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Bauorganisation, Gesundheitsschutz, Erste Hilfe

Eine Rettungskette, die hält

Bild: kokliang1981 - stock.adobe.com

Das NEST-Prinzip der BG BAU unterstützt Unternehmen darin, ihre Arbeitsbereiche und Tätigkeiten für Notfallsituationen zu wappnen. Es sorgt dafür, die entscheidenden Aspekte einer Rettungskette bezogen auf mögliche Notfallszenarien zu optimieren.
 

Die Auseinandersetzung mit Notfällen ist für alle Verantwortlichen keine angenehme Aufgabe. Sich mit Worst-Case-Szenarien dieser Art im Detail auseinanderzusetzen, widerstrebt den meisten, die sich nicht wie Feuerwehrleute oder der Katastrophenschutz hauptberuflich mit der Abwehr bzw. Bewältigung solcher Situation befassen. Diese Erfahrung machen die Präventionsfachleute der BG BAU bei der Analyse von Gefährdungsbeurteilungen und daraus abgeleiteten Schutzmaßnahmen.
 

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Notfallsituationen abschätzen und begegnen

Als Notfallmaßnahmen führen die Führungskräfte darin überwiegend Ersthelfer sowie den Erste-Hilfe-Kasten auf. Beim Stichwort Rettung bzw. Rettungskonzept wird im Gegensatz dazu jedoch häufig an den Gebrauch von PSAgA und Rettungsgeräten gedacht. Beides in vielen Fällen unabhängig davon, ob sie für die betrachteten Notfallszenarien tatsächlich tauglich sind oder nicht. Um die vorzubereitenden Notfallmaßnahmen, im Sinne einer Notfallprävention, ganzheitlich betrachten zu können, fehlt jedoch ein schnell anzuwendendes Hilfsmittel. Für diese Leerstelle hat eine Arbeitsgruppe innerhalb der BG BAU ein Schema für Notfallszenarien entwickelt, das NEST-Prinzip.

NEST steht am Ende einer Entwicklung, die Ergebnis der Analyse zahlreicher Unfallberichte, Untersuchungen an Bau- und Unfallstellen sowie empirischer Datenerhebungen mit Verunfallten, Ersthelfern, Rettungskräften und den untersuchenden Aufsichtspersonen der BG BAU ist.
 

NEST steht für:

  • Notfall-Wahrnehmung und -Meldung
  • Erste Hilfe, Rettung, Evakuierung
  • Sicherheit der Ersthelfenden
  • Transportmöglichkeit zur Übergabe an die über den Notruf aktivierten Rettungskräfte

Checkliste für Notfallsituationen

NEST besteht aus vier Elementen, die bei einem Notfall für den maximal effektiven Ablauf der Rettungskette entscheidend sind. Das Prinzip ist bewusst so angelegt, dass es auf jedes beliebige Arbeitsszenario bzw. mögliche Unfallszenario übertragbar ist. Diese vier Punkte sind als eine Art Checkliste zu verstehen, mit der Maßnahmen geplant werden, die dann in die Gefährdungsbeurteilung und die Rettungskette einfließen. Das bedeutet, auf die exakte Tätigkeit oder Arbeitsaufgabe bezogen festzulegen, wie ein Notfall registriert und gemeldet werden soll, in welcher Form in der Folge die Erstversorgung und Evakuierung geplant ist, jeweils ohne alle Beteiligten weiteren Risiken auszusetzen. Und wie schließlich die schnellstmögliche Übergabe an die alarmierten Rettungskräfte erfolgen kann.

