Straßenbau
Überfahrplatten: eine unterschätzte Gefahrenquelle
Im Tiefbau werden Stahlplatten zur Überbrückung von Gräben, als stirnseitiger Verbau in Rohrleitungsgräben oder als Schutzplatten für Pflaster- oder Hofflächen eingesetzt. Beim Transport dieser Stahlplatten kommt es immer wieder zu Unfällen, die mit teilweise schweren Verletzungen einhergehen.
Zur Umsetzung des Breitbandausbaus in Deutschland werden in vielen Kommunen neue Breitbandkabel verlegt, zusätzlich zur kontinuierlichen Erneuerung von Versorgungs- und Entsorgungsleitungen. Die Kabel und Leitungen werden meist im öffentlichen Straßenraum verlegt, dadurch kommt es vermehrt zu Behinderungen im Straßenverkehr. Dort, wo die Leitungen in konventioneller Bauweise verlegt werden, also in einer Tiefe von 0,60 m bis 1,30 m, lassen es Arbeitsaufwand und Arbeitsabläufe oft nicht zu, dass diese Gräben noch am selben Tag wieder verfüllt werden. Um Verkehrsteilnehmende durch die offenen Gräben nicht zu sehr einzuschränken, werden die Öffnungen provisorisch mit Überfahrplatten überbrückt.
Im Tiefbau kommen Überfahrplatten – zumeist aus Stahl – nicht nur als Grabenbrücken, sondern auch als Verbauplatten zum stirnseitigen Grabenverbau und als Schutzplatten für Pflaster- und Hofflächen zum Einsatz. Die Schwere der vorkommenden Unfälle reicht von Bagatellunfällen über schwerste Unfälle bis hin zu tödlichen Verletzungen. Überwiegend ist das unsachgemäße Anschlagen Auslöser schwerer Unfälle. Zusätzlich passieren viele Unfälle beim An- und Abschlagen der Stahlplatten. Da Überfahrplatten am Einbauort meistens flächig auf dem Asphalt oder Pflasterbelag aufliegen, muss die Überfahrplatte angehoben werden, um das Anschlagmittel zu befestigen. Dies passiert in der Praxis mittels Brechstange oder Nageleisen. Dabei kann es zum Ver- oder Abrutschen der Überfahrplatte kommen, sodass sich die damit beschäftigten Personen z. B. an Fuß, Hand oder Schienbein verletzen.
Keine Vorgaben
Für die Ausbildung der Stahlplatten, z. B. mit Anschlagpunkten, gibt es keine Normen oder Bauvorschriften. Der Umgang mit Lastaufnahmemitteln an Stahlplatten wird in der DGUV Information 209-013 „Anschläger“ beschrieben. Stahlplatten fallen nicht unter den Begriff „Arbeitsmittel“ gemäß Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV). Sie sind keine Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen. Stahlplatten, die als Überfahrplatten oder für Verbaumaßnahmen genutzt werden, sind für den Zeitraum des Umgangs (Handlings) daher als „Lasten“ anzusehen.
Die BetrSichV kommt jedoch zum Tragen, sobald die Stahlplatte (Last) mit einem Lastaufnahmemittel verbunden (angeschlagen) wird. Punkt 2. im Anhang 1 der BetrSichV enthält „Besondere Vorschriften für die Verwendung von Arbeitsmitteln zum Heben von Lasten“. In der DGUV Regel 100-500 „Betreiben von Arbeitsmitteln“ sind im Kapitel 2.8 Hinweise und Empfehlungen zu Anschlagmitteln und Lastaufnahmemitteln enthalten, die beim Transport der Stahlplatten berücksichtigt werden sollten.
In den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen an Straßen“ (ZTV-SA 97) finden sich unter 5.10.7 „Fahrzeug-Behelfsbrücken“ einige Angaben, die aber nicht auf das Versetzen dieser Fahrzeug-Behelfsbrücken eingehen.
Aufgrund der fehlenden Vorgaben und fehlender Produkte auf dem Markt beziehen viele Unternehmen die Überfahrplatten direkt vom Stahlhandel und brennen anschließend selbstständig Aufnahmelöcher zum Anschlagen in die Stahlplatten. Die Position und die Dimension der Löcher legt jedes Unternehmen für sich selbst fest. In den seltensten Fällen werden diese Löcher schon bei der Bestellung der Stahlplatten berücksichtigt. Es gibt Handelsfirmen auf dem Markt, die die Stahlplatten mit Aufnahmelöchern anbieten, Größe und Lage dieser Löcher müssen aber die Kaufinteressierten angeben. Einen rechnerischen Nachweis der Dimensionierung und Positionierung gibt es, wenn überhaupt, nur in wenigen Unternehmen. In vielen Unternehmen werden die Aufnahmelöcher nach Erfahrungswerten der Werkstattmeisterin oder des Werkstattmeisters oder der Beschäftigten eingebrannt. Deshalb sind die Aufnahmelöcher der Stahlplatten, die man auf Baustellen des Tiefbaus antrifft, in Dimension, Form und Position sehr unterschiedlich.
