Bautenschutz
Ein Zeltdach mit Textilbeton
Zur Abdichtung der zerklüfteten Dachkonstruktion des Mariendoms im Velberter Stadtteil Neviges wurde ein neuartiges Instandsetzungskonzept mit Carbon-bewehrtem Spritzmörtel entwickelt, das es ermöglicht, die ursprüngliche Sichtbeton-Optik zu erhalten. Das Konzept wurde durch die Torkret GmbH zunächst als Test auf dem Dachabschnitt über der Sakramentskapelle ausgeführt.
Der sogenannte Mariendom – die Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“ – in Neviges hat schon bei seiner Fertigstellung vor rund 50 Jahren Architekturgeschichte geschrieben und tut dies jetzt wieder: Für die aktuelle Instandsetzung des Dachs entwickelte das Büro Peter Böhm Architekten in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen ein spezielles Konzept, bei dem sowohl die zerklüftete Dachkonstruktion abgedichtet wird, als auch die Sichtbeton-Optik erhalten bleibt. Erprobt wurde das Konzept zunächst auf dem Dachabschnitt über der Sakramentskapelle. Auf Basis der guten Ergebnisse erhielt das Essener Unternehmen Torkret GmbH den Auftrag zur Ausführung weiterer Flächenabschnitte.
Ausgangslage
Gezackt und zerklüftet mit hoch aufragenden Wänden aus hellem – im Laufe der Jahre jedoch grau gewordenem – Sichtbeton thront der Bau über der bergischen Kleinstadt: Am Mariendom in Neviges scheiden sich die Geister. Hässlich, sagen die einen, ein Meisterwerk der modernen Kirchenbaukunst, die anderen. In seiner Strenge wirkt der Dom wie ein Gegenentwurf zu Gaudis naturalistischer Sagrada Familia in Barcelona. Und doch verbinden den auffällig kargen Sakralbau sowohl die besondere Lichtsetzung als auch die Vorliebe für den Baustoff Beton mit dem katalanischen Publikumsmagneten. Das 1968 fertiggestellte Bauwerk gilt heute als eines der wichtigsten Beispiele für die Epoche des Brutalismus und als Hauptwerk des Architekten und Pritzker-Preisträgers Prof. Gottfried Böhm, der kürzlich im Alter von 101 Jahren verstorben ist. Sein Sohn, Prof. Dipl.-Ing. Architekt Peter Böhm, ist nun für die Sanierung der Dachflächen zuständig.
Die polygonale Konstruktion umfasst eine Grundfläche von etwa 2.500 m². Sie wird überspannt von einer rund 2.800 m² großen monolithischen Dachkonstruktion, deren Form an ineinandergeschobene Zelte erinnert. Die Last der fugenlosen Dachfläche, die sich an ihrer höchsten Stelle ca. 34 m über der Geländeoberkante erhebt, lagert auf den 10 bis 24 m hohen Außenwänden sowie auf sechs unauffälligen Stützen, die um den Hauptraum herum platziert sind.
Wände und Dach sind fugenlos, sozusagen ‚aus einem Guss‘, in Sichtbeton erstellt. Dabei verfügt das Dach über keine äußere Abdichtung. Vielmehr sollte eine als wassersundurchlässige Betonkonstruktion hergestellte 25 cm dicke Fläche die Dichtigkeit gewährleisten. Aber schon bald nach der Fertigstellung traten erste Undichtigkeiten auf. Über Risse in den Kehlen der sich schneidenden Dachflächen, am Übergang von den Wand- zu den Dachflächen und über die Arbeitsfugen drang Wasser ins Innere der Kirche. Ablaufspuren an den Innenwänden des Kirchenraums zeigen dies sehr deutlich.
Bereits 1983 wurde das Dach daher ganzflächig mit einer Beschichtung auf Epoxidharz-Basis abgedichtet. Im Knickpunkt der Kehlbereiche wurde der Beton teilweise durch PCC-Mörtelplomben ersetzt. Mittlerweile aber ist diese Beschichtung an vielen Stellen gerissen und hat sich teilweisevom Betonuntergrund gelöst. Es dringt weiter Wasser in das Kircheninnere ein.
