Bauen im Bestand, Gefahrstoffe
Gebäudeschadstoffe beim Bauen im Bestand
Bei Rückbau, Umbau und Modernisierung von Gebäuden muss aufgrund früher verwendeter Baumaterialien und der Nutzung der Gebäude mit Schadstoffen gerechnet werden. Die Ausführung dieser Arbeiten muss daher unter Einhaltung geeigneter Schutzmaßnahmen erfolgen.
Bautätigkeiten im Gebäudebestand nehmen in den letzten Jahren kontinuierlich zu – mehr als die Hälfte der Investitionen im Wohnungsbau entfallen heute auf Instandhaltung und Modernisierung des vorhandenen Bestands. Die Tätigkeiten reichen dabei von der „Pinselsanierung“ bis zur vollständigen Entkernung mit späterem Wiederaufbau. Diese Arbeiten können mit einem Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten verbunden sein, denn viele früher eingesetzte Baumaterialien können Stoffe enthalten, die gesundheitsschädlich oder sogar krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind.
Welche Gebäudeschadstoffe?
Schadstoffe, die in Gebäuden auftreten können, sind Asbest, alte Mineralwolle-Dämmstoffe, Holzschutzmittelwirkstoffe, Polychlorierte Biphenyle (PCB) und Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK):
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verwendet z. B. als Asbest-Zementplatten für Dacheindeckungen und Fassadenverkleidungen, asbesthaltige Fußbodenbeläge, Putze, Spachtelmassen, Fliesenkleber, schwachgebundene Asbestprodukte als Brand- und Wärmeschutz, asbesthaltige Dichtungen zwischen Flanschen in technischen Anlagen
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Mineralwolle-Dämmstoffe wie Glaswolle, und Steinwolle zur Wärme- und Trittschalldämmung und zur Isolierung von Heiz- und Installationsleitungen
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Holzschutzmittelwirkstoffe wie Pentachlorphenol (PCP), Lindan, DDT für den vorbeugenden und bekämpfenden Holzschutz
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PCB z. B. in dauerelastischen Fugenmassen, als Flammschutzmittel in Anstrichstoffen und Beschichtungen, in Kondensatoren von Leuchtstoffröhren
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PAK in teerstämmigen Produkten, z. B. Klebstoffe für Parkett und Holzpflaster, Dach- und Dichtungsbahnen, Teerkork, Abdichtungen von Kelleraußenwänden gegen Feuchtigkeit
Die bauseitig eingebrachten Belastungen können zudem auch zu einer Kontamination zuvor unbelasteter Materialien führen. Solche Sekundärbelastungen werden z. B. von PCB und PCP verursacht. Diese Stoffe „verdampfen“, reichern sich in der Raumluft an und können zu einer flächenhaften Belastung von z. B. Bodenbelägen und Kunststoffoberflächen führen.
Herausforderungen für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
Schadstoffhaltige Baumaterialien stellen Bauherren, Planer und ausführende Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Wenn Schadstoffe erst während der Baumaßnahmen entdeckt werden, können Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten, aber auch Verzögerungen im Bauablauf, Mehrkosten u. a. bei der Entsorgung sowie Umwelt-(Haftungs-)Risiken entstehen.
Angepasste Schutzmaßnahmen auf Basis der Gefährdungsbeurteilung
Die gesundheitliche Gefährdung der Beschäftigten bei Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst: Die vorhandenen Schadstoffe, das gewählte Arbeitsverfahren, die eingesetzten Maschinen und Geräte und die Umgebungsbedingungen bestimmen u. a. die Gefährdung. Daher können keine allgemeingültigen Festlegungen zu Schutzmaßnahmen getroffen werden. Die erforderlichen Maßnahmen sind stets auf der Basis einer Gefährdungsbeurteilung für die betreffende Arbeitssituation zu ermitteln.
Regelwerk bei Arbeiten mit Gefahrstoffen
Für Tätigkeiten mit Asbest bzw. künstlichen Mineralfasern werden die erforderlichen Maßnahmen in den stoffspezifischen Technischen Regeln für Gefahrstoffe TRGS 519 „Asbest – Abbruch-, Sanierung- oder Instandhaltungsarbeiten“ bzw. TRGS 521 „Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten mit alter Mineralwolle“ umfassend beschrieben. Für Tätigkeiten mit anderen Gebäudeschadstoffen gelten die TRGS 524 „Sanierung und Arbeiten in kontaminierten Bereichen“ sowie die DGUV Regel 101-004 „Kontaminierte Bereiche“.
