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Gleisbau

Neues psychologisches Anforderungsprofil für Sicherungspersonal im Gleisbereich

Das Sicherungspersonal im Gleisbereich trägt eine hohe Verantwortung. Gutes Sicherungspersonal ist der Schlüssel für das zuverlässige und sorgfältige Ausführen der Sicherungstätigkeiten. Aber was genau macht gutes Sicherungspersonal aus? Mit dieser Frage hat sich die Forschungsgesellschaft für angewandte Systemsicherheit und Arbeitsmedizin (FSA) in den letzten Jahren im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte beschäftigt. Herausgekommen ist ein umfassendes psychologisches Anforderungsprofil für das Sicherungspersonal, das hier vorgestellt wird.
 

Eine Gruppe mit mehreren Beschäftigten in signalfarbener Warnkleidung nimmt Arbeiten an einem Bahngleis vor.
Sicherungsposten bei Gleisbauarbeiten
Bild: BG BAU


Die Sicherheit bei Arbeiten im Gleisbereich hängt entscheidend vom verantwortungsbewussten Handeln des Sicherungspersonals ab. Wer den Schutz von Menschenleben zu verantworten hat, sollte hierfür geeignet sein.
 

Exkurs Eignung

Unter Eignung ist hier die Gesamtheit aller Merkmale und Eigenschaften zu verstehen, die eine Person dazu befähigen, eine bestimmte Tätigkeit erfolgreich auszuüben. Diese Merkmale oder Eigenschaften stehen dabei immer in Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit [1]. Die Eignungsdiagnostik hilft dabei, die geeignete Person für eine Tätigkeit zu identifizieren, indem sie Person und Tätigkeitsinhalte auf der Basis von Informationen über die Person sowie mithilfe von Anforderungsanalysen gegenüberstellt [2].

Rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Eignungsuntersuchungen spielen bei dieser Betrachtung zunächst keine Rolle.
 

Um herauszufinden, ob jemand den Anforderungen einer Tätigkeit gewachsen ist, muss zunächst Klarheit sowohl über die Aufgaben herrschen, die im Zusammenhang mit den Tätigkeiten bestehen, als auch über die Merkmale und Eigenschaften von Personen, die diese Aufgaben bewältigen sollen. Hier hilft ein Anforderungsprofil. Dieses beschreibt die für eine Tätigkeit erforderlichen Eignungsmerkmale von Personen. Es dient als Referenzrahmen für die Personalauswahl.
 

Eignungsmerkmale als Basis des Anforderungsprofils

In sicherheitsrelevanten Berufen, bei denen die Vermeidung von Not- und Gefahrensituationen eine große Rolle spielt und/oder für Dritte eine besondere Verantwortung zum Tragen kommt, wird die Eignung häufig neben medizinischen auch durch psychologische Untersuchungen sichergestellt. Mithilfe psychologischer Untersuchungen soll z. B. gewährleistet werden, dass wichtige Informationsverarbeitungsprozesse wie Aufmerksamkeit, Denken, Lernen und Gedächtnis fehlerfrei ablaufen, um beispielsweise Gefahrensituationen rechtzeitig zu erkennen, darauf angemessen und schnell zu reagieren und so drohende Gefahren abzuwenden. Darüber hinaus werden zunehmend auch Persönlichkeitseigenschaften wie beispielsweise Gewissenhaftigkeit, Belastbarkeit oder Verantwortungsbewusstsein von den Bewerbenden erfragt, da diese ebenfalls mit berufsbezogenem Verhalten zusammenhängen. Vor dem Hintergrund einer immer komplexer, dynamischer und unüberschaubar werdenden Arbeitswelt spielt vermehrt auch der Erwerb von Kompetenzen eine Rolle für die Frage nach der Eignung, denn entscheidend ist die Handlungsfähigkeit der Beschäftigten in ihren Tätigkeiten. Hier legt der Kompetenzbegriff seinen Schwerpunkt.