Instandsetzungskonzept
Aktuell wird ein neues, von Prof. Peter Böhm entwickeltes und in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen geprüftes Konzept zur Behebung der Undichtigkeiten realisiert. Ziel ist die Herstellung einer dauerhaften wasserundurchlässigen Schutzschicht. Die Auflage des Landeskonservators und des Urheberrechtsvertreters ist, dass die Sichtbeton-Optik des denkmalgeschützten Bauwerks beibehalten und die Dachgeometrie möglichst wenig beeinträchtigt wird.
Vorgesehen ist die flächige Applikation einer mit zweilagigem Carbontextil bewehrten Spritzmörtelschicht von 28 mm, auf die eine zusätzliche äußere Mörteldeckschicht mit Hydrophobierung aufgetragen wird. Die gesamte Dicke des Schutzsystem-Aufbaus beträgt dann 35 mm.
Die textilbewehrte Schutzschicht soll Rissbewegungen aus dem Untergrund aufnehmen und zwar so, dass die in der Fläche vorhandenen und sich bewegenden Risse in der Spritzmörtelschicht in viele feine (daher nicht wasserdurchlässige und entsprechend unschädliche) Risse umgewandelt werden, durch die kein Wasser mehr in das Bauwerk eindringen kann.
Laut gutachterlicher Stellungnahme des Aachener Ingenieurbüros Raupach Bruns Wolf GmbH zur „grundsätzlichen Eignung von Textilbeton für die Instandsetzung des Daches des Mariendoms auf Basis von Laborversuchen“ können so in der bewehrten Spritzmörtelschicht Rissbreiten von < 0,1 mm realisiert werden. „Diese Risse“, heißt es im Gutachten, „können aus technischer Sicht als wasserdicht betrachtet werden und so ist die Dichtigkeit der Spritzmörtelschicht bei Wasserbeaufschlagung trotz des gerissenen Zustands gegeben.“
Begleitende Laboruntersuchungen
Der Entwicklung dieses innovativen Konzepts liegen Kenntnisse aus der Instandsetzung von zwei Dachbereichen des Aachener Doms sowie von Wasserbauwerken und allgemeine Erfahrungswerte über den Baustoff Textilbeton zugrunde, die auf die spezifischen Gegebenheiten der Dachfläche am Mariendom in Neviges abgestimmt wurden.
Begleitende Laborversuche der Forschungsabteilung der RWTH in Aachen und des Instituts für Bauforschung, Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) sowie diverse Gutachten haben die grundsätzliche Eignung des Konzepts bestätigt. Voraussetzung sei allerdings, so das Gutachten von Raupach Bruns Wolf, dass das Konzept ausschließlich mit den am ibac untersuchten Materialien und Aufbauten sowie in den vorgegebenen Verfahrensschritten umgesetzt werde. Außerdem dürfen die Arbeiten nur von Unternehmen ausgeführt werden, die ihre Kompetenz durch einen entsprechenden Eignungsnachweis in der Verarbeitung von Textilbeton gegenüber einer bauaufsichtlich anerkannten Prüfstelle nachweisen können.
Es gab auf Empfehlung der Gutachter-Institute vor der Ausführung des Dachs über der Sakramentskapelle zunächst ein ca. 15 m² großes Muster, nach dessen Tauglichkeitsprüfung mit positivem Ergebnis nach einem Jahr Standzeit die übrigen Dachflächen ausgeschrieben wurden. Im Ergebnis erhielt die Essener Torkret GmbH, eine Tochter der Ed. Züblin AG, den Auftrag für die entsprechende Ausführung weiterer Dachflächenabschnitte.
