Ingenieur- und Brückenbau
RELAST – Brücken- und Tunnelsanierung mit Betonschrauben
Mit einem innovativen Verstärkungssystem aus Betonschrauben können Bauten aus Stahlbeton nachträglich und ohne große Verkehrsbeeinträchtigungen durch den Einsatz von Betonschrauben als nachträgliche Bewehrung ertüchtigt werden.
Viele Infrastrukturbauten in Deutschland sind aufgrund ihres Alters überlastet oder marode. Um sie zu sanieren, kämen hohe Kosten- und Verkehrsbelastungen auf Bund, Länder und Kommunen zu. Durch ein spezielles Verstärkungssystem können Brücken, Tunnel und Parkhäuser nicht nur im laufenden Betrieb saniert werden, sondern es erhöhen sich auch deren Traglast und Nutzungsdauer.
Mit etwa 60 % der Gesamtbrückenfläche wurde der Großteil der zentraleuropäischen Infrastrukturbauwerke, wie Brücken, in den Jahren zwischen 1960 und 1990 errichtet und ist somit heute 30 bis 60 Jahre alt. Diese Bauwerke wurden auf die Anforderungen der damaligen Normen hinsichtlich der Belastung und der Bemessungsregeln ausgelegt. Diese Regelungen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder angepasst, um zum einen den neuen Belastungen etwa durch gestiegenes Verkehrsaufkommen zu genügen. Auf der anderen Seite wurden die konstruktiven Regelungen im Stahlbetonbau und die Bemessungsansätze immer wieder an neue Forschungsergebnisse angepasst und sind damit meist etwas restriktiver. Dies gilt speziell für die Bemessung der Querkrafttragfähigkeit, aber auch der Durchstanztragfähigkeit im Zuge der Einführung der harmonisierten europäischen Normung, der Eurocodes. So zeigen verschiedene Untersuchungen, dass zum einen durch die Einführung der neuen Lastmodelle die einwirkenden Lasten im Vergleich zu älteren Lastansätzen gestiegen sind, aber auch dass die konstruktiven Anforderungen (z. B. der Mindestquerkraftbewehrung) gestiegen sind. Aus diesem Grund ergeben sich bei Nachrechnungen von Bestandsbrücken, wie die Praxis zeigt, sehr häufig Querkrafttragfähigkeitsdefizite.
Aber nicht nur bei Brückentragwerken, sondern auch bei anderen Bestandstragwerken kommt es häufig nach einigen Jahren zu Umnutzungen, Erweiterungen usw., aufgrund derer es zu höheren Lasten auf den Bestand und Neubewertungen der Tragfähigkeit des Bestands kommt und letztlich Verstärkungsmaßnahmen erforderlich werden.
Derzeitige Verstärkungsmethoden
Bei vielen Verstärkungsmethoden, die derzeit eingesetzt werden, wie etwa durchgebohrte Gewindestangen, angeklebte Stahlplatten, eingeklebte Bewehrungsstäbe und CFK-Lamellen, müssen aber für die Installation meist der Fahrbahnaufbau und die Abdichtung an der Tragwerksoberseite entfernt werden, um das System zu installieren. Dies führt wiederum zu Teil- oder Totalsperren der Tragwerke und der Verkehrswege. Zudem weisen rein geklebte Systeme häufig im Lastfall Brand keine Verstärkungswirkung auf, da die eingesetzten Kleber über ca. 80° C keine Resttragfähigkeiten besitzen.
Es braucht für die bestehenden Tragwerke somit Verstärkungssysteme, die schnell und einfach und möglichst nur von einer Seite und damit unter weitestgehenderAufrechterhaltung des Verkehrs installiert werden können.
RELAST-Betonschrauben
Diese Anforderungen können Verbundankerschrauben als nachträglich installierte Bewehrung hervorragend erfüllen. Entstanden ist die Idee zum Einsatz von Verbundankerschrauben als nachträgliche Bewehrung im Jahr 2010 an der Universität Innsbruck, mittlerweile sind sie als RELAST-Betonschrauben bauaufsichtlich zugelassen und werden vom Hersteller Würth angeboten.