Sicherheit bzw. zuverlässiges Handeln ist also das Ergebnis fehlerfrei ablaufender kognitiver Informationsverarbeitungsprozesse, sicherheitsrelevanter Einstellungen und Eigenschaften und der Fähigkeit (Kompetenz), in unklaren Situationen auf der Grundlage verinnerlichter Regeln, Werte und Normen, Probleme zu lösen und handlungsfähig zu sein.
 

Die Forschungsreihe

Im Rahmen einer über mehrere Jahre andauernden Forschungsreihe hat die FSA in Kooperation mit den Unfallversicherungsträgern (BG BAU, UVB, VBG) und zuletzt gemeinsam mit der HR Excellence Group – im Auftrag des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) – das Thema Eignung und Anforderungsprofile für das Sicherungspersonal umfassend betrachtet und auf eine wissenschaftliche Basis gestellt.

Die Forschungsreihe wurde durch Fragen der Sicherungsbranche u. a. zu den Inhalten der psychologischen Eignungsuntersuchungen, der Notwendigkeit regelmäßiger Wiederholungsuntersuchungen und dem Einstiegsalter angestoßen. Begleitet wurde die Forschungsreihe auch durch einen auf der Branche lastenden Veränderungsdruck, der durch die Herausforderungen der technischen, digitalen und demografischen Entwicklungen entsteht, verbunden mit der Frage, wie auf diese Veränderungen reagiert werden könne.

Die Anforderungsanalyse als Grundlage

Um diese Fragen, die die psychische Eignung und letztlich auch die Entwicklung eines Berufsbilds betrafen, beantworten zu können, wurde eine Anforderungsanalyse durchgeführt, die systematisch die aktuellen und künftigen Merkmale einer Tätigkeit sowie die Arbeitsanforderungen an das Sicherungspersonal in Form von Verhaltensbeschreibungen, Eigenschaften und Kompetenzen erfasst.

Im Rahmen der Anforderungsanalyse wurden Informationen auf Aufgaben-, Verhaltens- sowie Eigenschafts- und Kompetenzebene zusammengetragen und bildeten so im Ergebnis ein solides Anforderungsprofil.

Der Weg zum psychologischen Anforderungsprofil

Der erste Schritt der Projektreihe bestand in der Identifikation der relevanten Eignungsvoraussetzungen des Sicherungspersonals. Hierfür wurden Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Sicherungsfirmen zu dem für die Arbeit erforderlichen Verhalten, sicherheitskritischen Verhaltensweisen sowie berufsrelevanten Eigenschaften des Sicherungspersonals befragt. Sie nannten neben den „klassischen“ Anforderungen der psychischen Eignung, wie z. B. Aufmerksamkeit, Konzentration und Merkfähigkeit, auch Persönlichkeitseigenschaften, wie z. B. Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit als wichtigste Eigenschaften des Sicherungspersonals.

Da bis dato Persönlichkeitseigenschaften bei den psychologischen Eignungsuntersuchungen des Sicherungspersonals keine Rolle gespielt hatten, wurde in einem weiteren Projektschritt ermittelt, welche der von den Expertinnen und Experten aufgeführten Persönlichkeitseigenschaften auch tatsächlich im Zusammenhang mit der zuverlässigen Arbeitsausübung des Sicherungspersonals stehen. Im Rahmen einer Validierungsstudie wurden die Persönlichkeitseigenschaften des Sicherungspersonals über einen etablierten Persönlichkeitsfragebogen erhoben und mithilfe eines Außenkriteriums – in diesem Fall die von dem bzw. der Vorgesetzen bewertete Arbeitsleistung (Vorgesetztenurteil) – validiert. Die im Rahmen dieser Studie ermittelten Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Vorgesetztenurteil führten zur Aufnahme der entsprechenden Persönlichkeitseigenschaften in das neue Anforderungsprofil.

Aufbauend auf den erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnissen der FSA zum psychologischen Anforderungsprofil für das Sicherungspersonal [3] wurde in einem nächsten Schritt, im Auftrag des EBA, gemeinsam mit der HR Excellence Group eine umfassende Kompetenzanalyse durchgeführt. Hierfür wurden Experteninterviews zu den zukünftigen Entwicklungen und kompetenzdiagnostischen Anforderungen geführt und im Rahmen von Kompetenzworkshops mit Beschäftigten von Sicherungsfirmen finalisiert.

