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Baumaschinentechnik

Auswirkungen der EU-Maschinenverordnung 2023/1230 auf Konstruktion und Normung mobiler Baumaschinen

Am 29. Juni 2023 wurde die neue EU-Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 im EU-Amtsblatt veröffentlicht, die ab dem 20. Januar 2027 für alle neu in Verkehr gebrachten Maschinen angewendet werden muss. Sie löst an diesem Stichtag die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ohne Übergangsphase ab.
 

Eine Vorführung auf dem BG BAU-Messestand der Bauma 2022.
Rückhaltesysteme nach neuer MVO wurden u. a. auf dem Stand der BG BAU bei der Messe bauma 2022 vorgestellt.
Bild: Laurin Schmid - Bundesfoto - BG BAU


Die neue EU-Maschinenverordnung (MVO) wird künftig die verbindliche Rechtsgrundlage darstellen, in der die sicherheitstechnischen Vorgaben für Maschinen beschrieben werden, die in der Europäischen Union (EU) in Verkehr gebracht werden sollen. Maschinen, die die hier formulierten Anforderungen an Konstruktion, Bau und Inbetriebnahme erfüllen, dürfen in allen EU-Mitgliedsstaaten vertrieben werden. Mit der Maschinenverordnung hat die EU ihr Regelwerk an den aktuellen Stand der Technik angepasst. Dafür wurden die Inhalte im Vergleich zur noch gültigen Maschinenrichtlinie fortgeführt und nur in einigen Punkten erweitert.
 

Allgemeines zur EU-Maschinenverordnung

EU-Verordnungen sind – im Unterschied zu Richtlinien – unmittelbar in allen EU-Mitgliedsstaaten gültig und rechtlich verbindlich. Eine Umsetzung in nationales Recht (bei der Maschinenrichtlinie ist dies die 9. Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz) ist nicht mehr erforderlich. Hersteller, die bereits alle Anforderungen der EU-Maschinenverordnung einhalten, können schon jetzt EU-Konformitätserklärungen ausstellen, die sich auf beide Rechtsgrundlagen beziehen.

Inhalte des Anhangs I der MVO

Der Anhang IV der Maschinenrichtlinie mit besonders gefährlichen Maschinen ist in den Anhang I der Maschinenverordnung überführt worden. Die für Erdbaumaschinen in erster Linie relevanten „Überrollschutzaufbauten (Roll Over Protective Structure – ROPS)“ und „Schutzaufbauten gegen herabfallende Gegenstände (Falling Object Protective Structure – FOPS)“ finden sich in Anhang I, Teil B, wieder – das Prüf- und Nachweisverfahren bleibt somit unverändert. Zu beachten ist allerdings, dass Produkte, die Sicherheitsfunktionen gewährleisten und maschinelles Lernen beinhalten, wie z. B. Sicherheitsbauteile, die mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zwischen Personen und Gegenständen unterscheiden können, im Anhang I Teil A gelistet sind. Diese Produkte dürfen nur unter Einbeziehung einer notifizierten Stelle in Verkehr gebracht werden.

Digitale Betriebsanleitungen und Konformitätserklärungen

Betriebsanleitungen und Konformitätserklärungen müssen zukünftig nicht mehr in gedruckter Form mitgeliefert werden. Es ist ausreichend, wenn diese digital in einem druckbaren Format zur Verfügung gestellt werden. Falls diese nur online erhältlich sind, muss gewährleistet sein, dass die Unterlagen während der voraussichtlichen Lebensdauer der Maschine, mindestens aber zehn Jahre nach deren Verkauf, heruntergeladen werden können. Auf Kundenwunsch müssen diese Dokumente in einer Papierversion mitgeliefert werden.
 

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Technische Aspekte der neuen MVO

Nachfolgend sind die wichtigsten neuen technischen Aspekte der EU-Maschinenverordnung zusammengestellt:

Schutz gegen Korrumpierung

Ein neu aufgenommener, in der bisherigen Maschinenrichtlinie unberücksichtigter Gesichtspunkt ist der „Schutz gegen Korrumpierung“. Darunter versteht man, dass Eingriffe in die Maschine von außen, z. B. über eine Internetverbindung oder eine USB-Schnittstelle, nicht zu gefährlichen Situationen führen dürfen. Dies kann z. B. für Maschinen relevant werden, die über Möglichkeiten zur Ferndiagnose zu Wartungszwecken verfügen.

Gestaltung der Zugänge im Rahmen der Notfallrettung

Die Anforderungen an Zugänge wurden erweitert. Diese müssen, falls Personen zum Betrieb, zur Einrichtung, zur Wartung oder zur Reinigung in die Maschine einsteigen müssen, so dimensioniert sein, dass eine Notfallrettung möglich ist.