Die Verbundankerschrauben weisen – wie in Abbildung 1 zu erkennen – ein Verbundgewinde am vorderen Ende der Schrauben auf, das sich beim Eindrehen der Schrauben in das vorgebohrte Loch in die Bohrlochwandung schneidet. Damit wird ein sehr robustes mechanisches Tragsystem auf Basis des Hinterschnitts erzeugt, das unempfindlich gegenüber Ausführungsfehlern, wie etwa nicht ausreichend gereinigten Bohrlöchern ist. Zusätzlich wird in das Bohrloch vor dem Eindrehen der Schraube ein Verbundmörtel injiziert, der den Zwischenraum zwischen Bohrloch- und Schraubenoberfläche füllt, wodurch die Traglast nochmals um ein Drittel steigt. Dieser Verbundmörtel erhöht einerseits die Tragwirkung durch die größere Auf-lagefläche des Hinterschnitts, stellt aber gleichzeitig auch einen dauerhaften Korrosionsschutz für die Schraube dar. Die eingesetzten Schrauben sind zudem mit einer speziellen Beschichtung versehen, die der Korrosionsschutzklasse C5-I Mittel entspricht. Somit ist das neue Verstärkungssystem auch an exponierten Stellen, z. B. mit Tausalzeintrag, einsetzbar.
Wissenschaftliche Untersuchungen
In zahlreichen Versuchsreihen an Querkraft- und Durchstanzversuchen wurden zuerst die generelle Eignung des Systems und anschließend gezielt einzelne Parameter untersucht.
Querkraftversuche
Insgesamt wurden seit Beginn der Untersuchungen sechs Versuchsreihen mit 63 Querkraftversuchen durchgeführt. Es wurden Versuche an Balken und Platten ausgeführt, die nachträglich mit Betonschrauben verstärkt wurden (Abb. 2).
Die Querkraftversuche wurden als Vierpunktbiegeversuche durchgeführt, wobei verschiedene Größen an Probekörpern, aber auch verschiedene Schraubentypen und Installationsarten untersucht wurden. So wurde etwa die Anzahl der Schrauben in geklebter und ungeklebter Installationsweise variiert und der Einfluss der Installationsseite und der Setztiefe der Schrauben untersucht. Alle durchgeführten Versuche wurden pro Testserie mit Referenzversuchen ohne Querkraftbewehrung verglichen und zeigten je nach Konfiguration erreichbare Traglaststeigerungen von bis zu 150 % gegenüber den Referenzversuchen. Es wurden auch dynamische Versuche mit zyklischen Lasten (5 Mio. Lastwechsel) mit wirklichkeitsnaher Schwingbreite untersucht. Bei allen Versuchen konnte kein Versagen während der zyklischen Belastung erzielt werden. Somit ergibt sich keine Beeinträchtigung des Systems bei dynamisch belasteten Bauteilen.
Durchstanzversuche
Ebenfalls wurden an der Universität Innsbruck mehrere Versuchsreihen zur nachträglichen Durchstanzverstärkung mit RELAST-Verbundankerschrauben durchgeführt. Die Versuche wurden an kreisrunden Versuchsplatten mit einem Durchmesser von 2,7 m und einer Stärke von 20 cm vorgenommen und auch hier wurden zahlreiche Parameter, wie die Schraubenanzahl, die Installationsweise, die Setztiefe oder der Längsbewehrungsgrad, variiert.
Die erzielten Traglasten lagen hier gegenüber Referenzversuchen ohne Schubbewehrung um bis zu 50 % über den Referenzversuchen. Durchgeführte zyklische Durchstanzversuche mit jeweils 2 Mio. Lastwechseln zeigten analog zu den Querkraftversuchen, dass eine dynamische Belastung keine Einschränkung für das neue System darstellt, sondern dass die Traglasten der vergleichbaren statischen Versuche erreicht werden können.