Im Ergebnis stehen wissenschaftlich fundierte psychologische Anforderungsprofile für das Sicherungspersonal im Gleisbereich bereit.
 

Das psychologisches Anforderungsprofil für das Sicherungspersonal

Das psychologische Anforderungsprofil für das Sicherungspersonal [4] listet die zur Ausübung der Tätigkeiten notwendigen sicherheitsrelevanten Anforderungsbereiche inklusive der Eignungsmerkmale auf (siehe Abb. 1). Es benennt sowohl Anforderungsbereiche, die bereits vor Aufnahme einer Tätigkeit geklärt sein müssen (Aufmerksamkeit und Konzentration, kognitive Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale), als auch Kompetenzen, die erworben werden müssen, um die Tätigkeit erfolgreich und zuverlässig ausführen zu können. Das Profil verdeutlicht, dass für die sichere und zuverlässige Ausübung der Tätigkeiten der Erwerb von Kompetenzen mindestens genauso bedeutsam ist wie die Leistungs- und Persönlichkeitsmerkmale, die bereits vor Aufnahme der Tätigkeit geklärt sein müssen.
 

Tabelle, welche psychologischen Anforderungen und Kompetenzen an Sipos und Sakras gestellt werden
Abb 1. Psychologisches Anforderungsprofil
Bild: Juliane Manteuffel


Neu an diesem Profil ist die getrennte Auflistung der Anforderungen nach Sicherungsaufsicht (Sakra) und Sicherungsposten (Sipo). Unter den Begriff Sipo fallen alle Tätigkeiten, die mit der Qualifikation zum Sicherungsposten in Verbindung stehen, wie der klassische Sicherungsposten, der Außen-, Zwischen und Innenposten sowie der Absperr- und der Überwachungsposten. Die Trennung der Profile ergibt sich als logische Konsequenz aus den unterschiedlichen Tätigkeiten und Aufgaben von Sipo und Sakra.

Darüber hinaus präzisiert das Anforderungsprofil die abgeleiteten Eignungsmerkmale in Form von Verhaltensbeschreibungen (Operationalisierungen). Diese Verhaltensbeschreibungen sind äußerst wertvoll für die Ableitungen, die aus dem Profil sowohl für die psychologischen Eignungsuntersuchungen (z. B. Inhalte der Untersuchungen, Wahl psychologischer Testverfahren) als auch für entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen getroffen werden. Sie sind hier für die Anforderungsbereiche „Aufmerksamkeit und Konzentration“,„Kognitive Fähigkeiten“ sowie „Persönlichkeit“ dargestellt (Abb. 2, 3, 4). Ohne diese Verhaltensbeschreibungen würde das Anforderungsprofil lediglich Worthülsen enthalten, die zu Interpretationen einladen und einer systematischen Personalauswahl sowie einem einheitlichen Personalentwicklungsprozess im Wege stünden.
 

Auswirkungen des neuen Anforderungsprofils

Das neue Anforderungsprofil wirkt sich sowohl auf das Einstiegsalter und die Qualifikation des Sicherungspersonals als auch auf die psychologischen Eignungsuntersuchungen aus.

Auswirkungen auf das Einstiegsalter

Das Anforderungsprofil bildet die wissenschaftliche Grundlage, um die weiteren Schritte zur Herabsetzung des Mindestalters von 21 auf 18 Jahre einzuleiten. Zuverlässiges Handeln steht hier nicht in Verbindung mit dem Alter (18 oder 21 Jahre), sondern mit der Erfüllung des Anforderungsprofils.

Auswirkungen auf psychologische Eignungsuntersuchungen

Die im Anforderungsprofil benannten und durch Verhaltensbeschreibungen konkretisierten Eignungsmerkmale wirken sich auf die Inhalte der psychologischen Eignungs- und Wiederholungsuntersuchungen aus und machen Anpassungen der bisherigen Untersuchungen notwendig.

