Tiefbau/Spezialtiefbau
2. Stammstrecke München
Da das Münchener S-Bahn-Netz mit immer weiter steigenden Fahrgastzahlen an seine Grenzen gekommen ist, wird seit 2019 die sogenannte 2. S-Bahn-Stammstrecke mit rund zehn Kilometern Länge gebaut. Kernstück des Bauvorhabens ist ein sieben Kilometer langer Tunnel, der Hauptbahnhof und Ostbahnhof miteinander verbindet. Zudem erfolgt der Neubau dreier unterirdischer Stationen: Hauptbahnhof, Marienhof und Ostbahnhof. Der Bau dieser unterirdischen Haltepunkte ist aufgrund ihrer Lage eine logistische und technologische Herausforderung.
Die Metropole München wächst rasant. Ihr S-Bahn-Netz wurde einst für 250.000 Passagiere konzipiert. Inzwischen befördert die Münchner S-Bahn täglich rund 850.000 Fahrgäste. In der Hauptverkehrszeit fährt zurzeit alle zwei Minuten eine S-Bahn durch den bestehenden S-Bahn-Tunnel. Da aus Sicherheitsgründen bestimmte Zugabstände eingehalten werden müssen, kann der Takt der S-Bahnen nicht weiter verdichtet werden. Um der gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden, wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder in die bestehende Stammstrecke investiert: So wurden u. a. zusätzliche separate S-Bahn-Gleise geschaffen, Strecken ergänzt und neue Haltepunkte eingerichtet. Zur Leistungssteigerung der S-Bahn-Linien wurde schon 2003 ein modernes Zugsicherungssystem eingebaut, die sogenannte Linienzug-Beeinflussung (LZB). Damit konnte die S-Bahn-Taktung auf 30 Züge pro Stunde und Richtung verdichtet werden. Doch auch mit dieser Erweiterung wird die bestehende Stammstrecke, die von allen acht S-Bahn-Linien zur Unterquerung der Münchner Innenstadt genutzt werden muss, den gestiegenen Fahrgastzahlen nicht mehr gerecht. Im Auftrag der Deutschen Bahn wird daher seit 2019 auf rund zehn Kilometern der neue Streckenabschnitt gebaut, die sogenannte 2. S-Bahn-Stammstrecke.
Münchens aktuelles Großprojekt
Das Projekt umfasst die Teilmaßnahmen „Oberirdische Bereiche“, „Innerstädtischer Bereich/Tunnel“ und „Netzergänzende Maßnahmen“. Die drei unterirdischen Stationen Hauptbahnhof, Marienhof und Ostbahnhof werden aufgrund der innerstädtischen Lage und der großen Bautiefe in der sogenannten Deckelbauweise hergestellt. Hierzu werden zunächst Schlitzwände – in den Boden einbetonierte Wände – hergestellt. Über die Schlitzwände wird dann ein Deckel betoniert, unter dem der Aushub stattfindet.
Baufeld „Haltepunkt Marienhof 6113 E“
Der Haltepunkt „Marienhof“ wird der zentrale Haltepunkt der 2. S-Bahn-Stammstrecke sein. Er liegt – unweit von Bayerischer Staatsoper und Marienplatz – direkt hinter dem Rathaus. Das Baufeld ist nur wenig größer als der Grundriss der künftigen unterirdischen Station. Auf der untersten Ebene in rund 40 m Tiefe befinden sich die beiden 210 m langen Bahnsteige. Darüber folgten ein rund 14 m hohes Verteilergeschoss und ein Sperrengeschoss mit Auf- und Abgängen zur neuen S-Bahn-Station sowie einem Übergang zur bestehenden U-Bahn. Die Bahnsteig-Bereiche ragen in östlicher und westlicher Richtung über die Randbebauung des Marienhofs hinaus und werden bergmännisch unter Druckluft von der in Deckelbauweise errichteten Station aus hergestellt.
Um die beiden bestehenden U-Bahn-Tunnel der Linien U3 und U6 mit dem nötigen Sicherheitsabstand zu unterqueren, liegen die Bahnsteige des Haltepunkts „Marienhof“ ca. 40 m tief unter der Geländeroberkante des Marienhofs. Die für den Bau des Haltepunkts „Marienhof“ erforderliche Baugrube ist die tiefste bisher hergestellte Baugrube im Münchner Tertiär, einer Wechselfolge aus Sanden und Tonen.
