
STADTBAHN-Projekt: Umfassende Erneuerung des ÖPNV in Halle/Saale
Halle an der Saale trägt nicht nur den Beinamen „Händel-Stadt“, sondern möchte künftig auch eine Smart City sein. Um dem gerecht zu werden, unternimmt die Großstadt in Sachsen-Anhalt enorme Anstrengungen. Im Rahmen des Programms „STADTBAHN“ wird beispielsweise der öffentliche Nahverkehr gründlich modernisiert und für die Zukunft flott gemacht.

Straßenbahn im Stadtbild von Halle
Mit einer Straßenbahn zügig von A nach B zu gelangen, hat in der geschichtsträchtigen Saalestadt fast anderthalb Jahrhunderte lang Tradition. Schon 1882 gab es hier die ersten Straßenbahnen in Deutschland, die elektrisch betrieben wurden. Heute zählt das Straßenbahnnetz mit über 30 Linien und insgesamt 160 km Gleislänge zu den umfangreichsten Streckennetzen Deutschlands. Die Linie 5 führt sogar bis ins 30 km entfernte Bad Dürrenberg und ist damit eine der längsten Strecken Europas.

Erhard Krüger, HAVAG
Jährlich nutzen fast 57 Mio. Fahrgäste die Straßenbahn. Es sollen noch mehr werden, wünscht sich nicht nur Erhard Krüger, Bereichsleiter Technik und Infrastruktur der HAVAG, einer Tochter der Stadtwerke. Er arbeitet seit 1981 im Unternehmen, verfügt über ein enormes Straßenbahn-Know-how und beherrscht sein Metier bis ins kleinste Detail.

Eingebaute Spaltrampen in älteren Niederflurbahnen
Programm „STADTBAHN“ soll neues Verkehrskonzept umsetzen
„Nach der Wiedervereinigung änderten sich die Verkehrsströme auch in Halle rasant“, berichtet Erhard Krüger. Der Pkw-Verkehr nahm vehement zu. Viele Menschen zogen aus den Großsiedlungen weg. Später kamen wieder andere dazu. Neue Eigenheimsiedlungen entstanden in anderen Gebieten der Stadt. Weitere waren vorgesehen. Es bedurfte dringend eines neuen Verkehrskonzeptes, das den ÖPNV wieder mehr in den Fokus rückte, um die Schadstoffbelastung in Halle erheblich zu reduzieren. 2013 entstand deshalb das Programm „STADTBAHN“, welches seitdem im Verbund mit der Stadt, der Stadtwerke Halle GmbH, der Halleschen Verkehrs-AG (HAVAG) sowie den Versorgungsunternehmen Energieversorgung (EVH) der Wasser- und Stadtwirtschaft (HWS) in drei Stufen umgesetzt wird.
Modernes Straßenbahnnetz für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort
Erhard Krüger hat dabei den Hut auf. Im Team bündelt und koordiniert der Ingenieur alle Partner – von den Ämtern angefangen über die Bauteams bis hin zur Bevölkerung. Insgesamt 500 Mio. € fließen in dieses gewaltige und umfangreiche Infrastrukturprojekt. 75 % davon fördert der Bund, 15 % das Land Sachsen-Anhalt. 10 % beträgt der HAVAG-Eigenanteil. „Wir verstehen uns als Entwickler der Stadt“, bekräftigt Erhard Krüger, „und wollen das ÖPNV-Netz so gestalten, dass es einem Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort inmitten der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland gerecht wird.“ Er spricht von einem modernisierten und erweiterten Streckennetz, regulierten Fahrgastströmen, schnelleren Fahrzeiten, Pünktlichkeit, mehr Fahrkomfort und barrierefreien Haltestellen mit digitalen Informationstafeln. Dabei sei es nicht so einfach, wie er sagt, alle Beteiligten unter (s)einen Hut zu bekommen.

