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Eingeklemmt zwischen Hebebühne und Deckenstahlträger

Sachverhalt

Der Abteilungsleiter eines Stadtwerks beauftragte einen „Hausmeister“ und Leiter der Gruppe Technik einer Eishalle (H), ein Stromkabel an der Hallendecke zu verlegen. Der Beauftragte mietete eine Gelenk-Teleskop-Hebebühne. Mit seinem Kollegen fuhr H mit Arbeitskorb nach oben. H steuerte in die Nähe eines hinter ihm befindlichen „Deckenstahlträgers, der nur wenig über der Oberkante des Arbeitskorbes verlief“. Der Kollege machte H „noch auf die Gefahr aufmerksam und konnte sich in den Arbeitskorb ducken“. H dagegen wurde eingeklemmt – und „hierbei wurde von seinem Körper der Not-Aus-Knopf betätigt, sodass die Hebebühne sofort stoppte und sich nicht mehr bewegen ließ“. Ein am Boden verbliebener Kollege „versuchte erfolglos den Notablass am Fahrwerk der Teleskopbühne zu bedienen“. H verletzte sich lebensgefährlich an der Brust, konnte erst durch die Feuerwehr befreit werden und verstarb neun Tage später.
 

Strafbefehl

Das Amtsgericht Besigheim erließ am 6. November 2018 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Heilbronn einen Strafbefehl gegen den Abteilungsleiter A und setzte gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen fest – ein Tagessatz betrug einkommensabhängig 60 EUR, sodass er 3.200 EUR zahlen musste.

Was ist erforderlich für eine solche strafrechtliche Verurteilung? Eine 

  • verantwortliche Person muss
  • pflichtwidrig den Tod herbeigeführt haben – und zwar
  • schuldhaft.
     

I.        Verantwortlichkeit

Im Strafbefehl hieß es, die „Stadtwerke als Mieter und der dort für die Sicherstellung des Arbeitsschutzes zuständige Angeklagte (A) trugen die Verantwortung“. Konkret zur Verantwortung des Abteilungsleiters fasste das Gericht zusammen, dass zu seiner „Zuständigkeit auch die ‚Sicherstellung der Einhaltung der Arbeitssicherheit/UVV/Dienstpläne/Regelwerke in der Abteilung‘ gehört“. Das wird eine schriftliche Pflichtenübertragung gemäß § 13 Abs  2 ArbSchG in Bezug nehmen – wir wissen es aber nicht. Schriftform bei Pflichtendelegation wirkt aber ohnehin nur deklaratorisch, wenn es um einen Bereich geht, der vom Adressaten des Papiers geleitet wird – sie deklariert also nur nach außen, was rechtlich ohnehin schon gilt:

Der Abteilungsleiter wäre auch ohne Beauftragung in Schriftform verantwortlich – automatisch kraft seines Postens und der damit verbundenen (Verkehrs-)Sicherungspflichten.[1]​​ In einem anderen Fall sagte das Amtsgericht Heilbronn – ohne Begründung, weil es so klar ist –, der „Abteilungsleiter der Stromerzeugerfertigung ist für die Einhaltung der Arbeitssicherheit in seiner Abteilung zuständig“.[2]

Da dem Abteilungsleiter die Nichterledigung von Arbeitsschutzmaßnahmen vorgeworfen wird (siehe sogleich II.), kann er nur „als Garant“ verurteilt werden. Wenn man nichts tut, kann man trotzdem, aber auch nur unter den Voraussetzungen des § 13 StGB verurteilt werden: „Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt“. Gemeint ist der „strafrechtliche Erfolg“, also – so schlimm es klingt – der Tod des Opfers, letztlich also der Misserfolg, also die Folge bzw. das Ergebnis. Wer in diesem Sinne „einstehen“ muss, wird Garant genannt – er hat eine Garantenstellung. Hier folgt sie aus der Pflichtenübertragung bzw. der Postenübernahme und damit Leitungsverantwortung. Das hätte das Gericht noch feststellen können und müssen. Denn wegen Nichtstun kann nur verurteilt werden, „wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“.

Fazit: Jede Person mit Leitungsverantwortung hat die Pflicht zur Erfüllung der in diesem Zuständigkeitsbereich erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen. Eine schriftliche Pflichtendelegation bestätigt das nur.