Zur Gewährleistung von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz trägt auch der Bauherr bzw. Auftraggeber eine besondere Verantwortung. Diese Verantwortung ergibt sich bereits heute u. a. aus der Baustellenverordnung. Auch die VDI-Richtlinie 6202 Blatt 1 „Schadstoffbelastete bauliche und technische Anlagen“ beschreibt die Bauherrenaufgaben als wesentliche Voraussetzung für sichere Tätigkeiten im Bestand.
Künftig „Veranlasser-Prinzip“
Mit der anstehenden Änderung der Gefahrstoffverordnung soll der „Veranlasser von Tätigkeiten“ nun als Norm-Adressat aufgenommen und so noch konkreter in die Pflicht genommen werden. Dem Veranlasser von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen, die Gefahrstoffe enthalten können, sollen entsprechende Mitwirkungs- und Informationspflichten übertragen werden. Diese Pflichten sollen bereits dann greifen, wenn Gefahrstoffe enthalten sein können („zu vermuten sind“), ihr Vorhandensein also noch nicht feststeht.
Schutzmaßnahmen bereits bei der Planung festlegen
Mit einer sachgerechten Planung der Arbeiten können die Schutzmaßnahmen auf ein angemessenes, d. h. der vorliegenden Gefährdung angepasstes, Maß gebracht werden. Die Anwendung der DGUV Regel 101-004 führt zu den richtigen Maßnahmen. Sie beschreibt, wie die Tätigkeiten unter den Aspekten Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz umfassend vorbereitet und sicher durchgeführt werden können.
Besonderes Augenmerk legt die Regel darauf, dass bereits in der Planungsphase durch den Bauherrn mögliche Gebäudeschadstoffe erkundet, die Gefährdungen der Beschäftigten ermittelt und geeignete Schutzmaßnahmen festgelegt werden. Auf der Basis dieser Informationen ist ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkonzept zu erarbeiten und im „Arbeits- und Sicherheitsplan“ zu dokumentieren.
Dies sind wichtige Aufgaben zum Schutz der Beschäftigten – aber auch im Interesse des Bauherrn. Denn ohne eingehende Planung kann es im Bauablauf immer wieder zu Überraschungen kommen, wenn während der Arbeiten „unbekannte“ Gebäudeschadstoffe entdeckt werden. Die Folgen sind Kostensteigerungen und Störungen des Bauablaufs.
Arbeits- und Sicherheitsplan & Gefährdungsbeurteilung erstellen
Ein sicheres Arbeiten ist nur dann möglich, wenn alle Einflussfaktoren, die zu einer Gefährdung der Beschäftigten führen können, ermittelt und bewertet werden. Grundlage sowohl für den Arbeits- und Sicherheitsplan des Auftraggebers als auch für die Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber sind umfassende Informationen, u. a. über die vorhandenen Schadstoffe und die Arbeitsverfahren, die für die Tätigkeiten geeignet sind.
Dafür sind die Gebäudeschadstoffe im Bestand, deren Stoffeigenschaften, mögliche Arbeitsverfahren bzw. -abläufe sowie die räumlichen und klimatischen Umgebungsbedingungen zu ermitteln.
Bestandsaufnahme Gebäudeschadstoffe
Um die vorhandenen Gebäudeschadstoffe zu ermitteln, ist eine Recherche der Bau- und Nutzungsgeschichte durchzuführen. Bauakten, Pläne oder Abrechnungsunterlagen können Informationen über Gebäudeschadstoffe enthalten und ergänzen die notwendige Begehung und ggf. erforderliche Untersuchungen der Bausubstanz. Nähere Informationen zu Schadstoffen in der Bausubstanz sowie zur Bausubstanzuntersuchung geben das Bayerische Landesamt für Umweltschutz mit der Handlungshilfe „Rückbau schadstoffbelasteter Bausubstanz – Arbeitshilfe Rückbau: Erkundung, Planung, Ausführung“ und dem „Schadstoffratgeber Gebäuderückbau“ sowie die VDI-Richtlinienreihe 6202 „Schadstoffe in baulichen und technischen Anlagen“.