Neben diesen technischen Herausforderungen stellten die innerstädtische Lage und die damit verbundene Verkehrssituation auch hohe logistische Anforderungen an die Baustelle. So müssen täglich bis zu 160 Lkw in den „normalen“ Liefer- und Umgebungsverkehr eingetaktet werden, ohne dass auf dem Baufeld Flächen für die Lagerung von Materialien vorhanden sind. Die Materiallieferungen müssen just in time
erfolgen.
Eine komplexe Wasserhaltung und eine engmaschige Überwachung der Baugrube und der bestehenden sensiblen ober- und unterirdischen Bebauung komplettieren die Anforderungen an die Bauausführung.
Bauablauf Marienhof
Das zentral unter dem Marienhof liegende Stationsbauwerk wird in Deckelbauweise hergestellt. Hierzu wurde nach den archäologischen Untersuchungen zunächst im Zuge des Voraushubs auf ca. 3 m unter Geländeoberkante (GOK) eine Arbeitsebene geschaffen. Der Voraushub wurde mit einem rückverankerten Trägerbohlverbau gesichert. Von dieser Arbeitsebene aus wurden die für die Deckelbauweise erforderliche Baugrubenumschließung und die Primärstützen für den temporären Lastabtrag der Deckenscheiben hergestellt.
Erstellung der Schlitzwände und Primärstützen
Die Baugrubenumschließung besteht aus Schlitzwänden, die lamellenweise in den Boden gefräst und dann mit Beton verfüllt werden. Der Schlitzwandverbau dient als Schutz gegen das anstehende Erdreich und Grundwasser.
Eine große Herausforderung bei der Herstellung der Schlitzwände sind die Abmessungen der Schlitzwand in Kombination mit den hohen Toleranzvorgaben. Auch mit einer Tiefe von 55 m und einer Breite von 1,50 m gilt es sicherzustellen, dass die Lamellen bis zur Endtiefe hin dicht sind und keine offenen Fugen zwischen den einzelnen Schlitzwandlamellen entstehen. Aus diesem Grund werden die Lamellen gefräst und mit einem Überschnitt von 30 cm hergestellt. Beim Fräsen kann der Fräsverlauf gesteuert und beeinflusst werden.
Eine weitere Herausforderung ist der hohe Bewehrungsgrad der Lamellen. Die Lamellen sind mit bis zu drei Lagen Bewehrung – mit einem Stabdurchmesser von 40 mm – extrem hoch bewehrt. Dieser Umstand wurde bei der Entwicklung des Betons berücksichtigt. Der Beton und auch die Betonagen selbst wurden engmaschig überwacht und dokumentiert. Ein Video zur Schlitzwandherstellung gibt es unter:
www.2.stammstrecke-muenchen.de/stationsbau.html.
Nach der Herstellung der Schlitzwände und der Primärstützen, die ein wichtiges Etappenziel bei den Tiefbauarbeiten darstellen, wird ein Betondeckel hergestellt, unter dem die weiteren Aushubarbeiten stattfinden. Nach Fertigstellung des Deckels beginnt im Schutze einer umfangreichen Wasserhaltung der Aushub der einzelnen Ebenen von oben nach unten. Nach Erreichen von Aushubtiefen von bis zu 7 m werden nach und nach weitere Betondecken hergestellt. Diese bilden die Ebenen der Zwischengeschosse und steifen gleichzeitig die Baugrube aus. In den Decken verbleiben Öffnungen, um die Ver- und Entsorgung zu sichern. Am Ende der Bauarbeiten wird der Marienhof oberirdisch wieder als Grünanlage hergestellt.
