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Die Doppelhaushälfte und die Baustellenverordnung

Das Verwaltungsgericht Augsburg hat in einem neuen Gerichtsbeschluss den weiten Anwendungsbereich der BauStellV klargestellt

Sachverhalt

Ein Maler errichtete auf einem Grundstück zwei verbundene Doppelhaushälften mit insgesamt vier Wohneinheiten. Mit Bescheid vom 18. Juni 2019 ordnete das zuständige Gewerbeaufsichtsamt an:

  • die Übermittlung einer Vorankündigung,
  • die Bestellung eines geeigneten Sicherheitskoordinators,
  • die Erarbeitung und Übermittlung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans und
  • die sofortige Vollziehung – und begründete:
    „Die Baugenehmigungsgebühr betrug € 679,–. Das entspricht durchschnittlichen Baukosten für ein Wohngebäude mit zwei Wohnungen von € 379.000,–[1]. Bei 37 % Arbeitskosten dieser Baukosten würden bei einem Stundenlohn von € 28,20 und einem 8-Stunden-Tag mehr als 500 Personenarbeitstage anfallen. Bei der Ermittlung der voraussichtlichen Personenarbeitstage sei zwangsläufig auf pauschale Regelungen abzustellen, da die tatsächlichen Arbeitstage erst im Nachhinein ermittelt werden könnten.“

Der Bauherr argumentierte, er würde das Bauvorhaben privat und überwiegend in Eigenregie erstellen, und beantragte beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Pflicht zur Vorankündigung und zur Erstellung eines SiGe-Plans wiederherzustellen. Die Pflicht zur Bestellung eines SiGeKo akzeptierte er.

Gerichtsentscheidung

Das Verwaltungsgericht Augsburg wies den Antrag des Bauherrn ab.[1] Rechtsgrundlage der Anordnung zur Umsetzung der BauStellV ist § 22 Abs. 3 Nr. 1 ArbSchG.

 

1. Eine Baustelle

„Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Bauvorhaben auf dem Grundstück. Dieses umfasst die Errichtung von zwei verbundenen Doppelhaushälften mit insgesamt vier Wohneinheiten. Da beide Doppelhaushälften in räumlichem Zusammenhang stehen, müssen sie als eine Baustelle i. S. d. § 1 Abs. 3 BaustellV betrachtet werden.“

2. Vorankündigung

Die Anordnung der Vorankündigung ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 BauStellV rechtmäßig.

„Im Bescheid wird ausführlich dargelegt, wie die Anzahl der Personentage ermittelt wurde. Dass das Gewerbeaufsichtsamt davon 37 % als Arbeitslohnkosten angesetzt hat, entspricht dessen allgemeinen Erfahrungswerten. Das Gericht sieht sich auch nicht dazu veranlasst, den vom Gewerbeaufsichtsamt aus den Angaben des Jahrbuches 2018 des Statistischen Bundesamtes herangezogenen Stundenlohn anzuzweifeln. Selbst wenn man jedoch den vom Bevollmächtigten des Antragstellers vorgetra-genen Stundenverrechnungssatz von € 45,22 heranziehen würde,

wäre auch in diesem Fall die Grenze des § 2 Abs. 2 Nr. 2 BaustellV von 500 Personentagen überschritten.“

3. Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan

Die Anordnung der Erstellung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans ist ebenfalls rechtmäßig:

„Ist für eine Baustelle, auf der Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden, eine Vorankündigung zu übermitteln oder werden auf einer Baustelle, auf der Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden, besonders gefährliche Arbeiten nach Anhang II der Verordnung ausgeführt, ist dafür zu sorgen, dass vor Einrichtung der Baustelle ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt wird (§ 2 Abs. 3 Satz 1 BaustellV).“

Ausweislich der Aktenlage sind zumindest Arbeiter einer GmbH und einer Zimmerei tätig und damit Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber.