Neue Rasengleise Merseburger Straße in Halle
Herausforderungen beim Bau
Zeitweise waren bis zu 40 Gewerke parallel im Einsatz. Er denkt da beispielsweise an den Ersatzneubau Elisabethbrücke. Lieferengpässe sowie steigende Materialpreise machen ihm zunehmend zu schaffen. „Doch wir halten an unserem Vorhaben fest, stimmen gemeinsam jede einzelne Projektphase des Stufenplans genau ab. Bis 2035 wollen wir fertig sein. Etwa die Hälfte unserer Maßnahmen ist bereits umgesetzt, wie überall in der Stadt zu spüren ist.“ Bewährt habe sich dabei auch, betont der Projektleiter, dass die Hallenser von Anfang an in das Baugeschehen involviert waren. Rechtzeitig wurden sie über alle Maßnahmen informiert. Sei es über persönliche Gespräche, die Medien oder das Baustellentagebuch auf der Website der Stadtwerke. So konnten sie sich auf baustellenbedingte Änderungen im Fahrplan oder verlegte Haltestellen einstellen. Bürgerhinweise wurden seitens des Bauträgers ernst genommen und berücksichtigt. So entstand viel Verständnis für die Baumaßnahmen und sicherte einen zügigen Bauablauf.

Herstellung der neuen Wegstrecken in Halle
Stufenweise Bauphasen bei laufendem Verkehr
Die Umsetzung dieses Bauprojektes findet in mehreren Bauphasen statt. Stufe 1: Ausbau zentraler Verkehrsknoten wie z. B. „Am Steintor“, Stufe 2: Ersatzneubau „Elisabethbrücke“ und Stufe 3: Ausbaustrecke von 16,8 km im Verlauf der Linien 3 und 8.
Stufe 1: Ausbau zentraler Verkehrsknoten, z. B. Am Steintor
In Stufe 1 ging es vor allem um den Ausbau zentraler Verkehrsknoten wie Am Steintor oder der Merseburger Straße. Letztere, eine stark frequentierte Straße (B91), führt von Nord nach Süd quer durch die Stadt. Auch die Südstadt wurde ans Streckennetz angebunden, das ebenfalls ins Wohngebiet Silberhöhe verlängert wurde. „Überall, wo es möglich ist, verlegen wir die Schienen mittig der Straße, auf bahneigenem Gleiskörper, was die Straßenbahn enorm beschleunigt und sicherer macht.“ Nicht nur das. Statt Schotter zwischen den Schienen kommen lärmarme Bauweisen mit verschraubten Gleisrahmen und elastischem Unterguss zum Einsatz. Das Gleisbett selbst erhält Raseneindeckung. Dadurch reduziert sich die Schallabstrahlung der Bahnen. Ebenso verbessert sich mit der Bepflanzung das Mikroklima im Stadtraum. Eine weitere Idee besteht darin, geeignete HAVAG-Haltestellendächer mit Photovoltaik auszustatten, um den regenerativen Strom für digitale Fahrgastinformationen sowie die LED-Beleuchtung der Wartehalle zu nutzen. An der Haltestelle Bergmannstrost und im Böllberger Weg wird das bereits praktiziert.
Stufe 2: Ersatzneubau „Elisabethbrücke“
Wichtigster und sicher größter Bauabschnitt im Projekt (Stufe 2) stellt die neue, 146 m lange „Elisabethbrücke“ dar. Sie führt von der Mansfelder Straße über die Saale und verbindet die Altstadt mit der Neustadt. Täglich wird sie von etwa 40.000 Fahrgästen benutzt. Erhard Krüger: „Die Brücke ersetzt ein altes, schadhaftes Bauwerk. In nur einem Jahr gelang es uns in modularer Bauweise, die neue Elisabethbrücke herzustellen – samt Umverlegen aller Wasser-, Energie- und Kommunikationsleitungen – ohne dass der Straßenbahnverkehr längere Zeit zum Erliegen kam. Alle anliegenden Geschäfte blieben währenddessen geöffnet. Das alles zu koordinieren, stellte eine enorme Herausforderung dar und bedurfte besonderer Lösungen.“ So wurden u. a. spezielle Bauweichen verlegt. Die Straßenbahnen fuhren eingleisig durch das Baugeschehen hin und zurück. Damit die Bauteams sicher arbeiten konnten, kam dauerhaft ein Signalposten zum Einsatz. „Die Bauteams arbeiteten Tag und Nacht, oft auch an den Wochenenden, um schnellstens fertig zu werden.“ Seit Sommer 2024 fahren sechs Straßenbahnlinien zweigleisig inmitten der Brücke. Daneben können Fußgänger wie Radfahrer auf breiten eigenen Wegen das Bauwerk sicher passieren.
Stufe 3: Ausbaustrecke von 16,8 km auf den Linien 3 und 8
Demnächst beginnt auch die dritte Stufe des STADTBAHN-Projekts. Sie umfasst eine Ausbaustrecke von 16,8 km im Verlauf der Linien 3 und 8. Das alte Gleisbett wird rückgebaut und durch neue Rasengleise ersetzt. Eine 4,9 km lange Neubaustrecke soll für die Stadtgebiete Heide-Nord/Lettin sowie eine weitere Gleisspange im Süden Halles für die neue Wohnsiedlung „Am Rosengarten“ entstehen. Weitere 33 Haltestellen werden barrierefrei und modern ausgebaut.