Roter Koffer mit weißer Schrift "Erste Hilfe" und  darunter das weiß-grüne Symbol als Kreuz. Vor dem Koffer liegen Verbandsmaterial und eine Schere aus.
Bild: akf - stock.adobe.com

Zeit bis zur medizinischen Versorgung entscheidend

NEST ist bewusst so angelegt, dass es auf jedes beliebige Arbeitsszenario übertragbar ist, lediglich der Aufwand variiert situationsabhängig. Ziel ist es, bereits mit der Planung eines Arbeitsauftrags sicherzustellen, wie im Notfall vor Ort verfahren werden soll. Das ist insofern nichts vollkommen Neues. Für die Betriebserlaubnis öffentlicher Gebäude wie auch von Industrieanlagen oder Veranstaltungsorten ist ein schlüssiges Notfallkonzept obligat. Mit Verweis auf die Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft und bei baunahen Dienstleistungen – das bedeutet stetig wechselnde Baustellen und variierende Arbeitsumgebungen im Vergleich zu festen Arbeitsorten und stationären Tätigkeiten – ist damit aber für die Unternehmen der Branche selbstredend ein höherer Aufwand verbunden.

Im Fall einer räumlich getrennt verrichteten Tätigkeit kann der erste Aspekt, überhaupt zu bemerken, dass sich der Arbeitende in Not befindet, zum Kernproblem werden. Aus medizinischer Sicht ist der Zeitfaktor entscheidend und das schnellstmögliche Erkennen und umgehende Melden der Notsituation mitunter lebenswichtig. Daher wäre zu klären, ob mit Blick auf mögliche Notsituationen eine hinreichende Kontaktfrequenz zu alleinarbeitenden Personen besteht? Alternativ könnten technische Hilfsmittel wie Notsignalgeber zum Einsatz kommen; etwa der sogenannte Totmannmelder, der entweder bei Bewegungslosigkeit oder fehlender Atemfrequenz Alarm schlägt.

 

NEST praktisch anwenden

Exemplarisch für die Anwendung von NEST sollen folgende Notfälle nach dem Prinzip durchgespielt werden:
 

Szenario A: Unterhaltsreinigung

Zwei Fachkräfte für Gebäudereinigung gehen täglich der Unterhaltsreinigung in einem sechsstöckigen Bürogebäude außerhalb der regulären Geschäftszeiten nach, die Dauer ihrer Tätigkeit beträgt circa vier Stunden.

  • Die beiden Beschäftigten teilen sich die Reinigung in den oberen und unteren Stockwerken und begegnen sich nach Beendigung ihrer Tätigkeit nach etwa vier Stunden wieder: Im ungünstigsten Fall wird die Option eines Notfalls erst vier Stunden nach dessen Eintritt wahrgenommen. Bis zum Auffinden der oder des Betroffenen kann wiederum eine unkalkulierbare Zeitspanne vergehen, insbesondere, wenn die Person nicht bei Bewusstsein ist und selbst Nachricht geben kann.

    Meldung: Der Empfang für Mobiltelefone ist gegeben und damit auch Möglichkeiten, einen Notruf jederzeit abzusetzen. Könnten Beschäftigte, die ausschließlich fremdsprachig sind, die notwendigen Informationen weitergeben? Sind Notrufnummern und Rettungsstellen bekannt?

  • Für eine Evakuierung müsste z. B. ein Flucht- und Rettungsplan aushängen. Wurde das Reinigungspersonal entsprechend informiert?

  • Die Sicherheit des Ersthelfenden ist bei freiem Zugang zum Gebäude sowie den Räumlichkeiten gegeben. Im Brandfall gelten besondere Bedingungen. Medizinische Einmalhandschuhe aus dem Erste-Hilfe-Kasten bieten sowohl der zu versorgenden Person wie auch Ersthelfenden Schutz gegen eine Übertragung von Infektionen im Rahmen der Ersten Hilfe.

  • Die Überführung vom Unfallort zum Rettungswagen (RTW) sollte bei freien Zugängen mittels Kranken- oder Schleifkorbtrage durch das Gebäude für die Rettungskräfte möglich sein, erfordert aber eine entsprechende Anzahl.