4. Ermessen

§ 22 Abs. 3 ArbSchG eröffnet der Behörde ein Ermessen. Die Behörde sagte, „die Anordnungen seien nach pflichtgemäßem Ermessen zur Durchsetzung der Arbeitsschutzvorschriften erforderlich und geeignet und weniger belastende, jedoch ebenso wirksame Maßnahmen würden nicht in Betracht kommen. Im Hinblick darauf, dass die auf der Grundlage des § 2 BaustellV getroffenen Anordnungen der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz auf Baustellen dienen, kann bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen regelmäßig ermessensfehlerfrei eine solche Anordnung ergehen. Die Anforderungen an die Darlegung der Ermessenserwägungen der Behörde sind im Rahmen des vorliegenden intendierten Ermessens [siehe hierzu die Anmerkung in Nr. 7] entsprechend herabgesetzt. Die Ermessensausübung des Antragsgegners ist danach nicht zu beanstanden.“

5. Anordnungsbefugnis auch nach Beginn der Bautätigkeit

„Die Verpflichtungen nach § 2 Abs. 2 und 3 BaustellV sind grundsätzlich vor Errichtung der Baustelle zu erfüllen. Sie haben sich jedoch auch nach Beginn der Bauarbeiten nicht erledigt, sondern bestehen weiterhin. Sie können ihren Zweck auch in Zukunft erfüllen, indem sie dem Gewerbeaufsichtsamt die Überwachung der Baustelle erleichtern. Ansonsten hätte es auch der Bauherr in der Hand, allein durch den Beginn der Bauarbeiten die Anforderungen der BaustellV zu unterlaufen.“

6. Bauherr als richtiger Adressat

Die Behörde „hat auch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den Antragsteller als Adressaten der Anordnungen herangezogen“.[1]

„Mangels spezialgesetzlicher Regelungen ist dabei für die Störerauswahl auf die allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätze, insbesondere auf Art. 9 LStVG, zurückzugreifen. Art. 9 LStVG unterscheidet zwischen dem Handlungsstörer (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG) und dem Zustandsstörer (Art. 9 Abs. 2 LStVG). Handlungsstörer ist derjenige, dessen Verhalten die Gefahr oder die Störung verursacht hat. Zustandsstörer ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt oder der Eigentümer einer Sache oder Immobilie, deren Zustand Grund für die Gefahr oder die Störung ist. Bei einer Mehrheit von Störern hat die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über deren Inanspruchnahme zu entscheiden. Grundsätzlich ist nach Art. 9 Abs. 1 LStVG der Handlungsstörer vor dem Zustandsstörer heranzuziehen. Im Vordergrund steht im Sicherheitsrecht die Wirksamkeit der Maßnahme. Es gilt auch hier das Effektivitätsprinzip. Daher ist auch vorliegend auf die Regelung des Art. 9 LStVG abzustellen und der Bauherr als Handlungsstörer vorrangig heranzuziehen. Der Antragsteller, der nach eigenen Angaben Bauherr und Eigentümer des Grundstücks ist, kann daher sowohl als Handlungsstörer als auch als Zustandsstörer herangezogen werden. Insofern sind Ermessenserwägungen zu der Frage, ob im konkreten Fall der Antragsteller als Handlungsstörer oder als Zustandsstörer in Anspruch genommen wird, entbehrlich.“

7. Anmerkung zur Ermessensausübung

Nach der Rechtsfigur des „intendierten Ermessens“ besteht die „Tendenz der Rechtsprechung, als allgemeine Ermessensermächtigungen gefasste Vorschriften dahin auszulegen, dass sie die Ermessensausübung grundsätzlich in eine bestimmte Richtung lenken, sie somit wie Sollvorschriften zu verstehen. Eine prinzipielle Handlungspflicht der Behörden wird für das Einschreiten gegen rechts- und ordnungswidrige Zustände angenommen“[2]. So sagte das Bundesverwaltungsgericht: „Bei einem Einschreiten gegen einen rechtswidrigen Zustand darf die Behörde im Regelfall ihre Ermessenerwägungen und auch die Begründung der Verfügung darauf beschränken, dass sie zum Ausdruck bringt, ihr gehe es um die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes“[3].

