Sicherheitsmanagement in der Bauwirtschaft in den USA
In ihrem neuesten Smart Market Report aus dem Jahr 2021 stellen die Autorinnen und Autoren von Dodge Data & Analytics[1] aktuelle projektspezifische und organisatorische Arbeitsschutzpraktiken der nordamerikanischen Bauwirtschaft vor. Demnach sind es auch in den USA die großen Unternehmen, die das Thema Organisation des Arbeitsschutzes auf Basis standardisierter Prozesse vorantreiben.
Insgesamt gibt es in den USA geschätzt 800.000 Bauunternehmen, von denen ca. 160.000 offiziell registriert sind und von denen, nach eigenen Angaben, ca. 58 % den Bau, den Umbau und die Modernisierung betreiben. Bei ca. 99 % der Unternehmen handelt es sich um Kleinst- und Kleinunternehmen sowie kleinere mittelständische Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten. Traditionell hoch ist die Zahl der Solo-Selbstständigen mit geschätzten 1,5 bis 2 Millionen. Die Zahl der mittleren Unternehmen (100 – 500 Beschäftigte) wird in Studien mit ca. 8.500 und die Zahl der Großunternehmen (mehr als 500 Beschäftigte) mit ca. 800 angegeben. Viele der Großunternehmen bieten integrierte Wertschöpfungsketten mit Produktion, Handel, Transport und Bauplanung sowie Bauausführung.
Vertragsformen
Im angloamerikanischen Raum, den USA, dem Vereinigten Königreich oder Australien, sind andere Vertragsformen als in Deutschland bereits gängige Praxis, wie etwa der GMP-Vertrag (garantierter Maximalbetrag), IFOA (integrierter Mehrparteienvertrag), der CM-Vertrag (vertragliches Management) oder der Allianzvertrag (gemeinsame Projektgesellschaft). In Deutschland gilt unverändert das private Baurecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), das Werkverträge zwischen Besteller- und Herstellerfirmen vorsieht und dabei auf die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) setzt. Trotz einiger Unterschiede sind die Herausforderungen im Arbeitsschutz recht ähnlich, da relevante Gefährdungsfaktoren und gesundheitliche Konsequenzen aus der Arbeit auf der ganzen Welt gleich sind.
Praktizierte Arbeitsschutzmaßnahmen
Der eingangs erwähnte Smart Market Report zeigt deutlich, dass starkes Arbeitsschutz-Management in den USA als gute Geschäftsinvestition gesehen wird. So gibt die Mehrheit (78 %) der Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer an, dass sie damit bessere Versicherungsbedingungen aushandeln können (Anmerkung: dort gibt es keine gesetzliche Unfallversicherung), ihre Chancen auf neue Aufträge (66 %) und Geschäftspartner (66 %) verbessern und die Mitarbeiterbindung (61 %) erhöhen. Eine nicht unerhebliche Zahl an Unternehmen verfolgt einen ganzheitlicheren Ansatz in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit, indem sie Gesundheits- und Wellnessprogramme wie Alkohol- und Drogenmissbrauchspräventionsprogramme, psychiatrische Dienste und Stressbewältigung für Beschäftigte anbietet.
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Offene-Tür-Prinzip:
Beschäftigte können arbeitsschutzrelevante Vorfälle melden82 % Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen im Arbeitsschutz 75 % Baustellenspezifischer Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan 75 % Einsatz von Arbeitsschutzexpertinnen und -experten auf der Baustelle 70 % Baustellenspezifisches Arbeitsschutztraining 68 % Durchführung ständiger Arbeitsschutz-analysen während der Bauzeit 68 %
Übersicht zu den von Bauunternehmen praktizierten Arbeitsschutzmaßnahmen
laut Smart Market Report von Dodge Data & Analytics 2021
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Arbeitsschutztraining als wichtige Maßnahme
Arbeitsschutztraining als wichtiger Teil eines Arbeitsschutz-Managements wird von der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen als Pflicht angesehen und folglich auch angeboten. Besonders wichtig sind ihnen Schulungen bzw. Trainings zur persönlichen Schutzausrüstung, sie werden von 91 % der Bauunternehmen angeboten, gefolgt von Schulungen zur Absturzsicherung mit 88 %. Allerdings variiert die Häufigkeit der Trainingsangebote stark, da es in der US-Bauwirtschaft hierzu kaum Regelungen gibt und es so auf die speziellen Anforderungen des Bauvorhabens ankommt.
Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie ist, dass zwar Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmenden konsequent Arbeitsschutztrainings für ihre Beschäftigten anbieten, doch die kleineren Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten deutlich weniger Gebrauch von dieser Maßnahme machen. Angesichts der großen Zahl kleiner Unternehmen in der US-Bauindustrie kommt die Studie zu dem Schluss, dass dies eine kritische Lücke ist, die von der gesamten Branche geschlossen werden muss, um den Herausforderungen des Fachkräftemangels und einer alternden Belegschaft zu begegnen. Fast zwei Drittel der US-amerikanischen Bauunternehmen nutzen Online-Schulungen. Darüber hinaus erwarten 41 % der aktuellen Nutzerinnen und Nutzer, dass sie diese häufiger nutzen, und 24 % der Nicht-Nutzenden, dass das Thema zukünftig wichtig für das Arbeitsschutztraining der Bauwirtschaft werden wird.
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Aktuell angeboten Als am nötigsten ausgewählt Persönliche Schutzausrüstung 91 % 53 % Absturzsicherung 88 % 66 % Sicheres Arbeiten mit Leitern 79 % 31 % Sicherheit von Elektrowerkzeugen 75 % 23 % Lärmschutz 73 % 11 %
Arbeitsschutztraining, das von Bauunternehmen am häufigsten angeboten wird, laut
Smart Market Report von Dodge Data & Analytics 2021
Einsatz neuer Technologien
Neue Technologien auf der Baustelle können helfen, das Arbeitsschutzniveau zu heben, indem sie Daten und Erkenntnisse über die Bedingungen vor Ort und die Aktivitäten der Beschäftigten zur Verfügung stellen. So können Beschäftigte in Gefahrensituationen gewarnt und spezielle Trainings aus Auswertungen von Beinah-Unfällen abgeleitet werden. Die Studie bezeichnet die folgenden Technologien als in den USA etabliert bzw. ausgereift und benennt deren prozentualen Einsatz bei Bauunternehmen:
- BIM – Building Information Modelling (ca. 50 %)
- Drohnen (ca. 38 %)
- Laser Scanning (ca. 32 %)
- Ferngesteuerte Maschinen (ca. 24 %)
- Tragbare Sensoren (ca. 11 %)
- Virtual-Reality-Training (ca. 10 %)
- Prädiktive Analysen (ca. 10 %)
Als wichtige Innovation zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in der Bauwirtschaft wird der Einsatz intelligenter Kamerasysteme in Kombination mit prädiktiven Analysen benannt. Bei prädiktiven Analysen werden aktuelle und historische Daten untersucht, um Prognosen für die Zukunft erstellen zu können. Dabei werden Analysetechniken wie maschinelles Lernen, statistische Modelle und Data Mining verwendet, mit denen Organisationen Trends, Verhaltensweisen, künftige Entwicklungen sowie Risiken bzw. Chancen ermitteln können. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass trendige Technologien, wie tragbare Sensoren, prädiktive Analysen und visuelle Überwachung mit künstlicher Intelligenz bislang nur von wenigen Unternehmen der Bauwirtschaft eingesetzt werden, was sich aber in naher Zukunft sicher ändern wird.
Fußnoten
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- Dodge Data & Analytics ist Anbieter kommerzieller Bauprojektdaten, Marktprognosen und Analysedienste sowie von Workflow-Integrationslösungen für die Bauindustrie. Um mehr zu erfahren, besuchen Sie www.construction.com, www.thebluebook.com und https://www.ihk-koblenz.de/blueprint/servlet/resource/blob/4114050/aea09edd6ebb4ecef101768bb861f2d5/branche-kompakt-bauwirtschaft-usa-data.pdf.
Autor
Ausgabe
BauPortal 1|2022
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