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Ein Bagger auf einem Kiesberg. Im Vordergrund sind digitale Anzeigen, beruhend auf künstlicher Intelligenz, zu sehen.
Bauen der Zukunft | Bild: kosssmosss - stock.adobe.com

Digitalisierung

Künstliche Intelligenz (KI) und sensorbasiertes Arbeitsschutzmonitoring auf Baustellen

Künstliche Intelligenz (KI) und komplexer werdende Algorithmen beeinflussen unser Leben und unsere Zivilisation zunehmend. KI-Anwendungsbereiche sind vielfältig und die Möglichkeiten beträchtlich: Verbesserte Hardware in Kombination mit stärker werdender KI übertrifft bereits heute in einigen Bereichen die Leistungen menschlicher Expertinnen und Experten. Dieser technologische Fortschritt stellt auch den Arbeitsschutz vor historisch beispiellose ethische Herausforderungen. Der Einsatz dieser Technologien birgt großes Potenzial (z. B. weniger Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten), aber auch Risiken durch systemische Fehler.
 

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Das wirft viele neue Fragen auf, wie etwa nach dem möglichen Nutzen der Digitalisierung für den Arbeitsschutz. Intelligente Systeme sind in der Lage, große Datenmengen zu analysieren und Muster zu erkennen, Dokumente auszulesen und dabei Fachwissen zu möglichen Problemen zur Vorbereitung von Entscheidungen aufzubereiten. An den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Arbeitswelt sind Anforderungen zu stellen, die in intensiven Diskursen entwickelt und als selbstverpflichtende Leitlinien für die Praxis konkretisiert werden müssen. KI-Projekte sind immer dann richtig erfolgreich, wenn sie auf Basis großer Datenmengen – also Daten auch von Dritten – umgesetzt werden, was eine Fülle zu bewältigender Herausforderungen bei der Einhaltung von Anforderungen des Datenschutzes und der Datenqualität mit sich bringt. In diesem Beitrag werden die Möglichkeiten der KI-Nutzung im Arbeitsschutz dargestellt und dabei ethische sowie rechtliche Fragen ausgeklammert. Der gravierende Rückstand im globalen technologischen Wettbewerb lässt sich nur noch aufholen, wenn Entwicklungen parallel zu gesellschaftlichen Diskursen stattfinden. Digitalisierung und Transformation finden ohnehin statt und es stellt sich vereinfacht nur noch die Frage: Machen oder gemacht werden? Gravierende Einschränkungen zu Beginn von Forschung und Entwicklung führen stets zu schnellen Verlagerungen in andere Regionen der Erde. Dieser Beitrag konzentriert sich also auf Möglichkeiten, was keineswegs die Bedeutung der erforderlichen gesellschaftlichen Diskurse schmälen soll.
 

Situation der Bauwirtschaft

Laut der BG BAU-Pressemitteilung vom 1. Juli 2021 sank die Anzahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle in der Bauwirtschaft und bei den baunahen Dienstleistungen von 106.774 im Jahr 2019 auf 103.970 im Jahr 2020. Das ist ein Rückgang um rund 2,6 %. Auch die meldepflichtigen Wegeunfälle gingen zurück. Sie lagen mit 7.723 Unfällen knapp 10 % unter dem Wert von 2019. Aber: Im Jahr 2020 haben auf deutschen Baustellen insgesamt 97 Beschäftigte infolge eines Arbeitsunfalls ihr Leben verloren – 27 mehr als 2019. Dagegen liegt die Zahl der tödlichen Wegeunfälle (2019: 21/2020: 19) knapp unter dem Vorjahresniveau. Bei Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen: Mit 15.821 Verdachtsanzeigen im Jahr 2020 stieg die Zahl um rund 0,8 % im Vergleich zu 2019. Die Zahlen zeigen deutlich: Noch immer ist das Unfallgeschehen auf den Baustellen zu hoch, auch im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, nicht nur die klassischen Ansätze im Arbeitsschutz in der Bauwirtschaft weiterhin stetig zu verbessern, sondern auch über den Tellerrand zu blicken und Neues zu wagen. Hierzu gehört eben auch, die neuen digitalen Möglichkeiten zu nutzen, die im Hintergrund 24 Stunden am Tag Daten sammeln, analysieren und gebrauchsfertig aufbereiten, um so Gesundheit und Leben von Menschen effektiver schützen zu können. Jeder und jede hat nach Art. 2 (2) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, was bei der Diskussion in Sachen KI im Arbeitsschutz einfach nicht ausgeblendet werden darf. So erlaubt bspw. BIM (Building Information Modeling) in Verbindung mit dem KI-gestützten Anwendungsfall „Absturzsicherung“ bereits heute die automatisierte Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung von Anbeginn der Planung eines Bauvorhabens. Laut der Präambel der Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992[1] haben in mehr als der Hälfte der Arbeitsunfälle auf Baustellen in der Europäischen Gemeinschaft nicht geeignete bauliche und/oder organisatorische Entscheidungen oder eine schlechte Planung der Arbeiten bei der Vorbereitung des Bauprojekts eine Rolle gespielt. Folglich ließen sich mit neuen Technologien wie BIM nebst KI sehr viele Arbeitsunfälle auf Baustellen vermeiden und gleichzeitig auch die gesetzlichen Forderungen erfüllen. Andersherum gesagt: Vieles ist bereits möglich, um rechtlichen und moralischen Pflichten zum Schutz von Menschen und deren Gesundheit viel besser nachkommen zu können. KI ist nicht böse und vernichtet nur Arbeitsplätze, sondern bietet riesige Chancen für den Arbeitsschutz und macht Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft sicherer, gesünder, attraktiver – sofern man es zulässt!
 

