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Der tödliche Sturz vom Gerüst – und die strafrechtliche Verantwortung des Maurers mit „faktischer Kapo-Stellung“

Das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau1 verurteilte einen seit 45 Jahren in einem Bauunternehmen angestellten Maurer wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen.2

 

Sachverhalt

Der Maurer war eigentlich auf einer anderen Baustelle eingesetzt, führte auf der Unglücksbaustelle „jedoch Kontrollvisiten“ durch. Er wurde von einem Mitarbeiter gebeten, mit einem Kran Paletten mit schwerem Baumaterial auf ein Gerüst zu transportieren. Der andere Mitarbeiter entfernte hierzu zwei Gerüststangen, um nicht das Treppenhaus hinauftragen zu müssen – denn es war mit 36 °C sehr heiß.3 Die erste Palette setzte der Maurer ordnungsgemäß ab. Beim Transport der zweiten Palette stürzte ein Arbeiter vom Gerüst und verstarb.

Urteil

Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus

  • eine verantwortliche Person,
  • die ihre Pflichten verletzt,
  • was einen Unfall verursacht,
  • was erkennbar und vermeidbar, also fahrlässig war.

Verantwortung des Maurers

Das Amtsgericht sagte, „nach der Betriebssicherheitsverordnung tragen alle Arbeiter auf der Baustelle eine Mitwirkungspflicht für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“. Das steht indes so weder in der damals einschlägigen BetrSichV 2004 noch in der heute gültigen BetrSichV 2015.4 Auch § 4 Abs. 5 Satz 2 BetrSichV richtet sich an den Arbeitgeber, der die Durchführung von Kontrollen durch Mitarbeiter sicherstellen soll. Gemeint sind eher die Beschäftigtenpflichten gemäß § 15 ArbSchG.

Entscheidend stellt das Gericht allerdings darauf ab, dass der Maurer „eine sogenannte faktische Kapo-Stellung innehatte. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit und seiner Erfahrung im Bau gab er den anderen Bauarbeitern Anweisungen und kontrollierte deren Arbeit wie auch am Tattag“:

„Kontrollfunktionen hinsichtlich der Bauarbeiten räumte er ein“ – und „dies war der eigentliche Grund, warum er sich zur Tatzeit auf der Baustelle aufgehalten hat.“

Anweisungen bestätigten Zeugen – einer sagte: „Hätte er gesagt, das können wir so nicht machen, das sei zu gefährlich, hätten sie das Zeug raufschleppen müssen.“

Damit war der Angeklagte „als Vorarbeiter in besonderer Weise für die Sicherheit am Gerüst verantwortlich“ – zwar „nicht auf Grund eines arbeitsvertraglichen Vertrages“, aber er hatte eine „faktische Vorarbeiterstellung“ – und er war daher „in einer besonderen Art und Weise verpflichtet, darauf zu achten, dass die Sicherheitsvorschriften am Bau eingehalten werden.“ Dass Verantwortung auch aus der gelebten und nicht nur der formell niedergelegten Organisation folgen kann, ist ständige Rechtsprechung.5

Pflichtverletzung

Voraussetzung einer (strafrechtlichen) Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung ist eine Pflichtverletzung. Das Amtsgericht fasste zum Maurer/Vorarbeiter zusammen:

„In Missachtung“ seiner Sicherheitspflichten „transportierte er unter Ausnutzung gerade des Umstandes, dass die Gerüststangen entfernt wurden, mit seinem Kran die Palette auf die Gerüstebene.“

„Grundsätzlich darf nur der Gerüsthersteller Veränderungen am Gerüst vornehmen.“

Kausalität

Zur „Verursachung“ i. S. d. § 222 StGB sagte das Amtsgericht knapp:

„Die mangelnde Absicherung war kausal für den Tötungsverlauf.“

„Die Entfernung der beiden Gerüststangen war zumindest mitursächlich für das Hinabfallen des getöteten Bauarbeiters.“

Verschulden = Fahrlässigkeit

Jede Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist persönliche Vorwerfbarkeit. Sie kann erfolgen, wenn der Unfall vorhersehbar und vermeidbar war – das ist dann die von § 222 StGB geforderte Fahrlässigkeit.

Zur Vermeidbarkeit sagte das Gericht knapp: „Bei ordnungsgemäßer Montierung der Geländerstangen wäre der Unfall vermeidbar gewesen.“

Zur Erkennbarkeit gesteht das Gericht dem Angeklagten – systematisch nicht ganz richtig erst bei den Strafzumessungserwägungen – zwar zu, „die Gefährdung im Augenblick des Absturzes war ihm nicht bewusst“, stellte aber fest, „er hätte die Gefährlichkeit der Situation generell erkennen können.“

Mitverschulden des verunglückten Bauarbeiters

Da der tödlich verunglückte Bauarbeiter 0,88 Promille Alkohol im Blut hatte, ging das Gericht von seinem Mitverschulden aus. Aber „dafür, dass der Getötete bewusst und vorsätzlich vom Gerüst hinabgesprungen ist, gibt es keinen Anhaltspunkt.“

In einem Zeitungsbericht zum Urteil6 heißt es, „dass der tödlich verunglückte Kollege eigentlich gar nicht da hätte sein sollen, wo er letztlich in die Tiefe stürzte“, aber das Gericht hielt das für unerheblich: „Keiner weiß genau, was er da gemacht hat. Aber diese Unfälle passieren immer so. Dafür sind solche Sicherheitsvorschriften da, um solche Dinge auszuschließen.“

Auszug aus dem Strafgesetzbuch (STGB):
§ 222 Fahrlässige Tötung
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Auszug aus der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV):
§ 4 Grundpflichten des Arbeitgebers
(5) […] Der Arbeitgeber hat weiterhin dafür zu sorgen, dass Arbeitsmittel vor ihrer jeweiligen Verwendung durch Inaugenscheinnahme und erforderlichenfalls durch eine Funktionskontrolle auf offensichtliche Mängel kontrolliert werden und Schutz- und Sicherheitseinrichtungen einer regelmäßigen Funktionskontrolle unterzogen werden.

Auszug aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG):
§ 15 Pflichten der Beschäftigten
(1) Die Beschäftigten sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Entsprechend Satz 1 haben die Beschäftigten auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.
(2) Im Rahmen des Absatzes 1 haben die Beschäftigten insbesondere Maschinen, Geräte, Werkzeuge, Arbeitsstoffe, Transportmittel und sonstige Arbeitsmittel sowie Schutzvorrichtungen und die ihnen zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung bestimmungsgemäß zu verwenden.

Fußnoten
1
AG Dillingen a. d. Donau, Urteil aus Anfang März 2015.
2
Die Höhe des Tagessatzes wurde einkommensabhängig auf 60 € festgesetzt, sodass der Verurteilte 3.000 € zahlen musste.
3
Siehe Zeitungsbericht: https://www.augsburger-allgemeine.de/dillingen/Toedlicher-Sturz-eines-Bauarbeiters-vor-Gericht-id33251292.html (abgerufen am 1. Mai 2019).
4
Siehe: Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV – mit 20 Gerichtsurteilen (2015).
5
Siehe: Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung – mit 25 erläuterten Gerichtsurteilen (2016).
6
Siehe Zeitungsbericht: https://www.augsburger-allgemeine.de/dillingen/Toedlicher- Sturz-eines-Bauarbeiters-vor-Gericht-id33251292.html (abgerufen am 1. Mai 2019).

Ausgabe

BauPortal 1|2020