II.       Pflichtverletzung

Der Strafbefehl zählte drei Pflichtverletzungen des Abteilungsleiters auf:

  • Auswahlverschulden: A hat „nicht dafür Sorge getragen, dass Arbeiten mit der fahrbaren Hebebühne nur von Personen vorgenommen würden, die eine Ausbildung zur Betätigung dieses Geräts haben, die als Nachweis zur Feststellung der fachlichen Eignung verwendet werden“.
  • Organisationsverschulden: „Auch eine schriftliche Beauftragung nach den arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften lag nicht vor.“
  • Unterweisungsversäumnis: A hat „nicht dafür gesorgt, dass alle mit der Arbeitsbühne Beschäftigten ausreichend in der Bedienung der Arbeitsbühne, insbesondere deren Notablass, unterwiesen waren“.

Das Gericht zitiert nicht die – rechts abgedruckten – Unfallverhütungsvorschriften zum Erfordernis der schriftlichen Organisation, der ordnungsgemäßen Ausbildung und Auswahl und zur Unterweisung beim Betreiben von Hebebühnen. Die Unterweisungspflicht ist übergreifend für alle Bereiche vor allen Dingen in § 12 ArbSchG geregelt.

Das Gericht stellt nur noch fest: „Daher kam es zur Fehlbedienung der Hebebühne und zu dem Unfall. Zudem war es dem Zeugen J [der unten stand], der nicht in die Funktion des Notablasses unterwiesen war, nicht möglich, H durch Betätigung des Notablasses aus seiner Situation zu befreien“.

Fazit: Organisations-, Auswahl- und Unterweisungspflichten sind zentrale Arbeitsschutzpflichten, die der Prävention von Arbeitsunfällen dienen – neben der Gefährdungsbeurteilung, die hier nicht erwähnt (und nicht durchgeführt worden sein) wird und die die Basis für die Sicherheitsmaßnahmen ist.
 

III.      Verschulden

Das Amtsgericht verurteilte wegen fahrlässiger Tötung. Fahrlässig handelt, wer die Explosion – also den Schaden bzw. Unfall – voraussehen und vermeiden kann. Nur das, aber immerhin das stellt das Gericht auch fest in einem nicht ganz vollständigen Halbsatz: H „zog sich die schließlich tödlichen Verletzungen zu. Folgen, die für den Angeklagten vorhersehbar und vermeidbar waren“. Insbesondere zur Erkennbarkeit hätte man durchaus mehr sagen können – das geschieht in kurzen Prozessen ohne mündliche Verhandlung und mit einem Strafbefehl aber häufig nicht.
 

Strafgesetzbuch (StGB)

  • (1) Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

  • Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

  • (1) Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen. Die Unterweisung umfasst Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. Die Unterweisung muss bei der Einstellung, bei Veränderungen im Aufgabenbereich, der Einführung neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie vor Aufnahme der Tätigkeit der Beschäftigten erfolgen. Die Unterweisung muss an die Gefährdungsentwicklung angepasst sein und erforderlichenfalls regelmäßig wiederholt werden.

  • (2) Der Arbeitgeber kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben nach diesem Gesetz in eigener Verantwortung wahrzunehmen.

DGUV Regel 100-500 Betreiben von Arbeitsmitteln

  • 2        Maßnahmen zur Verhütung von Gefahren für Leben und Gesundheit bei der Arbeit

    2.1     Beschäftigungsbeschränkung

    Mit der selbstständigen Bedienung von Hebebühnen dürfen nur Personen beschäftigt werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, in der Bedienung der Hebebühne unterwiesen sind und ihre Befähigung hierzu gegenüber dem Unternehmer nachgewiesen haben. Sie müssen vom Unternehmer ausdrücklich mit dem Bedienen der Hebebühne beauftragt sein. Der Auftrag zum Bedienen von Hubarbeitsbühnen muss schriftlich erteilt werden.

Literaturhinweise
1
Ausführlich Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen, 2020.
2
Urteilsbesprechung in Wilrich, Bausicherheit – Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten, 2021, Fall 22, S. 234 ff.
Autor

Dr. Thomas Wilrich


Ausgabe

BauPortal 3|2021