Absturz bei Instandhaltung einer Anlage auf dem Dach
Die wesentlichen Rechtsgrundsätze des Urteils
→ Arbeitgeber haben Arbeitsschutzpflichten gegenüber ihren eigenen Beschäftigten
→ Auftragnehmer sind auch für Arbeitsplätze bei Auftraggebern verantwortlich
→ Instandhaltungs- und Wartungsverträge verpflichten Auftraggeber zum Schutz der Beschäftigten des Auftragnehmers (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter)
→ Die Zusammenarbeitspflichten gemäß § 8 ArbSchG gelten auch für Außeneinsätze
→ Die Vergewisserungspflicht des § 8 Abs. 2 ArbSchG erfordert nicht, jeden einzelnen Fremdbeschäftigten stets vor Aufnahme seiner Tätigkeit nach erhaltenen Anweisungen zu befragen – sie „steht unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit“
→ „Fremdfirmenbeschäftigte sollen gerade vor Gefährdungen geschützt werden, die aus ihrer Unkenntnis der Verhältnisse im Einsatzbetrieb resultieren“
→ „Vor offenkundigen und klar erkennbaren Gefahrenquellen muss nicht gewarnt werden“
Sachverhalt
Auftragnehmer A schickte zur Erfüllung eines Vertrags über die turnusmäßige Wartung und Instandhaltung der Rauch- und Wärmeabzugsanlage (RWA-Anlage) seine Mitarbeiter in das Betriebsgebäude der B. Der erstmals dort tätige Mitarbeiter M stürzte 9 m vom Dach der nicht durchtrittsicheren Lagerhalle und verletzte sich schwer.1 M ist Kläger und verlangt von der beklagten Betreiberin/Bestellerin B angemessenes Schmerzensgeld – mindestens 100.000 EUR.
Urteil
Das Landgericht Koblenz wies die Klage ab2 und das Oberlandesgericht Koblenz bestätigte das Urteil.3
A. Zwar Arbeitsschutzpflichten des Auftragnehmers und nicht des Auftraggebers gegenüber M
Der Kläger ist nicht Beschäftigter der Beklagten – und „grundsätzlich bleibt es dabei, dass auch dann, wenn mehrere Unternehmer zusammenarbeiten, jeder Arbeitgeber für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz seiner eigenen Beschäftigten selbst verantwortlich ist“.
M ist Arbeitnehmer des Auftragnehmers – dieser Auftragnehmer ist als sein „Arbeitgeber verpflichtet, die drohenden Gefährdungen zu ermitteln und entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Er ist es, der seinem Beschäftigten den Arbeitsplatz in dem Fremdbetrieb zuweist; daher muss er auch für die Sicherheit seines Beschäftigten dort einstehen. Die für seine Gefährdungsbeurteilung notwendigen Informationen muss er sich dabei von seinem Auftraggeber beschaffen“.
Daher „trägt nicht der Inhaber des Betriebes, auf dessen Betriebsgelände die Arbeitnehmer gerade tätig sind, die Verpflichtung zur Durchführung der arbeitsschutzrechtlichen Maßnahmen“.