Ermittlung der Stoffeigenschaften
Nachdem Gefahrstoffe identifiziert wurden, ermittelt man die gefährlichen Eigenschaften der Stoffe, die möglichen Aufnahmewege der Stoffe in den Körper sowie Bewertungsmaßstäbe für die inhalative Exposition (u. a. Arbeitplatzgrenzwert und Akzeptanz- bzw. Toleranzkonzentration).
Ermittlung der verfügbaren Arbeitsverfahren
Für die konkrete Arbeitsaufgabe werden die verfügbaren Arbeitsverfahren sowie die Arbeitsabläufe, Arbeitsschritte und Tätigkeiten, die sich aus diesen Verfahren ergeben, ermittelt. Für die Durchführung ist das Verfahren auszuwählen, bei dem die geringste Gefährdung zu erwarten ist. Die Festlegung der Schutzmaßnahmen ist auf dieses Arbeitsverfahren zu beziehen.
Ermittlung der räumlichen und klimatischen Umgebungsbedingungen
Darüber hinaus werden auch die räumlichen und klimatischen Umgebungsbedingungen für die Arbeiten mit Gefahrstoffen berücksichtigt.
Auf Grundlage dieser Informationen können die zu erwartenden Expositionen und Gefährdungen der Beschäftigten durch inhalative, dermale oder orale Gefahrstoffaufnahme abgeschätzt werden.
Besondere Schutzmaßnahmen sind besondere Leistungen!
Auf Grundlage der Gefährdungsabschätzung werden geeignete Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten sowie zum Schutz Dritter und der Umwelt festgelegt. Die erforderlichen Schutzmaßnahmen – z. B. besondere Ausrüstung der eingesetzten Maschinen, technische Lüftungsmaßnahmen, besondere Baustelleneinrichtung – sind gemäß VOB Teil C den „besonderen Leistungen“ zuzuordnen. Hieraus ergibt sich neben Erkundungspflichten auch eine besondere Informationspflicht des Bauherrn gegenüber den ausführenden Firmen.
Diese Informationspflicht kann durch den Arbeits- und Sicherheitsplan nach TRGS 524 bzw. DGUV Regel 101-004 erfüllt werden. Die Kostensicherheit für den Bauherrn ist umso höher, je qualifizierter ausgeschrieben wird. Eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung gemäß VOB ist zwar nur für öffentliche Bauherren vorgeschrieben, empfiehlt sich aber auch für private und gewerbliche Auftraggeber.
Auswahl der Schutzmaßnahmen
Bei der Auswahl der Schutzmaßnahmen haben gemäß TOP-Prinzip technische Maßnahmen stets Vorrang vor organisatorischen Maßnahmen und dem Einsatz persönlicher Schutzausrüstung.
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Geeignete technische Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Verminderung der Exposition sind z. B.:
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staubarme Arbeitsverfahren: Einsatz von Maschinen mit Staubabsaugung. Informationen zu staubarmen Bearbeitungssystemen sind unter www.bgbau.de zu finden. Beim manuellen Ausbau belasteter Materialien kann die Staubentwicklung durch kontinuierliches Anfeuchten des Materials reduziert werden,
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technische Lüftung des Arbeitsbereichs,
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Reinigung des Arbeitsbereichs mit Industriestaubsaugern der Staubklasse H,
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ausgebaute Materialien in staubdichten Behältern sammeln und transportieren (z. B. Big Bags, Fässer, geschlossene Container).
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Durch organisatorische Maßnahmen ist zu gewährleisten, dass Schadstoffe nicht verschleppt werden und Unbefugte den Arbeitsbereich nicht betreten. Der Arbeitsbereich (Schwarz-Bereich) ist von benachbarten, nicht belasteten Bereichen (Weiß-Bereich) staubdicht zu trennen und durch Warn- bzw. Hinweisschilder zu kennzeichnen. Der Übergang vom Schwarz-Bereich in nicht belastete Bereiche erfolgt i. d. R. über eine Personenschleuse (Schwarz-Weiß-Anlage).