Prüfung von KI-Funktionen

Wie bereits oben erwähnt, sind Bauteile, die mithilfe von KI mit vollständig oder teilweise selbstlernendem Verhalten – unter Verwendung von Ansätzen des maschinellen Lernens – Sicherheitsfunktionen gewährleisten, gesondert prüfpflichtig. Zu beachten ist hierbei, dass nicht jede KI-basierte Software „selbstlernendes Verhalten“ aufweist. Beispielsweise beurteilen klassische kamerabasierte Personenerkennungssysteme zwar mithilfe von KI und mittels eines abgespeicherten Bilddatensatzes, ob auf den aktuell aufgenommenen Kamerabildern eine Person vorhanden ist oder nicht, sie lernen jedoch nicht selbsttätig. Der Begriff „KI“ wird in der Maschinenverordnung allerdings vermieden, um keine Konflikte mit der ebenfalls neuen „KI-Verordnung“ zu erzeugen.

Erweiterte Anforderungen an Rückhaltesysteme

Die Anforderungen an Rückhaltesysteme von mobilen Maschinen wurden verschärft. Ein optisches und akustisches Signal am Fahrerplatz ist erforderlich, wenn das Rückhaltesystem nicht verwendet wird. Maschinen, bei denen ein erhebliches Überroll- oder Umkipprisiko besteht, dürfen sich zudem nicht bewegen können, wenn das Rückhaltesystem nicht verwendet wird.

Stromführende Freileitungen

Ein weiterer Aspekt, der in der Maschinenrichtlinie nicht enthalten ist, ist das Risiko des Kontaktes mit stromführenden Freileitungen. Generell sollten mobile Maschinen so konstruiert werden, dass der Kontakt mit stromführenden Leitungen sowie das Risiko eines elektrischen Lichtbogens vermieden wird. Wenn dies nicht umsetzbar ist, muss die Maschinenkonstruktion so gestaltet sein, dass alle von Elektrizität ausgehenden Gefährdungen für den Bediener vermieden werden.

Spezielle Anforderungen an autonome Maschinen

Anforderungen an autonome Maschinen wurden ebenfalls neu aufgenommen. Hierfür wird eine spezielle Überwachungsfunktion gefordert, die es ermöglicht, „aus der Ferne Informationen von der Maschine zu erhalten“. Diese Informationen müssen der Aufsichtsperson „einen vollständigen und genauen Überblick über den Betrieb, die Bewegungen und die sichere Positionierung der Maschine in ihrem Bewegungs- und Arbeitsbereich verschaffen“. Autonome Maschinen müssen zudem mit einer Einrichtung zur Erkennung von Personen, Haustieren und Hindernissen ausgestattet sein, es sei denn, sie bewegen sich nur in geschlossenen Bereichen (z. B. mit einem umlaufenden Schutzsystem).
 

Auswirkungen speziell auf mobile Baumaschinen

Die neue EU-Maschinenverordnung hat signifikante Auswirkungen auf die Konstruktion von mobilen Maschinen, insbesondere von mobilen Baumaschinen.

Sicherheitsmaßnahmen gegen Korrumpierung

Ein wichtiger Punkt ist die Einführung von erweiterten Sicherheitsmaßnahmen gegen Korrumpierung. Maschinen, die mit fortgeschrittener Elektronik und vernetzten Systemen ausgestattet sind, müssen gegen unbefugte Zugriffe geschützt werden. Dies ist besonders relevant, da viele moderne mobile Baumaschinen über Funktionen zur Ferndiagnose und Wartung verfügen. Hersteller müssen gewährleisten, dass alle Kommunikationsschnittstellen sicher sind, um Manipulationen oder potenziell gefährliche Eingriffe zu verhindern.

Überwachte Rückhaltesysteme

Darüber hinaus erfordert die Verordnung, dass Maschinen mit einem Risiko für Überschläge oder Umstürze mit überwachten Rückhaltesystemen ausgestattet werden. Diese Systeme müssen zudem bei Maschinen mit einem hohen Umsturz- bzw. Überrollrisiko den Betrieb der Maschine blockieren, wenn der Fahrer nicht korrekt gesichert ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies alle Maschinen betrifft, die schon heute aufgrund der Normenlage mit einer ROPS- bzw. TOPS-Sicherheitsstruktur ausgestattet werden müssen. Dies wird die Sicherheit in Situationen mit hohem Unf

Schnelle und sichere Rettung des Bedienpersonals

Auch die Gestaltung der Zugänge zu den Maschinen wurde in der Verordnung adressiert. Die Maschinen müssen so gestaltet sein, dass im Notfall eine schnelle und sichere Rettung der Bedienenden möglich ist. Dies betrifft insbesondere die Dimensionierung von Einstiegsöffnungen und die Platzierung von Notausstiegen. Zusätzlich muss der Einsatz von Rettungsausrüstungen berücksichtigt werden. Ob dies in den zur Maschinenrichtlinie harmonisierten „Zugangsnormen“ bereits ausreichend berücksichtigt ist, muss noch geklärt werden.