Auswirkungen auf die Qualifikation

Die im Profil neu platzierten Kompetenzen erfordern inhaltliche und methodische Anpassungen der bisherigen Qualifizierungsmaßnahmen. Die Qualifizierungsmaßnahmen sollten einen konkreten Praxis-, Handlungs- und Kontextbezug aufweisen. Neben Wissen sollen auch Werte vermittelt werden, die von besonderer Bedeutung für die Ausführung der verantwortungsvollen Aufgaben des Sicherungspersonals sind.
 

Tabelle, die die  Operationalisierung im Bereich Aufmerksamkeit und Konzentration darstellt
Abb. 2. Anforderungsbereich: Aufmerksamkeit und Konzentration
Bild: Juliane Manteuffel
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Tabelle, die die  Operationalisierung im Bereich kognitive Fähigkeiten darstellt
Abb. 3. Anforderungsbereich Kognitive Fähigkeiten
Bild: Juliane Manteuffel
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Tabelle zeigt die Operationalisierung von  Persönlichkeitseigenschaften wie etwa Fleiß und Geselligkeit.
Abb. 4 Anforderungsbereich Persönlichkeit
Bild: Juliane Manteuffel
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Schlussbemerkung

Die Forschungsreihe hat gezeigt, dass sich die Tätigkeitsprofile des Sicherungspersonals im Laufe der letzten Jahre verändert haben und dies weiterhin tun werden. Dieser Veränderungsprozess betrifft sowohl die Eignung als auch die Anforderungen an die Qualifikation. Mit der Vorlage dieses psychologischen Anforderungsprofils, das die Tätigkeiten des Sicherungspersonals differenziert nach Sicherungsposten und Sicherungsaufsicht wissenschaftlich fundiert und zukunftsgerichtet definiert, liegt nun ein Instrument vor, das es ermöglicht, in die Zukunft gerichtete Schritte zur Entwicklung und Modernisierung des Berufsbilds des Sicherungspersonals zu unternehmen, was allerdings ein gemeinsames Agieren aller Akteurinnen und Akteure notwendig macht. Mit der Vorlage dieses Anforderungsprofils entsteht allerdings auch unmittelbarer Handlungsdruck. Das Profil liefert Erkenntnisse, die die derzeit durchgeführten psychologischen Eignungsuntersuchungen sowie die Ausbildung und Qualifikation teilweise infrage stellen. So reicht es beispielsweise nicht, Kompetenzen in Form einer reinen Wissensvermittlung weiterzugeben und zu trainieren. Kompetenzvermittlung benötigt über die Wissensvermittlung hinaus noch eine Wertvermittlung und erfordert neue Formen des Lernens und Weiterbildens.

Der derzeit bzw. somit bestehende Widerspruch zur aktuell gelebten Praxis sollte schnellstmöglich im Sinne der Sicherheit auf Gleisbaustellen behoben werden.

Literaturhinweise
1
Definition Eignung Gabler Wirtschaftslexikon. Verfügbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/eignung-34394/version-257897 (abgerufen am 03.05.2021).
2
Definition Eignungsdiagnostik Gabler Wirtschaftslexikon. Verfügbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/eignungsdiagnostik-35877/version-259350 (abgerufen am 03.05.2021).
3
Abschlussbericht Manteuffel, J., Kutschbach, S. (2020). Überprüfung der Kriterien zur psychischen Leistungsfähigkeit des Sicherungspersonals im Gleisbereich. Mannheim: FSA.
4
Forschungsbericht Moukouli, V., Manteuffel, J. (in Druck). Anforderungsprofile für Sicherungsposten und Sicherungsaufsichten. Bonn: Eisenbahn-Bundesamt.
Autorin

Dipl.-Psych. Juliane Manteuffel

Potsdam, Forschungsgesellschaft für angewandte Systemsicherheit und Arbeitsmedizin e. V. (FSA)


Ausgabe

BauPortal 1|2022