Die Firma Züblin hatte die Kirche zwischen 1964 und 1968 auch errichtet. Zunächst wurde in einem ersten Bauabschnitt das Dach über der Sakramentskapelle saniert. Im Team mit der Züblin-Direktion Bauwerkserhaltung hat sich Torkret auf die Instandsetzung komplexer Bauvorhaben spezialisiert und nutzt dabei innovative Verfahren wie z. B. die Carbonverstärkung.
Bauherr:
Erzbistum Köln, Generalvikariat, Erzdiözesanbaumeister Martin Struck
Planung:
Peter Böhm Architekten, Köln
Ausführung:
Torkret GmbH, Tochtergesellschaft der Ed. Züblin AG
Gutachten:
IMB Lehrstuhl und Institut für Massivbau der RWTH Aachen,
Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolf, Aachen,
Horz + Ladewig Ingenieurgesellschaft für Baukonstruktionen mbH
Laboruntersuchungen:
ibac Institut für Bauforschung, Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite
Förderung:
gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, mit Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sowie der Wüstenrot-Stiftung
Untergrundvorbereitung
Voraussetzung für die fachgerechte Instandsetzung ist vor allem die richtige Vorbereitung des Untergrunds. Entsprechend haben die Beschäftigten der Torkret GmbH die vorhandene Epoxidharzbeschichtung und -spachtelung sowie andere trennend wirkende Substanzen und Bewuchs auf der Dachfläche mechanisch durch Strahlen vollständig entfernt. An Schadstellen sowie in Bereichen mit korrodierter Bewehrung stemmten sie den Beton vorsichtig weg. Freiliegender bzw. freigelegter Bewehrungsstahl wurde gemäß Reinheitsgrad Sa 21/2 nach EN ISO 850-17 (Instandsetzungsprinzip C) vorbereitet und anschließend mit einem mineralischen Korrosionsschutz in drei Arbeitsgängen beschichtet.
Außerdem wurden sämtliche Risse des Bauwerks auf der Oberfläche markiert und in einem Risskataster erfasst. Der sachkundige Planer legte anschließend jene Rissbereiche fest, in denen eine Enthaftung der Schutzschicht erfolgen soll. An diesen Stellen führten die Beschäftigen dann mit einem elastifizierten mineralischen Spachtel einen 18 cm breiten Enthaftungsstreifen aus. Der Enthaftungsstreifen soll gewährleisten, dass sich die Risse im Untergrund unter der final applizierten Schutzschicht frei und ohne Verbund mit dieser bewegen können, um dort die gewünschte Überführung der Bewegungen in ein Netzwerk aus vielen Haarrissen zu erreichen.
Auftragen der Schutzschicht
Die Mörtelschutzschicht wurde von den Beschäftigten lagenweise auf dem vorbereiteten und ausreichend vorgenässten Untergrund hergestellt. Der Mörtelauftrag erfolgte im Trockenspritzverfahren mit einem kunststoffmodifizierten SPCC-Mörtel.
Dabei wurde mit einer ersten 10 mm dicken Schicht zunächst eine Vorbereitungsebene zur Einbettung der Carbonbewehrung geschaffen. Gleichzeitig konnten damit kleinere Unebenheiten im Untergrund ausgeglichen und der erforderliche Abstand der Textilbewehrung zum Untergrund gewährleistet werden.
Die Handwerkerinnen und Handwerker legten nun das vorbereitete Textilgewebe direkt in die noch frische Schicht ein, richteten es aus und fixierten es durch leichtes Andrücken. Zudem war es notwendig, dass zumindest in aufgrund der Geometrie kritischen Bereichen, wie zum Beispiel Kehlen oder bei Graten, zur Fixierung eine Verdübelung erfolgte. Anschließend brachten sie auf dieser ersten Bewehrungslage frisch in frisch eine zweite, ebenfalls 10 mm dicke Mörtelschicht mit Carbonbewehrung auf, die anschließend mit einer 8 mm dicken Einbettlage abgedeckt wurde.