  •   2019 2020 Veränderung (%)
    Unfallversicherung der gewerblichen Wirtschaft 23,50 21,20 - 9,78
    BG Rohstoffe und chemische Industrie 19,03 17,43 - 8,39
    BG Holz und Metall 32,80 31,44 - 4,15
    BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse 17,85 15,99 - 10,38
    BG der Bauwirtschaft 52,03 49,83 - 4,24
    BG Nahrungsmittel und Gastgewerbe 33,47 31,58 - 5,67
    BG Handel und Warenlogistik 23,58 22,17 - 5,99
    BG Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation 43,12 39,00 - 9,56
    Verwaltungs-BG 14,22 11,44 - 19,58
    BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 15,58 13,85 - 11,65
    Unfallversicherung der öffentlichen Hand 9,52 7,20 - 24,34
    Gesamt 20,97 18,45 - 12,02

                                                                             
                                                                            Quelle: DGUV Arbeitsunfallgeschehen 2020

     

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KI-Lösungen für die Bauwirtschaft

Auf künstlicher Intelligenz basierende Arbeitsschutzbeobachtungslösungen beruhen auf dem Einsatz von KI und Technologien zur Überwachung von Baustellen. Mit KI-Programmen, die von Sensoren gesammelte Daten wie Bewegungserkennung, Videoüberwachung, Wärmesensoren, Wettersensoren verwenden, ist es möglich, Gefahrenquellen, Gefährdungsfaktoren, Gefahr bringende und begünstigende Bedingungen usw. zu registrieren und zielgerichtet/individuell Warnungen vor Wirksamwerden der Gefährdung auszulösen. So können Bewegungen und Interaktionen von Beschäftigten, Maschinen und Objekten auf einer Baustelle in Echtzeit anhand vorgegebener Kennzahlen bewertet und verfolgt werden. Solche Lösungen unterstützen Baustellen- und Unternehmensverantwortliche, den Arbeitsschutz der zusammenarbeitenden Unternehmen und ihrer Beschäftigten zu überblicken und präventive Maßnahmen umzusetzen.

KI-Systeme in Verbindung mit entsprechenden Sensoren zur Erfassung arbeitsschutzrelevanter Daten helfen, Gefährdungen am Arbeitsplatz zu reduzieren. Die KI kann erkennen, ob Personen auf der Baustelle die erforderliche Schutzausrüstung (Helm, Schuhe, Westen, PSAgA) richtig tragen und sie bei fehlender oder falsch getragener Ausrüstung warnen. Die Technologie kann auch Fahrzeuge und/oder Personal überwachen, sodass ein Zusammentreffen in Gefahrenbereichen (bspw. in Fahrbereichen von Erdbaumaschinen) nicht passieren kann. Solche Systeme erkennen auch fehlende oder fehlerhafte Absturzsicherungen, wie etwa unvollständige Seitenschutzsysteme in Gerüsten.
 

Ingenieur, der ein Tablet, einen Schutzhelm und Planungsrollen in den Händen hält und auf Kräne blickt. Im Vordergrund sind weiße Linien als digitale Verbindungen zu sehen.
Hochbaukonzept
Bild: SOMKID - stock.adobe.com


Mithilfe der neuesten Sensortechnologie können Echtzeitinformationen erfasst werden:

  • in Hochrisikobereichen: Arbeiten in der Höhe, in Bereichen mit Gefahrstoffen, Hitze, starker UV-Strahlung, Maschinen usw. Beispielsweise ermöglichen Standortsensoren die Messung von Temperatur, UV-Strahlung, Ozonbelastung, Feuchtigkeit, Wind und anderer Indikatoren, die Identifizierung von Schadstoffen in der Luft oder in Baumaterialien. Der Einsatz von Wearables für Beschäftigte ist gerade in gefährlichen Umgebungen wertvoll, da Warnsignale wie Hitze, Gas oder auch Bewegungsmangel erkannt werden können. Auf diese Weise können Arbeitsschutzmaßnahmen festgelegt werden, um Gefährdungen und Belastungen zu begrenzen.
  • Bei Personen vor Ort mit potenziellen Gesundheitsproblemen oder risikoreichen Interaktionen: Mithilfe mobiler Geräte können Standortinformationen in Echtzeit analysiert und aufbereitet werden, um erforderliche Maßnahmen durch Verantwortliche vorzubereiten, wozu auch die Einleitung von Erste-Hilfe-Maßnahmen oder die Alarmierung von Rettungskräften oder der Feuerwehr gehört.