Neben den technischen Bedingungen der Schlitzwand- und Primärstützenherstellung sind die bereits beschriebenen engen Platzverhältnisse auf dem fußballfeldgroßen Baufeld mit der permanenten Verschiebung der Großgeräte eine weitere Herausforderung. Hier wurde mit innovativen Lean-Methoden ein intensives zeitabhängiges Flächenmanagement implementiert. Auch das Ressourcen- und Abfallmanagement spielt für die ARGE eine besondere Rolle. Neben konsequenten Maßnahmen der Abfallreduktion zur Optimierung der Abfallbilanz wurden speziell für die Entsorgung der Altsuspension Verfahren eingesetzt, die eine vielfache Wiederverwendung sowie eine schonende Entsorgung gewährleisten. Die Altsuspension wurde so weit aufbereitet, dass die Fraktionen in ihren einzelnen Bestandteilen fest (Boden/Auswurf aus der Separation) und flüssig (Wasser) entsorgt werden konnten. Die festen Bestandteile konnten so als ZO-Material (unbelasteter Boden) der Wiederverwendung, die flüssigen Bestandteile als Wasser der Vorflut zugeführt werden.
Nach Fertigstellung dienen die Schlitzwände später als Außenhülle der Station. Bis Dezember 2020 wurden insgesamt 110 bis zu 55 m tiefe Schlitzwandlamellen hergestellt. Während der Schlitzwandarbeiten waren insgesamt ca. 80 Beschäftigte für das Projekt tätig – Corona-bedingt davon ca. 50 % überwiegend im mobilen Arbeiten.
Schlitzwände
Schlitzwände sind Wände aus Beton oder Stahlbeton und werden in speziell angelegten Erdschlitzen im Kontraktorverfahren hergestellt. Für die Herstellung der einzelnen Schlitzwandlamellen werden Schlitze in den Baugrund gefräst, die mit einer thixotropen Stützflüssigkeit – meist eine Betonitsuspension – temporär gefüllt werden. Nach dem Aushub wird die vorgefertigte Bewehrung in den Schlitz eingestellt und der Beton eingebaut. Dabei wird die Stützflüssigkeit durch den am Fuß des Schlitzes eingebrachten Beton verdrängt, am Kopf des Schlitzes abgepumpt und anschließend separiert.
Schlitzwände werden in großen Tiefen bis zu 100 m und in Nenndicken von 0,45 m bis 1,50 m hergestellt. Bei tiefen Baugruben mit naher Randbebauung und anstehendem Grundwasser bieten sich Schlitzwände als verformungsarme und wasserdichte Baugrubensicherung an. Schlitzwandelemente werden wie Großbohrpfähle auch als Gründungselemente zum Abtragen von konzentrierten Bauwerkslasten in tiefere, tragfähige Bodenschichten eingesetzt. Die Verfahren zur Herstellung von Schlitzwänden sind geräuscharm und erzeugen nur geringe Erschütterungen. Sie sind daher besonders für den städtischen Tiefbau geeignet.
Arbeitsschutz in Corona-Zeiten
Für die Gesamtbaumaßnahme wurde durch die Deutsche Bahn ein Sicherheits- und Gesundheitskoordinator eingesetzt, der für alle Teillose des Projekts zuständig ist. Für alle Projektbeteiligten (Lieferfirmen, Nachunternehmerinnen und -unternehmer, eigene Beschäftigte, Besuchspersonen) hat die ARGE Marienhof zudem verbindliche Vorgaben zum Arbeitsschutz aufgestellt, z. B. dass alle auf dem Projekt tätigen Personen vor Arbeitsbeginn durch die Leitung HSEQ und die Sicherheitsfachkraft unterwiesen werden. Hauptaugenmerk beim Arbeitsschutz liegt – bedingt durch die engen Platzverhältnisse – auf den Verkehrswegen sowie auf den Gefährdungen durch die zum Einsatz kommenden Maschinen und Großgeräte. Durch die häufigen Geräteumsetzungen sind insbesondere Ordnung und Sauberkeit sowie das Freihalten der Fluchtwege wichtig. Der Einsatz vieler Geräte auf engem Raum führt auch zu einer Lärmbelastung für die Beschäftigten, diese wird im Zuge der Deckelbauweise trotz der Anschaffung emissionsarmer Geräte noch zunehmen. Den Beschäftigten wird deshalb auch ein angepasster Gehörschutz zur Verfügung gestellt. Vibrationen sind aufgrund der Art der Arbeiten weniger zu erwarten; die Baustelle verfügt jedoch über Erschütterungsmessstellen, um auch die Belästigung für die unmittelbare Nachbarschaft zu überwachen und ggf. zu reduzieren.