  • Die verzögerte Wahrnehmung des Notfalls erst nach Schichtende sowie der unbekannte Unfallort bescheren einen unkalkulierbaren Zeitverlust, bis die Rettungskräfte mit der medizinischen Versorgung beginnen können und der Transport vollzogen werden kann.

Ein Bauarbeiter mit einer orangenen Weste liegt im Rettungswagen und bekommt eine Injektion über einen Zugang in der Hand.
Bild: Kzenon - stock.adobe.com

 

Szenario B: Notfall auf der Hubarbeitsbühne

Leichte Montagearbeiten mit einer fahrbaren Hubarbeitsbühne im Umfeld einer großen Baustelle mit unterschiedlichen Baubereichen, Gewerken und Maschinen, die geprägt ist durch vielfältige Geräusche und Lärmquellen von Geräten und Maschinen, u. a. auch Warnsignale z. B. von rückwärtsfahrenden Baumaschinen.

  • Die Wahrnehmung des Notsignals der Hubarbeitsbühne ist aufgrund der Geräuschkulisse der Umgebung sehr eingeschränkt. Deshalb dauert es etwa 60 Minuten, bis jemand wahrnimmt, dass sich der Bediener der Hubarbeitsbühne in einer Notlage befindet. Meldung: Der Empfang für Mobiltelefone ist gegeben und damit auch die Möglichkeit, jederzeit einen Notruf abzusetzen.

  • Die Erste Hilfe beginnt in diesem Beispiel mit der notwendigen Evakuierung, es muss zunächst jemand gefunden werden, der den Notablass der Hubarbeitsbühne bedienen kann. Erst wenn die Hubarbeitsbühne abgelassen ist, können Ersthelfende dem Verunfallten Erste Hilfe leisten.

  • Die Sicherheit des Ersthelfenden ist durch freien Zugang zur Hubarbeitsbühne nach dem Ablassen gegeben. Medizinische Einmalhandschuhe aus dem Erste-Hilfe-Kasten bieten sowohl dem Patienten als auch Ersthelfenden Schutz gegen eine Übertragung von Infektionen.

  • Der Verunfallte muss vom Korb der Hubarbeitsbühne in die Trage des RTW verbracht werden. Hierfür sind meist Rettungskräfte und Helfende notwendig.

  • Aufgrund des Zeitverlusts bei der Notfallwahrnehmung sowie bis zum Ablassen der Bühne dauert es über 90 Minuten, bis die Rettungskräfte mit der dringend notwendigen medizinischen Versorgung beginnen konnten.

 

Integraler Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung

Aus den beiden Beispielen geht auf den ersten Blick hervor, wo die Schwachstellen in der Rettungskette liegen. Die bestehende Gefährdungsbeurteilung kann daraufhin entsprechend angepasst und mit wirkungsvollen Maßnahmen ergänzt werden. Folgende oder ähnliche Fragestellungen sollten sich Verantwortliche unter Berücksichtigung der Tätigkeit und der örtlichen Bedingungen stellen:

Fragestellungen im Rahmen des NEST-Prinzips

  • Gibt es organisatorische Möglichkeiten, Alleinarbeit bzw. isolierte Arbeitssituationen zu reduzieren?
  • Könnten technische Hilfsmittel für eine bessere Erreichbarkeit sorgen und Notfälle signalisieren?
  • Wie schnell könnte Rettungspersonal vor Ort sein? • Wie können die Rettungskräfte zu einer Person in Notlage gelangen?
  • Können Maschinen durch Notsteuerungen von anderen bedient werden?
  • Ist der Zugang zum Gebäude oder Gelände bzw. der Baustelle jederzeit gegeben? Was wäre ggf. mit dem Auftraggeber bzw. Bauherren abzustimmen?

 

Autoren

Stephan Imhof

Redaktion BauPortal

Harald Dippe

Referat Hochbau
BG BAU Prävention


Ausgabe

BauPortal 3|2024