Ingenieur- und Brückenbau
Neubau der Schiersteiner Brücke bei laufendem Verkehr
Lange Jahre wurden Brücken deutschlandweit stiefmütterlich behandelt. Das änderte sich abrupt, als vor geraumer Zeit erhebliche Bauwerksschäden festgestellt wurden, wie an der Schiersteiner Brücke zwischen Wiesbaden und Mainz. Deshalb wird die Brücke derzeit neugebaut. Ein hoher Anspruch an alle Firmen, die Rück- wie Neubau bei laufendem Verkehr bewältigen müssen. Noch in diesem Jahr soll die Rheinbrücke fertig sein.
Als die Schiersteiner Brücke zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz 1962 gebaut wurde, ging man von 20.000 Fahrzeugen aus, die den Rhein hier täglich überqueren. Doch die Zahl stieg von Jahr zu Jahr, vor allem die der schwergewichtigen Lkw. Bis zu 90.000 Fahrzeuge fuhren hier täglich, um auf dem schnellsten Weg von Hessen nach Rheinland-Pfalz zu gelangen und umgekehrt. Der einteilige Überbau mit je zwei Richtungsfahrstreifen sowie Geh- und Radwegen hielt diesen Belastungen längst nicht mehr stand. Als die Brücke erste Risse aufwies, wurde ein Ersatzneubau beschlossen. Die neue Brücke sollte 1.280 m lang und 44 m breit sein mit Anschluss an die A 66. Im Auftrag des Bundes übernahm Hessen Mobil Straßen- u. Verkehrsmanagement die Regie. Den Bauauftrag erhielten die Max Bögl Bauunternehmung GmbH & Co. KG, die Max Bögl Stahl- und Anlagenbau GmbH & Co. KG sowie die Plauen Stahl Technologie GmbH. Diese Unternehmen verfügen seit Jahren über ein spezielles Know-how im modernen Brückenbau und sollten das erneut unter Beweis stellen.
Deckbrücken-Entwurf siegte
Der Entwurf für das Bauwerk stammt von der Frankfurter ARGE Planungs- und Ingenieurgesellschaft Ingenieurbüro Grontmij BGS und dem Architekturbüro Ferdinand Heide. Sie gingen mit ihrer Idee einer schlanken Deckbrücke als Sieger hervor. Symmetrisch ausgebildet mit je 205-m-Feldern über den Rhein sowie Stützweiten von 70–100 m über den Grünzonen passt sich die neue Brücke gefällig in die Landschaft ein – auch was die farbliche Gestaltung angeht. Helle Hohlkörper, dunkle Fahrbahnplatten, gevoutete Elemente bilden attraktive Kontraste zur Flusslandschaft ringsum.
Architekten und Planern gelang es dabei, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Der Neubau wird den künftig zunehmenden Verkehrsbelastungen gerecht, die Rheinschifffahrt bleibt von übermäßig vielen Brückenpfeilern ver- und das Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“ geschont. Die gestalterische Lösung mit zwei voneinander getrennten Überbauten, mit jeweils drei Spuren für den Autoverkehr sowie einem Geh- und Radweg plus Sandstreifen überzeugte die Jury am meisten.
Bauablauf in drei Phasen
Die neue Brücke entsteht terminiert in drei Phasen: Bau der unterstromigen Brücke (Seite zur Rheinquelle hin). Der Verkehr läuft zweispurig auf der alten Brücke. Danach wird er auf das neue fertige Teilstück verlegt. In analoger technologischer Reihenfolge startet der Bau der oberstromigen Brücke (Seite zur Rheinmündung hin). In umgekehrter Richtung zum Neubau erfolgt der Abbruch der alten Brücke. Angesichts der riesigen Verkehrsströme auf Brücke und Rhein stellte das vor allem eine logistische Herausforderung für alle Gewerke dar, um die geplante Bauzeit bis 2019 einzuhalten.