Die Carbonbewehrung, ein quadratisches Gitter mit einer Maschenbreite von 21 mm, das werkseitig mit einem heiß härtenden Epoxidharz getränkt und thermisch gehärtet ist, wird in diesem Fall wegen der geringen Gesamtdicke der Mörtelschutzschicht nicht überlappend verlegt, sondern stumpf aneinandergestoßen. Allerdings achteten die Verarbeitenden genau darauf, dass der Versatz im Stoßbereich zwischen den beiden Bewehrungslagen mindestens die von der Planung vorgegebenen 20 cm beträgt.
Im Bereich von entkoppelten Rissen musste der seitliche Abstand der Bewehrungsstöße vom Riss laut Planungsvorgabe mindestens 40 cm betragen. Die Grate und Kehlen der polygonalen Dachkonstruktion wurden entsprechend ebenfalls zweilagig mit speziell auf die jeweilige Winkelform angepassten Carbonformteilen ausgeführt.
Herstellung der originalen Sichtbeton-Optik
Damit die finale Optik der instandgesetzten Dachfläche dem ursprünglichen Aussehen entspricht, wurde die Deckschicht mit einem speziell für dieses Bauvorhaben hergestelltem SPCC-Trockenspritzmörtel – unter Verwendung eines Weißzements und der Beimischung von Farbpigmenten (Eisenoxid und Titanoxid) – ausgeführt. Um Verbundstörungen zum Untergrund zu vermeiden, applizierten die Beschäftigten den Mörtel der Deckschicht in zwei nacheinander aufgebrachten dünnen Spritzlagen von insgesamt 7 mm Dicke, die sie anschließend ebenflächig abzogen, um die bereits in der ursprünglichen Oberfläche sichtbare Schalbrett-Strukturoberfläche einzuarbeiten. Um dem Eindringen von Wasser in die textilbewehrte Schutzschicht und der damit verbundenen Gefahr von Frostschäden zusätzlich vorzubeugen, wurde abschließend eine Hydrophobierung der Oberfläche ausgeführt.
Für die Trockenspritzarbeiten mussten auch die entsprechenden Arbeitsschutzmaßnahmen eingehalten werden, die bei der Nutzung von Betonspritzmaschinen und Schläuchen gelten (siehe BG BAU-Baustein C465). Wegen der erhöhten Belastung durch starke Staubentwicklung trugen die Beschäftigen eine spezielle persönliche Schutzausrüstung (PSA), die neben Schutzhelm und Sicherheitsschuhen aus Atemschutz, Gesichtsschutz, Schutzhandschuhen und Gehörschutz bestand.
Eine Herausforderung war zudem die besondere Geometrie des Mariendoms, die eine Gerüsterstellung für die Ausführung der Höhenarbeiten – in der üblichen Weise – erschwerte. Viele Arbeiten konnten nur mit PSAgA durchgeführt werden.
Qualitätssicherung
Bei der hier beschriebenen Instandsetzung der Dachfläche des Mariendoms handelt es sich um eine speziell auf das Objekt abgestimmte Sonderlösung, für die keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung besteht, sondern eine Zustimmung im Einzelfall erteilt wurde. Ungeachtet dessen bestehen für die Qualifikation der Ausführenden die gleichen Anforderungen, die auch in anderen Bereichen der Tragwerksverstärkung und Verarbeitung der eingesetzten Materialien gelten. So war unter anderem die Befähigung zur Ausführung von Spritzmörtelarbeiten (SPCC-Düsenführerschein) im Bereich der Instandsetzung gefordert.
Die qualifizierte Führungskraft musste während der entscheidenden Phasen auf der Baustelle anwesend sein, um die fachgerechte Ausführung der Arbeiten durch Eigenüberwachungen gemäß der Instandsetzungs-Richtline (Teil 3) des Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) durchzuführen und zu dokumentieren. Um die Dauerhaftigkeit der Maßnahme sicherzustellen, ist vorgesehen, dass der Planer einen objektspezifischen Instandhaltungsplan erstellt, sodass eventuell auftretende Schäden am Instandsetzungssystem rechtzeitig erkannt und behoben werden können.
Autoren
Ausgabe
BauPortal 3|2021
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