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Gefahrstoffe können durch Einatmen, Hautkontakt und Verschlucken in den Körper aufgenommen werden. Eine mögliche Schadstoffaufnahme ist durch die Auswahl des Arbeitsverfahrens und technische Maßnahmen so weit wie möglich zu reduzieren. Dennoch wird i. d. R. der Einsatz persönlicher Schutzausrüstung (PSA) bestehend aus Atemschutz, Schutzhandschuhen und Schutzanzügen erforderlich.
Besonderes Augenmerk ist auf hygienische Maßnahmen zu richten, wie z. B. im Arbeitsbereich nicht essen, trinken oder rauchen, beim Verlassen des Arbeitsbereichs Hände und Gesicht gründlich reinigen. Werden diese grundlegenden Maßnahmen nicht eingehalten, kann der Gesundheitsschutz der Beschäftigten nicht gewährleistet werden.
Anforderungen bei der Ausführung der Arbeiten
Werden die Arbeiten von mehreren Firmen – ggf. auch deren Nachunternehmen durchgeführt, haben alle Beteiligten bei der Koordinierung der verschiedenen Tätigkeiten zusammenzuwirken.
Fachkundiger Koordinator
Im Hinblick auf die besonderen Gefahren bei Tätigkeiten mit Gebäudeschadstoffen muss der Bauherr zur Koordinierung der Arbeiten und zur Überwachung der im Arbeits- und Sicherheitsplan festgelegten Maßnahmen einen fach- bzw. sachkundigen Koordinator nach TRGS 524 bzw. DGUV Regel 101-004 bestellen. Die Koordination sorgt sowohl in der Planungs- als auch in der Ausführungsphase dafür, dass die Belange des Arbeitsschutzes berücksichtigt werden.
Fachlich geeignete Unternehmen
Aufträge zu Tätigkeiten mit Gebäudeschadstoffen dürfen nur an fachlich geeignete Unternehmen mit entsprechenden Erfahrungen, Qualifikationen, geeignetem Personal und technischer Ausrüstung vergeben werden.
Unternehmerverantwortung
Trotz des Beitrags des Bauherrn zur Sicherheitsplanung bleibt die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten beim Unternehmer. Zu den Aufgaben des ausführenden Unternehmens zählen:
- Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung auf Grundlage des Arbeits- und Sicherheitsplans,
- Erstellen tätigkeitsbezogener Betriebsanweisungen und Unterweisung der Beschäftigten,
- Sicherstellen der arbeitsmedizinischen Betreuung und Bereitstellen der notwendigen Ausrüstungen und Einrichtungen,
- Anleitung der Arbeiten durch fachlich geeignete Personen: Die erforderlichen Fachkenntnisse können z. B. durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Sachkundelehrgang nach DGUV Regel 101-004 erworben werden.
Zusammenfassung
Sind bei Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten Gebäudeschadstoffe zu vermuten, führen folgende Schritte bzw. Maßnahmen zu einem erfolgreichen „Bauen im Bestand“:
- Bestandsaufnahme und Bausubstanzuntersuchungen zur Ermittlung der vorhandenen Schadstoffe im Gebäude,
- Auswahl geeigneter Arbeitsverfahren und Festlegung der Schutzmaßnahmen bereits während der Planung,
- Ausschreibung auf Grundlage eines Arbeits- und Sicherheitsplans,
- Fach- bzw. sachkundige Koordinierung der Arbeitsabläufe,
- Ausführung der Arbeiten durch qualifizierte Firmen mit Sachkunde für Arbeiten zur Sanierung von Gebäudeschadstoffen gemäß DGUV Regel 101-004 bzw. Fachkunde gemäß TRGS 524.
- Bei Tätigkeiten mit Asbest sind die Anforderungen der TRGS 519 umzusetzen: Sachkunde und zugelassene Sanierungsfachbetriebe bei Tätigkeiten im Bereich des hohen Risikos (Abbruch- und Sanierungsarbeiten an schwach gebundenem Asbest).
Autorin
Ausgabe
BauPortal 4|2023
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