Bauarbeiten an der Dessauer Straße
Kampfmittelsondierung auf der Baustelle Dessauer Straße
Derzeit laufen notwendige Tiefbauarbeiten in der nördlichen Dessauer Straße. Erhard Krüger weist auf eine Besonderheit des Gebietes hin: Hier befanden sich in den 1940er-Jahren ein Flugzeugwerk sowie die Außenstelle eines KZ. Auf dieses Gelände fielen im Sommer 1944 Bomben der US Air Force. Luftbildaufnahmen der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt zeigen verdächtige Krater.

Magnetsonde bei Kampfmittelortung in Halle
„Um sicherzustellen, dass die Bauteams und Anwohner keine bösen Überraschungen erleben, fand parallel zu den Bauarbeiten eine intensive Kampfmittelsondierung statt. Vor jedem Bodeneingriff wurde die Verdachtsfläche mit einer Magnetsonde schichtweise auf signalstarke Störkörper untersucht. Nach Freigabe durch die verantwortliche, weisungsberechtigte Person konnten die freigegebenen Bodenpartien schichtweise ausgebaut und zur nachträglichen visuellen Kontrolle ausgelegt werden."
Bei Verdachtsfällen auf Munition ist das so vorgeschrieben. Ebenso der Einsatz spezieller Bagger mit dicken Panzerglasscheiben und Stahlplatten rundum, damit der Fahrer bei eventuellen Explosionen nicht gefährdet wird. „Mit diesen speziellen Maschinen lassen sich oberste Erdschichten vorsichtig abtragen“, erklärt Erhard Krüger. „Die Baggerfahrer wurden dafür extra vom Kampfmitteldienst und dem Koordinator nach Baustellenverordnung (auch SiGeKo genannt) geschult. Das Team nahm zudem regelmäßig an Schulungen teil, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Sicherheit steht immer an erster Stelle!“ Außerdem hingen Fotos von möglichen Kampfmitteln in den Aufenthaltsräumen, um täglich an die Verantwortung jedes Einzelnen zu erinnern.

Absprache zum Bauplan Dessauer Straße
Arbeitsschutz bei der Kampfmittelsondierung
Die besonderen Maßnahmen der Kampfmittelsondierung entsprechen der DGUV Information 201-027. Demnach muss in kampfmittelverdächtigen Bereichen ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGe-Plan) eingehalten werden. Grundlage hierfür bilden die Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes und der DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“. Darüber hinaus sind die Regelungen einschlägiger Verordnungen, insbesondere der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und ihren jeweiligen Technischen Regeln (z. B. TRBS, TRGS) zu beachten. Besondere Hinweise zur Erstellung der stoff- und tätigkeitsbezogenen Betriebsanweisungen enthält die TRGS 555.
Die baubegleitende Kampfmittelräumung stellt technisch kein eigenständiges Verfahren der Kampfmittelräumung dar. Vielmehr werden die Räumarbeiten zeitlich und örtlich mit den auszuführenden Bauarbeiten zusammengelegt. Bei sämtlichen Eingriffen in den kampfmittelverdächtigen Untergrund obliegt die verantwortliche Steuerung und Koordination der weisungsberechtigten Person gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 3 SprengG.
Ausblick
Erhard Krüger ist davon überzeugt, dass ein modernes und leistungsfähiges Stadtbahnnetz die Hallenser und ihre Gäste animieren wird, künftig verstärkt auf den umweltfreundlichen ÖPNV zu setzen. Damit kann Halle eine gesunde und lebenswerte Großstadt werden, in der jeder schnell, komfortabel und pünktlich an sein Ziel gelangt.
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BauPortal 2|2025