Die RELAST-Zulassungen
Auf Basis der durchgeführten Versuche sowie zahlreicher numerischer Simulationen war es möglich, Bemessungsansätze für die Verstärkung mit RELAST-Verbundankerschrauben abzuleiten. Für einen schnellen und leicht verständlichen Umgang mit den Bemessungsgleichungen wurde für beide Verstärkungssysteme ein Bemessungsprinzip auf Basis der bekannten Eurocode-2-Modelle abgeleitet. Dafür wurden jeweils effektiv nutzbare Spannungen fywd.ef der Schrauben eingeführt, für welche die Gleichung zur Ermittlung anhand der Versuchsergebnisse kalibriert wurde. Basierend auf diesen Bemessungsansätzen und weiteren konstruktiven Regeln war es anschließend möglich, bauaufsichtliche Zulassungen des Deutschen Instituts für Bautechnik für die Querkraftverstärkung (Z-15.1-344) und für die Durchstanzverstärkung (Z-15.1-345) zu erlangen.
Seit Oktober 2019 bauaufsichtlich zugelassen
Die Würth-Verbundankerschrauben RELAST in Ø 16 mm und Ø 22 mm zur Anwendung als nachträglich verankerte Querkraft- bzw. Durchstanzbewehrung wurden am 28. Oktober 2019 allgemein vom DiBT bauaufsichtlich für Stahlbeton- und Spannbetontragwerke zugelassen.
Die beiden Zulassungen regeln die Anwendung des neuen Systems hinsichtlich der statischen Bemessung und der konstruktiven Regelungen sowie der Grenzen des Anwendungsgebiets. So ist eine Verstärkung aller Bauteile aus Stahl- und Spannbeton der Festigkeitsklassen zwischen C20/25 und C50/60 bei minimalen Bauteildicken von 20 cm möglich. Die maximal mögliche Bauteildicke ist hingegen nur bei der Durchstanzverstärkung mit 120 cm begrenzt. Bei solch großen Setztiefen muss für den Einbau der Schrauben eine Stufenbohrung erstellt werden, um eine ordnungsgemäße Verankerung der Schraube in der Bohrlochwandung sicherzustellen. Die entsprechenden Parameter zur Bohrlocherstellung und zum Einbau der Schrauben sind in den Anlagen der Zulassung enthalten, ebenso wie maximale und minimale Abstände der Verstärkungselemente zur konstruktiven Durchbildung der Verstärkungsmaßnahme.
Pilotprojekte
Mithilfe der vorgestellten Bemessungsmodelle und Erkenntnisse aus den Versuchen war es möglich, in den letzten Jahren diverse Pilotprojekte durchzuführen.
Beispiel Altstadtringtunnel München
Für die Errichtung des Tunnelblocks 34 direkt unter dem Prinz-Carl-Palais wurde in den 1960er-Jahren im vorhandenen Kellergeschoss eine Abfangkonstruktion aus Stahlträgern errichtet und anschließend insgesamt 15 Betonträger (auch als Lamellen bezeichnet) abschnittsweise betoniert. Diese Lamellen besitzen eine Höhe von 3,5 m und eine variable Querschnittsbreite. Zur Reduzierung des Eigengewichts wurden in den Lamellen mehrere Hohlkörper angeordnet. Die Lamellen wurden in Längsrichtung vorgespannt. Anschließend wurden die 15 Lamellen auch in Querrichtung vorgespannt und bilden so die Tunneldecke. Nach Errichtung der Tunneldecke wurden die Bereiche für die beiden Tunnelwände ausgegraben und diese errichtet, abschließend wurde der Restquerschnitt des Tunnels ausgebrochen und die Fahrbahn hergestellt. Die maximale Spannweite der Lamellen ist etwa 32 m, wobei der gesamte Lastabtrag des Prinz-Carl-Palais über die Tunneldecke dieses Blocks erfolgt. Für die Vorspannung der Tunneldecke wurde das Spannsystem PZ mit vergüteten Spannstählen Sigma Oval St 145/160 verwendet. Nach heutigem Kenntnisstand gilt der verwendete Sigma-Oval-Stahl, wie schon beschrieben wurde, als spannungsrisskorrosionsgefährdet.