Gründungsarbeiten
Nach dem Spatenstich im Herbst 2013 wurde zunächst die unterstromige Brücke in Fahrtrichtung Mainz gebaut. Für das Verankern der ersten 15 Pfeilerreihen war es nötig, Pfähle mit einem Durchmesser von 1,80 m in eine Tiefe von bis zu 33 m zu bohren. Da der Beton für den Pfeilerbau über Rohrleitungen und Ponton zur jeweiligen Einbaustelle gepumpt werden musste, galt es, die Taktzeiten zwischen Bauteams und Betonlieferanten genauestens abzustimmen. Da der Baugrund des Rheins sehr setzungsempfindlich ist, mussten die Pfähle teilweise sogar bis in 40 m Tiefe gebohrt werden. Um dabei höchste Sicherheit und beste Qualität zu garantieren, entwickelte die CEMEX Deutschland AG spezielle Betone mit Zement CEM III/A 42,5 N. Mit Hochleistungsbetonverflüssiger/-fließmittel CX ISOFLOW 761 versetzt konnte die nötige Konsistenz F5 realisiert werden. Insgesamt flossen in dieses Projekt 25.000 m3 Bohrpfahlbeton und rund 40.000 m3 Konstruktionsbetone (inklusive der späteren Überbauten).
Einschwimmen der Stahl- und Betonüberbauten
Auf die Gründung folgten dann die Stahlüberbauten sowie die Betonüberbauten, die auf beiden Brückenteilen analog stattfinden. Zunächst kommt ein Traggerüst in Ufernähe mit werkseitig vorgefertigten Stahlelementen zum Einsatz. Es besteht jeweils aus sieben Einzelteilen und einer Innenstrebe, die miteinander verschweißt sind. Nach Montage der Elemente wird der gesamte Brückenabschnitt mittels Vorschubbahn 90 Meter in Richtung Rhein verschoben. Das Traggerüst kann dann wieder demontiert werden.
Die mittige Lückenschließung erfolgt immer vom Rhein aus. Dazu wird jeweils eine 2.000 t schwere und 120 m lange vorgefertigte Stahlkonstruktion, die am Ufer bereits parat liegt, über hydraulische Pressen, Schlepper und Schuten in die Brückenlücke eingeschwommen. Das passiert zweimal auf jeder Brückenhälfte. Der hohe Vorfertigungsgrad der Überbauten minimiert vor allem Schweißarbeiten auf der Baustelle und begünstigt den Bauablauf und eine hohe Qualität der Konstruktion.
Das Einschwemmen bedeutet für alle Beteiligten einen ungeheuren Kraftakt. Wenn auch technologisch alle Schritte ausgeklügelt sind, macht das Wetter, was es will. So lag beim Einschwemmen des ersten Teilstücks der Rheinpegel wochenlang unter den erforderlichen 3,20 m. Die Bauarbeiten verzögerten sich. Beim Einschwemmen des 3. Teils im Februar dieses Jahrs herrschte starker Wind. Die Plattform mit dem Brückenteil musste deshalb mit Winden und Stahlseilen an die richtige Stelle gezogen und in die richtige Position gehoben werden.
Der Baufortschritt der Schiersteiner Brücke im Video
© Hessen Mobil - Straßen- und Verkehrsmanagement und Bärbel Rechenbach
Abbruch und Neubau in umgekehrter Reihenfolge
Einen besonderen Part im Bauablauf nahm der Abbruch der alten Brücke ab Herbst 2017 ein. Denn er verlief etappenweise in umgekehrter Reihenfolge zum Neubau bei laufendem Verkehr auf der neuen Fahrbahn der unterstromigen Brücke.
Das Abbruchunternehmen Peter Kolb GmbH aus Aschaffenburg legte dafür ein detailliertes Konzept vor, dass den Schifffahrtsverkehr auf dem Rhein, den Personenverkehr sowie den Schutzstatus des 127 ha großen Naturschutzgebiets „Mainzer Sand“ berücksichtigte. Kein Abbruchmaterial durfte in den Rhein fallen. Sogar Funkenflug während der Schweißarbeiten musste vermieden werden. Wie Alexander Hasenstab, Bauleiter des Abbruchunternehmens, zu Beginn der Arbeiten erklärte, wurden dafür umfassende Schutzvorkehrungen getroffen, auch was die Sicherheit der Arbeitskräfte anging. Regelmäßige Unterweisungen fanden statt. Für jeden einzelnen Arbeitsschritt lag eine exakte Arbeitsanweisung vor. Erst nach Freigabe des Prüfstatikers durften die Abbrucharbeiten beginnen. Nach und nach wurde die Fahrbahndecke abgetragen, der Asphalt abgefräst, Betonschutzwände abgebrochen und Brückenschilder demontiert. Ebenfalls die alten Rad- und Fußwege sowie die Brückenkappe.