Kontaktvermeidung mit stromführenden Freileitungen

Ein weiterer Aspekt ist die Forderung nach Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren durch Elektrizität. Maschinen müssen so konstruiert sein, dass ein Kontakt mit stromführenden Freileitungen vermieden wird, oder sie müssen Schutzmechanismen beinhalten, die den Bedienenden vor elektrischen Gefährdungen schützen. Hiervon betroffen sind z. B. Hydraulikbagger oder größere Dumper. Wie die konkrete Ausgestaltung dieser Schutzmaßnahmen erfolgen soll, muss in den betroffenen Normungsgremien festgelegt werden.

Ausstattung autonomer Maschinen

Autonome Maschinen, die nicht ausschließlich in überwachten geschlossenen Bereichen arbeiten, müssen mit Erkennungssystemen ausgestattet werden, um eine Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit von Personen auszuschließen.
 

Test eines kamerabasierten Personenerkennungssystems an einer Baumaschine.
Test Personenerkennungssystem
Bild: Franz Welsch - PZ BAU

 

Aktivitäten zur neuen MVO im System ‚DGUV Test‘

In einem ersten Schritt hat die DGUV Test Prüf- und Zertifizierungsstelle Fachbereich Bauwesen einen Prüfgrundsatz für Assistenzsysteme veröffentlicht (GS-BAU-71: Grundsätze für die Prüfung von Personenerkennungssystemen für Erdbaumaschinen).

Bei Systemen, die die hier festgelegten Vorgaben erfüllen, kann davon ausgegangen werden, dass Personen hinreichend sicher erkannt werden und zudem zwischen Personen und Gegenständen zuverlässig unterschieden wird. Die Anzahl der Fehldetektionen ist somit auf ein Minimum reduziert. Die nach GS-BAU-71 bewerteten Personenerkennungssysteme erfüllen in der Regel noch nicht die Vorgaben an die funktionale Sicherheit, die für vollständig autonome Fahrzeuge erforderlich wären. Die BG BAU erwartet aber auch beim Einsatz der Personenerkennung auf mobilen Maschinen mit Fahrer eine deutliche Reduzierung der An- und Überfahrunfälle, sodass die nach GS-BAU-71 geprüften Systeme in den Katalog der Arbeitsschutzprämien der BG BAU aufgenommen wurden.
 

Unterstützung durch die DGUV Test Prüf- und Zertifizierungsstelle FB Bauwesen

Die DGUV Test Prüf- und Zertifizierungsstelle Fach-bereich Bauwesen wird den Prozess der Umstellung auf die EU-Maschinenverordnung umfassend unterstützen und bereitet die Regelungen zur Umstellung der bisher ausgestellten Zertifikate vor. Ebenso ist die Mitarbeit in den Normungsgremien Bestandteil des präventiven Auftrags. Ein Großteil der bestehenden Zertifikate endet mit der Gültigkeit der Maschinenrichtlinie. Die erwarteten Regelungen zu den nach der EU-Maschinenverordnung harmonisierten Normen sind Basis für die Neuausstellung der Zertifikate durch eine notifizierte Stelle. Diese neu ausgestellten Zertifikate können jederzeit unter Zertifizierungen | Bauportal BG BAU eingesehen werden.
 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die neue EU-Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 erhebliche Anforderungen an die Sicherheit und Funktionalität von Maschinen – insbesondere von mobilen Baumaschinen – stellt. Die Hersteller müssen ihre Designs überdenken, um den neuen Standards gerecht zu werden und die Konformität mit der Verordnung sicherzustellen. Die betroffenen Normungsgremien sind gefordert, zeitnah konkrete Umsetzungen zu beschreiben, um den Herstellern ein rechtssicheres Inverkehrbringen zu erleichtern.
 

Ausblick

Vorstehend wurden die für mobile Baumaschinen wesentlichen Punkte aus der neuen EU-Maschinenverordnung aufgeführt. Diese Auflistung erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Insbesondere aus dem „Leitfaden zur Anwendung der EU-Maschinenverordnung“ werden sich noch Hinweise ergeben, wie einzelne Anforderungen praktisch umgesetzt werden können. Zweck des Leitfadens ist eine Erläuterung der Konzepte und Anforderungen der Verordnung, um für eine einheitliche Auslegung und Anwendung in der gesamten EU zu sorgen. Dieses Kompendium sollte sich bereits in Erarbeitung befinden, leider ist aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar, wann dieses tatsächlich veröffentlicht wird.
 

Autoren

Dipl.-Ing. Univ. Peter Winkler

DGUV Test, Prüf- und Zertifizierungsstelle
Fachbereich
Bauwesen,
c/o BG BAU Prävention

Dipl.-Ing. Ute Schneider

DGUV Test
Prüf- und Zertifizierungsstelle
Fachbereich Bauwesen

Dipl.-Ing. Kurt Hey

DGUV Test
Prüf- und Zertifizierungsstelle
Fachbereich Bauwesen