Eine Nachrechnung im Jahr 2013 ergab, dass bei 13 der 15 Lamellen keine Vorankündigung des Versagens bei Ausfall der Spannbewehrung nachgewiesen werden kann. Aufgrund der Randbedingungen wurde von der Landeshauptstadt München eine Verstärkung der Tunneldecke dieses Tunnelblocks beschlossen, wobei keine Maßnahmen von oben gesetzt werden können und eine Totalsperre des Tunnels aufgrund der Verkehrsbedeutung nicht möglich ist. Es wurde daher der Einbau von Betonschrauben durch die Hohlkörper als nachträgliche Querkraftverstärkung geplant (s. Abb. 5) und eine zusätzliche Betonschicht von 30 cm an der Tunneldeckenunterseite, in die zusätzliche Biegebewehrung eingebaut wird. Je nach Bereich und Spannweite der Tunneldecke kommen dazu hochfeste Gewindestäbe mit einem Durchmesser von Ø 43 mm bzw. Ø 63,5 mm zum Einsatz. Diese Gewindestäbe werden mithilfe von zwei oder vier Betonschrauben an beiden Seiten in die Tunnelwände verankert, um die entstehenden Biegezugkräfte aufzunehmen.
Im Frühjahr 2019 wurde mit den Ausführungsmaßnahmen der Tunnelverstärkung begonnen, wobei in einem ersten Schritt die RELAST-Schrauben an der Tunnelnordseite eingebaut wurden. Nach einer ausführlichen zerstörungsfreien Detektion der vorhandenen Spannglieder konnten die Einstiegsöffnungen in die Hohlkörper hergestellt werden, die für den Einbau der Schrauben in die Hohlkörper erforderlich sind (vgl. Abb. 5). Anschließend konnte mit dem Einbau der Verstärkungsschrauben begonnen werden. Der Einbau der Schrauben in der Nordhälfte des Tunnels konnte im Herbst 2019 abgeschlossen werden. Im nächsten Schritt wurden die hochfesten Gewindestäbe an der Deckenunterseite eingebaut (Abb. S. 42/43 oben links) und der Verkehr auf die Nordseite umgelegt, um die Arbeiten an der Südseite der Decke fortsetzen zu können.
Die Arbeiten an der Südseite werden derzeit ausgeführt. Nach dem Einbau der restlichen Schrauben (insgesamt werden ca. 7.300 Schrauben verbaut), wird die neue Biegebewehrung an der Südseite eingebaut und mittels Muffen an die Bewehrung der Nordseite angeschlossen. Abschließend wird eine Spritzbetonschicht von 30 cm an der Deckenunterseite angebracht und somit die ebene Deckenuntersicht wiederhergestellt. Diese Arbeiten sollen im Sommer 2020 abgeschlossen sein.
Beispiel Durchstanzverstärkung einer Plattenbrücke einer Schnellstraße
Ebenfalls konnte eine punktgestützte Plattenbrücke einer Schnellstraße verstärkt werden. Die vorhandenen Schubaufbiegungen der Brücke um die Punktlager reichten nicht aus, um die Durchstanzlasten aufnehmen zu können, wie in Abb. 7 ersichtlich ist. Durch den Einsatz von RELAST-Verbundankerschrauben konnte die geforderte Durchstanztragfähigkeit des Tragwerks ohne Störung des Verkehrs der Schnellstraße auf der Brücke wiederhergestellt werden. Der Einbau der Durchstanzverstärkung erfolgte von unten (s. Abb. 7).
Zusammenfassung
Mit dem neuen System RELAST zur nachträglichen Querkraft- und Durchstanzverstärkung steht ein einfaches und schnell zu installierendes Verstärkungssystem mit bauaufsichtlicher Zulassung zur Verfügung. Dieses neue System zeichnet sich durch den robusten mechanischen Tragmechanismus der Betonschraube und durch die Installation der Verstärkung von einer Seite des Tragwerks aus. Damit konnte die Verstärkung unter Aufrechterhaltung des Verkehrs auf und unter dem zu verstärkenden Tragwerk durchgeführt werden. Durch die umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen konnten Bemessungsansätze abgeleitet werden, die im Wesentlichen auf den Bemessungsgleichungen der aktuellen Normung des Eurocode 2 basieren. Dies ermöglicht die schnelle und einfache Planung einer Verstärkung von Tragwerken mithilfe der bekannten Formelapparate und unter Beachtung der bekannten Konstruktionsregeln.
In zahlreichen Pilotanwendungen an bestehenden Straßen- und Eisenbahnbrücken, aber auch in Tunneldecken oder Tragwerken des Hochbaus konnte die hervorragende Eignung und sehr schnelle Installation des Systems eindrucksvoll gezeigt werden.
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BauPortal 2|2020