Die Unternehmensleitung trägt die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit und hat im Rahmen ihrer Gefährdungsbeurteilung auch das Arbeitssystem „Transport von Stahlplatten auf der Baustelle“ zu bewerten. Zur Unterstützung bei der Gefährdungsbeurteilung sind in diesem Artikel verschiedene Anschlagmittel für Stahlplatten bzw. Alternativen zur Stahlpatte aufgeführt. Die Auflistung ist nicht abschließend und es ist möglich, dass es weitere Systeme auf dem Markt gibt. Bei der Bewertung des gewählten Anschlagmittels ist zu beachten, dass mit kraftschlüssig wirkenden Anschlagmitteln nicht über Personen geschwenkt werden darf (BetrSichV). Solche Systeme dürfen nur im bodennahen Bereich eingesetzt werden. Mit formschlüssig wirkenden Anschlagmitteln können Lasten ggf. auch über Personen geschwenkt werden. Das sollte aber grundsätzlich vermieden werden.
Varianten
Statischer Nachweis
Es ist möglich, die Stahlplatten mittels Anschlagkette an den Aufnahmelöchern zu transportieren. Allerdings muss das Unternehmen die Tragfähigkeit im Zweifelsfall nachweisen. Dies kann es mit einem statischen Nachweis für die Dimension und Position der Aufnahmelöcher leisten (es gibt keine Regelausführung oder Norm für die bauliche Ausbildung von Überfahrplatten/Stahlplatten). Diese Variante hat gegenüber den bisher verwendeten Stahlplatten den Vorteil, dass die Löcher nicht mehr nach Können und Erfahrung der Werkstattmeisterin oder des Werkstattmeisters hergestellt werden. Der statische Nachweis bietet die Sicherheit, dass die Löcher so nah wie möglich am Rand der Platte positioniert werden, aber nicht ausreißen können. Anhand des statischen Nachweises kann das Unternehmen die Stahlplatten direkt mit Aufnahmelöchern beim Handel bestellen.
Hebeklemme
Für den horizontalen Transport von Stahlplatten gibt es auf dem Markt Hebeklemmen. Der Einsatz dieser Lastaufnahmemittel kann paarweise oder mit mehreren Klemmen gleichzeitig erfolgen. Beim paarweisen Einsatz sind sie mittig und gegenüberliegend an der Stahlplatte anzubringen. Ist der Einsatz von mehr als zwei Hebeklemmen erforderlich, so ist darauf zu achten, dass alle gleichmäßig belastet werden. In diesem Fall empfehlen die Herstellerfirmen eine Lasttraverse mit selbstausgleichenden Lasthaken.
Für den Transport horizontal hängender Stahlplatten werden verriegelbare Klemmen empfohlen. Alle Hebeklemmen arbeiten kraftschlüssig. Um Hebeklemmen an- und abzuschlagen, muss die Platte angehoben werden, damit die Klemme unter die Stahlplatte greift, was eine erhebliche Verletzungsgefahr mit sich bringt.
Anschlagpunkte
Bei der Verwendung anschweißbarer Anschlagpunkte kann die Überfahrplatte mit einer Anschlagkette (mit Hakensicherung) formschlüssig angeschlagen und transportiert werden. Um die Stahlplatte an- oder abzuschlagen, muss sie nicht angehoben werden. Jedoch werden die Anschlagpunkte beim Überfahren der Platte stark beansprucht und sind vor jeder Verwendung einer Kontrolle zu unterziehen – zusätzlich zu den regelmäßigen Prüfungen durch eine zur Prüfung befähigte Person. Zudem stellen die Anschlagpunkte eine Stolpergefahr dar und den Nachweis über die Tragfähigkeit dieser Variante hat das Unternehmen zu erbringen, das sie in Verkehr bringt.
Permanent-Lasthebemagnete
Nicht nur im Stahlhandel werden zum Heben von Lasten Permanent-Lasthebemagnete eingesetzt, sondern auch auf Baustellen.
Lasthebemagnete ohne externe Stromversorgung können von einer Person auf der Stahlplatte positioniert, aktiviert und angeschlagen werden. Von den meisten Herstellerfirmen wird auch eine Sicherheitsarretierung des Steuerhebels verbaut.
Bei der Verwendung eines Lasthebemagnets kann auf Löcher in der Stahlplatte verzichtet werden. Dadurch werden Stolperstellen vermieden. Außerdem muss man die Stahlpatte nicht anheben, um das Lastaufnahmemittel anzuschlagen. Die Stahlplatte darf mit einem Lasthebemagnet nur im bodennahen Bereich transportiert werden, da das Anschlagen mittels Lasthebemagnets nur eine kraftschlüssige Verbindung ist. Die begrenzte Tragfähigkeit eines einzelnen Magnets und die Tatsache, dass die Stahlplatte sauber und plan sein muss, müssen jedoch beachtet werden.