In einer anderen Entscheidung zur BauStellV spricht das VG Augsburg[4] im Zusammenhang des „intendierten Ermessens“ auch von „Regelermessen“ – und ergänzt: „Soweit in dem Bescheid im Rahmen der Ermessenserwägungen ausgeführt wird, dass keine Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, trotz Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen von einer Entscheidung abzusehen oder eine andere Entscheidung zu treffen, ist die Ermessensausübung daher nicht zu beanstanden.“

Fußnoten
1
Nach einer – nicht ganz einfachen – Berechnung gemäß Nr. 1.24.1 der bayerischen Verordnung über den Erlass des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz (Kostenverzeichnis – KVz –) richtet sich die Baugenehmigungsgebühr nach den Baukosten.
2
VG Augsburg, Beschluss v. 29. Juli 2019 (Az. Au 5 S 19.1001).
3
Allgemein siehe Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung – mit 25 erläuterten Gerichtsurteilen (2016).
4
Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 28.
5
BVerwG, Urteil v. 30.08.1985 (Az. 4 C 50/82).
6
VG Augsburg, Beschluss v. 05.12.2012 (Az. Au 5 S 12.1221).
Autor

Dr. Thomas Wilrich


Ausgabe

BauPortal 2|2020

Auszug aus dem Arbeitsschutzgesetz

§ 22 Befugnisse der zuständigen Behörden

(3) Die zuständige Behörde kann im Einzelfall anordnen,

1. welche Maßnahmen der Arbeitgeber und die verantwortlichen Personen oder die Beschäftigten zur Erfüllung der Pflichten zu treffen haben, die sich aus diesem Gesetz und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergeben, […]

Auszug aus der Baustellenverordnung (BauStellV)

§ 2 Planung der Ausführung des Bauvorhabens

(1) Bei der Planung der Ausführung eines Bauvorhabens, insbesondere bei der Einteilung der Arbeiten, die gleichzeitig oder nacheinander durchgeführt werden, und bei der Bemessung der Ausführungszeiten für diese Arbeiten, sind die allgemeinen Grundsätze nach § 4 des Arbeitsschutzgesetzes zu berücksichtigen.

(2) Für jede Baustelle, bei der

1. die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mehr als 30 Arbeitstage beträgt und auf der mehr als 20 Beschäftigte gleichzeitig tätig werden, oder

2. der Umfang der Arbeiten voraussichtlich 500 Personentage überschreitet,

ist der zuständigen Behörde spätestens zwei Wochen vor Einrichtung der Baustelle eine Vorankündigung zu übermitteln, die mindestens die Angaben nach Anhang I enthält. Die Vorankündigung ist sichtbar auf der Baustelle auszuhängen und bei erheblichen Änderungen anzupassen.

(3) Ist für eine Baustelle, auf der Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden, eine Vorankündigung zu übermitteln, oder werden auf einer Baustelle, auf der Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden, besonders gefährliche Arbeiten nach Anhang II ausgeführt, so ist dafür zu sorgen, dass vor Einrichtung der Baustelle ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt wird. Der Plan muss die für die betreffende Baustelle anzuwendenden Arbeitsschutzbestimmungen erkennen lassen und besondere Maßnahmen für die besonders gefährlichen Arbeiten nach Anhang II enthalten. Erforderlichenfalls sind bei Erstellung des Planes betriebliche Tätigkeiten auf dem Gelände zu berücksichtigen.

Auszug aus dem bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG)

Art. 9 Richtung der Maßnahmen

(1) Macht das Verhalten oder der Zustand einer Person Maßnahmen nach diesem Gesetz notwendig, so sind diese gegen die Person zu richten, die die Gefahr oder die Störung verursacht hat. […]

(2) Macht das Verhalten oder der Zustand eines Tieres oder der Zustand einer anderen Sache Maßnahmen nach diesem Gesetz notwendig, so sind diese gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder den sonst dinglich Verfügungsberechtigten gerichtet werden; das gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese gegen den Willen des Eigentümers oder sonst dinglich Verfügungsberechtigten ausübt. Soweit auf Grund besonderer Vorschriften eine andere Person verantwortlich ist, sind die Maßnahmen in erster Linie gegen diese zu richten.