B. Aber Zusammenarbeitspflichten gemäß § 8 ArbSchG
In Betracht kommt aber die Verletzung der Zusammenarbeitspflichten gemäß § 8 ArbSchG, der „auch für Außeneinsätze gilt“. § 8 Abs. 2 ArbSchG ist ein „Spezialfall der Unterweisung“. Auch § 8 Abs. 2 ArbSchG „verändert nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers solcher Fremdbeschäftigten, für die Durchführung der arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen zu sorgen“. Aber „der Arbeitgeber, auf dessen Betriebsgelände solche Fremdbeschäftigten tätig sind, hat die Pflicht, sich zu vergewissern, ob diese fremden Arbeitnehmer Anweisungen arbeitsschutzrechtlicher Art von ihrem Arbeitgeber erhalten haben“.4
C. Zwar Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des M
Der Kläger kann auch grundsätzlich einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB gegen die Betreiberin/Bestellerin B haben, obwohl er nicht unmittelbarer Vertragspartner ist. Das „Institut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beruht auf einer ergänzenden Vertragsauslegung und knüpft an den hypothetischen Willen der Parteien an, der gemäß § 157 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu erforschen ist.5 Danach können auch Personen, die nicht selbst Vertragspartner, jedoch einem von dem Vertrag besonders geschützten Personenkreis zuzurechnen sind, in die aus einem Vertrag folgenden Sorgfalts- und Schutzpflichten einbezogen werden. Den Besteller einer Werkleistung trifft die vertragliche Pflicht, alles ihm Zumutbare zu tun, um seinen Vertragspartner bei der Ausführung der Arbeiten vor Schaden zu bewahren. Stellt der Besteller ein Grundstück oder ein Arbeitsgerät für die Werkleistung zur Verfügung, erstreckt sich seine vertragliche Pflicht darauf, im Rahmen des Zumutbaren hiervon ausgehende Gefahren für den Vertragspartner zu vermeiden. Bei schuldhafter Verletzung der vertraglichen Schutzpflichten haftet der Besteller seinem Vertragspartner gemäß § 280 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz“.6
Hier war der Wartungsvertrag ein „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, in dessen Schutzbereich auch der Kläger einbezogen war“. Denn M „war als Arbeitnehmer des Auftragnehmers mit Arbeiten an einer Halle der B betraut; die Auftragnehmerin hatte aufgrund ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeberin des Klägers ein schutzwürdiges Interesse an dessen Einbeziehung und dies war auch für die Bestellerin erkennbar“.
D. Aber keine Sorgfaltspflichtverletzung
Aber die Auftragnehmerin hat „keine ihr gegenüber dem Kläger obliegenden Schutzpflichten verletzt“ und „nicht gegen das ArbSchG verstoßen“.
Sie hat zwar „den Kläger bei Aufnahme der Arbeiten nicht danach befragt, ob er von seinem Arbeitgeber Anweisungen erhalten hat. Nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falles hat die Beklagte hierdurch jedoch nicht gegen Pflichten gemäß § 8 Abs. 2 ArbSchG verstoßen. Es ist gesetzlich nicht geregelt, in welcher Form die Beklagte ihrer Vergewisserungspflicht hätte nachkommen müssen. Es ist jedenfalls nicht erforderlich, dass jeder einzelne Fremdbeschäftigte stets vor Aufnahme seiner Tätigkeit nach erhaltenen Anweisungen befragt wird; Stichproben können genügen, ebenso, dass der Auftraggeber vorab mit dem Auftragnehmer die zu erteilenden Weisungen abspricht oder sich diese von ihm bestätigen lässt.
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Der Betriebsinhaber muss nicht die Unterweisungspflicht des anderen Arbeitgebers durchsetzen, er soll lediglich im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür sorgen, dass die besonderen Gefahren der Zusammenarbeit berücksichtigt werden. Die Fremdfirmenbeschäftigten sollen gerade vor Gefährdungen geschützt werden, die aus ihrer Unkenntnis der Verhältnisse im Einsatzbetrieb resultieren. Die Vergewisserungspflicht steht insoweit unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit“.7
Hier waren nach dem OLG keine Vergewisserung i. S. d. § 8 Abs. 2 ArbSchG und kein Hinweis auf die nicht trittsicheren Lichtbänder erforderlich:
• „Die großflächigen Lichtbänder im Dach waren bei einem Aufenthalt in der Halle ganz deutlich zu erkennen. Durch diese Lichtbänder fiel – ähnlich Fenstern – helles Tageslicht ein, während die übrige Fläche des Daches lichtundurchlässig war.“
• „Der Kläger hat selbst vorgetragen, dass er von dem Betriebsleiter der Bestellerin empfangen und ihm die Anlage in der Halle gezeigt wurde.“
• „Der Kläger war bei einer Firma beschäftigt, deren Betätigungsfeld der Brandschutz ist. RWA-Anlagen haben ihre Abzüge aber in der Regel gerade auch über die Dächer. Die übliche Tätigkeit des Klägers bei seiner Arbeitgeberin schloss also typischerweise auch Überprüfungen im Bereich von Dächern ein.“
• „Der Kläger hat auch in den Jahren 2006 und 2012 an beruflichen Weiterbildungsseminaren teilgenommen, die auch Gefahren bei Arbeiten auf Dächern und entsprechende Unfallverhütungsmaßnahmen zum Gegenstand hatten“ – seine Arbeitgeberin hat im Prozess eine Broschüre „Wartung von RWA-Anlagen – Keine Routine auf dem Dach“ vorgelegt.
