Bauwerksbau, Spezialtiefbau
Überlaufbecken für Starkregen
Im Rahmen des Stauraumprogramms der Berliner Wasserbetriebe (BWB) wird in Berlin-Mitte aktuell ein weiteres Regenüberlaufbecken (RÜB) gebaut, das Berlin den Zielen, klimaschonend mit Regenwasser umzugehen sowie die Gewässergüte zu verbessern, und letztlich dem Vorhaben, „Schwammstadt“ zu werden, ein Stück näherbringt.
Infolge wochenlanger Hitze im Wechsel mit plötzlichem Starkregen und Überschwemmungen sind Klärwerke und Kanalnetze zunehmend überfordert. Vor allem auf stark versiegelten Flächen sind Regenfluten kaum noch beherrschbar und gelangen verunreinigt ins Klärwerk.
Stauraumprogramm der BWB
Dass die Hauptstadt bislang von Katastrophenalarm verschont blieb, ist unter anderem auch den präventiven Maßnahmen der Berliner Wasserbetriebe (BWB) zu verdanken. Für das gesamte Wassermanagement der Hauptstadt und Teile Brandenburgs verantwortlich haben sie schon 1998 ein umfangreiches „Stauraumprogramm“ beschlossen. Es umfasst 80 Maßnahmen, die das hauptstädtische Mischwasserkanalnetz innerhalb des S-Bahn-Rings entlasten werden. Letztlich sollen sie auch dazu beitragen, sinnvoll mit dem Regenwasser umzugehen, damit es ganz im Sinne einer „Schwammstadt“ da genutzt wird, wo es anfällt.
Bis 2025/2026 sollen mit den geplanten Maßnahmen dann rund 300.000 m³ unterirdischer Stauraum in Berlins Innenbezirken geschaffen werden. Für ihre Baumaßnahmen investieren das Land Berlin und die BWB rund 140 Millionen Euro.
Zu den geplanten Maßnahmen gehört auch der Bau von kleineren und größeren Regenüberlaufbecken. Derzeit entsteht ein neues und sicher auch das vorerst letzte Regenüberlaubecken nahe der Chausseestraße hinter dem Pumpwerk des Radialsystems Berlin IV.
Becken mitten in den Schlitzwandkreis gesetzt
Mit 40 m Durchmesser und 30 m Tiefe soll das neue Regenüberlaufbecken (RÜB) Platz für weitere 16.750 m³ Regenwasser bieten. Das gesamte Bauwerk besteht aus Baugrube, Ringergänzungswand, Betriebsgebäude, Wirbelfallschacht, Becken (mit weiter zu ergänzender Baugrube), einem Be- und Entlüftungskamin sowie Leitungen zu vorhandenen Kanälen und zum vorhandenen Abwasserpumpwerk.
Es ist bei Weitem nicht das größte Speicherbecken in und um Berlin: Im Klärwerk Schönerlinde nördlich Berlins entstand zum Beispiel ein Mischwasserspeicher mit 40.000 m³, im Klärwerk Waßmannsdorf im Süden der Stadt ein 50.000 m³ fassender. Doch was die Herstellung angeht, ist das neue Becken sicher das anspruchsvollste.
Geklärte „Unterwelt“
Zur Abwasserableitung unterhalten die Berliner Wasserbetriebe (BWB) ein 9.725 km langes Kanalnetz. Es besteht aus zwei verschiedenen Systemen, dem Misch- und dem Trennsystem und integriert 4.403 km Schmutzwasser-, 1.928 km Mischwasser- und 3.324 km Regenwasserkanäle sowie zahlreiche Sonderkanäle und -bauwerke wie Regenüberläufe, Regenbecken und Düker (Unterführung eines Rohres als Leitung). Mithilfe von 163 Pumpwerken gelangt das Abwasser über ein 1.183 km langes Abwasserdruckrohrnetz in die Klärwerke. Dieses clevere System existiert bereits seit 1873 und wurde von James Hobrecht entworfen.
Planung auf Grundlage eines Revit-Modells
Erstens wird es mitten in der Stadt gebaut und zweitens innerhalb eines Schlitzwand- Kreises gesetzt, einschließlich eines Entleerungspumpwerks. Geplant wurde das Ganze mit einem dreidimensionalen Revit- Modell, das Voraussetzungen zum weiteren Ausbau eines BIM-Projekts ermöglicht. Das ist zumindest der Ansatz der Tragwerksplaner aus der Ingenieurbüro Lopp Planungsgesellschaft mbH Weimar, die zusammen mit der Berliner Dahlem Beratende Ingenieure GmbH & Co. Wasserwirtschaft KG eine ARGE bildeten und das RÜB konstruierten. Den Rohbau übernahm die Karl Köhler GmbH aus Dresden.