Besonders schwierig war es, ein 120 m langes und 1.100 t schweres Teilstück im Ganzen herauszusägen und per Ponton ans Ufer rheinabwärts zu transportieren. Mithilfe eines Cat-Kettenbaggers und einer 15 t schweren Schere wurde das massive Stahlelement in nur knapp fünf Tagen zerlegt und abtransportiert. Da wo die Kraft der Schere nicht ausreichte, um die bis zu zehnlagigen Stahlplatten zu trennen, kamen Schweißer zum Einsatz. Insgesamt 8.000 t Stahl wurden zerlegt, über den Rhein abtransportiert und danach verhüttet.
Heute, nach sechs Jahren Bauzeit, ist der Neubau der Schiersteiner Brücke fast abgeschlossen. Als einfache Balkenbrücke mit teilweise gevouteten Hohlkastenquerschnitten erhebt sie sich über die flache Rheinlandschaft und zählt sicher zu den modernsten Rheinbrücken überhaupt.
Wenn zum Jahresende voraussichtlich das vierte und letzte eingeschwommene Teilstück die Brückenlücke auf der Südseite schließt, sind im Projekt rund 35.000 t Stahl verbaut.
Der Neubau der Schiersteiner Brücke gehört zu den Maßnahmen des „Brückenmodernisierungsprogramms“ des Bundes, dass bis 2023 Investitionen von 4,3 Mrd. Euro vorsieht. Allein in den Neubau der Schiersteiner Brücke wurden rund 206 Mio. Euro investiert.
Bestimmungen der BG BAU zum wasserseitigen Bauen
- Bei Schweißarbeiten nur Rettungswesten mit alubedampfter Oberfläche oder Rettungswesten mit Schutzhüllen mit Widerstandsfähigkeit gegen geschmolzene Metallsplitter verwenden.
- Rettungswesten gemäß Herstellerangaben säubern, pflegen und lagern.
- Unabhängig von der Benutzung von Rettungswesten sind Rettungsstangen und Rettungsringe deutlich sichtbar und leicht zugänglich bereitzuhalten.
- Rettungsringe nach EN 14144 müssen mit einer schwimmfähigen Rettungsleine verbunden sein.
- Zusätzlich sind einsatzbereite und geprüfte Beiboote als Rettungsboote (gemäß EN 1914) bereitzuhalten
- Rettungsboote müssen bei stark strömenden Gewässern (v > 3,0 m/s) mit einem Motorantrieb ausgerüstet sein.
- Prüfung von Rettungsmitteln durchführen
- Vor jedem Anlegen einer Rettungsweste ist ein Kurz-Check durchzuführen: Patrone unversehrt? Patrone gefüllt und handfest eingeschraubt? Automatik gespannt? Mundventil gesichert?
- Vorstehende Hinweise müssen an der Rettungsweste gut lesbar und erkennbar angebracht sein.
- Rettungsmittel sind bei Bedarf, mindestens jedoch einmal jährlich, von einer sachkundigen Person zu prüfen.
- Rettungswesten müssen unter Berücksichtigung der Herstellerangaben in festen Zeitabständen (in der Regel im Abstand von zwei Jahren) einer Wartungsmaßnahme zugeführt werden.
- Die abschließende Überprüfung durch eine sachkundige Person ist schriftlich zu bestätigen.
- Rettungsboote sind auf vollständige Ausrüstung zu überprüfen: ein Satz Riemen, Schöpfkelle, Festmacher (Seil oder Draht).
Weitere Informationen
- DGUV Vorschrift 38 Bauarbeiten
- DGUV Regel 112-201 Benutzung von PSA gegen Ertrinken
- DIN EN 711
- DIN EN 1914
- DIN EN 14144
- DIN EN ISO 12402-2
- DIN EN ISO 12402-3
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BauPortal 2|2020