• „Bei den Lichtbändern in dem Hallendach handelte es sich gerade nicht um eine besondere Gefahrenquelle im Betrieb der Auftraggeberin, von der der Kläger als Fremdfirmenbeschäftigter keine Kenntnis haben konnte und in Bezug auf die er somit auf Informationen durch die Auftraggeberin angewiesen war. Vor offenkundigen und klar erkennbaren Gefahrenquellen muss nicht gewarnt werden.“
-
§ 157 Auslegung von Verträgen
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
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§ 8 Zusammenarbeit mehrerer Arbeitgeber
(1) Werden Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber an einem Arbeitsplatz tätig, sind die Arbeitgeber verpflichtet, bei der Durchführung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzbestimmungen zusammenzuarbeiten. Soweit dies für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit erforderlich ist, haben die Arbeitgeber je nach Art der Tätigkeiten insbesondere sich gegenseitig und ihre Beschäftigten über die mit den Arbeiten verbundenen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu unterrichten und Maßnahmen zur Verhütung dieser Gefahren abzustimmen. (2) Der Arbeitgeber muss sich je nach Art der Tätigkeit vergewissern, dass die Beschäftigten anderer Arbeitgeber, die in seinem Betrieb tätig werden, hinsichtlich der Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit während ihrer Tätigkeit in seinem Betrieb angemessene Anweisungen erhalten haben.
Fußnoten
- 1
- Weitere Urteilsbesprechungen in Wilrich, Praxisleitfaden Baustellenverordnung, 2023; Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung, 3. Aufl. 2023.
- 2
- LG Koblenz, Urteil v. 05.02.2018 (Az. 16 4 O 320/16).
- 3
- OLG Koblenz, Urteil v. 13.12.2018 (Az. 1 U 296/18). Daher „trägt nicht der Inhaber des Betriebes, auf dessen Betriebsgelände die Arbeitnehmer gerade tätig sind, die Verpflichtung zur Durchführung der arbeitsschutzrechtlichen Maßnahmen“.
- 4
- Zu Verkehrssicherungs-, Hinweis- und Durchsetzungspflichten des Bauherrn siehe Wilrich, Bausicherheit – Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten (2021).
- 5
- Typische Beispiele sind die Betreuungsverträge der Fachkräfte für Arbeitssicherheit – siehe Wilrich, Verantwortung und Haftung der Sicherheitsingenieure: Unterstützungs-, Beratungs-, Berichts-, Prüfungs-, Warn- und Sorgfaltspflichten der Fachkräfte für Arbeitssicherheit als Stabsstelle und Unternehmerpflichten in der Linie – mit 15 Gerichtsurteilen und Strafverfahren zu Fahrlässigkeit und Schuld nach Arbeitsunfällen (2022).
- 6
- Hier verweist das Gericht auf BGH, Urteil v. 07.12.2017 (Az. VII ZR 204/14).
- 7
- Siehe auch Wilrich, Technik-Verantwortung – Sicherheitspflichten der Ingenieure, Meister und Fachkräfte – Organisation und Aufsicht durch Management und Führungskräfte (2022).
Ausgabe
BauPortal 2|2023
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