Bauherr/Projektentwicklung:
Berliner Wasserbetriebe
Ausführung:
ARGE aus Berger Grundbautechnik Passau & Karl Köhler GmbH, Dresden
Planung:
Dahlem/Lopp
Spezialtiefbauer besonders gefordert
Bei einem Ortstermin der Baukammer Berlin im August 2023 informiert Jens Richter, Bauleiter der BWB, Ingenieure und Studierende über das spannende Projekt: „Da der Grundwasserspiegel im Berliner Raum etwa nur wenige Meter unter Gelände liegt, konnten wir es nicht einfach abpumpen. Da wären große Trichter entstanden. Also mussten wir abschnittsweise vorgehen und nur räumlich begrenzt das Grundwasser entfernen. Dafür errichten wir eine erste Baugrube, die als Druckring dient. Darin bauen wir eine weitere, in die wir später das Becken setzen.“
Herstellung der Baugrube
Was sich vielleicht banal anhört, war für die Spezialtiefbauer „ein großer Sport“, wie der Bauleiter weiter berichtet. Schon die Herstellung der ersten Baugrube auf engstem Raum hatte es in sich. Sie muss genau in die Lücke zwischen einem Mehrfamilienhaus aus der Gründerzeit und dem Gebäude des Bundesnachrichtendiensts passen. Beide Gebäude sowie die vorhandene Pumpanlage in der Nähe durften weder beschädigt noch in ihrer Funktion gestört werden. Überall sind daher Sensoren angebracht, die eventuell auftretende Verformungen melden. Aufgrund der Geländestatik musste ohne Versteifung gebaut werden, also ohne Anker nach links und rechts.
300 Findlinge erschwerten Pfahlgründung
Bevor der Bodenaushub begann, wurden zunächst sektorenweise senkrechte Schlitzwände gestellt und mit Stahlbeton stabilisiert. Nach dem Ausbaggern konnte die Baugrube bis nahezu Gelände-Oberkante (GOK) mit Grundwasser gefüllt werden und eine zwei Meter dicke Unterwasser-Bodenplatte gesetzt werden. Die wiederum wurde von Pontons aus mit über 350 Mikropfählen 15 m weiter tief im Boden verankert. „Von vornherein wussten wir, dass wir uns in einer dicken Schicht Geschiebemergel bewegen und auch auf Findlinge stoßen. Doch dass wir beim Ausbaggern etwa 300 Findlinge vorfanden, und davon die meisten über 60 cm dick, überstieg unsere kühnsten Erwartungen. Die machten uns und der Technik das Leben schwer. Mit der Kompetenz des gesamten Teams haben wir auch das geschafft“, berichtet Jens Richter weiter.
Gebremste Geschwindigkeit dank Wirbelfallschacht
Eine Besonderheit im Konstrukt stellt der etwa 30 m hohe Wirbelfallschacht dar. Hier kommt das Wasser nach Starkregen oben mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 12 m³ pro Sekunde an. Ohne Wirbelfallschacht würde es ungebremst ins Becken stürzen. Jens Richter: „Der radial aufgebaute Schacht stoppt die Geschwindigkeit und somit den Schall beim Aufprall. Zudem werden die Betonwände des Bauwerks geschont. Dafür sorgen auch Polyethylen- Platten (PE-Platten), die angebracht sind, um das Bauwerk vor betonaggressiven Abgasen des Abwassers zu schützen.“
Entlüftungskamin für ausweichende Gase
Gase entstehen auch später, wenn bei Starkregen die Luft im leeren Becken innerhalb einer halben Stunde weichen muss, um den einströmenden Wassermassen Platz machen. Dazu dient der Entlüftungskamin. Von ihm ist nach der Fertigstellung des RÜB überirdisch nur ein herausragender Schornstein zu sehen. Über alles andere ist dann Gras gewachsen – im wahrsten Sinne des Wortes. Dann können dort Kinder auf der grünen Wiese spielen und sich mit ihren Eltern am Ufer der Südpanke erholen.
Auf dem Weg zur Schwammstadt
Die Konstruktion des RÜB ist ganz im Sinne einer künftigen „Schwammstadt“. Denn jeder Liter Regenwasser, der nicht sofort in Abwasserkanäle abfließt, sondern gespeichert wird, versickert oder verdunstet und genutzt wird, kommt letztlich dem besseren Stadtklima zugute und dem Vorhaben Berlins, eine „Schwammstadt“ zu werden. Die „Schwammstadt“ (englisch Sponge City) ist ein Konzept der Stadtplanung, das vorsieht, möglichst viel anfallendes Regen- bzw. Oberflächenwasser vor Ort aufzunehmen und zu speichern (wie ein Schwamm), anstatt es lediglich zu kanalisieren und abzuleiten. Dadurch sollen z. B. Überflutungen bei Starkregen-Ereignissen vermieden bzw. verringert und das Stadtklima verbessert werden.
AMS BAU bei der Karl Köhler GmbH
Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit sind seit vielen Jahren ein zentraler Bestandteil der Unternehmenspolitik der Karl Köhler GmbH, Dresden, die den Rohbau des RÜB herstellt. 2017 beschloss deren Geschäftsleitung, im Unternehmen ein Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) einzuführen. Entschieden hat man sich damals für das AMS BAU von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU). Dieses dient der ganzheitlichen Integration von Arbeitssicherheit und Gesundheit im Unternehmen. Mit einer präzisen Anleitung und anschaulichen Materialien wird das jeweilige Unternehmen Schritt für Schritt an die Vorgaben zum betrieblichen Arbeitsschutz herangeführt. Die BG BAU bietet als kostenlose Präventionsdienstleistung auch eine freiwillige Überprüfung an, wie und ob das System auf der Baustelle wirkt. Bei erfolgreicher Begutachtung erhält das Unternehmen eine offizielle Bescheinigung über AMS BAU.
Nach erfolgreicher Erstzertifizierung stellte sich die Karl Köhler GmbH erneut erfolgreich der Wiederbegutachtung durch Vertreter der BG BAU. Die bescheinigte den Beschäftigten, dass sich auf der Baustelle seit Einführung von AMS BAU viel verbessert habe, z. B. eine gesteigerte Sensibilisierung und Mitspracherecht zum Thema Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz.
Autorin
Ausgabe
BauPortal 4|2023
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