Aktuell spielt auch der Schutz vor COVID-19 eine wichtige Rolle. Die ARGE hat bereits zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 einen umfassenden Pandemieplan aufgestellt, der fortlaufend, auch aufgrund der Beschlüsse der Bund-Länder-Kommission, aktualisiert wird. Dabei gelten vorrangig die Regeln für die Stadt München und nachrangig eine Ampelregelung für die Betriebsstätte, die das Verhalten auf dem Baufeld und in den Büros regelt. Der Innendienst der Arbeitsgemeinschaft unterliegt einer weitgehenden Regelung zum mobilen Arbeiten, während die operativen Kräfte strikte Arbeitsschutzregeln befolgen. Seit Beginn der Pandemie sind die Arbeitsschutzmaßnahmen erheblich intensiviert worden, einschließlich einer hochfrequenten Reinigung von Büros und Großräumen.
Die ARGE stellt allen Beschäftigten FFP2-Masken sowie für die Arbeitsplätze Plexiglas-Abtrennungen zur Verfügung. Die Beschäftigten auf dem Baufeld wurden in sogenannte Kohorten unterteilt, d. h. kleine Gruppen, die ohne Kontakt zu den übrigen Beschäftigten ihre speziellen Tätigkeiten ausführen.
Bereits seit Oktober 2020 betreibt die ARGE Marienhof eine Teststation, an der jeweils montags und dienstags Corona-Antigentests durch medizinisches Fachpersonal durchgeführt werden. Es können sich alle Projektbeteiligten, die das Baufeld betreten, kostenlos testen lassen. Das Testangebot ist grundsätzlich freiwillig, dennoch ist die Akzeptanz bei allen Beteiligten sehr hoch. So beträgt die Testquote unter den ARGE-Beschäftigten fast 100 %. Durchschnittlich werden jede Woche 100 Tests durchgeführt. Durch diese Teststrategie ist es gelungen, symptomlos an COVID-19 erkrankte Projektbeteiligte frühzeitig zu identifizieren und bislang keine Infektionsketten auf dem Baufeld zu haben.
Ausblick: Spezialtiefbau für den Tunnelvortrieb
Der Verbindungsstollen zu den Bahnsteigen der U-Bahnstation U3/U6 und die Bahnsteige des Haltepunkts „Marienhof“ werden unter Druckluft aufgefahren. Zur Sicherung der umliegenden Gebäude, Sparten und U-Bahn-Bauwerke werden umfangreiche Kompensationsinjektionsmaßnahmen durchgeführt.
Ausgehend vom zentralen Zugangsbauwerk des Haltepunkts „Marienhof“ unterquert ein Verbindungsstollen den bestehenden Ausgang Marienhof der U-Bahn-Linien U3/U6. Der neue Verbindungsstollen wird über zwei bestehende Schächte an die Bahnsteige der Linien U3/U6 angebunden. Nach dem vollständigen Aushub der Baugrube werden in Ost- und Westrichtung fünfteilige Tunnelquerschnitte mit einer Länge von je 65 m aufgefahren: Sie nehmen jeweils außen liegend die Fluchtstollen, die angrenzenden Bahnsteigröhren und den Mitteltunnel auf. An beiden Enden der Bahnsteigtunnel entstehen Fluchttreppenhäuser sowie Magerbetonblöcke für die Einfahrt der Tunnelvortriebsmaschinen der östlichen und westlichen Nachbarlose.
Bauaufgabe
S-Bahn-Station: zentrales Zugangsbauwerk und Bahnsteigröhren sowie Verbindungstunnel zur U-Bahn, umfangreiche Wasserhaltungs- und Geomonitoring-Maßnahmen sowie Kompensationsinjektionsmaßnahmen
Bauverfahren
Stationen in Deckelbauweise mit Schlitzwandumschließung und Primärstützen im Schutz einer Wasserhaltung, Tunnel in Spritzbetonbauweise unter Druckluft
Geologie
Wechselfolge von tertiären Sand- und Mergellagen
Bauherr
DB NETZE: DB Netz AG + DB Station & Service AG + DB Energie GmbH
ARGE Marienhof
Implenia Construction GmbH, Hochtief Infrastructure GmbH, Implenia Spezialtiefbau GmbH
Autoren
Ausgabe
BauPortal 2|2021
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