreichen der Regeln der Technik und des Standes der Technik.
  • Normen beeinflussen das Sicherheitsniveau. Da sie nicht abschließend sind, gilt aber keine Vollständigkeitsvermutung und auch keine Richtigkeitsvermutung (Vermutung der 
  • Gesetzeserfüllung, soweit sie eingehalten sind). 
  • Normen enthalten insbesondere nicht alle Warn- und Sicherheitshinweise. 
  • Normen müssen berücksichtigt werden (Sorgfältigkeit), sind aber nicht zwingend.
     

Szenarien zur Wirksamkeit von Normen

Juristisch sind Normen im Haftungsrecht Tatsachen und „Argumentationsmaterial“ – ihre Wirkung hängt von ihrer Güte ab. Daraus ergeben sich auch folgende Szenarien: Eine Normeinhaltung ergibt eine (starke) Vermutung der Rechtskonformität. In Ausnahmefällen kann die Normeinhaltung trotzdem einen Rechtsverstoß bedeuten, wenn die Norm unrichtig ist oder relevante Sicherheitsaspekte nicht berücksichtigt. Normverstöße können aber auch ausnahmsweise mit anderen (guten) Argumenten Rechtskonformität bedeuten. 

Bedeutend sind auch Normänderungen. Eine „Besitzstandwahrung“ und eine sich daraus ergebende Nicht-Nichtumsetzung einer Norm gibt es nicht. Allerdings kann eine Anpassungsfrist (nicht länger als ein Jahr) bei Normverschärfungen angenommen werden.
 

Biomonitoring 

Dr. Gabriele Leng, Abteilungsleitung bei der Currenta GmbH Co.OHG, berichtete über die Möglichkeiten, die das Biomonitoring bietet. Mit dieser Methode kann im Gegensatz zur Luftmessung auch die Aufnahme über die Haut erfasst werden. Sie berichtete über einen Fall, bei dem Personal aus dem Büro starke Belastungen zeigte, obwohl es keinen direkten Umgang mit den Gefahrstoffen hatte. Als Quelle der Belastung konnten Handläufe und Toiletten ermittelt werden, die von beiden Personenkreisen genutzt werden. Die Tatsache, dass es nur eine geringe Anzahl von biologischen Grenzwerten gibt, schränkt den Einsatz des Verfahrens bedingt ein. Allerdings sollte bei Personen, die nicht exponiert sind, auch keine Belastung zu sehen sein. Zum anderen können Toxikologen zumindest interne Grenzwerte ableiten.

Plant ein Betrieb Biomonitoring, ist vorher eine umfassende Aufklärung des Personals erforderlich, da die Ergebnisse ausschließlich der beschäftigten Person und und dem arbeitsmedizinischen Personal zugänglich sind. Die Daten können nur in anonymisierter Form und in Gruppenauswertungen oder nach Zustimmung der exponierten Person zur Verfügung gestellt werden.
 

Dr. Gabriele Leng bei ihrem Vortrag
Über die Möglichkeiten des Biomonitorings sprach Dr. Gabriele Leng.
Bild: SV-Veranstaltungen

 

Arbeitsschutz bei der Instandhaltung

Roman Mirsky, Expert Machinery der BAYER AG, stellte ein Konzept zur Erneuerung von Schutzausrüstungen an Maschinen vor. Dabei wurden die Maschinen in Kategorien eingeteilt und die Kategorien nacheinander mit unterschiedlich aufwendigen Maßnahmen umgerüstet. Diskutiert wurde u. a., ob der vorgeschlagene Zeitrahmen und der zum Teil geringere Umfang der Nachrüstungen vertretbar ist. Anzunehmen ist, dass im Falle eines Unfalls, bei dem eine nicht umfassende Nachrüstung der Grund sein könnte, die Entscheidung zu dieser Maßnahme gut begründet werden muss und trotzdem zu einer Verurteilung führen kann. 

Marcus Steiner, Leiter Sicherheit, Umwelt und Gesundheit der Paulaner Brauerei Gruppe GmbH & Co. KGaA, berichtete, dass deutschlandweit fast 30 % der jährlich ca. 500 tödlichen Arbeitsunfälle bei Instandhaltungsarbeiten passieren. Die Unfallquote für Beschäftigte in der Instandhaltung ist rund 10- bis 20-mal so hoch wie für das Fertigungspersonal. Dabei werden die Arbeiten bei laufendem Betrieb, bei ausgeschalteten Maschinen oder bei abgeschalteten Bereichen durchgeführt. Gefahren bestehen u. a. durch laufende Maschinen, durch Strom, durch heiße oder kalte Materialien, durch unter Druck stehende Elemente und durch Chemikalien. Ziel muss es daher sein, dass vor den Arbeiten alle Gefahren beseitigt und den Personen die Abläufe deutlich sind.
 

Neuer Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 

Im Anschluss stellte Prof. Dr. Anke Kahl als Vorsitzende des ASGA (Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit) den neuen Ausschuss und seine Arbeitsweise vor. Der ASGA wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im August 2021 berufen und berät es zu allen Fragen des Arbeitsschutzgesetzes. Experten aus allen Bereichen des Arbeitsschutzes arbeiten im „Steuerungskreis“ und „Koordinierungskreis“ an der Schaffung eines untergesetzlichen Regelwerks zusammen. 
 

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Ausblick auf 2024

Am dritten Veranstaltungstag standen die Themen Sicherheitskultur und Nachhaltigkeit im Fokus. Insgesamt bot die Veranstaltung aufschlussreiche Einblicke in aktuelle Entwicklungen der Gefahrstoffverordnung, innovative Ansätze im Arbeitsschutz und förderte den Austausch über Sicherheitskultur. Die nächsten Münchner Gefahrstoff- und Sicherheitstage werden vom 27. bis 28. November 2024 stattfinden.

 

Autor

Dr. Klaus Kersting

Referat GISBAU
BG BAU Prävention


Ausgabe

BauPortal 1|2024