Hebetaschen
Eine weitere Variante auf dem Markt sind Hebetaschen. Bei diesem Lastaufnahmemittel werden die Stahlplatten mit diagonal an den Ecken angebrachten Hebetaschen transportiert. Die Stahlplatte muss an den Ecken angehoben werden, damit die Hebetasche über die Stahlplattenecke aufgeschoben werden kann. Diese kraftschlüssige Variante hat keine zusätzliche Sicherheitsarretierung, die das Ab- oder Herausrutschen der Hebetaschen verhindert.
Plattenankerkette
Die Plattenankerkette ist eine weitere Möglichkeit, Stahlplatten zu transportieren. Bei dieser Ankerkette muss in der Mitte der Stahlplatte ein rechteckiges, 30 mm × 60 mm großes Loch erstellt werden, in das der Anker eingeführt und durch einen automatischen Kippmechanismus verankert wird. Solche Anker haben eine Tragfähigkeit von bis zu 2,5 t, was bei der Dimensionierung der Platte beachtet werden muss. Zum Anschlagen muss die Stahlplatte so gelagert werden, dass der Anker weit genug eingeführt werden kann, damit der Kippmechanismus funktioniert. Es besteht nur eine geringe Stolpergefahr, da es nur ein Loch in der Plattenmitte gibt. Der Mechanismus funktioniert nur beim Anschlagen, beim Abschlagen muss der Anker händisch zurückgedreht werden, z. B. mit dem Meterstab.
Schraubbare Anschlagwinkel
Eine andere Variante, Stahlplatten zu transportieren, sind schraubbare Anschlagwinkel. Hierfür werden Löcher in die Stahlplatte gebohrt und diese anschließend mit einem Gewinde (z. B. M14) versehen. In diese Gewindelöcher wird der Anschlagwirbel bei Bedarf eingedreht und mittels Schraubenschlüssel angezogen. Der Anschlagwirbel ist kugelgelagert und unter Last 360° drehbar. Ein Anschlagwirbel kann (nach Herstellerangaben) mit einem M14-Gewinde bis zu 2,0 t Last aufnehmen.
Nach dem Transport der Stahlplatte werden die Anschlagwirbel mittels Schraubenschlüssel wieder gelöst und für Beschäftigte oder vorübergehende Personen besteht keine Stolpergefahr durch den Anschlagpunkt. Jedoch muss darauf geachtet werden, dass der Wirbel komplett eingedreht wird und das Gewinde in der Stahlplatte etwas versenkt und mit einem Gewindeschutzstopfen geschlossen wird, damit es im rauen Baustellenbetrieb nicht beschädigt wird.
„Lock-N-Lift“
Ein System, das in den USA und im Vereinigen Königreich zum Einsatz kommt, ist der „Lock-N-Lift“. Für den Einsatz des „Lock-N-Lift“ wird vorab eine Adapterplatte in die Stahlpatte eingeschweißt, in die dann der Lifter von oben eingefädelt wird. Danach kann die Stahlpatte mithilfe einer Kette oder eines Schekels angeschlagen und transportiert werden. Dieses formschlüssige System erlaubt den Transport der Platten auch außerhalb des bodennahen Bereichs.
Kunststoff-Überfahrplatten
Als Alternative zur Überfahrplatte aus Stahl können Kunststoff-Überfahrplatten eingesetzt werden. Das modulare System kann von zwei Personen von Hand verlegt werden, wobei das schwerste Element 65 kg wiegt. Als schwere Lasten gelten Lastgewichte ab 10 kg (für Frauen) bzw. 25 kg (für Männer), die bei ständiger Handhabung in ungünstigen Körperhaltungen über einen längeren Zeitraum zu gesundheitlichen Schäden führen können. Mit Kunststoff-Überfahrplatten können Gräben von bis zu 1,20 m Breite überbrückt werden. Die Kunststoff-Überfahrplatten gibt es in verschiedenen Ausführungen, je nach Verwendungszweck oder Belastung. Sie sind durch die gelbe Signalfarbe visuell wahrnehmbar, und ihre Oberfläche ist rutschsicherer als diejenige von Stahlplatten.
Fazit
Der deutsche und internationale Markt bietet bereits vielfältige Möglichkeiten zum sicheren Transport und zur Montage von Überfahrplatten. Spätestens die Beurteilung der Gefährdungen durch das An- und Abschlagen bzw. den Transport von Überfahrplatten innerhalb der Gefährdungsbeurteilung müsste eigentlich dazu führen, dass die Verwendung nicht nachgewiesener Anschlagpunkte an Überfahrplatten der Vergangenheit angehört. Aus Sicht des Arbeitsschutzes sind formschlüssige und handgeführte Systeme zu bevorzugen.
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BauPortal 1|2022
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