Der COVID-19-Ausbruch hat die Entwicklung solcher Lösungen beschleunigt, beispielsweise die Verwendung automatisierter Anwendungen zur Risikobewertung für Zugangskontrollen auf Baustellen, wo Personen auf typische Symptome überprüft werden.

Auch im Bereich von Schulung, Qualifizierung, Unterweisung bietet sich die KI-Nutzung an. Nicht alle Unternehmerinnen und Unternehmer sind begnadete Dozentinnen und Dozenten, wie auch nicht alle Beschäftigten begeisterte Lernende sind. Menschen haben eines gemeinsam: Sie sind alle anders. Digitale Arbeitsschutzplattformen mit KI können Anlässe für Schulungsmaßnahmen erarbeiten, wie z. B. die Erstunterweisung neuer Beschäftigter oder die Einführung neuer Technik oder Arbeitsweisen, turnusmäßige Unterweisungen, aktuelles Unfallgeschehen, und geeignete Schulungsmaßnahmen vorbereiten. Beschäftigte der Bauwirtschaft haben meist verschiedene sprachliche und kulturelle Hintergründe, unterschiedliche Kenntnisstände, weisen körperliche Unterschiede auf und wollen bzw. benötigen auch einmal spezielle Lernangebote, wie beispielsweise barrierefreie Tools. KI kann das jeweils beste Format für Personen bereitstellen und die Lernerfolge auswerten, um so ständige Verbesserungsprozesse im Bereich Schulung, Qualifizierung und Unterweisung auszulösen, statt nur Anwesenheiten und Themen zu dokumentieren. Bereits die heutige schwache KI könnte hier bemerkenswerte Fortschritte im Bereich der organisatorischen bzw. persönlichen Arbeitsschutzmaßnahmen bewirken.
 

Ein Appell

Der Einsatz KI-gestützter Technologien wie Kameratechnik, Scantechnik, Sensoren, BIM, digitale Arbeitsschutzplattformen usw. bietet enorme Chancen für den Arbeitsschutz auf Baustellen. Vieles ist heute bereits relativ einfach machbar und dabei kostengünstiger sowie zuverlässiger, als es Menschen hinbekommen. Handelt es sich damit um berechtigtes Interesse des Arbeitsschutzes, das die Interessen der betroffenen Personen, nicht überwacht zu werden, überwiegt und damit die Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Datenschutzes ermöglicht? Solange die Personen beispielsweise per Algorithmus auf den Aufnahmen unkenntlich und bei der Sensorauswertung anonym bleiben, also die Identifizierung der arbeitenden Personen technisch oder organisatorisch ausgeschlossen werden kann, sollte nach Meinung des Verfassers die Vorgabe des Artikels 2 (2) des Grundgesetzes Vorrang haben. Mit entsprechend hohen Anforderungen an den Datenschutz – wie z. B. beim Toll-Collect-Datenschutz- und Sicherheitskonzept – lassen sich Zweckbindung der Daten und Datensparsamkeit ebenso verbindlich regeln wie das Verbot der Weitergabe an Dritte inklusive Ermittlungsbehörden.

Selbstverständlich sind alle betroffenen Personen nach Artikel 12 und 13 des DSGVO auf die Überwachung hinzuweisen und mit allen relevanten Informationen zu versorgen. Selbstverständlich bedarf es der vollständigen Transparenz und des sicheren Schutzes der Daten. Und natürlich bedarf es der Überzeugungsarbeit bei den betroffenen Personen und Unternehmen.

Die Chancen aus der KI-Nutzung für den Arbeitsschutz auf Baustellen sind derart groß und vielfältig, dass eine Realisierung aus menschlichen, aber auch aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen geboten ist. Lassen Sie uns Digitalisierung im Arbeitsschutz in der Bauwirtschaft jetzt gemeinsam aktiv angehen, statt in wenigen Jahren in Modelle anderer hineingezwungen zu werden.
 

Fußnoten
1
Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG).
Autor

Dipl.-Ing. Bernd Merz

BG BAU Prävention


Ausgabe

BauPortal 1|2022